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SH-056 – Nicole
Nicole .... (sh-056.zip) (M/f rom slow 1st preg) (133k) Bernd (48) verliebt sich auf offener Straße rettungslos in Nicole (fast 13). Er riskiert Kopf und Kragen, um das Schulmädchen kennenzulernen, und schafft es tatsächlich, durch eine raffinierte Lügengeschichte ihr Vertrauen zu gewinnen. Doch dann meldet sich sein schlechtes Gewissen, und er beichtet Nicole seine Lüge. Das Mädchen verzeiht ihm, nicht zuletzt deshalb, weil Bernd ihr als Entschädigung verspricht, daß er ihr das Autofahren beibringen wird. Aus diesem chaotischen Ansatz entwickelt sich eine stürmische Beziehung, in der Nicole ihre ersten Erfahrungen mit Sex macht.
Copyright © 1999, Shana.
Date of first publication Sunday AM, February 14, 1999
Title: Nicole
Code: M/f rom slow 1st preg
Desc:
Preview: "Machst du dann bitte das Licht aus?" flüsterte sie. "Ich - ich schäme mich." "Ist gut. Warte." Bernd drehte sich um und tastete nach dem Lichtschalter an der Wand. Es klickte, und das Zimmer war stockdunkel. Die Rolläden ließen nicht das geringste Licht durch. "Besser!" seufzte Nikki. "Du tust mir wirklich nichts?" "Ganz bestimmt nicht, Nikki." Er rutschte vorsichtig an sie heran, tastete nach ihrem Kopf und küßte sie sanft auf den Mund. "Okay." Beruhigt setzte Nikki sich auf, zog das T-Shirt aus und warf es auf den Boden vor ihrem Bett, dann rollte sie sich wieder zu Bernd, drehte sich mit dem Rücken zu ihm und schmiegte sich an ihn. Bernd schob einen Arm unter ihren Kopf und legte den anderen auf ihren Bauch. Nikki zitterte kurz, als sie seine großen, warmen Hände auf ihrer nackten Haut spürte. "Das kribbelt schon wieder alles!" sagte sie leise. "Möchtest du nochmal einen Orgasmus haben?" flüsterte Bernd. "Ja", hauchte Nikki verlegen. "Dann leg dich mal auf den Bauch." Nikki rollte sich herum. Bernd begann, ihren Kopf und den Rücken zu streicheln, bis Nikki leise seufzte, dann ging er vorsichtig etwas tiefer und fuhr mit den Fingerspitzen über ihren festen Po. Nikki erschrak zuerst, doch als sie spürte, daß nicht die geringste Angst in ihr war, entspannte sie sich wieder und überließ sich seinen geschickten Fingern, die über ihren Po wanderten und tiefer über die Oberschenkel, bis zu den Kniekehlen. Dann kehrte Bernd die Richtung um und streichelte sie von unten nach oben. Nikki wurde vollkommen locker. Als Bernds Hände sich auf ihre Pobacken legten und sanft zudrückten, entfuhr ihr ein leises Stöhnen. Unwillkürlich streckte sie ihren Hintern etwas heraus. Bernd knetete noch einen Moment, dann ging er wieder zu ihrem Rücken. "Ist das schön!" murmelte Nikki glücklich. "Keine Angst?" fragte Bernd leise. "Nein, kein bißchen." "Sag bitte sofort Bescheid, wenn du dich unwohl fühlst, ja?" "Mach ich. Glaub ich aber nicht." Zufrieden drückte sie sich in ihr Kopfkissen und ließ sich verwöhnen. Sie war zwar nackt, aber es war völlig dunkel, und Bernd tat nichts, was ihr Angst machte. Das Kribbeln wurde jetzt richtig schön und stark. Bernd beugte sich über sie und strich ihr die langen Haare aus dem Nacken. Er senkte seine Lippen auf ihren Hals und küßte sie zärtlich. Nikki spürte leichte Schauer durch sie jagen, als Bernd ihre Wirbelsäule küßte. Er ging tiefer und tiefer, dann war er bei ihrem Po angekommen und küßte die zwei festen Halbkugeln. Nikki erzitterte mächtig und drückte Bernd ihren Po entgegen. Er saugte etwas an dem strammen Fleisch, dann küßte er sich weiter zu ihren Oberschenkeln. Der herbe, heiße Geruch ihres Geschlechtes fuhr in seine Nase. Auch seine Erregung stieg stark an. Er glitt mit seinem Mund zurück über Nikkis Po und Rücken, bis zu ihrem Nacken, dann küßte er sie auf die Wange und flüsterte: "Dreh dich um, Liebling." Nikki rollte sich sofort auf den Rücken. Bernd küßte sie zärtlich auf den Mund, dann auf das Kinn, den Kehlkopf, die Schulter und dann auf ihren unglaublich kleinen Busen. Nikki stöhnte laut, als sie seine Lippen auf ihrer Brust spürte, und drückte den Oberkörper heraus. Bernd fuhr mit seiner Zunge über das sehr weiche Fleisch, ging in die Mitte zu der steinharten Brustwarze und leckte kräftig darüber. Nikki erschauerte und stöhnte tief und laut. Ihre Beine öffneten sich wie von selbst. Bernd spürte diese Bewegung und legte seine Hand auf ihren Bauch, ohne den Mund von ihrer Brust zu nehmen. Er wollte nicht darüber nachdenken, daß er bewußt und vorsätzlich ein fast 13jähriges Mädchen zum Orgasmus führte; er nahm es erst einmal so hin, ungeachtet aller Konsequenzen, die sich daraus ergeben mochten. Er saugte und lutschte an ihrer Brustwarze, strich mit der Hand über ihren Bauch und ging langsam tiefer, bis er einen weichen und sehr dünnen Flaum spürte. Nikkis Schambehaarung begann gerade erst, zu sprießen. Sanft und zärtlich fuhr er mit der Fingerspitze durch die wenigen, weichen Haare, bis Nikki sich stöhnend unter ihm wand, dann ging er mit einem gezielten Griff zwischen ihre Beine. Nikki stöhnte kehlig, als seine ganze Handfläche gegen ihre Scheide drückte, und sofort begann sie, sich an seiner Hand zu reiben. Bernd glaubte, platzen zu müssen, als er Nikkis glatte, feste Schamlippen unter seinen Fingern spürte, und die feuchte Hitze ihrer Scheide. Instinktiv zog er die Lippen auseinander, drückte seinen Mittelfinger dazwischen und rieb sanft hin und her. Nikki warf ihre Arme um ihn und zog ihn stürmisch an sich. Ihr Mund suchte nach seinem, dann küßten sie sich leidenschaftlich, während Bernd sie gleichmäßig weiterrieb. Sein Finger verteilte die Feuchtigkeit in ihrem Schlitz und konzentrierte sich dann auf die kleine Erhebung im oberen Bereich. Nikki war im siebten Himmel. Niemals hätte sie gedacht, daß eine Berührung an dieser Stelle so viel Vergnügen auslösen könnte, und noch weniger hatte sie sich vorstellen können, daß sie irgend jemandem erlauben würde, sie dort so zu berühren, wie Bernd es in diesem Moment tat. Doch nun, da sie erlebte, wieviel Freude es machte, wußte sie, daß ihr Leben sich entscheidend verändert hatte. Sie preßte sich in Bernds Hand in ihrem Schritt und atmete schwerer und lauter. Das Ziehen in ihrem Unterleib wurde stärker und stärker, wie ihre Bewegungen, mit denen sie Bernd entgegenkam, dann spürte sie plötzlich, wie etwas ein kleines Stück in ihre Scheide eindrang. Es war ein so unglaublich schönes Gefühl, daß sie fast vor Lust zersprang. Und dann war es soweit. Wieder spürte sie, wie sich ihr ganzer Körper vorbereitete, sich in Bruchteilen von Sekunden bis zur Weißglut erhitzte, dann explodierte ihre gesamte Gefühlswelt in einer Orgie aus Farben und Empfindungen. Gierig küßte sie Bernd, tobte mit ihrer Zunge in seinem Mund herum, um dieses irrsinnig starke, fantastisch schöne Gefühl zu verlängern, und der Finger in ihrer Scheide bohrte und rieb herum und zögerte das Ende ihrer Ekstase hinaus, bis Nikki keinerlei Kraft mehr hatte und stöhnend erschlaffte. Sie spürte Bernds Arme, die sie an ihn zogen, seine Hände, die sie sanft streichelten, und seine Lippen, die sie zärtlich küßten. Glücklich bis in die letzte Nervenzelle erwiderte seine liebevollen Berührungen und schmiegte sich ganz dicht an ihn.
**************************************************************************************** Nicole
Anmerkungen / Allgemeine Informationen für alle meine Geschichten: * In dieser Geschichte werden sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen und Minderjährigen eventuell sehr deutlich beschrieben. Wenn diese Art Geschichten nicht Deinen Vorstellungen von einer erotischen Geschichte entsprechen oder Du selbst nicht volljährig bist oder diese Art Geschichten dort, wo Du lebst, nicht den lokalen Gesetzen entsprechen, lösche sie jetzt bitte sofort. Oder lies sie erst dann, wenn du volljährig bist oder sie in deinem Land legal wird. * Geschichten in der Art von "Erwachsener Mann trifft minderjähriges Mädchen, und zehn Minuten später rammelten sie wie die Karnickel" finde ich persönlich sehr unwahrscheinlich und an den Haaren herbeigezogen, vor allem, wenn das Mädchen weit unter 16 Jahren alt ist. Daher versuche ich, in meinen Erzählungen mögliche Wege aufzuzeigen, wie eine Verbindung Mann - Mädchen zustande kommen kann. Wem dies zu langatmig ist, kann gerne auf andere Geschichten ausweichen. Zu einer guten Geschichte gehört für mich auch Logik. Ich möchte damit nicht behaupten, daß meine Geschichten gut sind, sondern nur eine Feststellung treffen. * Die meisten meiner Geschichten sind reine Erfindung. Namen, Personen, Orte und Daten sind frei erfunden, jedoch geändert in den Fällen, in denen ein realer Vorfall die Basis für eine Geschichte bildet. * Es wird ausdrücklich davor gewarnt, die Intimsphäre eines jungen, minderjährigen Menschen gegen seinen / ihren Willen zu verletzen! Nicht, weil es gegen das Gesetz ist, sondern weil es gegen den Willen des Menschen ist!!! Es entsteht kein gutes Karma, wenn Du dies tust, und du wirst früher oder später dafür bezahlen müssen. * Weitergabe meiner Geschichten ohne Nennung des Autors oder Veränderungen der Texte würde ich gar nicht gerne sehen. Eventuell könnte ich sogar ganz von weiteren Veröffentlichungen absehen. * Für Handlungen, die aus dem Genuß dieser Geschichte entstehen, übernehme ich keinerlei Verantwortung. Ich habe schon genug damit zu tun, mein eigenes Leben in den Griff zu kriegen ;-). * Kommentare, Lob und Kritik sowie virtuelle Schokolade bitte an: shanamagic@hotmail.com * Falls diese Geschichte dem entspricht, was Du suchst: Viel Spaß beim Schmökern!
Begonnen: 24. Januar 1999 Beendet: 13. Februar 1999 Nr.: SH-056
(c) Story: Shana 1999
August
Es war wie eine vollkommen überraschende Eruption der Gefühle. In der einen Sekunde war Bernd Clemens noch ein glücklich verheirateter Mann und Vater von zwei prächtigen Söhnen, in der nächsten fand er sich mit offenem Mund einem sehr hübschen Schulmädchen hinterher starrend, das lachend mit ihren zwei Freundinnen über den Bürgersteig ging. Sein Herz schlug mehr als doppelt so schnell, als er ihre langen, aschblonden Haare im leichten Sommerwind flattern sah. Er sah in zwei große, graue Augen, die voller Lebenslust und Humor strahlten, sah zwei volle Lippen, die vor Lachen weit geöffnet waren, sah zwei Reihen weißer Zähne. Sein Gefühl reagierte spontan und übermächtig auf ihre schlanke , knapp 1,60 große Statur, die verhüllt war von einer dünnen, weißen Bluse und Blue Jeans. Seine Ohren waren erfüllt von ihrem fröhlichen Lachen, das eine Bemerkung eines anderen Mädchens ausgelöst hatte. Alles endete in diesem Moment, und alles begann. Bernd nahm das höchstens 13jährige Mädchen mit allen Sinnen auf. Er glaubte, die Wärme ihrer glatten Haut zu spüren, den Geruch ihrer Haare zu riechen, den feinen Schweiß auf ihrer Oberlippe zu schmecken. Sein Beruf, sein Haus, seine Frau, seine Kinder hörten auf, zu existieren und wurden durch dieses Mädchen ersetzt. Falsch. Bernd spürte überdeutlich, daß sie kein Ersatz war. Es war genau das Gegenteil: alles, was er bisher getan, gesehen und erlebt hatte, war der Ersatz. Der Anblick dieses Mädchens verdeutlichte ihm gnadenlos, wie leer und unerfüllt sein Leben bisher gewesen war. Ohne dieses Mädchen würde ein wichtiger Teil seines Lebens nie zum Tragen kommen. Er stand wie erstarrt unter diesem Ansturm der Gefühle und sah das Mädchen näherkommen. Unweigerlich fiel den drei Mädchen sein Starren auf. Sie schauten ihn kurz von oben bis unten an, dann prusteten sie kichernd los und gingen vor Lachen gebückt an ihm vorbei. "Nikki, der steht auf dich!" sagte ein Mädchen, als sie an ihm vorbei waren. "Ja klar, und morgen geh ich mit dem auf 'ne Party im Altersheim!" Das grelle Lachen schnitt Bernds Herz in kleine Stücke. Voller Scham wollte er sich abwenden und flüchten, doch seine Füße klebten am Boden, und seine Augen konnten sich nicht von dem Mädchen losreißen, das zwischen ihren Freundinnen ging und ihre Arme um deren Taillen gelegt hatte. Erst der wachsame Blick eines Ordnungshüters, der Bernd nicht aus den Augen ließ, brachte ihn halbwegs zur Vernunft. Seine Füße gingen nach links, sein Körper nach rechts, dann entschied sich sein Gefühl für die Richtung, in die die Mädchen gingen. Der Verstand legte ein Veto ein, weil der Beamte seine Schritte in die gleiche Richtung lenkte, mit dem Erfolg, daß Bernd sich in ein Bistro rettete und einen starken Espresso bestellte. Nur allmählich lichtete sich der Nebel in seinem Kopf, doch das Bild des Mädchens blieb lebendig vor seinen Augen und legte sich über sein gesamtes Sehfeld. Wohin er auch blickte, immer sah er ihre graue Augen und den lachenden Mund. Bernd kam nicht einmal auf die Idee, sich zu fragen, was mit ihm los war, denn er wußte sehr gut, was geschehen war. Er hatte sich verliebt, mit aller Macht, in ein kleines Schulmädchen, das ihm schon aufgrund der Tatsache, daß er sie angesehen hatte, Ärger machen konnte. Dies spielte jedoch keine Rolle. Bernd wußte mit jeder Faser seines Seins, daß er dieses Mädchen kennenlernen mußte. Eine so starke, sehnsuchtsvolle Liebe, wie er zu dem Mädchen empfand, durfte einfach nicht unerwidert bleiben; das wäre ein zu grausamer Scherz des Schicksals gewesen. Bernd zog sein Handy heraus und rief seine Sekretärin an, um Bescheid zu sagen, daß er heute nicht kommen würde. Ihre verwirrten Rückfragen schnitt er dadurch ab, daß er das Handy ausschaltete. Ob Termine platzten und Zusagen nicht eingehalten wurden, kümmerte ihn nicht mehr. Es gab Wichtigeres. Wie zum Beispiel ihr Name. Nikki. Das war die Koseform von Nicole. Und weiter? Wie war ihr Nachname? Wo wohnte sie? Wann war sie geboren? Welche Hobbys hatte sie? Der Verstand schaltete sich wieder dazu. Ihre Bluse war aus Seide gewesen, und sie trug eine Markenjeans. Auch die Schuhe waren von einer bekannten Marke. Also mußten ihre Eltern gut verdienen. Sie war über die Schillerstraße in Richtung Markt gegangen, um kurz nach acht. Dort lag die Katholische Mädchenschule. Das Gymnasium lag etwas weiter südlich, aber dann hätte sie die Wagnerstraße gehen müssen. Also ging sie auf die Mädchenschule. Mit 13 Jahren würde sie in der siebten Klasse sein; in der achten, wenn sie in diesem Schuljahr 14 werden würde, aber danach sah sie nicht aus. Nicole ging also in die siebte Klasse der Katholischen Mädchenschule am Markt. Das waren zwar wichtige Informationen, die Bernd momentan aber nicht weiterhalfen. Er konnte sich direkt bildlich vorstellen, wie er im Sekretariat der Schule mit diesen dürftigen Informationen nach Nicole suchte, von der unmöglichen Antwort auf die Frage, warum er sie denn suchte, einmal ganz abgesehen. Dieser Weg verbot sich von selbst. Ihr nachgehen, wenn sie Schulschluß hatte? Das würde ihr Angst machen, und Angst war keine Basis für die Beziehung, die Bernd mit ihr aufbauen wollte. Er lächelte, als er sich bei diesem Gedanken ertappte. So weit war es schon mit ihm, daß er ernsthaft daran dachte, mit einem 13jährigen Schulmädchen eine Beziehung einzugehen; er, ein Geschäftsmann, dessen Name in der ganzen Stadt bekannt und geachtet war. Zumindest bisher. Das konnte sich in seinem jetzigen Zustand jedoch jede Sekunde ändern. Der Bekanntheitsgrad konnte schlagartig steigen, die Achtung genauso schnell sinken. Doch selbst das war ihm vollkommen gleichgültig. Oder er fragte ihre Freundinnen über sie aus. Kaum gedacht, wischte Bernd diesen Gedanken als genauso unmöglich weg wie den ersten. Wenn die Mädchen gute Laune hatten, würden sie ihn in aller Öffentlichkeit auslachen; hatten sie schlechte Laune, würden sie lautstark nach der Polizei rufen. Die Mädchen heutzutage waren wesentlich aufgeklärter und selbstbewußter als noch zu seiner Zeit. Dies war einerseits gut, andererseits aber auch schlecht. Für ihn. Er könnte natürlich auch auf sie zugehen und ihr sagen, daß er sich unsterblich in sie verliebt hatte. Für eine Sekunde malte Bernd sich aus, wie das Mädchen auf seine Liebeserklärung mit Gegenliebe antworten würde, dann schob sich der Verstand wieder in den Vordergrund und lachte ihn aus. Sie war höchstens dreizehn, er war achtundvierzig. Unmöglich. Oder er fuhr mit seinem schneeweißen Porsche Carrera an der Schule vor und wartete auf sie. Die Farbe des Autos würde sehr gut zu der Farbe ihrer Bluse passen, und welches Mädchen würde nicht gerne vor ihren Freundinnen in einen Sportwagen einsteigen? Vor allem, wenn das Verdeck offen war und ihre Haare im Fahrtwind flattern konnten? Wilde Aufregung packte ihn, als sein Verstand diese Möglichkeit als nicht so abwegig bewertete wie die anderen. Er konnte es zumindest versuchen. Sich mit dem Wagen an die Schule stellen und so tun, als wartete er auf seine Tochter. Seines Wissens nach waren etwa 1.200 Mädchen auf der Schule, da würde ein Vater mehr oder weniger nicht auffallen. Bernd entschied sich für diesen Weg. Er trank seinen Espresso aus, der schon kalt geworden war, zahlte, und machte sich dann zu Fuß auf den Weg zu der Schule. Er merkte sich die Straßen, die Ausgänge der Schule und die Parkmöglichkeiten, dann ging er über den Markt zurück, um sein Auto zu holen. Mit heftig schlagendem Herzen öffnete er das Verdeck. Er wußte, daß er auf dem besten Weg war, sich lächerlich zu machen, doch das Gefühl, was er für dieses hübsche Mädchen empfand, erlaubte keinen Rückzieher. Er fuhr bis zur Schule und parkte an einer Stelle, an der das Mädchen unweigerlich vorbeikommen mußte, sollte es den gleichen Weg nehmen wie den, auf dem es gekommen war. Er schaltete den Motor aus und das Radio an. Von seinen Söhnen wußte er noch, daß in der siebten Klasse eine Wochenstundenzahl von etwa 30 normal war, und aus seinem eigenen Wissen konnte er die Tatsache, daß die Mädchenschule Samstags keinen Unterricht hatte, hinzufügen. Das ergab eine Stundenzahl von sechs, somit war das Ende gegen viertel nach eins zu erwarten. Bernd atmete tief durch und lehnte sich in den Schalensitz des Porsche. Dann konnte er nur noch warten.
Ganz entgegen seiner Kalkulation sah er Nicole schon um kurz nach halb eins von der Schule kommen. Sein Herz raste, als er erkannte, daß sie alleine war. Sie trug ihren Rucksack in der linken Hand und blieb am Rand des Bürgersteigs stehen, außerhalb der Sichtweite der Schule; ihre Augen suchten die Straße ab. Ihr Blick blieb kurz an dem Porsche hängen und flog weiter. Sie verzog das Gesicht, sah auf ihre Uhr und wieder auf die Straße. Offenbar wartete sie auf jemanden. Aber auf wen? Ihren Vater? Knapp dreißig Sekunden später löste sich das Rätsel, als ein Motorrad herangejagt kam und vor Nicole hielt. Ihr Gesicht verzog sich zu einem leichten Lächeln. Der Fahrer nahm den Helm ab. Bernd erschrak, als er sah, daß der Fahrer ein junger Mann war. Ihr Bruder? Nein. Bernd erkannte dies, als er Nicole küßte. So küßten sich Geschwister nicht. Mit fliegenden Fingern notierte Bernd das Kennzeichen des Motorrades. Den Zettel steckte er in seine Hemdtasche, dann sah er den beiden zu, die sich gestenreich unterhielten. Worüber, konnte Bernd nicht verstehen, da der Motor des Motorrades noch lief. Vielleicht drei Minuten später küßten sie sich ein zweites Mal, dann setzte der junge Mann seinen Helm auf und fuhr wieder los. Nicole sah ihm kurz hinterher und machte sich auf den Heimweg. Ihre Miene drückte Enttäuschung aus. Als sie an Bernds Auto vorbeikam, hob sie anerkennend die Augenbrauen, sah ihn aber nicht an. Sekunden später sah er sie im Rückspiegel weitergehen. Mit zitternden Händen wartete er, bis sie verschwunden war. Erst dann startete er seinen Wagen und fuhr langsam los. Zur Polizeiwache.
* * *
"Bernd?" Der Beamte sah erstaunt auf, als er Bernd Clemens hereinkommen sah. "Was führt dich denn hierher?" "Ich will euch arbeitslos machen", grinste Bernd breit. "Hallo, Martin. Wie geht's der Familie?" "Bestens", lachte Martin Brockmann. "Die zwei kleinen wachsen und gedeihen, und das dritte ist unterwegs." "Ganz schön aktiv für dein hohes Alter!" "Wer sagt denn, daß ich die Arbeit damit hatte?" Lachend begrüßten die beiden Männer sich. "Was für ein Problem hast du, Bernd?" "Nur ein kleines." Bernd wurde ernst. "Mir ist so ein junger Kerl mit seinem Motorrad ans Auto gefahren. Nur ein kleiner Kratzer, aber er ist abgehauen. Bevor ich ihn anzeige, wollte ich dich fragen, ob ich mit ihm reden kann. Wenn er den Schaden zahlt, sehe ich von einer Anzeige ab." Martin Brockmann nickte knapp. "Du weißt, daß wir keine Angaben über den Fahrzeughalter herausgeben dürfen?" "Das weiß ich." Bernd holte den Zettel aus der Tasche und legte ihn vor Martin hin. "Andererseits... Wenn er einen Job hat, in dem er seinen Führerschein braucht, möchte ich nicht dafür verantwortlich sein, daß er beides verliert. Die Möglichkeit besteht, wie wir beide wissen." "Ja, das tut sie." Martin sah nachdenklich auf den Zettel. "Du willst nur mit ihm reden?" "Natürlich." Bernd lächelte dünn. "Der ist vielleicht zwanzig oder so, und wesentlich besser in Form als ich." "Das ist ein Argument." Martin sah sich kurz um, griff sich den Zettel und setzte sich an seinen Computer. Eine Minute später hatte Bernd den Namen und die Adresse, zusammen mit ein paar gutgemeinten Ratschlägen von Martin, wie er mit dem jungen Mann reden sollte. Bernd dankte ihm herzlich und machte sich auf den Weg. Fünfzehn Minuten später hielt er vor einem Wohnhaus in einer gutbürgerlichen Gegend. Das Motorrad stand vor dem Haus. Bernd las die Typenbezeichnung und wunderte sich kurz, daß eine 250er so viel Lärm machen konnte und wie eine viel größere Maschine klang. Er atmete tief durch, stieg aus, ging zum Haus und drückte auf die dritte Klingel von unten. Kurz darauf ertönte ein Summer. Bernd öffnete die Tür und stieg die Treppen zum ersten Stock hinauf. Eine Frau Ende Vierzig sah ihn fragend an. "Ja, bitte?" "Guten Tag, Frau Westhoff. Ist Ihr Sohn Markus zu sprechen?" "Worum geht es?" "Um etwas sehr Persönliches." Bernd legte seine ganze Autorität in den Satz und in seinen Blick. Die Frau ließ sich davon beeindrucken. "Ja, natürlich. Einen Moment, bitte." Sie drehte ihren Kopf zur Wohnung. "Markus? Kommst du mal?" Sekunden später stand der junge Mann in der Tür. "Was möchten Sie?" fragte er neutral; weder höflich, noch unhöflich. Bernd warf einen Seitenblick auf seine Mutter. "Sie kennen eine Nicole?" fragte er. Markus wurde blaß. "Mutti, läßt du uns bitte alleine? Kommen Sie mit." Bernd ging mit einem Kopfnicken an der nun verstörten Frau Westhoff vorbei und folgte Markus in dessen Zimmer. Es sah nicht viel anders aus als bei seinen eigenen Söhnen, allerdings saß hier ein Mädchen von vielleicht 15 Jahren auf dem Bett und war sehr leicht bekleidet. Markus schloß die Tür und sah Bernd an. "Was wollen Sie? Wer sind Sie?" Sein Ton war feindselig, vermischt mit Sorge. Das Mädchen starrte Bernd mit glasigen Augen an und zog an einer Zigarette, die einen süßlichen Duft verströmte. Bernd ignorierte sie und wandte sich mit seinen vorbereiteten Sätzen an Markus. "Nicole ist noch nicht einmal vierzehn Jahre alt", sagte er leise. "Sie wissen, was auf Sie wartet, wenn bekannt wird, daß Sie das Mädchen so küssen, wie Sie es vorhin getan haben?" Markus wurde noch blasser und sank auf einen Stuhl. "Was wollen Sie?" flüsterte er voller Furcht. "Eine Auskunft. Zwei, um genau zu sein." Bernd sah ihm direkt in die Augen. "Erstens: Haben Sie mit Nicole schon geschlafen?" "Nein. Sie wollte noch nicht." Der Ton war verärgert und drückte langen Frust aus. Bernd glaubte ihm auf Anhieb. "Zweitens: Wie ist Nicoles Nachname?" "Bauten." Markus sah erstaunt auf. "Wußten Sie das nicht? Wer sind Sie?" "Ich arbeite an der Schule, auf die Nicole geht." Das traf. "Sie können nicht erwarten, daß ich die Nachnamen von über eintausend Schülerinnen im Kopf habe. Was ich nun von Ihnen möchte, Herr Westhoff: Lassen Sie das Mädchen in Ruhe. Kein Kontakt mehr. Ich möchte Ihnen nicht drohen. Ich möchte Ihnen nur empfehlen, sich zu informieren, was der Satz 'Unzucht mit Minderjährigen' beinhaltet. Unter Unzucht verstehen die Gerichte heutzutage schon einen Zungenkuß mit einer Minderjährigen, und da Nicole noch keine vierzehn ist, zählt sie als Kind. Damit liegt das Strafmaß noch etwas höher." Bernd lächelte den vernichteten Markus Westhoff an. "Es ist Ihre Entscheidung, aber ich denke, Sie werden einsehen, daß ein Kind diesen ganzen Ärger nicht wert ist. Beschränken Sie sich auf die Mädchen ab 16, und Sie sind ein ganzes Stück mehr auf der sicheren Seite." Er sah kurz zu dem bekifften Mädchen herüber, das in seiner eigenen Welt lebte. Markus nickte langsam. "Irgendwann mußte das ja rauskommen", sagte er wie zu sich selbst. Bernd nahm sich den zweiten Stuhl und setzte sich Markus gegenüber hin. "Was fasziniert Sie so an Nicole?" Sein Ton war väterlich, als würde er mit seinem eigenen Sohn reden. "Was wohl!" Aufgebracht schaute Markus auf. "Sind Sie ein Mann oder nicht?" "Das bin ich, aber ich möchte es von Ihnen hören." Markus schüttelte den Kopf. "Ich werde mich doch nicht selbst reinreiten, indem ich zugebe, daß ich etwas mit einem Mädchen unter 16 hatte! Hatte ich nämlich nicht!" Bernd stand auf. "Gut, wie Sie wollen. Sie haben Nicoles Adresse?" Alarmiert sah Markus zu ihm auf. "Wieso?" Bernd wurde autoritär. "Die Adresse!" Markus zuckte zusammen und griff nach einem Heft auf dem Tisch. Er blätterte kurz. "Schwanenweg 32." "Das muß ja die wahre Liebe sein", meinte Bernd spöttisch, "wenn Sie die Adresse nicht mal im Kopf haben! Lassen Sie die Finger von Nicole. Sie wird in den nächsten Wochen und Monaten sehr viel mehr unter Aufsicht stehen als bisher, und wenn Sie in ihrer Nähe auftauchen sollten..." Bernd ließ den Satz unvollendet in der Luft hängen und ging grußlos hinaus, an Frau Westhoff vorbei und die Treppe hinunter. Er stieg in seinen Wagen ein, startete den Motor und fuhr los. Zwei Kilometer weiter hielt er an; sein Herz schlug wie verrückt, und ihm war etwas übel. Bernd stieg aus und ging sehr langsam ein paar Schritte neben dem Wagen her, um sich zu beruhigen. Immerhin hatte er jetzt ihren Namen und die Adresse. Nicole Bauten, Schwanenweg 32. Das war das Risiko eines Herzanfalls wert.
* * *
Am nächsten Tag stand Bernd wieder auf dem gleichen Platz wie gestern und wartete auf Nicole. Diesmal mußte er bis viertel nach eins warten. Sie kam mit ihren beiden Freundinnen heraus, verabschiedete sich auf der Straße von ihnen und wartete auf Markus. Bernd hingegen wartete, bis die Kinder alle verschwunden und die Luft rein war, dann startete er den Porsche und fuhr langsam zu Nicole. Sie schaute ihn mit fragendem Gesicht an, als er vor ihr hielt. "Markus kommt nicht", sagte er, bevor sie etwas sagen konnte. Sofort zog Besorgnis über ihr Gesicht. "Warum nicht? Hatte er einen Unfall oder so was?" "Einen - Zusammenstoß", antwortete Bernd vorsichtig. "Soll ich dich zu ihm fahren?" "Ja, bitte!" Nicole öffnete die Tür, warf ihren Rucksack vor den Beifahrersitz und ließ sich in den Schalensitz fallen. Sie schlug die Tür zu und schnallte sich an. Bernd wurde schwindelig, als er das Mädchen neben sich sitzen hatte. Ihr herber Mädchenduft zog wie der köstlichste Geruch in seine Nase. Sie trug wieder ihre Blue Jeans, heute jedoch mit einem pastellgrünen, kurzärmeligen Hemd mit dem berühmten Krokodil auf der Hemdtasche. Sein Herz schlug mächtig schnell und laut, sein Magen fühlte sich völlig verspannt an. "Was ist mit ihm?" fragte Nicole furchtsam, als Bernd den Wagen startete und losfuhr. "Ist er schwer verletzt?" "Er wird dich nicht mehr sehen, Nicole", sagte Bernd und schlug den Weg zur Landstraße ein. Er wollte mit ihr reden, ohne das Risiko einzugehen, daß sie aus dem Wagen sprang und weglief. "Besser gesagt, er will dich nicht mehr sehen." "Wieso das denn?" fragte Nicole aufgebracht. Bernd bog auf die Hauptstraße ein und beschleunigte auf 70, das erlaubte Tempo auf dieser innerstädtischen Hauptstraße. "Er wurde gesehen, als er dich küßte", sagte er laut, um den Fahrtwind zu übertönen. "Und zwar von seiner anderen Freundin. Die hat ihm die Hölle heißgemacht! Kennst du ein etwa 15jähriges Mädchen mit kurzen, mittelblonden Haaren? Sie raucht Hasch." Nicole sah ihn mit großen Augen an. "Ja, die kenn ich. Deshalb! Sowas hab ich mir schon gedacht! Dieses Arschloch!" Wütend warf sie sich in den Sitz und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. "Er hat dich öfter mal sitzenlassen, was?" fragte Bernd mitfühlend. Nicole nickte grimmig. "Ja. Aber jetzt weiß ich ja, warum." Sie schaute Bernd an. "Wer sind Sie denn überhaupt?" "Markus' Chef" log Bernd schnell. "Sie...!" Nicole wurde blaß. "Was haben Sie denn noch mit dem zu tun? Sie haben ihn doch vor zwei Monaten rausgeschmissen!" Das erklärte, warum Markus zu Hause war. "Hat er dir auch gesagt, warum ich ihn gefeuert habe?" Bernd spielte mit. "Nein." Nicole sah ihn ängstlich an. "Hat er geklaut, oder..." "Nein, Nicole." Bernd setzte den Blinker und fuhr auf die Landstraße. Jetzt hatte er Zeit und Ruhe; hier war wenig Verkehr um diese Zeit. "Soll ich irgendwo anhalten, damit wir besser reden können?" Nicole nickte langsam. Bernd fuhr noch ein Stück weiter und hielt dann in einer kleinen Bucht am Straßenrand an. Er schaltete den Motor aus und drehte sich zu dem Mädchen. "Ich habe ihn gefeuert", sagte er langsam, fast widerstrebend, "weil ich ihn während der Arbeitszeit erwischt habe, wie er mit einem Mädchen zugange war." Nicole wurde blaß. "Wie, zugange?" fragte sie leise. Bernd wurde deutlicher. "Sie lag auf einem Tisch, ab dem Bauch nackt, und er war zwischen ihren Beinen. Du weißt, was das heißt?" "Ja!" fauchte Nicole wütend. "Dieses Dreckschwein! Mir hat er nur gesagt, daß er ungerecht behandelt wurde! Wie alt war die?" "So alt wie du, Nicole. Dreizehn." "Ich bin zwölf", korrigierte Nicole automatisch. "Ich werd im September dreizehn." Sie sah ihn fassungslos an. "Wer war das Mädchen?" Bernd seufzte. "Ein Mädchen aus dem Waisenhaus. Er hat sie mit Versprechungen in die Firma gelockt und sie dort... Du weißt schon." Nicole wurde leichenblaß. "Das - das wollte er mit mir auch!" flüsterte sie voller Panik. "Ich - ich sollte mal mit ihm dahin fahren, weil er mir was zeigen wollte!" "Was er dir zeigen wollte, kannst du dir ja jetzt denken, oder?" fragte Bernd väterlich. Er fing an, seine Geschichte selbst zu glauben. Nicole nickte schwach. Als sie ihn ansah, waren ihre Augen feucht. "Er - er wollte immer, daß ich mal mit ihm nach Hause gehe, wenn seine Mutter nicht da ist", flüsterte sie. "Aber ich hatte Angst. Er hat mich nämlich immer so..." Sie brach verlegen ab. Bernd streckte seine Hand aus und strich ihr fürsorglich über die weichen Haare. "Hat er dich bedrängt?" fragte Bernd leise. "Wollte er dich zu etwas überreden, was du noch nicht wolltest?" "Ja", hauchte Nicole. "Armes Mädchen." Bernd ließ seine Hand an ihrem Kopf und streichelte ihr Haar. Vor seinen Augen zog ein leichter Nebel auf. "Hast du keinen, der auf dich aufpaßt?" "Nicht so richtig." Nicole zog die Nase hoch. "Mein Vater... Meine Eltern sind geschieden. Ich leb bei meiner Mutter, aber die ist den ganzen Tag arbeiten." Sie drehte ruckartig ihren Kopf zu ihm. "Irgendwoher kenne ich Sie!" Sie musterte ihn mißtrauisch. Bernd nahm seine Hand von ihrem Kopf und spann seine Geschichte weiter, vermischt mit ein paar Wahrheiten, damit Nicole ihm glaubte. "Du hast mich gestern zu einer Party im Altersheim eingeladen", lächelte er. Nicoles Augen wurden groß, als sie sich erinnerte, und ihr Gesicht feuerrot. "Jetzt weiß ich wieder! Sie haben mich aber auch so angestarrt!" verteidigte sie sich. "Ich weiß", entschuldigte Bernd sich. "Das kam nur, weil ich dich nach einer Beschreibung von Markus' Freundin erkennen mußte." "Ach so!" Nicole beruhigte sich. "Sie wollten mir gar nichts tun?" "Aber nein!" lachte Bernd. "Ich war mir nur nicht sicher, ob du es warst. Deswegen habe ich dich so angesehen." "Tut mir leid", entschuldigte sich nun auch Nicole verlegen. "Ich hab's nicht böse gemeint." "Doch, das hast du", grinste Bernd. "Und das war auch gut so." Nicole sah ihn fragend an. "Wieso?" "Weil du dich gewehrt hast, Nicole. Gegen einen Blick, von dem du nicht wußtest, was er bedeutete. Und jetzt sei genauso stark und wehr dich gegen Markus. Er ist nicht gut für dich." Nicole nickte leicht. "Woher wissen Sie denn, daß er noch eine Freundin hat?" fragte sie leise. "Das ist eine lange Geschichte", sagte Bernd sanft. "Ich habe ihn gestern Mittag zu Hause besucht und dieses andere Mädchen bei ihm gefunden. Sie trug nur ein langes T-Shirt, Nicole. Kein Höschen, keine Hose, nicht. Nur ein T-Shirt. Sie rauchte einen Joint und lag mit weit offenen Beinen in seinem Bett. Was würdest du daraus schließen?" "Shit!" Nicole schluchzte auf und weinte leise. Bernd legte ihr schnell seine Hand in den Nacken und tröstete sie, so gut er konnte. Das war nicht allzu gut, da Nicoles Haare unter seinen Fingern seine Aufregung ins Unermeßliche ansteigen ließ. Das Mädchen wehrte sich nicht gegen die Berührung, fiel ihm aber auch nicht in die Arme, wie Bernd es sich erhofft hatte. Sie saß nur da und weinte leise vor sich hin. "Arme Nikki", murmelte Bernd leise und streichelte das Mädchen. "Hat der dich so betrogen. Warum hast du dich überhaupt mit dem eingelassen?" "Wegen der Kawa", schluchzte sie. "Weil die so schnell fährt!" Bernd zog den völlig richtigen Schluß, daß sie damit Markus' Motorrad meinte. "Kommt es dir nur auf das schnelle Fahren an?" fragte er leise. Nicole nickte schwach. "Ja." Sie wurde rot. "Das hätte ich nicht sagen sollen." "Warum nicht?" Er nahm eine Strähne ihres Haares und wickelte sie sich um den Zeigefinger. "Weil Sie jetzt bestimmt denken, daß ich..." Sie verstummte. "Das denke ich nicht", sagte Bernd leise. "Nikki, ich denke nur, daß du auf jemanden hereingefallen bist, der deine Jugend ausgenutzt hat. Und deine Unerfahrenheit." Seine Hand lag fest an ihrem Kopf. "Wirklich?" schniefte Nicole und drehte ihren Kopf zu ihm. Ihre Augen waren rot vom Weinen. "Ganz ehrlich", lächelte Bernd. Sein Herz schlug noch schneller, als es erkannte, daß er auf dem richtigen Weg war. "Außerdem denke ich, daß du für einen Typ wie Markus viel zu schade bist. Ich wette mein Auto, daß er dich abserviert hätte, sobald er dich im Bett gehabt hätte." Nicole wurde feuerrot bei diesen Worten. Sie sah zu Boden. "Deswegen wollte ich es ja nicht", gestand sie leise. "Ich hab schon gespürt, daß er nicht so ganz ehrlich ist." Sie zog die Nase hoch und seufzte. "Na ja, fahr ich eben wieder mit der Straßenbahn." Sie zuckte resigniert mit den Schultern. Bernd war schon zu lange Geschäftsmann, um eine fette Chance nicht zu erkennen. Er legte seine Hand auf Nicoles Schulter. "Du weißt, in was für einem Auto du gerade sitzt?" fragte er mit einem verschmitzten Lächeln. Nicole nickte nur. "Und du weißt bestimmt auch, daß der Wagen viel schneller fährt als eine 250er?" Wieder nickte sie, doch nun drückten ihre Augen schwache Hoffnung aus, als sie ihn ansah. Bernds Lächeln wurde breiter. "Wann mußt du zu Hause sein, Nikki? Darf ich dich Nikki nennen?" "Ja. Um sieben." "Was?" lachte Bernd, um sie wieder aufzumuntern. "Ich darf dich um sieben Uhr Nikki nennen?" "Nein!" lachte sie verlegen. "Ich muß um sieben zu Hause sein, aber Sie dürfen mich Nikki nennen." "Aha. Obwohl du um sieben zu Hause sein mußt, darf ich dich Nikki nennen." Er zwinkerte ihr zu. Nicole verstand. "Nein!" Sie lachte hell und fröhlich auf. "Erstens: Sie dürfen mich Nikki nennen. Zweitens: ich muß um sieben zu Hause sein! Endlich kapiert?" Sie grinste Bernd mutig an. "Ja, jetzt habe ich das verstanden", lachte Bernd und drückte ihre Schulter. "Was hältst du von einer kleinen Tour durch die Landschaft? Auf einer Autobahn, die schön leer ist?" "Würden Sie das tun?" fragte Nicole aufgeregt. "Wie schnell fährt der denn?" "Finden wir es heraus." Bernd nahm mit kurzem Bedauern seine Hand von ihr und startete den Wagen. Nicole nickte aufgeregt. Ihre Augen strahlten wieder. Wie gestern, als Bernd sich Hals über Kopf in sie verliebt hatte.
Bernd fuhr über die A46 bis Neuss Süd, dann auf die A57 bis zum Kreuz Kaarst, und dort auf die A52 nach Mönchengladbach. Auf dieser Strecke war es um die Mittagszeit relativ ruhig. Er schaute zu Nikki, die ihre Hände weit nach oben gestreckte hatte und fröhlich lachte. Sein Blick glitt tiefer, über ihre Brust, die sich nur mäßig unter ihrem Hemd abzeichnete. "Bereit?" rief er ihr über den Wind zu. Nikki drehte ihren Kopf zu ihm und nickte aufgeregt. Ihre Augen waren weit aufgerissen vor Erwartung. Bernd drückte das Gaspedal durch. Der Porsche beschleunigte kräftig. Nikki sah gebannt auf den Tacho. Als die Nadel die 150 überquerte, schrie sie begeistert auf. "Jetzt sind wir schneller als die Kawa!" schrie sie aufgedreht. "Sieh genau hin!" lachte Bernd. Die Nadel überschritt die 160, die 180, die 200, die 220, die 240. Etwas langsamer nahm sie dann die 260 in Angriff. Bernds Augen waren auf die Straße gerichtet und sah Nikki deswegen nicht, doch ihre Freudenschreie waren nicht zu überhören. In der Ferne tauchte ein LKW auf. Bernd ging vorsichtshalber vom Gas und ließ den Porsche auf 170 zurückfallen. "Ist das geil!" schrie Nikki völlig außer sich. "Über 250! WAHNSINN!!!" Sie hopste aufgeregt in ihrem Sitz auf und ab. "Nochmal!" Bernd überholte den Laster und drückte wieder auf das Gas. Nikki schrie laut und gellend vor Freude. Ihre Haare flatterten im Fahrtwind wild umher. Bernd blieb bis kurz vor Mönchengladbach auf dem Gas, dann bremste er den Wagen sanft auf 140 herunter. "Ist das wahnsinnig!" schrie Nikki völlig außer sich. "Der absolute Bringer! Zweihundertsechzig!!!" "Lust auf mehr?" rief Bernd lächelnd. Nikkis Kopf raste so schnell auf und ab, daß ihr Gesicht verschwamm. Bernd zwinkerte ihr zu. "Dann halt dich gut fest!" Am Kreuz Mönchengladbach fuhr er auf die A61, die er bis kurz hinter Bergheim entlang raste. Dort schwenkte er auf die A4 bis Köln und von dort auf die A1 und gleich wieder auf die A59, die sie zurück nach Düsseldorf brachte. Hier war schon mehr Betrieb. "Lust auf eine Cola?" rief Bernd Nikki zu. Sie nickte mit glücklich leuchtenden Augen. Bernd fuhr in Monheim ab und fuhr über die Bundesstraße bis zu einem Hotelrestaurant, wo er den Wagen parkte und den Motor ausschaltete. "Wie hat's dir gefallen?" fragte er unnötigerweise. Nikki schaute ihn an. Bernd schmolz unter diesem Blick voller Glück. "Unbeschreiblich irre!" strahlte sie. "Ich dachte, ich fliege!" "Sind wir ja auch fast", lächelte Bernd. "Flugzeuge starten bei etwa 200." "Boah!" Nikki riß die Augen auf. "Wirklich?" "Ja, Nikki. Wenn du möchtest, kann ich dich ja mal zum Flughafen mitnehmen und dir ein paar Flieger zeigen." "Das wär toll!" seufzte sie sehnsüchtig. "Dann machen wir das auch mal. Jetzt laß uns erst mal etwas trinken." Sie stiegen aus und gingen in das Restaurant, das nur spärlich besucht war. Sie setzten sich an eines der vielen Fenster, von dem aus sie einen fantastischen Blick auf den Rhein hatten. Eine Kellnerin kam, sie bestellten, dann fragte Bernd das Mädchen aus. "Erzähl doch etwas von dir, Nikki. Was machst du so?" "Rumhängen", meinte sie schulterzuckend. "Na ja, nicht so ganz. Nach der Schule mach ich meine Aufgaben, und erst dann häng ich rum." "Und wo?" "Meistens in der Stadt. Ab und zu treffe - habe ich mich mit Markus getroffen, aber der wollte immer gleich küssen, auch wenn ich mal mit ihm durch die Stadt laufen wollte." "Hat dir das Küssen denn gefallen?" fragte Bernd leise. "Geht so." Nikki sah aus dem Fenster. "Eigentlich nicht so recht." "Warum hast du es denn dann überhaupt gemacht?" "Weil ich sonst nicht mitfahren durfte", gestand sie leise. "Verstehe." Bernd hob einen Bierdeckel auf und spielte geistesabwesend damit herum. "Nikki, ich -" begann er und brach gleich wieder ab. Die Lüge, mit der er das Mädchen auf seine Seite gebracht hatte, belastete ihn plötzlich. Aber konnte er es riskieren, ihr die Wahrheit zu sagen? Daß er sich unsterblich in sie verliebt hatte? Oder sollte er noch etwas warten, bis sie sich besser kannten? Doch würde sie ihm dann noch verzeihen? Würde sie ihm denn überhaupt jetzt noch verzeihen? Obwohl er ja nicht gelogen hatte, was das andere Mädchen in Markus' Zimmer anging. Er entschloß sich zu einem Kuhhandel. Nikki sah ihn fragend an. "Was denn?" "Nikki, ich habe mich gefragt, ob du gerne mal den Porsche fahren würdest. Nicht auf der Straße, aber auf einem Platz, wo kein Betrieb ist." "Ich?" hauchte Nikki überwältigt. "Ich soll - ich darf - Sie meinen...?" Bernd mußte etwas lächeln, obwohl ihm gar nicht danach zumute war. "Ja, das meine ich, Nikki. Das soll meine Entschuldigung an dich sein." Nun konnte er nicht mehr zurück. "Entschuldigung?" fragte Nikki verwirrt. "Wofür?" "Dafür, daß ich dich angelogen habe." Bernd atmete tief durch. Nikki sah ihn verwirrt an. "Nikki, ich möchte dich bitten, daß du mir jetzt einfach zuhörst. Egal, was du sagen möchtest, höre mich bitte erst zu Ende an. Versprichst du mir das?" Sie nickte leicht, mit verständnislos blickenden Augen. "Wahr ist", begann Bernd, "daß Markus ein anderes Mädchen in seinem Zimmer hatte. Sie sah auch so aus, wie ich beschrieben habe. Als ich ihn nach deiner Adresse gefragt hatte, mußte er erst in seinem Adressbüchlein nachsehen. Er wußte nicht mal auswendig, wo du wohnst." Nikki starrte ihn sprachlos an. "Und jetzt kommt die Stelle, wo ich gelogen habe." Bernd sah kurz auf die Tischdecke, dann wieder in ihre grauen Augen. "Nikki, als ich dich gestern morgen gesehen habe, habe ich mich auf der Stelle in dich verliebt. Ich weiß nicht, wieso und warum, aber es ist so. Ich war nur ganz zufällig da, habe also nicht auf dich gewartet oder so. Aber als ich dich gesehen hatte, war mir klar, daß ich dich wiedersehen mußte. Ich habe den ganzen Tag an deiner Schule gewartet, um dich noch einmal zu sehen, und als du kamst, habe ich auch Markus gesehen. Ich habe mir seine Nummer aufgeschrieben und seinen Namen herausgefunden. Dann bin ich zu ihm gefahren und habe das Mädchen bei ihm entdeckt. Als ich sah, daß er dich betrügt, hab ich ihm gesagt, daß er dich in Ruhe lassen soll, und er hat auch sofort zugestimmt. Ich bin nicht sein Chef, Nikki. Ich hab ihn auch nicht in der Firma mit einem Mädchen erwischt, sondern bei ihm zu Hause. Bis gestern wußte ich gar nicht, daß es ihn überhaupt gibt. Es tut mir schrecklich leid, daß ich dich belogen habe, Nicole. Es tut mir entsetzlich leid. Aber ich wollte dich kennenlernen. Ich wollte mit dir reden, und in deiner Nähe sein. Beides habe ich erreicht, und ich fühle mich jetzt total beschissen, weil ich dich angelogen habe." Er lächelte traurig, als er Nikkis fassungslosen Blick bemerkte. "Bei mir mußt du nicht mit einem Kuß bezahlen, wenn ich dich mitnehme, Nicole. Wir trinken gleich unsere Getränke aus, und dann werde ich dich nach Hause fahren. Das Angebot, daß du den Porsche einmal fahren darfst, gilt trotzdem noch, wenn du möchtest. Ich kann dir beibringen, wie du Auto fährst. Wir fangen mit einem kleinen Mercedes an, und ..." Bernd unterbrach sich, als er merkte, daß er vollkommen vom Thema abgekommen war. "Lassen wir das erst mal. Nicole, ich bin sehr stark in dich verliebt. Stärker, als ich jemals zuvor war. Ich weiß, daß ich aus deiner Sicht alt bin, aber ich kann dir versichern, daß ich dich sehr viel besser behandeln werde als dieser Markus. Ich habe dich angelogen, und ich weiß nicht, ob du mir verzeihst. Ich hoffe, daß du es tust. Das hoffe ich sehr. Ich wollte dich um alles in der Welt kennenlernen, und mir ist kein anderer Weg eingefallen. Ich verstehe, wenn du jetzt böse auf mich bist, und enttäuscht, aber bitte glaube mir, daß ich dich liebe. Ich bin seit 25 Jahren verheiratet und habe zwei Söhne. Der ältere ist 23, der jüngere 21. Trotzdem war mir so, als würde für mich ein völlig neues Leben beginnen, als ich dich gestern auf der Straße gesehen habe. Deswegen habe ich alles versucht, um dich kennenzulernen. Daß ich dich angelogen habe, tut mir wirklich entsetzlich leid." Er wich Nicoles Blick aus und sah schweigend nach draußen. Nicole hatte das Gefühl, mit voller Geschwindigkeit vor eine Mauer gelaufen zu sein. In ihrem Kopf drehte sich alles. Erst der Schock, daß Markus einen Unfall hatte. Was zum Glück nicht stimmte. Dann die Eröffnung, daß ein fast nacktes, 15jähriges Mädchen auf seinem Zimmer war. Und jetzt eine Liebeserklärung von einem Mann, der problemlos ihr Vater sein könnte. Sie blinzelte mehrmals, als würde sie gerade träumen, doch er blieb ihr gegenüber sitzen und verschwand nicht. Durch das ganze Chaos an Gefühlen spürte sie jedoch, daß dieser Mann, dessen Namen sie nicht einmal wußte, die Wahrheit sagte. Aber was sollte sie jetzt machen? Sie war in der Schule schon genug mit Markus aufgezogen worden. Was würde passieren, wenn sie jetzt mit diesem - diesem Opa ankam? Andererseits... Das Rasen über die Autobahn hatte ihr so gut gefallen, daß sie es unbedingt wieder tun wollte. Und in einem hatte er recht gehabt: sie hatte ihn nicht küssen müssen wie Markus, der sie, als sie ihn gefragt hatte, ob er sie ein Stück mitnehmen würde, gleich umarmt und fest an sich gedrückt hatte. So fest, daß es ihr schon weh getan hatte. Aber dieser Mann hatte nichts dergleichen gemacht. Er hatte sie etwas gestreichelt, als sie geweint hatte, aber das war es auch schon gewesen. Doch gegen Markus' Griff war das nur der Hauch einer Berührung gewesen. Nicole war hin und her gerissen zwischen den zu erwartenden Kommentaren ihrer Schulfreundinnen und dem Wunsch, den Porsche selbst zu fahren. Es war ein Chaos, aus dem sie sich im Moment nicht befreien konnte. Glücklicherweise kamen in diesem Moment ihre Getränke. Nicole schlang die Hälfte ihrer Cola durstig herunter, und genau dieser Geschmack brachte sie wieder zur Vernunft. Hatte Markus sie auch nur ein einziges Mal auf eine Cola oder ein Eis eingeladen? Hatte Markus ihr angeboten, die Kawa zu fahren? Hatte er sich dafür entschuldigt, daß er sie mehrmals sitzengelassen hatte, wenn sie auf ihn gewartet hatte? Hatte er zugegeben, daß er eine Freundin neben ihr hatte, selbst als sie ihn danach gefragt hatte? Hatte er jemals gesagt, daß er sie liebte? Nein, nein, und nochmals nein! Er hatte nichts von alledem getan. Sie hatte ihn küssen müssen, wenn er sie mitnehmen sollte. Müssen! Und dieser Mann, den sie überhaupt nicht kannte, gestand ihr seine Liebe; bot ihr sogar als Entschuldigung für seine Lüge an, den Porsche zu fahren. Ohne auch nur die Andeutung zu machen, daß sie etwas dafür tun müßte. Nachdenklich trank sie den Rest der Cola aus. Bernd sah, daß ihr Glas leer war, und bedeutete der Kellnerin, nachzuschenken. Wenig später stand ein zweites, volles Glas vor Nicole, die es in ihre Hände nahm und langsam davon trank. Das Chaos in ihrem Kopf hatte sich langsam gelegt. Sie zwang ihre Gedanken in eine strenge Richtung. Was konnte schlimmstenfalls passieren, wenn sie ihn wiedersah? Wahrscheinlich nicht viel mehr als heute. Sie fühlte sich zwar etwas scheu, aber immerhin kannte sie ihn ja auch nicht. Das dumpfe, besorgte Gefühl, das sie bei Markus gehabt hatte, fehlte bei ihm jedoch völlig. Statt dessen war eine wilde Aufregung in ihr, wenn sie daran dachte, selbst hinter dem Lenkrad des Porsche zu sitzen. Gut, er hatte sie belogen. Aber nur, um sie kennenzulernen. Das mit Markus' anderer Freundin glaubte sie ihm unbesehen; sie hatte schon Andeutungen in dieser Richtung von anderen Mädchen und Jungs in ihrer Schule gehört. Seine Worte waren nur die letzte Bestätigung, und die Erwähnung des Joints machte Nicole sicher, daß er diesmal nicht log. Sie kannte das Mädchen tatsächlich vom Sehen. Sie erinnerte sich an sie, weil sie auch in der Schule öfter mal einen Joint rauchte. Also: er hatte sie belogen, um sie kennenzulernen. Er hatte zwar stark übertrieben, als er von Markus' Schandtaten erzählte, aber Nicole spürte selbst, daß es eine Übertreibung war, die ganz schnell stattfinden und Wahrheit werden konnte. So gut kannte sie Markus nun doch. Sie hatte oft genug ein Gefühl von Angst bekommen, wenn er sie bedrängt hatte, mit ihm in seine Wohnung zu kommen. Oder wie an dem Wochenende, als er ihr zeigen wollte, wo er arbeitete. Und wenn dieses Mädchen wirklich ohne Höschen auf seinem Bett gesessen hatte - was Nikki auch sofort glaubte - dann war ihr schon klar, was da ablief. Das waren also die negativen Punkte in der Waagschale: die Lüge, und die Reaktion ihrer Freundinnen auf einen alten Mann. Auf der positiven Seite... Nicole wurde ganz warm im Bauch, als sie daran dachte, den Porsche zu fahren. Außerdem spürte und wußte sie, daß dieser Mann sie niemals so bedrängen würde wie Markus. Sie vertraute ihm nicht direkt, aber sie glaubte ihm. Außerdem war er nett und - abgesehen von diesem einen Ausrutscher - ehrlich. Er hatte sogar gestanden, gelogen zu haben, was Markus nie und nimmer getan hätte. Die Waage neigte sich leicht zu Bernds Gunsten, der immer noch aus dem Fenster sah und damit rechnete, daß Nicole jeden Moment schreiend aufspringen und hinausrennen würde. Deshalb fuhr er erschrocken zusammen, als sie ihn ansprach. "Wie heißen Sie eigentlich?" Er drehte sich schnell zu ihr und schaute ihr forschend in die Augen. Er sah etwas Neues darin, was vorher nicht dort gewesen war: den Entschluß, ihm eine Chance als ihr Freund zu geben. Was sich daraus entwickeln würde, lag ganz bei ihm. Er konnte es in einer Sekunde zerstören, oder über Tage, Wochen und Monate hinweg ausbauen zu Vertrauen. Und vielleicht sogar zu Liebe. "Bernd", antwortete er auf ihre Frage. Seine Erleichterung, daß sie noch bei ihm saß, klang deutlich durch. "Bernd Clemens." "Tja, Herr Bernd Clemens", meinte Nicole mit einem scheuen Lächeln. "Und nun? Wie soll's weitergehen?" Überwältigt wollte Bernd nach ihren Händen greifen, hielt sich aber wohlweislich zurück. Nicole bemerkte die Bewegung auf sie zu, und auch das Zurückhalten der Hände. Was wieder eine Bestätigung für sie war, daß er mit Markus überhaupt nicht zu vergleichen war. "Wie es weitergehen soll?" Bernd lächelte sie voller Hoffnung an. "Ich dachte, wir zwei machen uns richtig miteinander bekannt. Wir könnten durch die Stadt laufen, oder etwas im Park sitzen, oder durch die Kaufhäuser stromern, oder Eis essen und miteinander reden..." Er holte tief Luft. "Einfach uns kennenlernen, Nikki", sagte er leiser, warmer Stimme. "Richtig gut kennenlernen." Das warme Gefühl in Nikkis Bauch verstärkte sich bei seinen Worten. Das klang genau nach dem, was sie sich immer von ihrem Freund erhofft hatte. "Und ich darf wirklich mal den Porsche fahren?" fragte sie vorsichtig. "Ja, Nikki." Bernd nickte feierlich. "Ich zeige dir zuerst mit einem kleinen Mercedes, wie Autofahren geht, und wenn du damit etwas umgehen kannst, kommt der Porsche dran. Großes Ehrenwort!" "Geil!" flüsterte sie überwältigt. "Womit fangen wir an?" "Mit einem Spaghettieis?" schlug Bernd vor. "Mit extra Sahne?" rief Nikki begeistert. "Und einer Waffel extra." Bernd schloß die Augen vor Glück. Sie blieb bei ihm!
* * *
Bernd fuhr nach Düsseldorf und dort zur Altstadt. Der Wagen wurde in einem bewachten Parkhaus abgestellt (diese Lektion hatte Bernd schon vor fünfzehn Jahren gelernt, und zwar mit einem Jaguar, der genau drei Tage in seinem Besitz war, bevor er gestohlen wurde), bevor Nikki und er gemütlich plaudernd zu einer Eisdiele gingen, wo Nikki ihr heiß ersehntes Spaghettieis mit extra Sahne und einer zusätzlichen Waffel bekam. Ungläubig starrte sie auf den Riesenberg in ihrer Schale, dann griff sie sich eine der drei Waffeln, tauchte sie sorgfältig in die Sahne und leckte sie mit geschlossenen Augen ab. Bernd platzte in diesem Moment beinahe vor Glück. Er gestand sich selbst gegenüber ein, daß er ihren schlanken Körper im Arm halten und streicheln wollte, doch dieser Wunsch war genauso stark wie der, sie glücklich zu sehen, ihr alles zu geben, was sie wollte, sie einfach nur an der Hand zu halten, wenn er mit ihr durch die Stadt ging. Der Anblick ihrer kleinen, spitzen Zunge, die voller Genuß über die Waffel glitt und die Sahne ableckte, ließ ihn sich dreißig Jahre jünger fühlen; voller Kraft und Jugend. Der gestrige 26. August brannte sich als der Tag in sein Gedächtnis ein, an dem für ihn sein zweites, neues Leben begann. Bestrebt, so viel wie möglich über sie zu erfahren, fragte er Nikki, wann sie Geburtstag habe. "Am 11. September", antwortete Nikki glücklich und schleckte das Vanilleeis von der Waffel. Bernd rechnete kurz. "Das ist Freitag in zwei Wochen, nicht wahr?" "Genau!" Sie strahlte ihn an. "Da werd ich 13!" "13!" staunte Bernd anerkennend. "Das ist ja schon fast erwachsen!" Schlagartig wurde Nikki traurig. "Ja", meinte sie leise. "Aber Mutti behandelt mich immer noch wie ein kleines Baby!" Sie verzog das Gesicht, tauchte die Waffel in das Eis und biß ein Stück davon ab. "Um sieben muß ich zu Hause sein!" sagte sie anklagend zu Bernd und sah ihn vorwurfsvoll an. "Um sieben! Meine Freundinnen dürfen bis neun oder zehn draußen bleiben! Und ich? Ich muß Abendessen machen, weil Mutti müde ist, und dann den Haushalt. Sie kommt heim, legt die Beine hoch, und ich darf ackern!" Sie schob schmollend die Unterlippe vor. Bernds Gefühl für sie schwappte über. Mühsam riß er sich zusammen und hielt sich im Griff. "Na ja", meinte er vorsichtig. "Immerhin arbeitet sie ja den ganzen Tag, damit ihr was zu essen habt." Nikki zog eine Grimasse. "Schon", maulte sie mürrisch. "Aber trotzdem! Ich geh doch auch zur Schule und mach meine Aufgaben! Das ist auch nicht immer so einfach!" Aufgebracht wühlte sie in ihrem Rucksack herum und zog ihre Geldbörse heraus. Mit einem schnellen Griff öffnete sie sie und kippte sie auf dem Tisch aus. Etwa neun Mark in Münzen rollten und fielen heraus. "Hier!" meinte sie ärgerlich und hielt Bernd die leere Börse vor die Nase. "Die ist doch jetzt leer, oder?" "Äh - ja, wieso?" "Wir haben heute in Mathe negative Zahlen durchgenommen." Nikki schnaubte verächtlich durch die Nase. "Negative Zahlen! Ist doch Blödsinn! Weniger als Nichts gibt's doch nicht!" "O doch", lächelte Bernd. "Denk mal an den Winter. Vier Grad unter Null, zehn Grad unter Null... Das ist negativ, Nikki. Negative Wärme, wenn du so willst. Oder bleiben wir bei dem Geld. Wenn du kein Geld mehr hast, ist deine Börse leer. Null Mark. Wenn ich dir etwas leihe, ist zwar wieder Geld drin, aber trotzdem hast du Schulden bei mir. Schulden sind negatives Guthaben. Fünf Mark Schulden entsprechen minus fünf Mark Guthaben." Nikki starrte ihn fassungslos an. "Mehr ist das nicht?" fragte sie verblüfft. "So einfach ist das?" "So einfach ist das", lächelte Bernd mitfühlend. "Wie schlimm negative Zahlen - also Schulden - sind, merkst du, wenn du jemanden etwas zurückzahlen mußt, aber kein Geld mehr hast." "Ja!" sagte Nikki aufgeregt. "Das ist mir vor den Ferien passiert! Anita bekam noch zwei Mark von mir, aber ich war total abgebrannt! War kein gutes Gefühl!" Aufgeregt setzte sie sich aufrecht hin. "Wieviel ist denn Zehn minus Achtzehn?" "Rechne selbst", grinste Bernd. "Wieviel ist Zehn minus Zehn?" "Null!" "Sehr gut. Und was bleibt noch übrig?" "Ähm... Acht." "Stimmt. Zehn minus Achtzehn ergibt minus Acht." Bernd griff nach seiner Serviette, zeichnete kurz einen Zahlenstrahl auf, mit der Null als Mittelpunkt, und erklärte Nikki kurz, aber gründlich, wie negative und positive Zahlen voneinander abhingen. Nikkis Unterkiefer fiel nach unten. "So einfach ist das?" flüsterte sie. Vergessen war das Eis. Nikki riß ihr Matheheft aus dem Rucksack und schlug es auf. "Bevor du loslegst, Nikki", sagte Bernd sanft. "Es gibt einen Trick dabei." "Trick? Was denn für einen?" Sie sah ihn neugierig an. "Wenn du eine Aufgabe wie Zehn minus Achtzehn hast, dreh die beiden Zahlen einfach um. Mach Achtzehn minus Zehn draus, und vor das Ergebnis kommt ein Minuszeichen. Das war's. Ende. Fertig." Er grinste das Mädchen breit an. "Umdrehen?" Konzentriert schaute sie auf ihr Heft. "Hm... 25 - 42 ergibt... Keine Ahnung. Umdrehen. 42 - 25 ergibt 17." Sie sah wieder auf. "Minus Siebzehn?" "Korrekt." Bernd lächelte das Mädchen an. "Nächste." Nikki schaute wieder auf ihr Heft. "18,5 - 19,8. Puh! Die wollen uns fertigmachen. Garantiert!" Sie schüttelte den Kopf. Bernd beobachtete sie verliebt. "Umdrehen. 19,8 - 18,5 ergibt... 1,3. Minuszeichen davor. Minus 1,3?" Sie schaute fragend auf. "Mach die Gegenprobe", schlug Bernd vor. "Rechne minus 1,3 plus 19,8." "Das ist ja noch schwerer!" beschwerte Nikki sich. "Nur auf den ersten Blick. Wieviel ist von minus 1,3 bis Null?" Nikki legte ihre Stirn in Falten. "Ähm... 1,3?" "Genau. Und von Null bis 18,5?" "18,5", antwortete sie spontan. "Richtig. Und jetzt addiere 1,3 und 18,5. Ergibt?" "19,8." Sie riß die Augen auf. "19,8!" rief sie so laut, daß alle Gäste in der Eisdiele sich nach ihr umdrehten. "Das kommt hin! Das paßt!" Überglücklich lachte sie Bernd an. "19,8! Danke!" Ihr Blick traf Bernd wie ein glühender Pfeil. Seine Augen wurden feucht von dem Zuviel an Gefühl. Er beugte sich vor. "Ich liebe dich, Nikki!" flüsterte er. Nikki wurde rot und lächelte verlegen, dann sah sie auf ihr Heft. Sie spürte, wie sich das warme Gefühl in ihrem Bauch ausbreitete, bis zu ihrem Herz. Verlegen legte sie das Heft nach rechts und schob die Eisschale nach links, um besser schreiben zu können. Bernd atmete tief durch und bekam sein übersprudelndes Gefühl wieder in den Griff. "Iß dein Eis, Nikki", sagte er sanft. "Bevor du es mit dem Strohhalm trinken kannst." "Ja." Sie lächelte ihn scheu an. "Danke für die Hilfe." Bernd schüttelte den Kopf. "Sag nicht Danke, Nikki. Dafür sind Freunde da." Nikki tauchte den Löffel in das Eis und führte ihn zum Mund. Sie aß das Eis und sah Bernd dabei an. Ihr Kehlkopf bewegte sich, als sie das Eis schluckte, dann meinte sie: "Freunde. Das sind wir?" "Wenn du das möchtest, sind wir das, Nikki." "Ja. Das sind wir."
Selten zuvor hatte Nikki sich so wohl gefühlt wie jetzt, da sie neben Bernd ging und mit ihm durch die Straßen der Altstadt schlenderte. Was für ein Gegensatz zu Markus, der an jedem Geschäft, vor dem sie stehenblieb, murrte und maulte und sich schließlich absetzte und sie alleine ließ. Bernd blieb immer bei ihr, schaute sich an, was sie sich anschaute, und unterhielt sich mit ihr über Preis und Qualität. Oder sie alberten einfach nur herum, wenn das, was sie sahen, gar zu lächerlich war. Bernd brachte sie schon um sechs nach Hause, da sie noch die restlichen Hausaufgaben machen mußte. Er fragte sie bewußt nicht, wann sie sich wiedersehen würden; das überließ er ihr. Vor dem Haus, in dem Nikki mit ihrer Mutter wohnte, hielt er an. "Macht das wirklich nichts, wenn mich eure Nachbarn sehen?" fragte er besorgt. Nikki schüttelte ernst ihren Kopf. "Nein. Mutti ist immer so mies drauf, daß keiner mehr mit ihr redet. Die Frau Watschke von neben uns hat Mutti mal was wegen Markus gesagt. Mutti hat sie nur angebellt, daß sie sich um ihren eigenen Dreck kümmern soll. Jetzt sagt ihr keiner mehr Guten Tag oder so." "Armes Kind." Bernd drückte sanft ihre Schulter. "Ich wünsche dir noch einen schönen Abend, Nicole. Arbeite nicht zuviel." "Ich versuch's", lächelte sie traurig. "Danke für den fantastisch tollen Tag! Äh... Sind Sie morgen Mittag wieder in der Stadt?" "Glaube ja", ging Bernd auf ihr Spiel ein. "Falls ja, hättest du etwas dagegen, daß ich dich wieder von der Schule abhole?" "Nein", lächelte Nikki schüchtern. "Wenn Sie möchten, können Sie mich abholen." "Sehr gerne, Nikki", antwortete Bernd bewegt. "Hab ich dir schon gesagt, daß ich dich liebe?" "Etwa fünfzig Mal", kicherte Nikki. Sie öffnete die Tür, griff sich ihren Rucksack und stieg aus. Sie schlug die Tür zu und sah Bernd an. "Und es klang jedesmal richtig nett." Sie drehte sich um und rannte zur Haustür. Bernd wartete, bis sie drin war. Sie drehte sich kurz um, winkte, dann lief sie die Treppe hinauf, und die Tür fiel zu. Bernd wartete noch ein paar Sekunden, bis der Nebel vor seinen Augen sich gelichtet hatte, dann fuhr er langsam nach Hause. Nikki lief die drei Etagen hinauf. Oben angekommen, schloß sie die Tür auf und warf sie glücklich hinter sich zu. Sie rannte in ihr kleines Zimmerchen, goß den Rucksack auf dem Bett aus und suchte sich die Hefte raus, die sie noch bearbeiten mußte. Sie packte den kleinen Stapel auf ihren schmalen Schreibtisch, dann rannte sie ins Wohnzimmer, wo sie sich das Düsseldorfer Telefonbuch schnappte und mit in ihr Zimmer nahm. Mit fliegenden Fingern suchte sie nach Clemens, Bernd. Sie fand zwei. Eine Privatadresse und eine Firma. Sie überlegte einen Moment, schrieb dann entschlossen beide Nummern ab und brachte das Telefonbuch hastig zurück. Auch ihr Herz schlug schnell, als sie zurück in ihr Zimmer lief, um die restlichen Hausaufgaben zu machen.
Bernd fuhr sehr nachdenklich heim. Ihm war klar, daß er zwei Tage Abwesenheit in der Firma nicht vor seiner Frau verstecken konnte. Unklar war ihm nur, was und wie er es sagen sollte. Den ganzen Weg zurück überlegte er angestrengt und hatte schließlich so etwas wie eine Lösung, bei der es vier Gewinner gab. Und gleichzeitig vier Verlierer.
Auch wenn Nikki sich noch so sehr beeilte mit ihren Aufgaben, die Zeit war einfach zu knapp. Als sie den Schlüssel in der Tür hörte, sah sie erschrocken auf ihre Uhr. Sie hatte noch eine halbe Stunde zu tun, bis sie fertig war, aber sie wußte genau, daß ihre Mutter keine halbe Stunde mehr auf das Abendessen warten würde. Seufzend legte sie Lesezeichen in die offenen Bücher, stand schnell auf und eilte in den Flur. "N'Abend", sagte sie entschuldigend zu ihrer Mutter. "Ich fang sofort mit dem Essen an. Wir hatten heute so viel auf." "Mach voran", erwiderte ihre Mutter kurz angebunden, ohne den Gruß zu erwidern. Nikki lief schnell in die Küche und schaute durch die Schränke. Sie entschied sich für Kartoffelpüree mit Bratwurst. Sie schaltete den Herd ein, stellte die Pfanne auf die Platte, holte die Würstchen aus dem Kühlschrank und das Öl aus dem Küchenschrank. Sie goß soviel Öl in die Pfanne, daß der Boden gut bedeckt war, verschloß die Flasche und stellte sie zurück. Während die Pfanne aufheizte, schüttete sie Wasser in eine Plastikschüssel, streute etwas Salz hinein und goß dann das Pulver für das Püree dazu. Geschickt rührte sie um, bis aus dem Pulver eine gelbliche, dünnflüssige Masse geworden war. Sie stellte die Schüssel in die Mikrowelle und fühlte mit dem Handrücken nach der Temperatur des Öls. Noch kalt. Sie wartete geduldig, bis das Öl heiß genug war, und legte dann die Bratwürste in das Öl. Sofort zischte und prasselte es. Etwas von dem heißen Öl spritzte auf ihren Arm. Sie zuckte erschrocken zusammen und rieb die Stelle, aber glücklicherweise war es nur ein winziger Spritzer gewesen. Konzentriert achtete sie auf die Würstchen und wendete sie alle zwei Minuten. Schließlich schaltete sie die Mikrowelle ein, wendete die Würstchen ein letztes Mal und suchte dann Teller und Besteck heraus. Das Besteck brachte sie ins Wohnzimmer, wo ihre Mutter auf dem Sofa ausgestreckt war, und legte es ordentlich auf den flachen Tisch. Dann lief sie zurück, schaltete die Platte unter der Pfanne aus und wartete auf das Signal der Mikrowelle. Als das Gerät klingelte, öffnete Nikki die Tür, holte die Schüssel heraus und rührte das Püree um, bis es eine zähe Masse geworden war. Sie füllte die Teller, legte die Würstchen dazu und trug das Abendessen ins Wohnzimmer. Einen Teller stellte sie vor ihre Mutter, den anderen vor sich. Sie hockte sich auf den Boden und nahm das Besteck in die Hände. "Guten Appetit", wünschte sie ihrer Mutter, die jedoch schon am Essen war und ihre Tochter nicht beachtete. Nikki konzentrierte sich ebenfalls auf ihr Essen. Immerhin hatte sie versucht, nett zu sein. Genauso erfolglos wie jeden Abend in den letzten Jahren.
'Muß ein wunderschöner Tag so enden?' dachte Bernd mutlos, der die Vorwürfe seiner Frau Ulrike nicht mehr ertragen konnte. Er schloß kurz die Augen, dann sah er sie an. "Okay!" rief er aus. "Ich war zwei Tage nicht in der Firma. Ja, ich gestehe, daß ich mir zwei Tage Urlaub genommen habe. Aber ich war nicht mit einer anderen Frau zusammen!" sagte er scharf. Streng genommen stimmte dies ja auch. Nikki war noch ein Kind, keine Frau. Und "zusammen" in dem Sinn, wie seine Frau es meinte, waren sie auch nicht gewesen. "Und damit du Bescheid weißt", fuhr er fort. "Ich werde auch in Zukunft wesentlich weniger arbeiten als bisher. Ich nehme mir frei. Einfach frei! Uli, ich habe mir dreißig Jahre lang sonst was aufgerissen, um den Betrieb am Laufen zu halten. Ich bin jetzt 48 Jahre alt, und ich möchte auch mal langsam etwas von meinem Geld haben, das auf der Bank vor sich hin modert. Ich möchte durch die Stadt laufen, ohne jeglichen Termindruck im Nacken, ich will im Park sitzen und den Schwänen beim Baden zusehen. Ich möchte einfach nur leben. Verstehst du das? Leben! Frei sein!" Er atmete tief durch und beruhigte sich. Seine Frau blickte ihn sprachlos und schockiert an. "Uli, sei doch mal bitte ehrlich. Wie sieht unser Leben zur Zeit aus? Ich verbringe vierzehn Stunden am Tag im Büro. Mindestens. Dann komme ich nach Hause, esse, und falle ins Bett. Andreas und Frank haben ihre Jobs. Natürlich auch in unserem Betrieb. Daß sie ihn übernehmen wollen, ist pures Glück. Es hätte auch anders kommen können. Sie hätten sich für einen völlig anderen Beruf entscheiden können. Und du? Du verbringst den Tag damit, von einer Bekannten zur anderen zu fahren und den Tag totzuschlagen. Glaubst du nicht, daß das Leben etwas mehr für jeden von uns bereithält?" "Da ist eine andere Frau im Spiel", sagte seine Frau betroffen. "Bernd, ich spüre das! Ich kenne dich lange genug!" "Vielleicht ist genau das unser Problem", sagte Bernd langsam. "Daß wir uns einfach zu lange kennen. Wir können uns nicht mehr überraschen, Uli. Wir wissen, wie jeder von uns ist, denkt und reagiert. Aber was das angeht, werdet ihr morgen früh eine Überraschung erleben. Sag den Jungs bitte, daß sie um zehn Uhr in meinem Büro sein sollen. Du kommst bitte auch." Er stand auf. "Jetzt werden Nägel mit Köpfen gemacht." Seine Frau sah ihm perplex nach, als er zu ihrem Schlafzimmer ging.
Es war bereits halb zehn, als Nikki wieder an ihre Schulaufgaben gehen konnte. Sie hatte den Abwasch gemacht, Staub gesaugt und in sämtlichen Regalen Staub gewischt. Sie war müde und wollte ins Bett. Doch die offenen Hefte und Bücher blickten sie anklagend an. Seufzend setzte sie sich an ihren Schreibtisch und ging an die letzten Aufgaben. Um viertel nach zehn war sie todmüde, aber alles war geschafft. Sie dachte an Bernd, als sie ihr Matheheft einpackte, und im gleichen Moment wurde wieder alles in ihr angenehm warm. Schnell packte sie ihren Rucksack für den nächsten Tag, stellte ihn neben die Tür, dann zog sie sich aus und lief leise ins Bad. Ihre Mutter schlief schon. Nikki wollte sie um nichts in der Welt aufwecken. Sie drehte das Wasser nur ganz leicht an, machte einen Lappen naß, rieb Seife darauf und wusch sich schnell den Hals, die Ohren, die Achseln, die Brust und den Unterleib. Sie spülte den Lappen gründlich aus, ohne viel Lärm zu machen, dann wischte sie die Seife damit ab. Zum Schluß stellte sie erst den linken Fuß in das Waschbecken und machte ihn sauber, danach den rechten. Sie drehte das Wasser ab, griff sich ein Handtuch und trocknete sich ab. Eine Minute später lag sie im Bett und schloß die Augen. Mit den Gedanken an Bernd und dem gemeinsamen Gang durch die Altstadt schlief sie lächelnd ein.
* * *
Bernd schaute kurz auf den Kalender in seinem Büro. Freitag, der 28. August 1998. Ein historischer Tag für den Betrieb, denn heute würde sich auch hier alles ändern. Er sah in die Runde. "Noch Fragen, bevor wir beginnen?" Seine Stimme war leidenschaftslos, ganz Geschäftsmann. "Eine." Ulrike sah zu dem Rechtsanwalt und Notar der Firma, Joachim Harsting. "In welcher Eigenschaft ist Joachim hier?" "Sowohl als Rechtsanwalt als auch Notar", erwiderte Bernd ruhig. Seine Frau wurde etwas blasser um die Nase. Seine beiden Söhne schauten sich verwundert an. "Sonst keine Fragen? Gut. Als erstes möchte und muß ich sagen, daß ich mich noch niemals zuvor geistig so frisch und lebendig gefühlt habe wie heute. Dies nur für das Protokoll, aber es trifft auch tatsächlich zu. Ich habe mich noch nie so gut und fit gefühlt wie heute. Legen wir los. Ich rede, ihr hört zu. Was ich euch zu sagen habe, wird euch sowieso die Sprache verschlagen. Klingt grober, als ich es meine. Ihr kennt mich. Erstens: Andreas, Frank, ihr habt euch mit dem Betrieb so vertraut gemacht, daß ihr ihn übernehmen könnt. Genau das werdet ihr ab Dienstag, dem ersten September, tun." Die beiden Söhne starrten ihn sprachlos an. "Was ist los?" lächelte Bernd. "Angst? Müßt ihr nicht. Mein Vater hat mir die Firma damals auf die gleiche Art um die Ohren gehauen. Ihr schafft das schon. Ihr seid ja zu zweit. Jeder von euch bekommt exakt 50% des Betriebes. Ihr müßt also miteinander arbeiten, anstatt gegeneinander. Aber da habe ich keinerlei Bedenken. Zweitens: Meine Funktion wird sich auf die eines stillen Teilhabers beschränken, damit ihr keine Angst haben müßt, daß ich euch hineinrede. Ihr könnt jederzeit zu mir kommen, wenn ihr Fragen oder Probleme haben solltet, aber kommen müßt ihr von euch aus. Ich halte mich da raus, sobald ich sicher bin, daß ihr alles richtig macht. Drittens: Mein Barvermögen wird zu gleichen Teilen zwischen eurer Mutter und mir geteilt, das Haus bekommt sie vollständig, sobald ich eine neue Unterkunft gefunden habe. Ihr verpflichtet euch, eure Mutter zu versorgen. Und damit meine ich nicht, daß ihr sie abschiebt. Sie wird in unserem Haus so lange wohnen, wie sie es will. Kein Pflegeheim, kein Altersheim, kein sonstiges Heim. Wenn ihr solche Spielchen macht, wird der Vertrag null und nichtig, und ich werde euch kalt wie eine Hundeschnauze enterben. Sie hat euch geboren, sie wäre an Franks Geburt beinahe gestorben, sie und ich haben nächtelang an euren Betten gesessen, wenn ihr krank wart. Ihr habt ihr gegenüber eine Pflicht." Er lächelte kurz. "Das nur, damit ihr Bescheid wißt. Wir haben uns bis zum heutigen Tag zum Glück alle bestens verstanden und sämtliche Probleme immer zur Zufriedenheit aller gelöst. So soll das auch bitteschön bleiben. Viertens: Ihr bekommt den kompletten Betrieb mit allem Drum und Dran. Der Buchwert für Grundstück und Gebäude beträgt etwa sechs Millionen Mark, dazu kommt der gesamte Gerätepark und die Fahrzeuge. Im Gegenzug behalte ich mir zwei Dinge vor: jederzeit uneingeschränkten Zugang zu dem Gelände und den Geschäftsunterlagen, und ein monatliches Gehalt von brutto vierzehntausend Mark. Das ist um einiges weniger, als ich bisher für mich in Anspruch genommen habe; ihr werdet es also nicht spüren. Dafür verzichte ich auf Weihnachtsgeld, 13. Gehalt und andere Spielereien. Seht als Ausgleich für die Hälfte des Hauses an, und für die dreißig Jahre Knochenarbeit, die ich in den Betrieb gesteckt habe. Ihr bekommt ihn auf einem Silbertablett serviert, vollständig aufgebaut, funktionsfähig, und erfolgreich. Fünftens: Ich behalte den Porsche. Die Kiste ist gerade mal vier Monate alt, aber ich habe mich schon so daran gewöhnt, daß ich keinen anderen Wagen haben möchte. Außer dem Mercedes. Den laßt bitte für mich stehen; ich werde den in Zukunft ziemlich oft brauchen. Aber der steht ja eh nur rum und wird kaum gefahren. Zu lahm, zu schwer, zu viel Verbrauch, zu wenig Spaß. Sechstens: Ihr könnt euch natürlich weigern, die Firma zu übernehmen. Ich zwinge euch nicht dazu. Ganz im Gegenteil. Eine norddeutsche Firma möchte sich liebend gerne einkaufen, weil hier im Rheinland und im Ruhrgebiet viel mehr Autobahnen zu bauen und zu pflegen sind als in Schleswig-Holstein. Joachim hat das Angebot von denen dabei. Es ist sehr verlockend für mich. Ich könnte verkaufen, euch alle auszahlen und mir von dem Rest eine kleine Insel in der Karibik zulegen, aber ich liebe den Betrieb. Er existiert schon seit dem zweiten Weltkrieg, und ich will ihn nicht einfach verschachern wie eine abgenutzte Säge. Das kann ich nicht. Außer, ich muß es. Dann werde ich es tun. Aber ich denke, dazu wird es nicht kommen. Siebtens: Alle Angestellten bleiben! Kein einziger wird entlassen. Wir haben eine zuverlässige, qualitativ hochwertige Mannschaft hier, was sich in der hervorragenden Arbeit niederschlägt. Genau so soll das bleiben. Ihr wißt am besten, daß wir ohne unsere Arbeiter und Angestellten nichts wären. Achtens und letztens: Uli, ich möchte dir für unsere Ehe und die zwei prächtigen Kinder danken. Es war eine wunderschöne Zeit für mich, aber alles hat einmal ein Ende. Es tut mir schrecklich leid, daß es so aus heiterem Himmel kommt, aber ich habe in den letzten zwei Tagen sehr viele Dinge entdeckt, die ich nicht machen kann, wenn alles so bleibt, wie es ist. Ich möchte sie aber machen. In zwei Jahren werde ich fünfzig. Keine Ahnung, wie lange ich noch lebe. Und genau das ist der Grund für das, was ich tue. Die Zeit, die mir noch bleibt, will ich leben. So leben, wie ich es möchte. Ich habe dreißig Jahre lang für zwei geschuftet, jede Woche mindestens siebzig Stunden lang, jetzt mache ich Schluß damit. Joachim, laß sie noch etwas alleine, dann leg ihnen die Verträge vor. Ich komme am Montag vorbei und hole meine Kopie ab. Wenn sie bis Montag morgen zehn Uhr nicht unterschrieben haben, setz dich mit der Klitsche da oben bei Hamburg in Verbindung und sag ihnen, daß ich verkaufe." Er stand auf und sah seine Söhne an. "Wir werden in Zukunft nicht mehr sehr viel voneinander haben. Ihr zwei seid erwachsen. Macht was aus eurem Leben. Ihr habt das Zeug dazu." Er sah zu seiner Frau. "Verzeih mir, Ulrike, aber ich kann nicht anders handeln. Ich wünsche dir alles nur erdenklich Gute. Andreas und Frank werden für dich da sein. Stützt euch am Anfang gegenseitig. Lebt wohl, alle." Mit schnellen Schritten verließ er sein Büro, seine Heimat der letzten dreißig Jahre. Zurück blieben drei völlig verstörte Menschen und ein Rechtsanwalt, der sich sehr unauffällig zurückzog und die drei mit ihrem Schock alleine ließ.
* * *
Als Bernd mit dem Porsche von dem Betriebsgelände fuhr, atmete er wie befreit auf. So sehr er seine Familie bis vorgestern auch noch geliebt hatte, es spielte ab dem Moment, in dem er Nikki zum ersten Mal gesehen hatte, keine Rolle mehr. Nun lag Freiheit vor ihm. Die Freiheit, sein Leben so zu führen, wie er es wollte; die Freiheit, mit Nikki so oft zusammen zu sein, wie sie es wollte. Beschwingt fuhr er nur zum Spaß durch die Stadt, bis es Zeit wurde, zur Schule zu fahren, um Nikki abzuholen.
Seine Frau und die beiden Söhne hatten sich inzwischen nicht gerade wieder gefangen, waren aber doch über den ersten großen Schock hinweg. Joachim half ihnen, zu verstehen, was mit Bernd los war. "Er sagte mir, daß er diese Gedanken schon länger hatte. Die Firma floriert, Bernd hat die großen Kämpfe um Marktanteile überstanden und überlebt. Es war für ihn keine Herausforderung mehr, sondern in weiten Teilen nur noch eine Last. Er hat es nur für euch drei getan." Er sah Ulrike, Andreas und Frank an. "Er wollte warten, bis ihr zwei den Überblick über den Betrieb hattet, um ihn euch dann zu übergeben." "Das sind alles Punkte, die ihn direkt betreffen", meinte Ulrike, die noch immer sehr blaß war. "Aber Joachim, was wird mit unserer Ehe? Wieso sollen die Kinder für mich sorgen? Was hat er vor?" Joachim kannte natürlich auch nur das, was Bernd ihm erzählt hatte. Von Nikki wußte außer Bernd niemand etwas. "Er überläßt es dir", sagte Joachim sanft. "Die Ehe kann für eine gewisse Zeit, wie Bernd mir sagte, fortgeführt werden, oder du kannst die Scheidung sofort bei mir einreichen." "Scheidung?" Ulrike wurde noch blasser, als sie schon war. "Wieso -" "Ich kann nur das sagen, was Bernd mir gesagt hat", antwortete Joachim mitfühlend. "Ulrike, ich weiß auch nicht viel mehr als ihr. Er sagte mir nur, daß er die Nase voll hat vom Malochen, und daß er die letzten paar Jahre einfach nur in Ruhe leben will. Ohne Arbeit." "Und ohne uns", flüsterte Ulrike erschüttert. Joachim nickte langsam. "Ja. Ohne euch. Auf der anderen Seite hat er euch drei abgesichert bis zum Gehtnichtmehr. Du, Ulrike, bekommst neben eurem Haus auch die Hälfte des Geldes, das ihr auf der Bank habt. Nach dem letzten Auszug sind das - Sparbücher, Wertpapiere, Aktien und Pfandbriefe eingerechnet - mehr als siebenhunderttausend Mark für dich. Bernd hat über die letzten fünfzehn Jahre hinweg jeden Pfennig gespart. Der Porsche war schon in seiner Jugend sein Traumauto, aber ich denke, diese Extravaganz kann ihm verziehen werden. Der Schmuck, den er dir im Lauf der Zeit geschenkt hat, ist mehr wert als der Wagen, so daß er auch hier eine gerechte Teilung gefunden hat. Es tut mir so leid für dich." Ulrike rang sichtbar um Fassung. "Joachim, was ist das für ein Angebot, von dem er geredet hat?" "Eine Firma in der Nähe von Hamburg möchte diesen Betrieb übernehmen. Komplett. Mit allen Grundstücken, Gebäuden, und Inventar. Sie haben einen sehr guten Preis genannt. Wenn Andreas und Frank den Vorvertrag nicht unterschreiben, soll ich diese Firma anrufen und den Verkauf in die Wege leiten. Anschließend bekommt ihr drei euren Pflichtteil ausgezahlt, den Rest behält Bernd. Auch wenn es auf gut Deutsch gesagt ein beschissener Zeitpunkt dafür ist, solltet ihr euch einverstanden erklären und unterschreiben. Ihr steht euch alle sehr viel besser, wenn ihr die Firma behaltet. Auf die kommenden Jahre gerechnet kommt für euch mehr dabei heraus. Ich verstehe nur zu gut, daß ihr alle betroffen und verstört seid. Genauso ging es mir, als Bernd heute um halb acht zu mir kam und mir sagte, was er vorhat. Andererseits hat er alles getan, um euch abzusichern. Daß er geistesgestört oder durchgedreht ist, kann ich beim besten Willen nicht sagen. Er verhält sich in meinen Augen unvernünftig, aber das ist eine reine Ansichtssache." Er holte ein paar Dokumente aus seiner Tasche und verteilte sie.
Bernd entdeckte Nikki in dem Moment, als sie aus der Tür der Schule kam. Auch sie sah ihn sofort und winkte ihm fröhlich zu. Sie sprach kurz mit ihren beiden Freundinnen, dann rannte sie quer über den Schulhof auf ihn zu. "Hallo, Herr Bernd Clemens", begrüßte sie ihn mit einem verlegenen Lächeln, aber leuchtenden Augen. "Hallo, Fräulein Nicole Bauten", lächelte Bernd zurück. "Möchten Sie zu einer kleinen Spazierfahrt einsteigen?" "Ja!" Bernd hielt ihr die Tür auf, von den übrigen Schülerinnen staunend beobachtet, lief um den Wagen herum und stieg ebenfalls ein. Unter den großen Augen von Nikkis Freundinnen fuhr er rasant, jedoch ohne quietschende Reifen los. "Was machen wir jetzt?" fragte Nikki aufgeregt. "Wir fahren zu dir nach Hause, wo du deine Hausaufgaben machst. Anschließend bestimmst du, was wir machen." "Cool!" freute Nikki sich. "Und was machen Sie, während ich die Aufgaben mache?" "Wenn du es erlaubst, würde ich dir gerne dabei zusehen." "Sie wollen -" Nikki starrte ihn verdutzt an. "Sie wollen einfach in meinem Zimmer sitzen und mir zwei Stunden zusehen?" "Ja, Nikki." Bernd mußte an einer roten Ampel halten und sah sie an. "Ich liebe dich so sehr, daß ich dich immerzu ansehen möchte. So oft und so lange wie möglich." Er lächelte sie beruhigend an. "Anderseits verstehe ich es vollkommen, wenn du etwas Angst hast, mich in dein Zimmer mitzunehmen. Ich kann genauso gut draußen warten. Oder ich komme vorbei, wenn du fertig bist, und hole dich wieder ab. Ganz wie du möchtest, Nikki." Verwirrt starrte Nikki nach vorne auf die Straße. Sie durfte entscheiden? Er überließ ihr die Wahl, was sie machten? Das war Nikki überhaupt nicht gewohnt. Ihre Mutter kommandierte sie nur herum, und Markus hatte ihr ebenfalls vorgeschrieben, wann sie wo zu sein hatte, vom Schulschluß einmal abgesehen. Sehr nachdenklich sah sie Bernd von der Seite an, der wegen der umgesprungenen Ampel wieder anfuhr. Noch immer wußte sie nicht genau, was er eigentlich von ihr wollte, aber sie spürte, daß sie sich in seiner Gegenwart sehr wohl fühlte. Sehr viel mehr als bei ihrer Mutter, und noch sehr viel mehr als bei Markus. Ihr Bauch wurde wieder warm. Sehr warm. Und ihre Augen wurden sogar etwas feucht. Nikki wußte zwar nicht, warum sie feucht wurden, aber es paßte irgendwie hervorragend zu dem warmen Gefühl in ihr. "Macht Ihnen das wirklich nichts aus, zwei Stunden bei mir rumzuhocken?" fragte sie sicherheitshalber noch einmal. Bernd schüttelte den Kopf. "Ganz im Gegenteil, Nikki. Wenn ich dich ansehen kann, werden das zwei wundervolle Stunden für mich werden. Allerdings nur unter der Bedingung, daß ich dich nicht störe. Wenn ich dich ablenke oder dir durch meine Anwesenheit Angst mache, lassen wir es lieber." Nikki musterte Bernd zum ersten Mal gründlich. Er war einen Kopf größer als sie selbst, kräftig gebaut, mit breiten Schultern und muskulösen Armen. Er hatte zwar einen leichten Bauch, aber das störte Nikki nicht im geringsten, denn er paßte zu ihm. Bernd hatte volles, dunkles Haar, mit vielen grauen Stellen an den Schläfen. Seine Arme waren dünn behaart, bis knapp zu den Fingern. Nikki schüttelte sich kurz, als ein wohliger Schauer über ihren Rücken kroch. Dieser Mann wollte ihr Freund sein, ohne jede Bedingung. Im Gegenteil: sie durfte sogar die Bedingungen stellen. Ihr war zwar etwas unwohl bei dem Gedanken, ihn in ihrem Zimmer zu haben, aber nur aus dem Grund, weil sie gestern nicht mehr aufgeräumt hatte. Die Kleidung von gestern lag noch auf dem Boden, der Kleiderschrank stand offen, das Bett war nicht gemacht. Doch als sie daran dachte, daß Bernd auf ihrem Bett saß, ihr bei den Hausaufgaben zusah, wurde ihr wieder sehr warm. Ihr Gefühl entschied die Diskussion in ihrem Kopf. Sie drehte sich zu Bernd. "Es ist aber etwas unordentlich bei mir", gestand sie. Bernd lächelte amüsiert zurück. "So schlimm, daß ich tot umfalle, wenn ich es sehe?" "Nein!" lachte Nikki verlegen. "Nicht ganz so schlimm." Plötzlich fiel ihr siedendheiß ein, was sie vergessen hatte. "Ähm... Ich muß vorher noch einkaufen." "Und wo?" fragte Bernd gelassen. "In dem Supermarkt an der Ecke. Nicht viel, nur ein paar Teile. Lassen Sie mich da raus?" "Sicher, Nikki." Bernd verbarg seine Enttäuschung. "Wann soll ich dich nachher abholen?" "Wieso abholen?" fragte sie erstaunt. "Kommen Sie nicht mit zu mir?" Nun war Bernd erstaunt. "Doch, liebend gerne, aber ich dachte, ich soll dich am Supermarkt rauslassen!" "Klar, zum Einkaufen! Oder wollen Sie mit rein?" "Ich würde dir sehr gerne tragen helfen", lachte Bernd erleichtert. "Ist gut. Danke." Sie lächelte ihn an, mit einem warmen, herzlichen Lächeln, das Bernds Blutdruck rapide steigen ließ, dann schaute sie wieder auf die Straße. Bernd sah den Supermarkt kurz darauf. Nur zwei Autos standen davor, eines davon gehörte dem Inhaber, wie die Beschriftung auf den Türen zeigte. Er parkte den Porsche direkt vor der Eingangstür. Nikki und er stiegen aus und gingen hinein. Nikki kannte sich hier bestens aus. Sie kaufte einen Beutel Kartoffeln, eine Dose Erbsen, zwei Koteletts, die sie aus der Auslage und nicht von der Fleischtheke nahm, einen Bund Bananen, einen Beutel Mandarinen und vier Äpfel. An der Kasse wurde Nikki mit Vornamen begrüßt und Bernd neugierig beäugt. Nikki zahlte, während Bernd die Einkäufe einpackte, dann fuhren sie zu Nikki. Etwas atemlos kam Bernd hinter ihr in der dritten Etage an. Nikki schaute ihn an und kicherte. "Meine Freundinnen japsen auch immer, wenn sie mal zu mir kommen." Sie schloß die Tür auf, ging vor ihm hinein und machte sie hinter ihm wieder zu. Bernd schaute sich schnell um. Der Flur war ziemlich dunkel, nur von rechts kam etwas Licht, da dort eine Tür leicht offenstand. In der Diele stand ein kleiner Schrank für Schuhe, und ein Garderobenständer. Kleinere Bilder hingen an den Wänden. Bernd wußte sofort, daß Nikki sie aufgehängt haben mußte, denn sie zeigten Aufnahmen von ihren Schulfreundinnen. Von Nikki selbst hing kein Bild dort. Außer der Tür zur Rechten waren noch zwei Türen fast direkt vor ihm, und eine an dem linken Ende des Flures. Nikki öffnete die rechte der beiden Türen und ging hinein. Bernd folgte ihr und stand in einer kleinen Küche. Er sah eine winzige Spüle, einen Küchenschrank mit einer Arbeitsfläche und je zwei Türen oben und unten, einen Kühlschrank, auf dem eine Mikrowelle stand, einen Backofen mit Herdplatte, und einen kleinen Tiefkühlschrank. Nikki legte das Fleisch in den Kühlschrank, stellte die Kartoffeln auf den Boden und die Erbsen in den Schrank. Das Obst kam in eine Schale, die im Küchenschrank stand. Die Plastiktüte faltete sie zusammen und legte sie in ihren Rucksack. "Die hab ich heute morgen total vergessen", gestand sie. "Normalerweise geb ich die dreißig Pfennig nicht dafür aus, sondern nehm eine gebrauchte mit. Gehen wir?" Bernd nickte und trat auf den Flur. Nikki ging zum linken Ende des Ganges, öffnete die Tür und sah Bernd an. "Ich räum eben auf, ja? Geht ganz schnell!" Sie verschwand in ihrem Zimmer. Bernd unterdrückte ein Lachen und wartete geduldig. Keine zwei Minuten später flog die Tür wieder auf. "Fertig!" Nikki stand in der Tür und strahlte ihn an. "Sie können jetzt rein!" Bernd folgte ihrer Einladung und betrat ihr ureigenes Reich. Noch bevor er sich umgesehen hatte, fühlte er sich schon zu Hause, denn die Luft war voll von Nikkis Geruch. Er schaute sich schnell um. Rechts neben der Tür stand ihr Bett, mit einer Tagesdecke abgedeckt, direkt an der Wand. Das Fußende zeigte zur Tür, ein kleiner Nachttisch mit Lampe, Wecker und zwei Büchern stand links neben dem Kopfende. Links daneben, der Tür gegenüber und direkt unter dem Fenster, stand ein winziger Schreibtisch, der gerade mal für Bernds tägliche Post ausgereicht hätte. Höchstens sechzig Zentimeter breit, und vierzig Zentimeter tief. Ein einfacher Küchenstuhl stand davor. Dann kam ein schlichtes, zwei Meter hohes und etwa ein Meter breites Regal, in dem Nikkis Bücher und ein paar Stofftiere und Puppen lagen oder standen. Kleine Figuren aus diesen Schokoladeneiern mit Überraschung waren strategisch verteilt. An der linken Wand standen ein preiswerter Schrank, in dem, wie er vermutete, Nikkis Kleidung lagerte, und ein zweites, kleineres Regal. Auf dem Boden lag ein billiger Teppich, an den Wänden hingen wieder Fotos von Nikkis Schulfreundinnen. Auf einigen war sie jedoch auch zu sehen. Das Zimmer war höchstens zehn Quadratmeter groß, schätzte Bernd. Damit war es fünf Quadratmeter kleiner als Bernds Badezimmer. Er bekam urplötzlich ein schlechtes Gewissen. Aber Nikki schien sich in dieser Enge sehr wohl zu fühlen. "Sie können sich dahin setzen", meinte sie entschuldigend und deutete mit einer lockeren Geste auf das Bett. "Ich hab leider kein Sofa oder so was." "Ist doch völlig in Ordnung, Nikki", beruhigte Bernd sie. "Bist du auch sicher, daß ich dich nicht störe?" "Bin ich." Sie lächelte ihn schüchtern an. "Ganz sicher. Möchten Sie etwas trinken?" "Im Moment nicht, danke. Fang einfach mit deinen Aufgaben an." "Die mach ich sonst auch immer als erstes", entschuldigte sie sich. Sie griff sich ihren Rucksack und schüttete ihn auf dem Bett aus. Bernd rutschte schnell zum Kopfende hoch, als Nikki die Hefte und Bücher ausbreitete. Dann nahm sie sich einige Hefte heraus, legte sie auf den Tisch, packte drei Bücher aus dem Rucksack und zwei aus dem Regal dazu, und setzte sich schließlich hin. Sie drehte ihren Kopf zu Bernd. "Wird Ihnen das wirklich nicht langweilig?" "Ganz bestimmt nicht, Nikki", sagte Bernd leise. "Ich möchte dir keine Angst machen mit dem, was ich sage, aber ich könnte dich stundenlang einfach nur ansehen." Nikki errötete heftig und schaute schnell auf ihren Tisch. Das warme Gefühl in ihrem Bauch breitete sich aus bis in ihre Kehle und verursachte dort einen kleinen Stau. Sie atmete tief ein und aus und wunderte sich, warum ihr ganzer Körper prickelte und kribbelte, doch das verschwand nach und nach, als sie sich auf ihre Hausaufgaben konzentrierte. Schon die erste Minute Zusehen war fast zuviel für Bernd. Nikki hatte sich in ihre Schularbeiten vertieft und ihn völlig vergessen. Sie benahm sich völlig normal und ungezwungen. Ihr Kopf war tief über den Tisch gebeugt, ihre langen Haare fielen wieder und wieder auf das Heft. Jedesmal verzog Nikki unwillig das Gesicht, hob den Kopf, griff mit der linken Hand von hinten um den Kopf herum, nahm alle Haare auf einmal in die Hand, packte sie auf die linke Seite und ließ den Kopf wieder sinken. Von Zeit zu Zeit kam ihre Zungenspitze heraus, schob sich in einen Mundwinkel, parkte dort, wanderte zum anderen, ruhte sich dort aus, und verschwand wieder. Ab und zu entfuhr ihr ein Knurren, wenn sie an eine schwierige Aufgabe kam, doch im Großen und Ganzen war sie sehr still und konzentriert bei der Arbeit. Bernd ertrank beinahe in seiner Liebe, die er für dieses hübsche Mädchen empfand. Nach etwa zwanzig Minuten klappte sie das Heft und das Buch mit einer entschlossenen Bewegung zu, legte das Buch auf das Heft, warf beides mit einer lange geübten, automatischen Bewegung ohne hinzusehen auf ihr Bett und erschrak zu Tode, als Bernd von dem Buch am Bein getroffen wurde und unwillkürlich einen Laut von sich gab. Das Buch fiel polternd auf den Fußboden. "Oh mein Gott!" sagte sie entsetzt, riß die Augen auf und schlug die Hände vor dem Mund zusammen. "Ich - ich hab total vergessen, daß..." "Nichts passiert!" Bernd erholte sich schnell von dem Schreck und mußte lachen, als er Nikkis panisch verzogenes Gesicht sah. "Ich leb doch noch, Nikki!" Der Lachreiz wurde stärker und stärker, bis Bernd ihm nicht mehr widerstehen konnte und herzhaft und laut lachte. Nikkis Starre fiel von ihr ab, als Bernd mehr und mehr lachte, und verwandelte sich in unsagbare Erleichterung. Markus hätte sie umgebracht, wenn ihr das bei ihm passiert wäre! Nikki fing an, zu kichern, dann zu lachen, und mußte schließlich wie Bernd aus voller Kehle lachen. Bernd ließ sich nach hinten auf ihr Bett fallen, stieß mit dem Kopf gegen die Wand und mußte noch mehr lachen. Nikki sah die Tränen aus seinen Augen laufen, hielt sich den Bauch und fiel vor Lachen mit dem Oberkörper auf den Tisch. Ihr Fuß stampfte gleichmäßig und fest auf den Boden, so stark lachte sie. Es dauerte eine ganze Weile, bis der Anfall vorüber war, und noch einiges länger, bis sie sich ansehen konnten, ohne gleich wieder laut loszulachen.
* * *
"So viel gelacht wie vorhin hab ich schon lange nicht mehr", gestand Nikki glücklich. Sie hielt einen Beutel Popcorn vor ihre Brust gepreßt und ging neben Bernd her über die Straße, mit der rechten Hand griff sie wieder und wieder in den Beutel und naschte voller Genuß. "Wollen Sie wirklich nichts davon?" Bernd verneinte. "Im Moment nicht, Nikki, vielen Dank. Ich habe auch lange nicht mehr so gelacht", lächelte er herzlich. "Das war aber auch wie ein plötzlicher Raketenangriff!" Nikki kicherte wieder. "Wieso sind Sie denn nicht ausgewichen?" Bernd schaute sie verliebt an. "Ich habe nur auf dich geachtet, Nikki. Das Buch habe ich überhaupt nicht bemerkt." Nikki wurde rot und schaute zur Seite. "Sag mir, wenn ich dich bedränge, ja?" bat Bernd das Mädchen schnell. "Ich rede immer das, was mir gerade auf der Zunge liegt." "Tu ich ja auch", meinte Nikki, ohne ihn anzusehen. "Und Sie bedrängen mich nicht. Wirklich nicht." Für einen Moment schwiegen sie beide und trotteten gemächlich die Kö hinunter. "Das hört sich nämlich schön an, wenn Sie das sagen", sagte Nikki plötzlich leise. Mit einem Satz sprang sie zu einem Schaufenster und schaute neugierig hinein. "Da!" rief sie und deutete auf einen protzigen Ring. "Sieht der nicht total häßlich aus?" Sie nahm das letzte bißchen Popcorn aus der Tüte, faltete sie zusammen und steckte sie in die Tasche ihrer Jeans. Bernd verdaute noch ihr Geständnis und brauchte daher einen Moment länger, um zu wissen, was sie meinte, doch als er den Ring sah, mußte er ihr uneingeschränkt zustimmen. "Ja, wirklich. Der da hinten ist viel schöner." Er zeigte auf einen Ring in der vorletzten Reihe. "Der vierte von rechts." Nikki zählte kurz ab, dann sah sie ihn. "Oh ja!" seufzte sie. "Der ist wirklich herrlich! Ob ich den mal anprobieren kann?" "Klar. Komm mit." Er ging ohne zu zögern auf die Tür zu. Nikki erschrak zu Tode. "Nicht!" rief sie voller Panik. Einige Fußgänger blieben stehen und schauten das Mädchen besorgt an. "Wir können da doch nicht einfach reingehen!" "Warum nicht?" meinte Bernd gelassen. "Wenn du den Ring mal probieren möchtest, kannst du das doch auch." Die Fußgänger sahen, daß Nikki nicht in Gefahr war, drehten sich weg und gingen weiter. "Das geht doch nicht!" jammerte Nikki verzweifelt. "Die wissen doch, daß ich kein Geld dafür habe!" "Ach was!" lachte Bernd. "Die denken garantiert, daß du meine Tochter bist, der ich einen Ring schenken möchte. Nun komm schon!" Er zwinkerte ihr zu und lockte sie mit dem Finger. Zögernd setzte Nikki einen Fuß vor den anderen und schlich langsam zu Bernd, der schon die Tür zu dem Juwelier offenhielt. Voller Furcht betrat sie schließlich hinter ihm das eindrucksvolle Geschäft und sah sich mit schnellen, scheuen Blicken um. Als eine Verkäuferin auf sie zukam, versteckte sie sich wie ein kleines Kind hinter Bernd. Der jedoch redete in aller Ruhe mit der Verkäuferin und beschrieb ihr, welchen Ring seine "Tochter" sehen wollte. Die Verkäuferin ging ihn holen. Nikki wurde ganz schwindelig, als sie das Wort "Tochter" hörte. Bernd hatte es so gesagt, als wäre es wahr, und für einen Moment glaubte selbst Nikki daran. Mit viel gutem Zureden ließ sie sich schließlich hinter Bernd hervorlocken und schaute ängstlich in die Gesichter um sie herum, doch als sie den Ring entdeckte, den die Verkäuferin ihr hinhielt, verschwand ihre Scheu. Gebannt schaute sie den massiv silbernen Ring an. Er war sehr schlank und vollständig glatt, abgesehen von einer engen Schlangenlinie, die um den gesamten Ring herum ging und deren Amplitude von einer Seite bis zur anderen reichte. Vorsichtig streckte Nikki ihre Finger aus und nahm den Ring aus der Schatulle. Sie hielt ihn ins Licht und drehte ihn hin und her, ihr Gesicht strahlte vor Freude über das Funkeln und Blinken. Begeistert schob sie ihn über ihren dicksten Finger und schaute enttäuscht auf die große Lücke zwischen ihrer Haut und dem Ring. "Viel zu groß!" Sie schaute Bernd traurig an. "Schade." Zögernd schob sie den Ring wieder von dem Mittelfinger herunter und steckte ihn zurück in die Schatulle. Bernds Frage an die Verkäuferin hörte sie vor lauter Enttäuschung gar nicht. Sie sah nur, daß plötzlich wie von Zauberhand eine zweite Schatulle vor ihr auftauchte, mit dem gleichen Ring wie vorher, nur daß dieser ein ganzes Stück kleiner, dafür aber nicht geschlossen war, so daß der Durchmesser verändert werden konnte. Mit leuchtenden Augen schaute sie zu Bernd auf, der ihr nur zunickte. Sie nahm den Ring heraus und schob ihn wieder über den Mittelfinger, doch er paßte nicht. Er war zu eng. Sie wollte den Ring nicht verbiegen und probierte daher den Ringfinger, und da paßte er wie angegossen. Überglücklich hob sie ihre Hand in die Luft, drehte sie hin und her und konnte ihre Augen nicht mehr von dem Ring nehmen. Bernd sah ihre Freude und reichte der Verkäuferin schnell seine Kreditkarte. Eine Minute später hatte er eine Kopie des Belegs in der Tasche. Nikki hatte das überhaupt nicht mitbekommen, sie war noch immer völlig versunken in den wunderschönen Ring. Sie bekam auch nicht mit, daß Bernd sich verabschiedete und sie an der Schulter aus dem Geschäft schob. Erst als der Lärm der Straße in ihr Bewußtsein drang, schaute sie erschrocken auf. "Was - wo... Der Ring!" Sie schaute voller Panik auf den Ring. "Wir müssen zurück! Die denken doch, ich hab den geklaut!" "Ist doch schon alles geklärt, Nikki", beruhigte Bernd das aufgeregte Mädchen. "Er gehört dir. Ein Geschenk von mir." Er klopfte Nikki gütig auf die Schulter. "Und jetzt beruhigst du dich und freust dich. Okay?" Nikki starrte ihn mit großen Augen an. In ihrem Kopf war ein reines Chaos. Nur zwei Gedanken brachen immer wieder deutlich hervor: 'Markus hat mir nie etwas geschenkt' und: 'Was will er dafür von mir haben?' Bernd las in ihrem Gesicht wie in einem offenen Buch. "Du schuldest mir nichts dafür, Nikki", sagte er so ernst, daß sie fast Angst vor ihm bekam. "Der Ring ist ein Geschenk, weil ich mich freue, wenn du dich freust. Du mußt nichts dafür tun, und du mußt ihn mir auch nicht irgendwann mal wieder zurück geben. Er gehört dir. Dir ganz allein. Ohne jede Bedingung. Klar?" Nikki nickte automatisch, obwohl ihr überhaupt nichts klar war. Ein Geschenk? Ein richtiges Geschenk von einem Mann, ohne Wenn und Aber? Ohne Kuß, und ohne sich anfassen lassen zu müssen? Sie verstand die Welt nicht mehr. Alles, was Markus mit ihr gemacht hatte, erschien ihr plötzlich widerlich und schmutzig, aber gleichzeitig so weit entfernt, daß der Schmutz sie gar nicht mehr störte. Anstelle des Schmutzes war nun aber ein so glühendes Gefühl in ihr, daß sie schwankte und sich kaum mehr auf den Füßen halten konnte. Meinte Bernd das damit, wenn er sagte, daß er sie liebte? War dieses Gefühl, diese glühende, wohltuende Wärm in ihr, war das Liebe? Bedeutete "Ich liebe dich" tatsächlich so viel mehr als nur "Ich will dich überall anfassen"? War Liebe tatsächlich etwas viel Schöneres, Saubereres? Unbeweglich stand sie vor Bernd, sah ihm tief in die Augen, während die Gefühle über ihr Gesicht zogen wie Wolken im Sturm. Sie sah seine dunklen, braunen Augen, die sie voller Wärme anblickten, und mit überwältigender Wucht erkannte sie, daß er es ehrlich meinte, wenn er sagte, daß er sie liebt. Absolut ehrlich. Diese Erkenntnis machte ihr Angst. Schreckliche, tiefe Angst. Sie war doch erst knapp 13! Wie konnte ein erwachsener Mann sie lieben? Richtig lieben? Das konnte sie einfach nicht glauben. Doch die Seite in ihr, die langsam erwachsen wurde, sehnte sich nach seiner Liebe, nach seiner Zuneigung, nach seiner Anerkennung. Diese Seite glaubte ihm, vertraute ihm. Bernd und Markus wurden kurz verglichen, es wurde keine Gemeinsamkeit festgestellt außer der, daß sie beide männlichen Geschlechts waren, und es wurde zugunsten von Bernd entschieden. Endgültig. "Ist klar", beantwortete sie seine letzte Frage mit einem scheuen, dankbaren Lächeln. "Vielen Dank, Herr Bernd Clemens. Er ist wunderschön!" Bewegt hielt sie ihre linke Hand hoch und schaute gerührt auf den Ring. "Mein erster Ring!" Bernd wollte diesen Moment so gerne mit ihr teilen, wollte sie in den Arm nehmen, um ihr zu zeigen, wie sehr er sie liebte, doch er überließ Nikki diesen Schritt. Sie sollte es tun, wenn sie bereit dafür war. Aus ihren bisherigen Reaktionen konnte er ablesen, daß sie Geschenke überhaupt nicht gewohnt war. Allerdings gab es einen Schritt, den er auf sie zumachen konnte. "Du mußt mich nicht so nennen, Nikki", sagte er daher. "Wenn du möchtest, sag einfach Bernd zu mir. Wie Freunde es miteinander tun." Nikki lächelte schüchtern und nicke leicht. "Gehen wir weiter?" "Deswegen sind wir hier" zwinkerte Bernd. Sie setzten sich wieder in Bewegung und gingen nebeneinander die Straße hinunter. Nikkis Freude über den neuen, wundervollen Ring wurde abgelöst durch ein merkwürdiges dumpfes, ängstliches Gefühl, das sie sich überhaupt nicht erklären konnte, doch als sie an einem Uhrgeschäft das heutige Datum sah, wußte sie plötzlich, warum. Heute war Freitag. Eine tiefe Unruhe überkam sie, als sie daran dachte, daß ganze Wochenende zu Hause bleiben zu müssen. Ihre Freundinnen mußten am Wochenende immer mit den Eltern zusammen wegfahren, so daß sie vollkommen alleine war. Ihre Mutter ging Samstags vormittags ins Fitneßstudio, in der Zeit kochte Nikki schon mal das Essen für das Wochenende vor. Gelegentlich aßen sie mittags zusammen, dann verschwand Nikki entweder in ihr Zimmer oder machte sich auf den Weg in die Stadt, wo sie ab und zu andere Mädchen aus ihrer Schule traf und mit ihnen etwas Zeit verbrachte. Gegen neun, halb zehn war sie wieder zu Hause, manchmal auch noch später, je nachdem. Ihre Mutter interessierte sich nicht dafür, wann Nikki nach Hause kam. Oft genug hatte Nikki auch das Gefühl, daß es ihre Mutter nicht interessierte, ob sie überhaupt zu Hause war... Doch nun hatte sie einen Freund, der sehr nett und höflich zu ihr war, und die Aussicht auf ein Wochenende ohne ihn stürzte sie fast in Verzweiflung. Obwohl sie sich erst den zweiten Tag kannten, hatte sie sich schon sehr an seine zuvorkommende, unaufdringliche Art gewöhnt. Sie fragte sich allerdings, ob Bernd es von ihr sehr unverschämt finden würde, wenn sie ihn bat, sich morgen mit ihr zu treffen. Gleichzeitig hatte sie jedoch die starke Vermutung, daß er nicht das geringste dagegen haben würde. Sie nahm sich vor, ihn auf der Rückfahrt zu fragen. Bernd stellte ähnliche Überlegungen wie Nikki an. Er warf ihr immer wieder kurze, schnelle Seitenblicke zu und dachte an ein Wochenende ohne sie, im gleichen Haus mit seiner Frau und seinen Söhnen. Was daraus werden würde, war ihm völlig klar. Alle würden versuchen, ihn umzustimmen, doch er wollte überhaupt nicht umgestimmt werden. Es gefiel ihm so, wie es war. Aber das konnte sich niemand vorstellen, der nicht in seiner Haut steckte und das fühlte, was er empfand: reines, pures Glück, mit Nikki, dem fast 13jährigen Schulmädchen, zusammen zu sein. So mächtig, daß es ihm buchstäblich den Atem raubte, wenn er in ihre Augen sah. Aber er wollte sie weder bedrängen noch überfallen. Wahrscheinlich hatte sie schon Pläne für das Wochenende gemacht, und noch wahrscheinlicher spielte er keine Rolle darin. Deshalb beschloß er, den morgigen Samstag dazu zu benutzen, um sich nach einer neuen Wohnung umzusehen. Mit seinen privaten Dingen wollte er Nikki nicht belasten. Sie sollte seine Wohnung erst dann sehen, wenn sie bereit dafür war und wenn die Wohnung so eingerichtet war, daß nichts mehr an Bernds frühere Familie erinnerte. Ein völlig neuer Anfang. Und so gingen sie nebeneinander, körperlich nah beieinander, gedanklich weit voneinander entfernt, auch wenn sich beider Gedanken um das gleiche Thema drehten. Sie schauten in die Schaufenster, redeten über die Materialien der Dinge, die sie sich ansahen, bewunderten besonders schöne oder ausgefallene Gegenstände, bis es langsam Zeit wurde, an die Heimfahrt zu denken. Schweigend gingen sie nebeneinander zu dem Parkplatz, auf dem Bernds Wagen stand, beide aus unterschiedlichen Gründen sehr nervös und angespannt. Nikki, weil sie Bernd fragen wollte, ob sie sich morgen sehen würden, und Bernd, weil er Nikki nicht fragen wollte, ob sie sich morgen sehen würden. Beide stiegen schweigend in den Wagen ein. Bernd startete den Motor und fuhr los. Als er in eine Seitenstraße einbog und beschleunigte, sah Nikki ihn an und räusperte sich kurz. "Irgendwelche Pläne für morgen?" fragte sie zwischen Nervosität und Hoffnung. Bernd drehte schnell seinen Kopf zu ihr und erkannte ihren Zwiespalt sofort. Sein Herzschlag beschleunigte sich. "Noch keine bestimmten", antwortete er, um ihr alle Möglichkeiten offenzuhalten. "Hast du schon welche?" "Vielleicht", meinte sie unbestimmt. "Aber nichts Wichtiges." Bernd hörte die unausgesprochene Einladung und konnte sie kaum glauben. Sie hatte nichts vor! Er kam ihr einen Schritt entgegen. "Sag Bescheid, wenn du fünf Minuten für mich übrig haben solltest", lächelte er das Mädchen an. Nikki lächelte zurück, plötzlich voller guter Laune. Sie holte so tief Luft, wie sie nur konnte. "Bescheid. Bescheid. Bescheid. Bescheid. Bescheid. Bescheid. Bescheid. Bescheid. Be-" "Hey!" lachte Bernd aufgekratzt. "Stop! Ich sag es anders, Nikki. Sag Bescheid, wenn du eine Stunde für mich übrig hast." "Okay!" grinste Nikki. " Bescheid. Bescheid. Bescheid. Bescheid. Bescheid. Besch-" "Warte!" unterbrach Bernd sie ungläubig. Er schaltete die Warnblinkanlage an, fuhr rechts ran und hielt, dann drehte er sich zu Nikki. "Hast du den ganzen Tag für mich Zeit, Nikki? Willst du mir das sagen?" Nikki lächelte schüchtern und nickte unmerklich. "Ja", antwortete sie leise. Das Glück, das sie in Bernds Augen sah, spiegelte ihr eigenes Gefühl wider, nun, da die Frage heraus war. Sie sah, daß Bernd tief einatmete, sah seine Hand, die wieder zu ihr ging, doch diesmal griff Nikki danach und hielt sie fest, bevor Bernd sie zurückziehen konnte. "Ich muß morgens noch was tun, aber ab zehn hab ich Zeit. Den ganzen Tag. Samstag und Sonntag." "Wieder bis sieben?" fragte Bernd überglücklich. Nikki schüttelte den Kopf. "Länger." Sie spürte Bernds Daumen sich über ihre Hand bewegen; so sanft, daß es wie das zarte Streicheln eines kleinen Kätzchens war. Ihr wurde wieder ganz warm, und bewegt schloß sie ihre Finger fester um seine. "Ich muß für meine Mutter noch das Essen vorbereiten. Für Samstag und Sonntag. Ich muß erst um zehn wieder zu Hause sein. Oder elf. Ist egal." Nikki hoffte, daß nichts von ihren privaten Problemen mitklang. Das wollte sie Bernd so lange wie möglich ersparen. Und sich selbst natürlich auch. Bernd hatte die Untertöne jedoch gehört und dachte sich seinen Teil, doch wie Nikki war er der Meinung, daß Probleme in diesem Moment nichts bei ihnen zu suchen hätten. "Was hältst du dann von einem Ausflug ins Phantasialand?" fragte er hoffnungsvoll. "Kennst du das?" Schlagartig setzte Nikki sich auf, ihre Augen leuchteten. "Klar!" rief sie begeistert. "Wir waren da vor zwei Jahren, mit der ganzen Klasse!" Aufgeregt beugte sie sich zu Bernd. "Fahren wir wirklich da hin?" "Um Punkt zehn Uhr geht's los", versprach Bernd ihr. Alles in ihm drängte danach, Nikki zu küssen und im Arm zu halten, doch er bremste sich und strich nur weiter über ihre kleine, warme Hand. "Mußt dich aber nicht abhetzen, Nikki. Ich warte gerne auf dich." Nikki hatte den plötzlichen Impuls in seinen Augen erkannt und war erschrocken, sie sah jedoch auch, daß Bernd diesen Impuls sofort unterdrückte. Was für ein Gegensatz zu Markus, dachte sie überwältigt. Wenn der diesen Impuls im Auge hatte, ging es eine Sekunde später auch schon los, und sie hatte alle Hände voll zu tun gehabt, seine Finger aus tieferen Regionen als ihrem Bauch fernzuhalten. Ihr Gefühl für Bernd schwappte über, als sie ihn ansah. "Ich hetz mich aber gerne ab", lächelte sie schüchtern. "Zehn Uhr?" "Viertel nach", lächelte Bernd. "Damit du dir Zeit läßt." Gerührt drückte Nikki seine Hand und ließ sie erst dann mit Bedauern los, als Bernd den Wagen mit der linken Hand anließ, weil hinter ihnen ein Auto hupte. Bernd ließ seine Hand am Lenkrad oder an dem Schaltknüppel, so daß Nikki seine Hand nicht mehr festhalten konnte, was ihr sehr leid tat, wie sie erstaunt feststellen mußte. Erst bei ihr zu Hause hatte sie wieder die Gelegenheit dazu. Bernd drehte den Zündschlüssel herum und drehte sich zu Nikki. "Bis morgen, Nikki", sagte er zärtlich. "Ich liebe dich." "Bis morgen." Sie streckte ihre Hand aus. "Zehn Uhr." Bernd ergriff ihre Hand und streichelte sie wieder sanft. "Viertel nach." Nikki erwiderte das Streicheln unmerklich. "Zehn." Bernd legte seine linke Hand auf ihre und hielt sie fest wie einen zarten Schmetterling. "Viertel nach." Nikki schob ihre andere Hand zwischen seine und grinste. "Nein, um zehn!" Bernd drückte ihre Hände in einer plötzlichen Gefühlsaufwallung. "Ich liebe dich so sehr, Nikki", sagte er leise. "Ich bin um zehn Uhr hier." "Okay." Sie wurde etwas rot. Sie öffnete die Tür und hob ihren Rucksack auf. Sie drehte ihren Kopf zu ihm und schwang das rechte Bein aus dem Wagen heraus. "Bis morgen, Bernd", sagte sie leise. Mit einem Satz war sie draußen, schlug die Tür zu und rannte zum Haus. Sie schloß die Tür auf, sprang hinein, drehte sich um und winkte ihm zu, dann rannte sie die Treppen hinauf. Bernd wartete, bis die Feuchtigkeit in seinen Augen sich verflüchtigt hatte. Erst dann startete er den Porsche und fuhr glückselig in die Stadt, um zu Abend zu essen.
* * *
Beim Abendessen sah Nikki, daß ihre Mutter ihren neuen Ring bemerkte, doch ihr Blick glitt gleichgültig darüber. Nikki war es zwar gewöhnt, von ihrer Mutter geschnitten zu werden, doch sie wußte noch immer nicht, warum. Sie überlegte hin und her, während sie in ihrem Essen herumstocherte, ob sie einfach mal nach dem Grund fragen sollte, und entschied sich wie jedesmal dagegen. Der Zustand zwischen ihnen erschien Nikki zu empfindlich, um ihn durch eine Frage zu stören und eventuell zur Explosion zu bringen. Sie seufzte unhörbar und aß weiter. Sie bekam immerhin ein sehr großzügiges Taschengeld von ihrem Vater, was ihre Mutter Unterhalt nannte. Von diesem Geld mußte sie jedoch ihre Kleidung und die Schulbücher selbst bezahlen, wie auch alles andere, was sie für sich brauchte. Ihre Mutter zahlte nur die Wohnung und das ganze Drumherum, und das Essen sowie die Getränke. Was Nikki jedoch für die Bewirtung ihrer eigenen Gäste verbrauchte, mußte sie selbst bezahlen. Nikki hatte schon früh herausgefunden, daß preiswerte Kleidung sich nicht lohnte, weil die schneller kaputtging. So kaufte sie sich teure Kleidung, aber nur so viel, daß sie gerade von einem Waschtag zum nächsten reichte. Von den fünfhundert Mark, die sie monatlich von ihrem Vater bekam, sparte sie die Hälfte direkt, wenn das Geld eintraf und ihr von ihrer Mutter in bar ausgehändigt wurde, dann kaufte sie sich eine Bluse oder eine Hose oder ein Paar Schuhe, und den Rest behielt sie den ganzen Monat über bei sich, um die Kleinigkeiten zu bezahlen, die täglich so anfielen: Eis, Cola, ein Schulbrot zwischendurch, etwas zum Knabbern. Wenn das nächste Geld eintraf, zahlte sie das, was noch übrig war, auf ihr Sparbuch ein und begann den neuen Monat wie den alten. So ging das schon seit fünf Jahren, seit ihrem achten Geburtstag. Nikki hatte auf die harte Tour lernen müssen, mit Geld auszukommen: sie hatte in kindlichem Leichtsinn alles von ihrem ersten Geld in einer Woche ausgegeben und sich am neunten Tag des Monats die einzige Hose aufgerissen, genau am Po. Alle Kinder hatten sich über sie lustig gemacht, weil ihre Unterhose durch den Riß zu sehen war. Eine mitleidige Lehrerin hatte dies schließlich bemerkt und ihr die Hose genäht. Den Rest des Monats mußte Nikki ohne Cola, ohne Hamburger, ohne Dauerlutscher und ohne Schokolade auskommen. Diese Lektion saß. Gründlich und sehr tief. Im Lauf des nächsten Jahres stockte Nikki den Inhalt ihres Kleiderschrankes auf. Anfangs kaufte sie sich billige T-Shirts und Hosen, doch ziemlich schnell erkannte sie, daß der Stoff rauh wurde und ausfaserte, daß die Nähte einfach nicht sauber waren und nicht hielten, daß die Farben nach zwei Wäschen verblaßten. So schwenkte sie auf Markenware um, von der sie sich monatlich zwei Teile kaufte, bis ihre Garderobe komplett ausgewechselt war und nur noch aus guten, haltbaren Sachen bestand, die nicht nach den ersten Wäschen die Farbe verloren. Außerdem fing sie das Sparen an; die Erfahrung, kein Geld mehr zu haben, war tief eingebrannt. Es ging sogar so weit, daß sie, wenn sie das Geld für den neuen Monat in den Händen hielt, nicht lange überlegte, ob sie das Geld des Vormonats verschleudern sollte, sondern es so schnell wie möglich auf ihr Sparbuch brachte. Daran hielt sie sich bis zum heutigen Tag. Schweigend und in Gedanken versunken aßen Nikki und ihre Mutter zu Ende, dann räumte Nikki das Geschirr in die Küche und ging an ihre tägliche Hausarbeit. Als diese beendet war, kamen die Schulaufgaben dran, mit denen sie um halb zehn fertig war. Sie wusch sich nur flüchtig im Bad, da sie am nächsten Morgen gründlich baden wollte, und fiel müde ins Bett. Sie warf ihrer linken Hand und dem Ring noch einen letzten Blick zu, dann schaltete sie das Licht aus und schloß die Augen. Sekunden später schlief sie tief und fest.
Bernd hätte liebend gerne mit Nikki getauscht, wenn er gewußt hätte, wie still und leise es bei ihr zuging. Denn bei ihm zu Hause trat genau das ein, was er befürchtet hatte: Frau und Söhne redeten gleichzeitig, aufgeregt und vorwurfsvoll auf ihn ein, bis Bernd schließlich seine Koffer packte und in ein Hotel fuhr, in dem er die Nacht verbrachte. Spätestens am Montag wollte er sich dann nach einer Wohnung umsehen.
Nikki hatte den Wecker auf sieben Uhr gestellt. Sie erwachte beim ersten Piepsen und schaltete ihn schnell aus, bevor ihre Mutter davon wach wurde. Sie zog sich ein langes T-Shirt an, band die langen Haare zu einem Pferdeschwanz, ging erst ins Bad und dann in die Küche. Aus den Vorräten zauberte sie für den Samstag überbackene Nudeln, und für den Sonntag ein Schnitzel mit Kartoffeln und Blumenkohl. Während sie noch mit den ganzen Vorbereitungen beschäftigt war, kam ihre Mutter herein, grußlos wie immer. Nikki machte ihr schnell zwei Scheiben Schwarzbrot. Ihre Mutter sah ihr reglos zu, nachdem sie sich Kaffee eingeschüttet hatte, den Nikki schon vorbereitet hatte. Als die Brote fertig waren, legte Nikki sie ordentlich auf einen Teller, den sie ihrer Mutter gab. Sie nahm ihn entgegen, ohne Nikki auch nur anzusehen, und begann zu essen. Nikki machte mit dem Nudelauflauf weiter. "Ich bin heute und morgen tagsüber nicht da", sagte sie beiläufig. "Ich leg dir einen Zettel hin, wie lang was in der Mikrowelle warmgemacht werden muß." "Gut." Was genau gut war, ob ihre Mutter ihre Abwesenheit oder das Essen meinte, wußte Nikki nicht. Es war ihr aber auch ziemlich gleichgültig geworden. Aus einem plötzlichen Gefühl heraus drehte sie sich blitzschnell um und erhaschte gerade noch einen Blick voller Haß, der auf sie gerichtet war. Sie erschrak und ließ den Holzlöffel fallen, mit dem sie die Nudeln in der Auflaufform verteilt hatte. Schnell bückte sie sich, hob ihn auf, wischte das Wasser mit einem Papiertuch vom Boden ab und spülte den Löffel unter fließendem Wasser ab. Als sie fertig war, stellte ihre Mutter gerade den leeren Teller auf den Küchenschrank. "Würde es dir eigentlich was ausmachen", fragte Nikki leise, "wenn ich abends nicht mehr nach Hause kommen würde? Oder wenn ich nicht gar mehr da wäre?" Ihre Mutter schaute sie nicht einmal an, als sie gleichgültig "Nein" antwortete. Sie ging hinaus und ins Bad, um sich fertigzumachen. Nikki kämpfte die aufsteigenden Tränen zurück und dachte krampfhaft an Bernd und das Phantasialand, das auf sie beide wartete. Trotzdem konnte sie nicht verhindern, daß zwei Tränen den Weg nach draußen fanden und langsam und schmerzend über ihre Wangen rollten.
Um halb neun fiel die Wohnungstür ins Schloß. Nikki schüttelte sich heftig und atmete tief durch. Sie schlich leise durch die Wohnung, um sich zu überzeugen, daß sie wirklich alleine war, dann kontrollierte sie noch einmal die Küche. Das fertige Essen für ihre Mutter stand im Kühlschrank, an der Mikrowelle hing der Zettel mit den Anweisungen. Nikki seufzte erleichtert und lief in ihr Zimmer. Sie löste das Gummiband an ihrem Kopf und ließ die Haare fallen, zog das T-Shirt aus und suchte sich frische Wäsche heraus. Sie überlegte kurz, ob sie einen Rock anziehen sollte, entschied sich aber sofort dagegen. Sie erinnerte sich noch zu deutlich an Markus' Hände, als sie ihm mal im Rock gegenübergestanden hatte. Andererseits war es sehr warm draußen. Nikki wählte schließlich ein hellgrünes, ärmelloses T-Shirt mit dünnen Trägern und eine Jeansshorts, dazu weiße Söckchen und ihre fast neuen, weißen Turnschuhe, in denen sie erst ein paar Mal gelaufen war, aber immerhin schon so lange, daß sie keine Blasen mehr davon bekam. Sie breitete die Sachen ordentlich auf dem Bett aus, nahm noch eine frische Unterhose aus dem Schrank und lief damit ins Bad. Sie ließ das Wasser in die Wanne und ging noch einmal ausgiebig auf Toilette, bevor sie in die Wanne stieg und sich erst einmal gründlich einweichen ließ. Dann wusch sie sorgfältig Haare und Körper und blieb, nach einem Blick auf die kleine Uhr auf der Ablage unter dem Spiegel, noch ein paar Minuten entspannt liegen. Endlich rappelte sie sich auf, trocknete sich ab, föhnte die Haare besonders füllig und bürstete sie gründlich durch. Dann hüpfte sie aufgeregt in ihr Zimmer, zog sich die restlichen Sachen an und räumte noch ein bißchen auf. Um kurz vor zehn schnallte sie sich ihren Bauchbeutel um, in dem ihr Geld, eine kleine Haarbürste und ein Taschenspiegel verstaut wurde, verließ die Wohnung, schloß die Tür ab, steckte den Schlüssel zu den anderen Sachen und zog den Reißverschluß zu, während sie fröhlich die Treppe hinunterhüpfte. Sie öffnete die Haustür und hörte im gleichen Moment Bernd vorfahren. Ausgelassen sprang sie hinaus und winkte ihm zu. "Morgen!" "Morgen, Nikki!" Bernd stieg schnell aus, lief um den Wagen herum und hielt ihr die Tür auf. Nikki strahlte ihn an. "Danke!" Sie stieg ein, ließ sich in den Sitz fallen und schnallte sich an, während Bernd die Tür zufallen ließ und zu seiner Seite ging. Bernd sah ihr belustigt zu, wie sie etwas mit Gurt und Bauchbeutel kämpfte, doch schließlich saß alles richtig. "Fertig!" lachte Nikki ihn an. Bernd überflog ihr glückliches Gesicht, ihre bloßen Schultern, ihre schlanken Arme und Beine mit einem schnellen Blick. "Nikki!" seufzte er glücklich. "Du siehst bezaubernd aus!" Nikki wurde flammend rot und sah zu Boden. "Danke." Dann schaute sie wieder auf. "Ich fühl mich aber auch bombig heute!" "Das", lächelte Bernd munter, "klingt nach einem tollen Tag." "Ja!" Nikki hopste vor Aufregung im Sitz. "Fahren wir?" "Ja!" gab Bernd im gleichen Ton zurück wie sie. Nikki kicherte ausgelassen, als Bernd den Wagen anließ und losfuhr. Der mühsame Morgen, der Blick voller Haß, die Depression, die ihre Mutter in ihr ausgelöst hatte, all das war mit einem Schlag fortgewischt. Sie war nur noch putzmunter und aufgekratzt. Bernd brauchte knapp zwanzig Minuten bis zum Phantasialand, dessen Parkplätze schon gut gefüllt waren. Sie mußten ein paar Minuten laufen, doch schließlich standen sie vor dem Eingang Chinatown. Nikki zog ihre Geldbörse heraus, um für sich zu bezahlen, wurde aber von Bernd sogleich daran gehindert. "Du bist herzlich eingeladen, Nikki", sagte er so lieb, daß ihr ganz warm im Bauch wurde. "Behalt dein Geld ruhig." Überwältigt ließ sie Bernd bezahlen und verglich ihn zum tausendsten Mal in den letzten drei Tagen mit Markus. Und wie jedesmal gewann Bernd auch dieses Mal. Ein warmes Gefühl ließ sie ihren Kopf drehen. Überrascht sah sie zu ihrer rechten Hand, die sich ohne ihr Wissen in Bernds linke Hand geschlichen hatte und sie festhielt, doch die Überraschung wandelte sich sofort in ein wohliges Gefühl, als Bernd auch seine Finger um ihre Hand schloß und sie so verliebt ansah, daß ihr ganz schwindelig wurde. Er sagte kein Wort, aber sein Blick drückte sehr viel mehr aus, und sehr viel deutlicher. Nikki lächelte mit feuchten Augen zurück, als sich der Schwindel in ihrem ganzen Körper ausbreitete. Dann, wie auf Kommando, sahen beide wieder nach vorne. Nikki entdeckte sofort die Bobbahnen. "Fahren wir da mit?" fragte sie ganz aufgeregt, ihrem Alter entsprechend. "Deswegen sind wir hier", lachte Bernd sie an. "Aber schimpf bitte nicht mit mir, wenn mir nach der Fahrt etwas übel ist." "Ach was!" meinte Nikki selbstsicher. "Das schaffen wir schon!" Sie zog ihn zum Eingang der Bobbahn, wo sie etwas mehr als fünf Minuten warten mußten, bevor sie einsteigen konnten. Aufgeregt schnallten sie sich an. Kurze Besorgnis schoß durch Nikkis Gedanken, als sie sich fragte, ob Bernd sie wohl an den bloßen Beinen anfassen würde, doch als sie seinem Blick begegnete, verschwand diese Sorge sofort. Die nachfolgende Fahrt gab ihrem Vertrauen recht. Bernd berührte sie nur, wenn es nicht anders ging, wie zum Beispiel in den engen Kurven, in denen sie durchgeschüttelt und hin und her gewirbelt wurden. Sie merkte sogar, daß er sich bemühte, sie nicht zu berühren, was aber einfach nicht möglich war. Das warme Gefühl in ihr wurde mit jeder Minute stärker und stärker. Nach dieser ersten Fahrt hatte Nikki Blut geleckt. Die Geschäfte, Buden und Attraktionen interessierten sie nicht die Bohne, wie sie selbst sagte. Sie wollte Aufregung haben, Nervenkitzel, und Spaß. Deswegen ging es gleich weiter zur Geister-Rikscha, in der Nikki alles zusammen bekam. Die Wagen, in denen sie saßen, hatten drei Plätze, aber nur die beiden äußeren wurden besetzt. Den Grund erkannte Nikki, als sich die Wagen nach kurzer Fahrt plötzlich zur Seite drehten und sie in einer Glasscheibe ihr eigenes Spiegelbild und das von Bernd sah. Und das von einem Skelett, das grinsend zwischen ihnen saß. Nikki schrie gellend auf und wollte zu Bernd, doch der Gurt hielt sie fest. Panisch nestelte sie an ihrem Gurt herum, als die Wagen sich schon wieder in Fahrtrichtung drehten. Mit weit aufgerissenen Augen schaute sie Bernd an, der laut und herzhaft lachte. Das brachte Nikki wieder auf den Boden zurück. Sie erkannte plötzlich, wie der Trick ging, und mußte mitlachen. Sie faßten sich an den Händen und drückten sie kräftig. Bernd beugte sich zu ihr, so weit der Gurt es erlaubte. "Ich liebe dich, Nikki", flüsterte er. Nikki nickte leicht. "Ich hab dich auch gern", sagte sie ebenso leise. Die Dunkelheit gab ihr den Mut, sowohl das zu sagen als auch Bernd zu duzen. Bernd hob ihre Hand zu seinem Mund und gab ihr einen so leichten Kuß auf die Finger, daß Nikki wieder ganz schwindelig wurde. Ein plötzlicher Ruck, der durch den Wagen ging, erschreckte beide, und das helle Sonnenlicht, das hinter den soeben durchfahrenen Türen schien, blendete sie so stark, daß sie ihre Augen zusammenkneifen mußten. Mit einem Ruck hielten die Wagen. Bernd hielt Nikkis Hand fest und half ihr aussteigen, dann wollte er sie loslassen, aber Nikki dachte nicht daran, ihre Finger zu öffnen. Sie lächelte Bernd an und ging neben ihm und an seiner Hand weiter zum 3D-Kino, das nur ein paar Schritte entfernt war. Auch hier mußten sie ein paar Minuten warten, bis die nächste Vorstellung begann. Sie betraten die runde Kuppel und stellten sich mitten in den Raum. Das Kino füllte sich sehr schnell. "Nikki?" fragte Bernd. "Du sagtest, du warst vor zwei Jahren schon mal hier. Warum hast du dich dann gerade so erschrocken?" "Weil ich damals nicht da drin war", antwortete Nikki mit einem verlegenen Grinsen. "Ich hab nur was von Geistern gelesen, und das war's dann. Ich bin da nicht reingegangen!" "Du bist einmalig!" lachte Bernd und hob den Arm, um Nikki an sich zu ziehen, doch er unterbrach die Bewegung und ließ den Arm wieder sinken. Nikki bemerkte dies. Sie war sich jedoch ganz und gar nicht schlüssig, ob sie nun froh sein sollte oder traurig, weil er sie nicht in den Arm genommen hatte. Der beginnende Film lenkte sie jedoch schnell ab. Es begann mit einer rasanten Verfolgungsjagd. Die Menschen in dem Kino schwankten bald vor, bald zurück, mal nach rechts, mal nach links, so wie die Autos auf der Leinwand fuhren. Es war so realistisch, daß sich niemand dem Eindruck, in einem verfolgenden Wagen zu sitzen, entziehen konnte. Bei einem besonders riskanten Bremsmanöver stolperte Nikki nach vorne. Bernd bemerkte es sofort, warf seinen Arm um sie und hielt sie fest, um sie zu stützen. Das war ein großer Fehler, wie beide sofort feststellen mußten. Für sich alleine konnte jeder die Schwankungen, die der Körper unwillkürlich vollführte, ausgleichen, aber zu zweit, Arm in Arm, war das nicht mehr möglich. Die Wagen auf der Leinwand gingen mit Höchstgeschwindigkeit in eine langgezogene Linkskurve, Bernd und Nikki lehnten sich instinktiv nach links, verloren das Gleichgewicht, und Bernd kippte um. Im Fallen brachte er Nikki aus ihrer Balance, da er an ihr instinktiv Halt gesucht hatte. Nikki stieß einen erschrockenen Ruf aus und fiel quer über ihn. Sofort spürte sie, wie Bernd sie von sich schob und ihr aufhalf. Ihr Herz raste vor Schreck, als sie aufstand, und ihr Gesicht war rot vor Verlegenheit, da um sie herum alle Leute über ihr Mißgeschick lachten. Aber es war kein böses Lachen, wie sie feststellte, als Bernd auch aufstand und mitlachte. Sie überwand sich und stimmte in das Lachkonzert ein. Den Rest des Filmes hielten sie weder Händchen, noch berührten sie sich. "Es tut mir wirklich leid", entschuldigte Bernd sich zum dritten Mal, als der Film vorbei war und sie wieder auf dem Platz vor dem Kino standen. "War doch keine Absicht!" verzieh Nikki ihm großzügig. "Es sind ja noch ein paar Leute umgefallen." Sie streckte ihre Hand aus. "Weiter?" "Liebend gerne." Bernd nahm ihre Hand an und marschierte mit ihr zur Wildwasserbahn. Die Schlange vor dem Eingang war ziemlich lang, so daß sie etwa zehn Minuten warten mußten. Sie verbrachten diese Zeit damit, sich an den Händen zu halten und sich mit den Daumen sanft zu streicheln. Schließlich waren sie an der Reihe, einzusteigen. Der als Baumstamm aufgemachte Wagen schaukelte leicht, als er losfuhr. Diesmal hielten sie sich an den Händen, um die leichte Nervosität zu unterdrücken, die der schwankende Baumstamm auslöste. Aber dies war schnell vergessen, als es die erste Abfahrt hinunterging und das Wasser vor ihnen und um sie herum so stark aufspritzte, daß sie ziemlich naß wurden. Lachend warf Nikki sich an Bernd, der sie instinktiv festhielt und an sich drückte. Die Berührung ihrer warmen, bloßen Schulter versetzte ihm einen Schock. Schnell ließ er Nikki wieder los, die ihn etwas enttäuscht anschaute und sich wieder gerade setzte. Demonstrativ griff sie nach seiner Hand und hielt sie mit beiden Händen fest. Bernd spürte, was sie wollte: Nähe. So sehr auch er dies wollte, hatte er doch etwas Angst davor, denn sie war erst 13. Und selbst das würde sie erst in zwei Wochen werden. Genauer gesagt: er hatte Angst vor der Reaktion der Umwelt. Kaum gedacht, war es auch schon vorbei. Dies war ein Vergnügungspark, in dem Eltern mit ihren Kindern für eine gewisse Zeit die Wirklichkeit vergessen konnten; wer unter all den Menschen hier würde auch nur ahnen, daß er und Nikki nicht verwandt waren? Wer konnte es überhaupt ahnen? Solange Nikki es wollte, und solange ihr Gesicht, ihre ganze Haltung Zustimmung ausdrückte, konnte nichts passieren außer den Gedanken und Bildern, die seine Furcht und seine Vorbehalte in sein Bewußtsein schickten. In der nächsten Kurve wurde Nikki gegen ihn geschleudert. Sofort warf Bernd seinen Arm um sie und hielt sie diesmal fest, ohne sie wieder loszulassen. Nikki strahlte ihn glücklich an. Bernd unterdrückte Furcht und Vorbehalte und konnte es nun zum ersten Mal genießen, das Mädchen im Arm zu halten. Nikki quietschte auf, als nach einem weiteren Abhang eine Wasserfontäne auf sie zuschoß, und drückte sich noch mehr an Bernd, um ihr auszuweichen, doch vergeblich. Beide bekamen eine gute Portion Wasser ab. Sie schauten sich an, lachten los und drückten sich herzhaft. Als die Fahrt vorbei war, spendierte Bernd eine Runde Eis. Mit den Hörnchen setzten sie sich auf eine der vielen kleinen Mauern am Wegrand, aßen das Eis und ließen ihre feuchte Kleidung von der Sonne trocknen. "Das ist ein ganz toller Tag, Bernd", sagte Nikki, als sie ihr Hörnchen vertilgt hatte. Sie wischte ihre Hände an der Serviette ab und schaute ihn dankbar an. "Bist du nicht böse, daß ich dich im Arm gehalten habe?" fragte Bernd etwas besorgt. "Nein." Nikki lächelte ihn beruhigend an. "Ganz und gar nicht. Das war..." Ihr Blick verlor sich, als sie sich den Mund abwischte und die Serviette danach zusammenfaltete. "Das war irgendwie komisch", überlegte sie laut. "Ich hatte das Gefühl, wenn ich mich bewege, daß du dann den Arm weggenommen hättest." Sie schaute ihn wieder an. "Kann das sein?" "Ja, Nikki." Auch Bernd säuberte Finger und Mund, faltete seine Serviette zusammen, ließ sich von Nikki ihre geben und brachte sie zur nächsten Mülltonne. Nikki ging schweigend neben ihm her und sah ihn forschend an. "Vor vielen Jahren habe ich mal ein Foto gesehen", sagte Bernd dann. "Es zeigte ein Mädchen und einen Jungen, beide so um die 16 Jahre alt. Der Junge küßte das Mädchen auf die Wange, aber das Mädchen wollte nicht geküßt werden. Sie wollte den Kopf wegdrehen, aber der Junge hat ihn festgehalten und sie trotzdem geküßt. Ihr ganzes Gesicht war völlig gequetscht und verspannt." Er sah Nikki ernst an. "Kannst du dir sowas vorstellen?" "O ja", erwiderte Nikki. "Sehr gut sogar." "Das Bild habe ich gesehen, als ich zwanzig war. Oder so um den Dreh." Er lächelte schief. Nikki griff nach seiner Hand und hielt sie fest, ihre Augen waren auf Bernds Gesicht gerichtet. "Erst durch dieses Bild habe ich kapiert, daß Zärtlichkeit zwischen zwei Menschen immer von beiden kommen muß. Und auch, daß jeder Mensch die Ablehnung eines anderen Menschen, wenn es um Zärtlichkeiten geht, akzeptieren muß." Er strich mit dem Daumen über Nikkis Hand. "Deswegen habe ich dich so festgehalten, Nikki. Du solltest das Gefühl haben, daß du jederzeit von mir weg kannst." "Genau das Gefühl hatte ich. Fahren wir damit?" Sie deutete auf den Kodak Tower. Bernd musterte das Karussell mißtrauisch. Er beobachtete, wie die ganzen Wagen auf einmal zwanzig Meter in die Luft gehoben wurden und urplötzlich einige Meter nach unten sackten. Schon vom Zuschauen spielte sein Magen verrückt. "Mach du mal besser alleine", entschied er sich schnell. "Das würde meinem Frühstück gar nicht gut bekommen." "Alleine?" Nikki schaute ihn enttäuscht an. Plötzlich hatte sie Angst, daß Bernd genau wie Markus verschwunden sein würde, wenn sie etwas alleine unternahm. "Ich vertrage das wirklich nicht", entschuldigte Bernd sich. "Fahr ruhig mit, Nikki. Ich warte hier auf dich." "Wirklich?" vergewisserte sie sich. Bernd sah die Sorge in ihren Augen. "Ja, Nikki", versprach er ihr. "Ganz ehrlich. Ich laß dich nicht alleine hier zurück." Er legte seine Hand auf ihre Schulter. "Was hat dieser Markus dir bloß angetan, Nikki?" "Nicht viel", gestand sie verlegen. "Nur ziemlich oft hängenlassen." "Verstehe." Bernd blickte sie mitfühlend an. "Dann nimm das hier als Pfand mit." Er griff in seine Hosentasche und gab Nikki den Schlüssel vom Porsche. Ungläubig starrte Nikki auf den Schlüssel in ihrer Hand. Markus war ausgerastet, als sie den Schlüssel von der Kawa nur mit den Fingerspitzen berührt hatte, und Bernd gab ihr seinen Schlüssel einfach so, ohne viel Umstände. "Steck ihn gut weg", lächelte Bernd. "Und jetzt los mit dir." Er gab ihr einen sanften Schubs auf das Karussell zu. Perplex verstaute Nikki den Schlüssel in ihrem Bauchbeutel, zog den Reißverschluß wieder zu und ging mechanisch auf den Kodak Tower zu. Immer wieder schaute sie zu Bernd zurück, doch der stand jedes Mal an der gleichen Stelle. Wie eine Marionette ging sie zu einem der freien Sitze, warf sich hinein und schloß den Riegel, die Augen nach wie vor auf Bernd gerichtet, der ihr fröhlich zuwinkte. Auch als das Karussell sich in Bewegung setzte, verlor sie ihn nicht aus den Augen, doch er blieb stehen, wo er war. Langsam verschwand die Angst in ihr, und sie begann, die wilde Fahrt zu genießen. Bernd sah ihre Haare flattern, wenn die Plattform, auf der die Wagen waren, plötzlich absackte, und er hörte ihre fröhlichen Schreie. 'Gott, was liebe ich sie', dachte er mit feuchten Augen, als Nikki nach der Fahrt fröhlich auf ihn zurannte. Er streckte seine Arme aus, Nikki flog hinein, Bernd wirbelte sie zwei-, dreimal herum und stellte sie dann wieder auf ihre Füße. "Hast ja doch gewartet!" sagte sie überglücklich und drückte sich an ihn. Bernd legte beide Arme um sie und hielt sie fest. "Ich laß dich nicht alleine, Nikki", versprach er ihr. "Niemals." Er fuhr zärtlich durch ihre Haare. Nikki kuschelte sich mit ihrer Wange an seine Brust und drückte ihn kräftig, dann ließ sie ihn los. Sofort ließ Bernd seine Arme fallen. "War's denn schön?" "Ja!" Ihre Augen strahlten. "Das war wie Abstürzen!" Sie griff nach seiner Hand. "Weiter!" Sie gingen zu einer Attraktion, die Bernd besonders gut gefiel: das schiefe Haus. Es war ein Gebäude, in dem Wände, Decken und Fußböden vollkommen schief und aus der Perspektive waren, so stark, daß Wasser bergauf floß und Kugeln nach oben rollten. Nikki hatte einen Heidenspaß bei der Führung, auch wenn der Verstand das ganze System nicht mehr erfassen konnte. Vorsichtig und Schritt für Schritt tasteten sie sich lachend durch die einzelnen Räume, bis sie wieder draußen waren. "Irre!" strahlte Nikki und strich sich die Haare zurück. "Was jetzt?" Bernd schaute auf die Uhr. "Zeit für's Mittagessen", schlug er vor. "Worauf hast du Hunger?" "Weiß nicht." Nikki schaute sich aufmerksam um, als sie weitergingen. "Doch!" rief sie plötzlich aus und deutete auf einen Verkaufsstand, an dem man auch sitzen konnte. "Pizza!" Sie zog Bernd zu dem Stand, wo sie schon einmal die Pizza aussuchten, während sie in der kurzen Schlange warteten. Knapp zehn Minuten später saßen sie an einem der vielen Tische und ließen es sich schmecken. "Das tat gut", seufzte Nikki zufrieden, als sie fertig war. Bernd war nicht ganz so schnell wie sie; er hatte mehr auf sie geachtet als auf sein Essen. Während er schnell aufaß, beobachtete Nikki ihn zur Abwechslung. Sie bemerkte seine ordentliche, saubere Art, zu essen, die sich sehr von Markus' Art, das Essen in sich reinzustopfen, abhob, spürte seine Ruhe und Sicherheit, die auf sie wirkte wie ein beschützender Mantel. Wieder stieg dieses warme Gefühl in ihr auf und füllte sie bis zum Rand. Sie war zwar noch immer etwas erstaunt darüber, daß Bernd und sie nun Freunde waren, aber es gefiel ihr weitaus besser als die sogenannte Freundschaft mit Markus, die doch nur darin bestand, daß sie seine Finger von ihrem Körper abwehren mußte. Sie mußte etwas lächeln, als sie daran dachte, daß es bei Bernd genau andersherum war: sie mußte ihn praktisch auffordern, sie zu berühren, an der Hand zu halten, in den Arm zu nehmen. Bernd sah ihr stilles Lächeln und griff nach ihrer Hand. "Glücklich?" fragte er leise. Nikki nickte mit plötzlich feuchten Augen. "Sehr!" flüsterte sie. Sie nahm seine Hand zwischen ihre. "Ich hatte erst etwas Angst, als du fragtest, ob wir Freunde sein können", gestand sie, "aber jetzt kommt mir das total unwichtig vor. Ich meine, daß wir so unterschiedlich alt sind." "Mir auch", lächelte Bernd. "Das war schon so, als ich dich das erste Mal gesehen habe." "Und ich hab dich so beleidigt." Nikki verzog ihr Gesicht und senkte den Kopf. "Das hast du nicht", sagte Bernd schnell. "Das ist vergessen und vorbei, Nikki. Ich mach mir allerdings immer noch etwas Vorwürfe, daß ich dich so belogen habe." "Mußt du nicht", versicherte Nikki. "Bin ich jetzt sogar froh drüber. Sonst wäre ich ja jetzt nicht hier mit dir." Das warme Gefühl wurde unglaublich stark und gab ihr Mut. "Und wir wären nicht zusammen. Wir wären keine Freunde. Wo wohnst du denn eigentlich? Im Telefonbuch stehen zwei Adressen." "Beide stimmen", lächelte Bernd glücklich. "Und beide sind falsch." "Was?" Nikki schaute ihn entgeistert an. "Ganz einfach", lachte Bernd. "Die Firmenadresse stimmt noch bis Montag. Am Montag werde ich die Firma auf meine Söhne übertragen, und ab dann habe ich nichts mehr damit zu tun. Die Privatadresse stimmt seit gestern nicht mehr. Ich bin ausgezogen und wohne im Moment im Hotel. Sobald ich die Firma übertragen habe, gehe ich auf die Suche nach einer neuen Wohnung." "Ach so." Enttäuscht verzog Nikki ihr Gesicht. "Dann stimmen die Telefonnummern auch nicht mehr?" "Nein. Aber ich habe noch eine Nummer, unter der ich zu erreichen bin. Du stehst übrigens auch nicht im Telefonbuch." "Ja, weil Mutti anders heißt als ich." Nikki sah ihn hoffnungsvoll an. "Möchtest du meine Nummer haben?" "Sehr gerne, Nikki. Dafür bekommst du meine." "Super!" Nikki sprang auf und lief zum Stand, wo sie zwei Bierdeckel holte. "Hast du 'nen Stift?" Bernd reichte ihr einen Kuli. Nikki schrieb ihre Nummer auf und gab Bernd den Bierdeckel, dann nannte Bernd ihr seine Handynummer, die Nikki konzentriert aufschrieb. Glücklich verstaute sie den Bierdeckel in ihrem Bauchbeutel. "Bis wann kann ich dich denn anrufen?" "Wann immer du möchtest, Nikki. Ich gehe sehr spät schlafen und stehe schon sehr früh wieder auf." "Dann ruf ich dich heute abend an", versprach Nikki. "Dein Sprudel ist leer. Möchtest du auch noch was trinken? Ich hab noch Durst." "Ja. Ich hol eben was." "Nein." Nikki stand schnell auf. "Jetzt bin ich mal dran." Schnell lief sie zum Stand und bestellte neue Getränke. Mit zwei vollen Bechern kam sie zurück und stellte einen vor Bernd hin. "Guten Durst", grinste sie. "Danke, Nikki. Das ist lieb von dir. Bekommst du viel Taschengeld?" "Mehr als genug", lächelte Nikki, dann wurde sie etwas ernster. "Mutti bekommt Unterhalt für mich von meinem Vater. Sie gibt mir das Geld, und ich muß dafür alles kaufen, was ich brauche." "Wie lange sind deine Eltern denn schon auseinander?" fragte Bernd behutsam. "Ich kenne meinen Vater überhaupt nicht", sagte Nikki leise. "Mutti sagte einmal, er wäre ausgezogen, als ich ein Jahr alt war." "Hat sie denn seine Adresse?" "Ja", hauchte Nikki. "Ich - ich hab ihn vor zwei Jahren mal angerufen, weil ich ihn kennenlernen wollte." Eine Träne rollte aus ihrem Auge. "Er hat mich angeschrien, daß ich ihn in Ruhe lassen soll, und den Hörer aufgeknallt. Dann hab ich ihm einen Brief geschrieben, mit einem Foto von mir. Der kam drei Tage später zurück, in kleine Schnipsel zerrissen. Mein Foto war auch zerrissen. Da hab ich's kapiert." Sie atmete tief ein und aus, um sich wieder zu fangen. "Als dieser Brief zurückkam, hab ich tierisch geheult. Nicht nur, weil er mich nicht wollte, sondern weil... Ist ja auch egal." Sie schüttelte den Kopf und trank einen großen Schluck von ihrer Cola. "Ich möchte nicht mehr darüber reden, Bernd. Gehen wir weiter?" "Ja, Nikki. Tut mir leid, daß ich gefragt habe." Erschüttert streichelte er ihre Hand. "Schon gut", lächelte sie dünn. "Ich hätte es dir sowieso mal erzählt. Er schickt monatlich fünfhundert Mark, die Mutti mir gibt. Davon kaufe ich meine Kleidung und alles, was ich für die Schule brauche. Mutti hat mit der Bank gesprochen, daß ich auch zwischendurch mal Geld abheben darf. Zum Beispiel, wenn die neuen Schulbücher kommen. Die Hälfte tu ich immer gleich auf's Sparbuch, von dem Rest kaufe ich mir dann das, was ich brauche. Am Monatsende hab ich aber immer noch so siebzig, achtzig Mark über. Wenn das neue Geld kommt, pack ich das auch auf's Sparbuch." Sie lächelte plötzlich verschmitzt. "Der Mann, der mich mal heiratet, bekommt eine ziemlich große Aussteuer!" "Ach, Nikki!" lachte Bernd. "Glaubst du, darauf kommt es mir an?" Nikki schaute ihn mit großen Augen, dann wurde sie flammend rot und sah nach unten. "Es tut mir leid, Nikki", beeilte Bernd sich zu sagen. "Wie ich sagte: ich rede das, was ich denke." Nikki nickte nur, ohne aufzusehen. Bernd streichelte ihre Hand und stellte erleichtert fest, daß sie seinen Druck erwiderte. "Das ist es nicht", sagte sie leise. "Es... Ich hab Markus mal gesagt, daß ich ziemlich viel Geld auf dem Sparbuch habe, und er wollte es mir gleich abschwatzen, für ein größeres Motorrad. Aber alles in mir hat sich gesperrt, ihm Geld zu geben. Ich hab da wohl schon geahnt, daß das nicht lange hält." "Wann hast du ihn denn kennengelernt?" "Vor Ostern. Er stand vor der Schule und hat eine geraucht. Ich hab ihn gefragt, ob er mich mal ein Stück mitnimmt. Hat er auch getan. Ich fand das so geil, auf 'nem Motorrad zu fahren! Aber..." Sie brach verlegen ab. "Schon gut, Nikki", sagte Bernd sanft. "Du hast ja schon erzählt, was du dafür tun mußtest. Wollen wir austrinken?" "Ja." Sie tranken den Rest aus, warfen das Pappgeschirr in eine Mülltonne und gingen weiter. Nikki schmiegte sich direkt an Bernd, der seinen Arm um sie legte und das Mädchen an sich drückte. "Warum muß ich bei dir eigentlich nichts machen?" fragte sie leise. "Oder sammelst du alles, und am Schluß kommt die große Rechnung?" "Nein, Nikki." Bernd strich mit den Fingern leicht über ihre Schulter. "Du bist ein freier Mensch, wie alle anderen auch. Wenn du mich nicht mehr sehen möchtest, sagst du es einfach. Ich wäre zwar furchtbar traurig, weil ich dich wirklich liebe, aber ich müßte das respektieren. Und wie ich schon sagte, ist Zärtlichkeit etwas, was von beiden kommen muß. Wenn es dir unangenehm ist, daß ich deine Schulter streichle, sag es, und ich höre auf. Du wirst aber bei mir niemals etwas tun müssen, was du nicht möchtest, und als Gegenleistung für ein Geschenk schon mal gar nicht." Er blieb stehen und drehte Nikki zu sich herum. "So funktioniert Liebe nicht", sagte er ernst. "Liebe bedeutet Vertrauen, Zuneigung. Das kann man nicht kaufen. Man kann es sich nur gegenseitig schenken." Nikki hatte ihm gebannt zugehört. "Und woher weiß man, daß man liebt?" fragte sie leise. "Das sagt dir dein Gefühl. Wenn du spürst, daß du einen bestimmten Menschen sehr magst, wenn du deine gesamte Zeit mit diesem Menschen verbringen möchtest, wenn du vor dem Einschlafen und gleich nach dem Aufwachen und eigentlich immer an diesen Menschen denkst, dann bist du verliebt." "Und auch, wenn ich mich darauf freue, mit diesem Menschen etwas zu unternehmen?" fragte Nikki aufgeregt. "Wenn ich richtig kribbelig bin, weil er gleich kommt und mich abholt? Wenn die Zeit, bis er kommt, einfach nicht rumgeht? Wenn ich traurig bin, daß er wieder geht, weil ich nach Hause muß?" "Ja, das gehört alles dazu", lächelte Bernd. "Du hast keinen Appetit, wenn dieser Mensch nicht da ist, du singst plötzlich, wenn du an ihn denkst, du hast Lust, total verrückte Dinge zu machen... Das ist Verliebtsein." "Wow!" flüsterte Nikki überwältigt. "DAS ist das!" Sie schaute ihn mit glänzenden Augen an. "Und - und wenn da so ein ganz komisches, richtig warmes Gefühl in einem ist?" "So ein Gefühl, das im Magen beginnt und immer höher steigt?" lächelte Bernd. "Das die Kehle eng macht und dich glauben läßt, du platzt gleich vor Glück? Das die Augen feucht werden läßt, ohne daß du weißt, warum? Das ist Verliebtsein." "Das pack ich ja nicht!" Nikki griff nach seinen Händen und hüpfte vor Aufregung auf der Stelle. "Hast du so ein Gefühl?" "Rund um die Uhr", gestand Bernd lächelnd. "Jede einzelne Sekunde des Tages, Nikki. Weil ich jede einzelne Sekunde des Tages an dich denke. Weil ich dich liebe." "Und was ist", fragte Nikki atemlos, "wenn jemand sagt: 'Wenn du mich liebst, dann mußt du dies und das machen'?" "Das ist dann keine Liebe mehr, Nikki. Das ist reine Erpressung. Wenn dich jemand wirklich liebt, wird er akzeptieren, daß du Angst vor bestimmten Dingen hast, und er wird dich auf keinen Fall zwingen, sie zu tun. Zwingt er dich dennoch, oder versucht er, dich dazu zu überreden, liebt er dich nicht, sondern will dich nur ausnutzen." Nikki sah ihn mit großen Augen an. "Markus hat immer gesagt, wenn ich ihn lieben würde, würde ich auch mit ihm ins - ins Bett gehen." Sie wurde feuerrot bei diesem Satz. "Ich hab ihn ja schon etwas gemocht, aber das..." "Es ist gut, daß du es nicht getan hast", erwiderte Bernd sanft. "Dieser Satz ist ein Standardspruch, wenn ein Junge ein Mädchen rumkriegen will. Hat er erst einmal mit ihr geschlafen, wird sie uninteressant für ihn. Er läßt sie fallen und geht zur nächsten." Er strich Nikki über die Haare. "Jemand, der dich liebt, würde darauf warten, bis du bereit dafür bist. Er würde dich fragen, und wenn er merkt, daß du Angst davor hast, würde er es sein lassen und nicht mehr davon reden. Außerdem ist miteinander schlafen zwar sehr schön, aber nicht immer die beste Basis für eine Beziehung." "Wieso?" fragte Nikki unschuldig. "Ich dachte, Sex gehört dazu!" "Tut es auch, Nikki, aber nicht gleich von Anfang an." Bernd suchte einen Moment nach den richtigen Worten. "Sagen wir mal so: eine richtige Beziehung ist eine solche, in der das Mädchen und der Junge sich gegenseitig vertrauen und sich respektieren. Klar gehört eine gewisse Überredung dazu, aber das ist ein reines Spiel, gerade in deinem Alter. 'Gib mir doch einen Kuß!' - 'Nein, ich mag jetzt nicht!' - 'Och, komm, nur einen kleinen!'" Nikki kicherte, als sie Bernds verstellte Stimme hörte. "Das ist ein Hin und Her, das einfach dazu gehört, Nikki. Aber Druck in dieser Form, wie Markus es getan hat, wie viele Jungs und Männer es tun, gehört nicht mehr dazu. Druck ist keine Liebe mehr, sondern schon eine leichte Form von Gewalt. Und wenn es zum Sex kommt, weil vorher Druck ausgeübt wurde, ist der Sex nicht mehr schön, sondern nur noch unangenehm oder schmerzhaft. Genauso unangenehm wie eine Berührung an einer Stelle, wo du es überhaupt nicht magst." Nikki wurde rot, als sie an den Tag mit Markus dachte, wo sie einen Rock angehabt hatte. "Verstehe", sagte sie leise. "Aber wenn man sich mag, dann..." "Dann wird es auch irgendwann zum Sex kommen", sagte Bernd ruhig. "Nämlich genau dann, wenn beide bereit dafür sind. Ohne Druck von einer Seite. Es ist etwas, in das beide hineinwachsen, und mit dem beide dann auch umgehen können. Erst dann wird es für beide zu einem wunderschönen Erlebnis." Nikki nickte nachdenklich. "Hast du schon mal..." begann sie und brach sofort wieder ab. Bernd lachte leise und drückte sie an sich. "Ich habe zwei Söhne, Nikki", sagte er mit einem Lachen in der Stimme. "Und du weißt bestimmt, daß die nicht der Klapperstorch gebracht hat." "Ja!" murrte Nikki und drückte sich an ihn. "War 'ne blöde Frage." "Nein, das war es nicht." Er streichelte zärtlich ihr Haar. "Außer mit meiner Frau hatte ich mit keiner anderen Frau Sex, wenn du das hören wolltest. Nicht in den ganzen fünfundzwanzig Jahren." "Und vorher?" fragte Nikki erleichtert. "Vorher hatte ich nur eine einzige Freundin. Ich hab sie kennengelernt, als wir beide sechzehn waren, und mit achtzehn haben wir das erste Mal miteinander geschlafen. Mit zwanzig war es dann aus, weil wir beide doch nicht so richtig zusammenpaßten, und ein Jahr später habe ich dann meine spätere Frau kennengelernt." Er griff Nikki unter das Kinn und hob ihren Kopf hoch. "Zwei Freundinnen in zweiunddreißig Jahren. Ist das zuviel?" Er zwinkerte ihr zu. "Nein!" lachte Nikki mit geröteten Wangen. "Bei Markus war das eher umgekehrt. Zweiunddreißig Freundinnen in zwei Jahren!" Sie drückte sich wieder an ihn und atmete tief durch. "Ich bin gern bei dir", sagte sie leise. "Was machen wir heute abend?" "Du meinst, nach dem Park hier?" Nikki nickte, ohne ihn loszulassen. "Wir werden irgendwo schön zu Abend essen. Vielleicht im Fernsehturm. Dann können wir etwas durch die Altstadt gehen, bis zum Rhein, und dort noch was laufen. Oder wir machen das, was du vorhast." "Ich hab nichts vor", sagte Nikki schnell. "Nur bei dir sein." Ihre Umarmung verstärkte sich mehr und mehr, bis Bernd plötzlich spürte, daß Nikki zitterte. Er strich ihr über die Wange und erschrak, als seine Fingerspitzen naß wurden. "Nikki!" Er hob ihren Kopf. Sie weinte still. "Was ist los, Mädchen?" "Nichts!" schluchzte sie. "Nur bei dir sein!" Sie warf sich wieder an ihn und rang um Beherrschung. Sie spürte Bernds tröstenden Hände an ihrer Schulter und am Kopf und überließ sich dem wohligen Gefühl, das seine Berührungen in ihr auslösten. Langsam versiegten die Tränen, die nur daher gekommen waren, weil sie sich so rundherum glücklich fühlte. Als Bernd ihr vom Verliebtsein und vom Sex erzählt hatte, hatte sie ganz deutlich gespürt, daß er jede einzelne Silbe so meinte, wie er sagte, und das hatte sie überglücklich gemacht. Jetzt war ihr vollkommen egal, was ihre Freundinnen am Montag in der Schule sagen würden; jetzt hatte sie endlich einen richtig netten und lieben Freund. Mit einem leisen Seufzer ließ sie die Anspannung hinaus und hob den Kopf zu Bernd. Ihre Augen glänzten feucht, strahlten jedoch vor Glück. Wieder erschien in seinen Augen das Verlangen, sie zu küssen, und genauso schnell, wie es erschienen war, verschwand es wieder. 'Heute abend', versprach Nikki ihm stumm. 'Heute abend kommst du kurz mit zu mir, und dann kriegst du einen Kuß. Ich hab dich sehr gern, Bernd!' "Alles in Ordnung?" fragte Bernd besorgt. "Ja, jetzt ja." Sie lächelte dankbar. "Gehen wir weiter?" Arm in Arm gingen sie zum "Walzertraum", einer Gondelfahrt durch eine Märchenwelt, in der Szenen aus den verschiedensten Märchen dargestellt waren. Die ganze Fahrt über hielten sie sich an den Händen, während sie die perfekte Ausleuchtung der Figuren bewunderten und sich verzaubern ließen. Danach ging es zu "Galaxy", wo sie wegen des hohen Andranges mehr als eine halbe Stunde anstehen mußten, doch es lohnte sich auch. Sie setzten sich in eine Gondel, die in allen drei Achsen bewegt werden konnte, und sahen einem simulierten Weltraumflug zu, während die Gondel die Erschütterungen des Fluges auf sie übertrug. Begeistert schrie Nikki auf, als die Galaxie zu sehen war und das Raumschiff rasend schnell darauf zujagte. Der Landeanflug durch eine zerklüftete Mondlandschaft raubte ihr beinahe den Atem, so realistisch waren Bilder und gleichzeitige Bewegungen der Gondel. Als Film und Gondel mit einem letzten Ruck zum Stehen kamen, seufzte sie auf. "War das toll!" strahlte sie Bernd an. "Hat's dir auch gefallen?" "Es war unbeschreiblich", erwiderte Bernd überwältigt. "Das kannte ich noch gar nicht!" "Total realistisch, nicht? Ich dachte wirklich, der knallt jeden Moment vor die Berge!" "So wie der Pilot über Funk klang, hatte der mindestens einen Liter Schnaps in sich", grinste Bernd, während sie aufstanden. "Mindestens!" kicherte Nikki und drückte sich in seinen Arm. "Die erste Landung hat der ja auch total verpatzt! Ob die ihm die Kratzer vom Gehalt abziehen?" "Bloß nicht!" Bernd sah sie erschrocken an. "Dann ist der sauer und macht es beim nächsten Mal noch schlechter!" "Oder so!" Fröhlich gingen sie hinaus. Nikki zog Bernd gleich weiter zum "Space Center", wo sie auch fast eine halbe Stunde warten mußten, bis sie endlich einsteigen konnten. Bernd kannte es ebenfalls nicht, doch als er die schmalen, stromlinienförmigen Wagen sah, ahnte er schon halb, was auf sie zukam. Er stieg ein und hielt Nikkis Hand, aber diesmal brauchte er Trost. Nikki spürte seine leichte Angst und hielt seine Hand zwischen ihren. "Das ist ganz toll", sagte sie leise in sein Ohr. "Du mußt nur die Augen offenhalten!" "Ich versuch's." Bernd lächelte ihr munterer zu, als er sich fühlte. Die Wagen setzten sich in Bewegung, fuhren langsam und in fast völliger Dunkelheit einen langen Berg hinauf, dann kamen sie kurz zur Ruhe. Bernd wappnete sich innerlich und drückte Nikkis Hand. "Das macht wirklich Spaß", sagte sie schnell. "Das ist richtig aufregend. Los geht's!" schrie sie, als die Kette der Wagen sich plötzlich in Bewegung setzte. Von der folgenden Fahrt bekam Bernd nicht sehr viel mit. Zum einen, weil die Wagen so schnell fuhren, wie er es noch nie erlebt hatte, zum anderen, weil es sehr dunkel war. Doch was er sah, war atemberaubend. Es war eine Achterbahn im Dunklen, mit vereinzelten Weltraummotiven. So geschickt angeordnet und aufgezogen, daß er stellenweise das sichere Gefühl hatte, durch den Weltraum zu jagen. Nikki neben ihm schrie und quietschte aufgeregt, und das war für Bernd das Schönste an der ganzen Fahrt, die viel zu schnell vorbei war. Mit leicht wackeligen Beinen stieg er aus und folgte Nikki hinaus. Draußen setzte er sich erst einmal auf eine kleine Mauer und atmete tief durch. Nikki hopste aufgeregt vor ihm herum. "War das nicht total geil?" fragte sie aufgedreht. "Wollen wir nochmal?" "Möchtest du wirklich?" "Ja!" Ihr Kopf wackelte vor Aufregung. "Jetzt sofort!" "Dann los." Bernd rappelte sich auf und ließ sich von Nikki wieder zum Eingang ziehen. Eigentlich hätte er es sich denken können, daß Nikki bei ihrer Vorliebe für Geschwindigkeit sich ausgerechnet das schnellste aller Karussells für eine Wiederholung aussuchte... Von der zweiten Fahrt bekam er schon wesentlich mehr mit. Diesmal konnte er die kunstvollen Arrangements von Licht und Planeten viel mehr genießen. Nikki war genauso aufgedreht wie auf der ersten Fahrt und kreischte vor Freude, wenn es in die engen Kurven ging. Doch leider war auch diese Runde so schnell vorbei wie die erste. Mit leuchtenden Augen schmiegte Nikki sich an Bernd und stützte ihn etwas, da er nun doch erhebliche Probleme mit dem Laufen hatte. "War's so schlimm?" fragte sie besorgt, als er sich draußen hinsetzte. "Nur etwas zu wild", lächelte Bernd. "Aber ich werde mich daran gewöhnen." "Würdest du nochmal mit mir fahren?" fragte Nikki erstaunt. Bernd nickte spontan. "Ja, Nikki. Es hat mir sehr gut gefallen, auch wenn mein Körper im Moment noch anderer Meinung ist." "Ach, Bernd!" seufzte sie glücklich. Sie schwang sich auf die Mauer neben ihm. "Du mußt aber nicht mitfahren", sagte sie dann ernst. "Zweimal reicht, auch für mich. Das war nur so schön schnell!" Bernd lachte und legte seinen Arm um sie. "Was möchtest du denn später mal werden? Rennfahrerin?" "Warum nicht?" gab sie kokett zurück. "Traust du mir das nicht zu?" "Doch, doch!" sagte Bernd schnell. "Bisher haben alle, die mit mir im Porsche gefahren sind, ab 200 die Klappe gehalten, und ab 240 waren sie bleich wie der Tod. Du bist die einzige, die richtig munter geblieben ist." "Macht doch auch Spaß!" meinte Nikki erstaunt. "Kapier ich nicht. Wieso soll man da Angst vor haben?" "Genau", stimmte Bernd zu und verkniff sich einen Vortrag über Verantwortung und Unfallgefahr. "So, ich bin wieder fit. Weiter?" "Ja!" Nikki sprang auf die Füße und zog Bernd hoch. Die Hollywood Tour war der nächste Stop. Nikki hatte vergessen, worum es hier ging, und entsprechend groß war ihre Enttäuschung, als der Baumstamm, in dem sie und Bernd saßen, schon nach ganz kurzer Zeit wieder auf den Ausgang zuhielt. Doch plötzlich bog er ab, schoß einen kleinen Abhang hinunter, und Nikki schrie überwältigt auf, als sie plötzlich die ganzen Figuren aus den großen Hollywoodfilmen sah. Gebannt verfolgte sie die Bewegungen von King Kong, schrie wie die anderen erschrocken auf, als der weiße Hai plötzlich nach ihnen schnappte, und ließ sich wie alle anderen verzaubern. Als der Ausgang in Sicht kam, seufzte sie enttäuscht. "Das war schön!" sagte sie traurig. "So schön wie die Achterbahn vorhin?" stichelte Bernd. "Nein. Doch. Anders, aber genauso schön." Sie ließ sich von Bernd aus dem Baumstamm helfen und ging mit ihm hinaus. "Jetzt haben wir alles durch, oder?" "Fast. Noch eine Fahrt auf dem See, dann haben wir es." "Schade." Sie schmiegte sich eng an Bernd und legte beide Arme um ihn. "Es ist so schön hier!" "Es warten noch viele schöne Dinge auf dich, Nikki." Bernd fuhr mit gespreizten Fingern durch ihr Haar. "Das Abendessen heute. Morgen der Flughafen und deine erste Stunde. Alles schöne, aufregende Sachen." "Meine erste Stunde?" "Autofahren. Schon vergessen?" "Nein." Nikkis Augen waren voller Hoffnung. "Bringst du mir das wirklich bei?" "Das habe ich gesagt. Zuerst der Mercedes, bis du weißt, wie Autofahren geht, und dann der Porsche." Er lächelte über Nikkis begeistertes Gesicht. "Kannst du dir das vorstellen?" sagte er leise. "Ich hole dich von der Schule ab, du steigst in den Porsche ein, genau auf der Fahrerseite, startest ihn und rutschst dann rüber?" Nikkis Kopf raste auf und ab. "O ja!" seufzte sie. "Das kann ich mir sehr gut vorstellen!" Und das würde allen den Mund stopfen, überlegte sie. Wenn sie den Wagen starten durfte, würden die anderen ihr auch glauben, daß sie ihn fuhr. Ihr Kopf fuhr hoch zu Bernd. "Machen wir das gleich Montag?" bettelte sie. "Darf ich den am Montag schon anmachen?" "Sicher", lachte Bernd. "Das zeige ich dir morgen als erstes." "Cool!" quietschte Nikki aufgeregt. Sie hüpfte in seinen Armen. "Gleich morgen?" "Gleich morgen. Wie hast du morgen Zeit?" "Den ganzen Tag. Ab acht, wenn du magst. Ich steh auch immer früh auf." "Gut. Dann hole ich dich um acht Uhr ab. Wir fahren dann schön frühstücken, anschließend geht's zum Flughafen, und nach dem Mittagessen beginnt der Fahrkurs." "Wär doch schon morgen!" entfuhr Nikki sehnsüchtig. Bernd lachte und drückte sie herzlich. "Bringen wir erst mal diesen Tag hinter uns. Eine Runde Märchendampfer?" "Ich bin doch schon im Märchen", lächelte Nikki schlagfertig. "Bernd, ich bin so froh, daß du mich von Markus weggeholt hast!" "Ich auch, mein Liebling", flüsterte Bernd mit feuchten Augen. Er drückte das Mädchen ganz fest an sich und streichelte ihren Kopf. "Ich auch." Liebling! Nikki wurde heiß bis in die Haarspitzen, als sie dieses Wort hörte. Sie erwiderte Bernds Umarmung mit aller Kraft, schloß die Augen und genoß das neue Gefühl, sich geliebt und beschützt zu fühlen. Sie war jetzt erst den dritten Tag mit Bernd zusammen, doch wieviel hatte er ihr schon gegeben. Am ersten Tag hatte er ihr geholfen, diese verrückte Sache mit den negativen Zahlen zu verstehen. Gestern hatte er ihr diesen wunderschönen Ring geschenkt, ohne etwas dafür zu verlangen. Heute ein unglaublich schöner Tag im Phantasialand, zusammen mit den Erklärungen über Liebe und Sex, die sie ihm ohne Zögern abnahm, weil er sich genauso benahm, wie er erzählt hatte. Dann die Aussicht auf das Autofahren und den Flughafen, heute abend auf den Fernsehturm... Ihr wurde fast schwindelig, als sie erkannte, wie sehr sich ihr Leben durch ihn bereits verändert hatte. Weg von Markus war schon ein großer Schritt, den sie alleine nicht so geschafft hätte, denn Markus hatte sie in einem Zustand gehalten, in dem sie weder von ihm weg noch so richtig bei ihm bleiben wollte. Doch dann der zweite Schritt in ein völlig unbekanntes, aufregendes, schönes Leben, in dem jede Sekunde Spaß und Freude bedeutete... Das war fast mehr, als sie ertragen konnte. Mit leuchtenden Augen schaute sie zu ihm hoch. "Ich hab dich auch sehr gern", sagte sie schüchtern und versteckte sich sofort wieder an seiner Brust. Bernd lächelte gerührt über ihren Mut. Er klopfte ihr sanft auf die Schulter. "Der Dampfer wartet, Nikki. Oder sollen wir den nächsten nehmen?" "Den übernächsten", murmelte sie und rieb ihre Wange an seinem Hemd. Gleichzeitig verstärkte sich ihre Umarmung. Dann löste sie sich plötzlich von ihm. "Nein, wir nehmen den jetzt." Sie griff nach seiner Hand und zog ihn zum Landungssteg, wo der Schaufelraddampfer bereits lag und auf die nächste Ladung Fahrgäste wartete. Bernd lachte leise, als er hinter ihr her lief. Nikki sicherte sich zwei Plätze ganz hinten. Sie wartete, bis Bernd saß, dann ließ sie sich gegen ihn fallen und schmiegte sich ganz eng an ihn. Bernd legte seinen Arm um ihre Schultern und hielt sie fest. Beide redeten nicht. Bernd überlegte, warum Nikki so plötzlich ihre Meinung geändert hatte, und Nikki überlegte, warum sie so plötzlich ihre Meinung geändert hatte. Bernd schob es nach kurzer Bedenkzeit auf ihre Jugend, Nikki bekam es nicht auf die Reihe. Wovor hatte sie plötzlich Angst bekommen? Warum hatte sie Angst bekommen? Es war keine Angst vor Bernd, das spürte sie genau. Es war eine Angst tief in ihr, die sie nicht greifen konnte. Es hing mit einem Gefühl zusammen, das kurz aufgetaucht war, das Nikki aber nicht kannte und auch nicht verstanden hatte. Schließlich gab sie das Überlegen auf und richtete sich etwas auf. Sofort ließ Bernd sie los. "Nicht!" beschwerte Nikki sich. "Ich wollte mich nur anders hinsetzen." "Ach so." Bernd lächelte beruhigt und nahm sie wieder in den Arm. "Magst du das?" "Sehr!" Sie lächelte scheu. "Dann fühle ich mich nicht so allein." "Das bist du ja auch nicht mehr", erwiderte Bernd. "Ich weiß", flüsterte Nikki und schmiegte sich noch enger an Bernd. "Das ist ein schönes Gefühl, zu zweit zu sein." "Ein wunderschönes Gefühl", bestätigte Bernd. Gemeinsam schauten sie auf das Wasser, das von dem Dampfer geteilt wurde, und freuten sich, hier und jetzt zusammen zu sein. Nach der Fahrt machte Bernd Nikki noch eine Riesenfreude, indem er mit ihr eine dritte und letzte Fahrt im "Space Center" unternahm. Überglücklich nahm Nikki das Angebot an, auch wenn sie diesmal fast vierzig Minuten warten mußten, doch ihre Augen nach der Fahrt waren der schönste Dank. Langsam schlenderten sie über das Gelände zurück zum Ausgang, wo ihr Wagen stand, machten kurz vor dem Ausgang Rast für eine letzte Cola in Chinatown, bevor es gegen halb sechs wieder zurück nach Düsseldorf ging. Beide waren etwas erschöpft durch das lange Laufen und den aufregenden Tag, so daß Bernd es ruhig angehen ließ und Nikki sich bequem in den Sitz räkelte. Ihre Füße standen auf der Ablage, so daß Bernd einen ungehinderten Blick auf ihre Beine hatte, von dem Knöchel bis fast zum Po. Er riskierte einen schnellen, gründlichen Blick, den Nikki natürlich sofort bemerkte. Bernd lächelte entschuldigend. "Du hast einen sehr schönen Körper", sagte er nur, dann sah er wieder auf die Straße. Nikki wartete fast eine Minute, doch als Bernd sie in dieser Zeit immer noch nicht am Bein angefaßt hatte, entspannte sie sich wieder. "Ich werd komischerweise nicht dick", sagte sie schließlich. "Ich meine, ich hau nicht rein wie ein Scheunendrescher, aber ob ich nun Kuchen esse oder Pizza, ich nehm nicht besonders zu, und auch schnell wieder ab." "Neid!" lachte Bernd. "Wenn ich zwei Stück Kuchen esse, hab ich schon fünf Kilo zugenommen." Er klopfte leicht auf seinen Bauch. "Wie man deutlich sehen kann." "Ach was!" lachte Nikki. "Ich mag eigentlich nur schlanke Jungs, aber der Bauch paßt irgendwie zu dir. Außerdem ist er ja nicht so schlimm. Was machst du eigentlich beruflich?" "Ab Montag nichts mehr", grinste Bernd. "Bisher hat mir eine Firma gehört, die Autobahnen baut und repariert. Die wird am Montag, wie ich schon gesagt habe, auf meine Kinder überschrieben, und danach werde ich nichts mehr tun." "Nicht mehr arbeiten?" Nikki setzte sich erstaunt auf. "Geht das denn?" "Ja." Bernd sah kurz zu ihr. "Nikki, ich habe dreißig Jahre lang gearbeitet wie ein Pferd. Jeden Tag praktisch zwei Schichten, von früh morgens bis spät abends. Manchmal auch am Wochenende. Ich habe viel Geld verdient, ich habe aber keine Zeit, es auszugeben. Deswegen habe ich mich vor einiger Zeit entschlossen, die Firma abzugeben, und Montag ist es soweit." Er verriet Nikki nicht, daß sie der Auslöser dafür gewesen war; in ihrem Alter bestand die Gefahr, daß sie sich damit überfordert fühlte. "So viel verdient, daß du nicht mehr arbeiten mußt?" fragte Nikki mit großen Augen. "Richtig." Bernd griff nach ihrer Hand. "So viel, daß ich endlich Zeit habe, das zu tun, was ich möchte. Im Mai hat mein jüngster Sohn seine Prüfung geschafft, und jetzt ist er mit seinem Bruder soweit, den Betrieb zu übernehmen." Mehr verriet er ihr erst einmal nicht; die Gründe für die Trennung von seiner Familie würde Nikki verstehen, wenn sie ein paar Jahre älter wäre. "Und das passiert am Montag?" "Montag morgen, zehn Uhr. Direkt danach gehe ich auf die Suche nach einer Wohnung." "Jetzt bin ich neidisch", gestand Nikki. "Ich würde auch gerne eine andere Wohnung haben." "Wegen deiner Mutter?" fragte Bernd vorsichtig. "Ja." Auch Nikki verschwieg etwas: den Blick voller Haß vom Morgen. "Wir reden überhaupt nicht miteinander. Ich bin nur die Haussklavin, die alles in Ordnung hält." Ihre Hand verkrampfte sich um Bernds Finger. "Ich hab sie heute morgen gefragt, ob es ihr was ausmachen würde, wenn ich gar nicht mehr da wäre. Sie hat Nein gesagt. Dabei hat sie mich nicht mal angesehen!" Ihre Stimme zitterte etwas. "Das tut mir sehr leid", sagte Bernd betroffen. "Nikki, ich möchte dich nicht überfallen oder so etwas, aber was hältst du davon, mich öfter mal zu besuchen, sobald ich eine neue Wohnung habe?" "Das würde ich gerne", antwortete Nikki spontan. "Sehr gerne, Bernd. Ich weiß nicht, warum, aber ich fühle mich richtig wohl bei dir!" "So wie ich bei dir." Bernd blickte sie verliebt an und hätte den Porsche beinahe in die Leitplanke gesteuert, doch er fing den Wagen gerade noch rechtzeitig ab und brachte ihn zurück in die Spur. "Paß doch auf!" lachte Nikki erschrocken. "Ich will den noch fahren!" "Egoist!" Bernd griff nach ihren Haaren und zerwühlte sie. Nikki schmiegte sich in seine Hand und lächelte ihn still an. Bernd hatte völlig recht: erst wenn Zärtlichkeit von beiden gewollt war, war sie wirklich schön. Und damit verbannte sie Markus Westhoff endgültig aus ihrem Gedächtnis.
* * *
"Ist das hoch!" staunte Nikki. Fasziniert schaute sie aus dem Fenster des Fernsehturms, das einen ungehinderten Blick nach unten bot. "Schon gewaltig", lächelte Bernd. Sie saßen sich gegenüber, hatten ihre Getränke bereits vor sich und warteten auf das Abendessen. "Nachts ist es besonders schön hier." "Das glaub ich!" seufzte Nikki. "Wenn alles so schön leuchtet... Ist das da der Rhein?" "Genau. Und da drüben ist der Hafen." "Sieht aus wie im Spielzeugland", kicherte Nikki, dann sah sie zu Bernd. "Es ist richtig toll mit dir, weißt du das?" "Das will ich hoffen." Er griff nach ihren Händen. "Denn das ist genau das, was ich dir bieten möchte, Nikki: sehr viel Freude und Glück." "Das hast du schon", antwortete sie mit warmer Stimme. "Die letzten Tage waren einfach traumhaft! Was für eine Wohnung suchst du denn?" Bernd hatte zu seinem Erstaunen keinerlei Probleme, Nikkis Gedankensprünge zu verfolgen oder dabei mitzuhalten. "Du, das weiß ich selbst noch nicht so recht. Ich weiß nicht einmal, ob ich eine Wohnung kaufen oder mieten soll. Oder ein Haus. Ich hab mir darüber noch keine Gedanken gemacht." "Ein kleines Häuschen wäre schön", sagte Nikki verträumt. "Mit einem schönen Garten, wo man abends sitzen kann. Das muß alles nicht groß sein, aber ein Garten sollte dabei sein!" "Ja, ein Garten wäre schön." Bernd dachte kurz an den riesigen Garten hinter seinem Haus, den er in den letzten dreißig Jahren vielleicht höchstens genauso oft benutzt hatte. "Wie groß sollte das Haus denn sein?" "Keine Ahnung." Nikki legte ihre Stirn in Falten. "Auf jeden Fall ein großes Wohnzimmer, wo man sich nicht gegenseitig auf die Füße tritt. Dann eine große Küche, damit ich - äh, damit man die ganzen Sachen auch irgendwo unterbringen kann." Sie musterte Bernd verlegen, doch der schien ihren Versprecher nicht gehört zu haben. "Lebensmittel und so, du weißt?" "Natürlich. Und die Getränke." "Ja, die auch." Nikki atmete erleichtert durch. "Und dann ein schönes Badezimmer, mit Wanne und Dusche, damit man sich aussuchen kann, was man möchte. Und ein getrenntes Schlafzimmer natürlich, damit man beim Einschlafen nicht immer das sieht, was man morgens nicht weggeräumt hat." "Faulpelz!" zog Bernd sie grinsend auf. "Bin nicht faul!" schmollte Nikki verspielt. "Ist nur manchmal so, daß ich abends todmüde bin, und wenn ich dann im Bett liege und sehe, daß ich noch aufräumen muß... Na ja, meistens stehe ich dann wieder auf und räum den Kram weg, auch wenn ich noch so müde bin." Ihre Augen verklärten sich wieder. "Und eine schöne Terrasse sollte es auch geben! Damit man am Wochenende mal Leute einladen kann. Zum Grillen oder so." Für einen Moment dachte Bernd daran, sein Haus zu behalten, doch der Verstand sagte ihm, daß das Haus für ihn und Nikki viel zu groß war. In den vierzehn Zimmern würde sie sich verlaufen, den Keller noch nicht einmal mit eingerechnet. "Und ein Partykeller!" träumte Nikki wie auf Stichwort weiter. "Damit ich meinen Geburtstag auch mal zu Hause feiern kann. Bisher war das immer bei Freunden." Sie merkte gar nicht, daß sie nun von ihrem eigenen Traumhaus redete, in dem sie gerne wohnen würde. "Und ein Gästezimmer, wo meine Freundinnen mal übernachten können, wenn es draußen zu stark regnet oder stürmt. Und die Küche muß eine richtig große Arbeitsplatte haben, damit ich ganz tolles Essen machen kann! Und das Wohnzimmer muß ganz hoch sein, damit ein riesiger Weihnachtsbaum da reinpaßt! Und die Terrasse sollte ein Dach oder sowas haben, damit wir beide auch bei Regen draußen sitzen können. Und ein total bequemes Sofa, auf dem wir uns einkuscheln und fernsehen oder Musik hören." Das warme Gefühl, das Nikki nun als Verliebtsein erkannte, wuchs und wurde riesengroß in ihr. "Samstags gehen wir zwei dann einkaufen, ich mach das Essen für uns, und... Genau! Ein Eßtisch in der Küche! Das brauchen wir auch! Dann essen wir in der Küche, ich räum anschließend schnell auf, dann gehen wir wieder ins Wohnzimmer oder auf die Terrasse und kuscheln." Sie seufzte laut und starrte ins Nichts. Bernd konnte nicht reden. Seine Kehle war eng vor Rührung und Glück, als er erkannte, daß Nikki in Gedanken schon bei ihm wohnte. Wie schlimm war es wohl wirklich mit ihrer Mutter, daß dieses knapp 13jährige Mädchen in ihren Träumen schon den Schritt in eine neue, eigene Wohnung vollzogen hatte? Bernd notierte sich in Gedanken, gleich heute abend einen entfernten Bekannten anzurufen, der ein Häuschen wie das, wovon Nikki träumte, besaß, es aber seines Wissens nach vermieten oder verkaufen wollte. Was genau, wußte Bernd nicht mehr, aber das ließ sich schnell herausfinden. Notfalls blieb immer noch der Weg über einen Makler, und außerdem kannte er genug Leute in Wirtschaft und Politik, die er ansprechen konnte. Bernd nahm sich ganz fest vor, bis zu Nikkis Geburtstag in zwei Wochen ein Haus zu haben, in dem sie ihren Geburtstag gebührend feiern konnte. Nikki kam langsam wieder zurück aus ihren Träumen. Bernd beschloß, sie nicht in Verlegenheit zu bringen. "Das wäre also ein Haus, das dir gefallen würde?" fragte er sie ganz ruhig. "Mit Garten und überdachter Terrasse, großem Wohnzimmer, großer Küche, Bad mit Wanne und Dusche, Schlaf- und Gästezimmer? Und ein Partykeller?" "Ja", flüsterte Nikki schüchtern. "Leider habe ich keinen guten Geschmack bei Wohnungen", meinte Bernd nachdenklich. "Nikki, es ist vielleicht sehr viel verlangt, aber könntest du mir bei der Suche etwas helfen? Soll heißen, daß du dir das Haus ansiehst, wenn ich eins gefunden habe, und mir sagst, ob es zu mir paßt?" "Das würde ich gerne", sagte sie eifrig. "Vertraust du mir so?" "Dein Zimmer sieht sehr schön aus", erwiderte Bernd. "Ich denke, du hast einen wirklich guten Geschmack." "Danke." Geschmeichelt lächelte Nikki ihn an. "Wann willst du dir denn was ansehen?" "Gleich Montag. Wie hast du Zeit?" "Montag und Dienstag gar nicht", gestand Nikki. "Montags hab ich erst um fünf Uhr Schluß, und Dienstags auch. Unsere AGs. Mittwochs dafür um halb eins, Donnerstags um viertel nach eins, und Freitags auch um viertel nach eins." Das wird knapp, dachte Bernd kurz. "Kein Problem", lächelte er Nikki an. "Dann sehe ich zu, daß wir Mittwochs viel erledigen. Vielleicht kannst du ja das Essen für deine Mutter schon vorbereiten, und -" "Das mach ich!" unterbrach Nikki ihn eifrig. "Nein, mach ich nicht. Ich kauf einfach was für die Mikrowelle, das kann sie sich dann warm machen. Dann hab ich den ganzen Nachmittag und den ganzen Abend Zeit!" "Bekommst du dann keinen Ärger?" "Ach! Die hat doch keine Ahnung, was ich mache! Ich leg einen Zettel hin, daß in der Schule noch was läuft, und das war's. Kontrollieren tut die mich eh nicht!" Sie lehnte sich aufgeregt vor. "Du, das können wir dann doch schon Montag machen! Ich kauf direkt nach der Schule ein, und... Oder du holst mich direkt um fünf ab, bringst mich schnell nach Hause, vorher noch in den Supermarkt, ich bring das eben hoch, schreib den Zettel, und wir düsen los! Ja?" "Und deine Schularbeiten?" "Sind dann schon erledigt", grinste Nikki. "Wir haben Montags um viertel nach eins Schluß, dann essen wir was, ab zwei machen wir die Hausaufgaben, und um halb vier beginnt die AG. Bis dahin sind wir fertig." "Was für AGs sind das denn?" "Montags Sport, und Dienstags Deutsch. Sind zwei lange Tage, aber dafür ist auch alles fertig, wenn ich Schluß habe." "Klingt gut. Abgemacht. Ich sehe dann zu, daß wir schon Montag etwas besichtigen können." "Geil!" freute Nikki sich. "Und ich darf wirklich das Haus für - für dich aussuchen?" "Deswegen sollst du mit." Bernd zwinkerte ihr zu und drückte ihre Hände. "Es soll dir ja auch gefallen, wenn du mich mal besuchst." "Wenn ich das Haus aussuchen darf", grinste Nikki breit, "dann werde ich dich sehr, sehr oft besuchen!" "Ich hoffe sehr, daß du diese Drohung wahr machst." Bernd schaute sie verliebt an. "Ganz bestimmt", versprach Nikki mit einem gleichartigen Blick.
* * *
Bernd Clemens war ein Mann der Tat, wie es so schön heißt. Ein gefaßter Entschluß wurde möglichst schnell in die Tat umgesetzt. Nach dem sehr leckeren Essen fuhren er und Nikki den Fernsehturm hinunter und gingen zu seinem Wagen, wo er das Handy aus dem Handschuhfach holte, zuerst die Auskunft anrief, um die Nummer seines entfernten Bekannten zu erfragen, und dann den Bekannten selbst, der zum Glück noch zu Hause war. Nach kurzem Gespräch stellte sich heraus, daß das Haus bereits vermietet war, doch Ralf wußte von seiner Tante, daß die jemanden kannte, der oder die ein Haus verkaufen wollte. Grinsend bedankte Bernd sich, nachdem er von Ralf die Nummer der Tante bekommen hatte. "Was wäre die Welt ohne Beziehungen?" lachte er Nikki an. "Ich kenn da jemanden, der kennt wieder eine, die von einem anderen weiß, daß da jemand ist, der Bescheid weiß." "Was?" fragte Nikki mit großen Augen. "Schon gut." Er fuhr ihr lächelnd durch das Haar. "Je mehr Leute du kennst, um so größer ist die Chance, daß du das bekommst, was du suchst." "Ah ja." Nikki verstand gar nichts, aber sie sah Bernd trotzdem aufgeregt zu, wie er auf dem Handy herumtippte. Dem folgenden Gespräch hörte sie verständnislos zu; sie kapierte nur, daß es um ein Haus ging, und genau das machte sie aufgeregt. "So, das hätten wir", meinte Bernd schließlich. "Du hast eins?" fragte Nikki begeistert. "Noch nicht. Ich habe jetzt erst einmal die Nummer von einer Frau, die ihr Haus verkaufen möchte." "Wow!" quietschte Nikki und drückte Bernd aufgeregt. "Ich drück die Daumen!" "Ich auch", sagte Bernd hoffnungsvoll. "Was die Frau Kumaneck gerade so erzählt hat, scheint es ein kleines, aber richtig schönes Häuschen zu sein. Außerdem weiß noch keiner, daß sie es verkaufen will. Die Information ist noch ganz frisch." "Bernd!" jammerte Nikki. "Ruf ganz schnell an!" "Schon dabei." Trotz seiner Worte ließ er das Handy sinken. "Nikki, ich liebe dich von Minute zu Minute mehr. Was machst du mit mir?" "Verrat ich dir, wenn du das Haus hast", drängelte Nikki. "Ruf an!" "Ja, Chef." Er zwinkerte Nikki zu und wählte die Nummer, die er bekommen hatte. Nikki lauschte gebannt. "Frau Welter?" hörte sie ihn sagen. "Guten Abend. Mein Name ist Bernd Clemens. Ich habe Ihre Nummer von Ihrer Bekannten, Frau Kumaneck. - Ja, sie läßt schön grüßen. Frau Welter, ich habe von Frau Kumaneck gehört, daß Sie Ihr Haus verkaufen wollen. Stimmt das? - Aha. Ab wann? - Nein, das wäre sogar perfekt! Ich suche nämlich dringend eine neue Unterkunft. - Referenzen? Schauen Sie mal in der Ellerstraße 58-98 vorbei. Die Firma, die Sie dort sehen, gehört mir. - Nein, keine Industrie. Wir bauen Autobahnen. - Ja, genau, der Bernd Clemens. - Bitte? - Nein, leider nicht, aber wir haben mehr als fünfhundert Mitarbeiter, und wenn Ihre Nichte tatsächlich bei uns ein Praktikum gemacht hat, kann ich mich leider nicht mehr an sie erinnern. - Ja, genau, das ist das Gebäude. - Am liebsten sofort, wenn es Ihnen paßt. - Großartig, Frau Welter. Ich bin auf dem Weg. Sagen wir, in zwanzig Minuten? - Fantastisch! Vielen Dank, und bis gleich." Er schaltete das Handy aus und grinste Nikki an. "Fährst du mit?" "Du hast ein Haus?" fragte sie überwältigt. "Scheint so." Er drückte Nikki an sich. "Ist das Leben nicht komisch, Nikki? Die Nichte von der Frau, mit der ich gerade gesprochen habe, hat letztes Jahr bei uns ein Praktikum gemacht. Sie muß so von unserem Betrieb geschwärmt haben, daß ihre Tante ganz beeindruckt war, als sie meinen Namen endlich eingeordnet hatte." "Dann kriegst du das Haus", sagte Nikki überzeugt. "Wie sieht es denn aus?" "Das werden wir jetzt herausfinden. Steig ein, kleine Tochter." "Ja, großer Papa", kicherte Nikki aufgekratzt und hüpfte in den Porsche. "Mann, ist das aufregend mit dir!" "Lach jetzt bitte nicht, aber in dem Tempo wie jetzt gerade habe ich dreißig Jahre lang gelebt", sagte Bernd schlicht, als er einstieg. "Eine Entscheidung nach der anderen, ein Problem nach dem anderen. Man bekommt Übung darin, und irgendwann ist es nur noch lästig. Angeschnallt?" "Ja." "Dann los. Ach, Nikki, könntest du so tun, als wärst du meine wirkliche Tochter?" "Gar kein Problem", versicherte Nikki ernsthaft.
Einen Pluspunkt für das Haus sah Bernd schon auf der Hinfahrt. Es lag etwa fünf Minuten zu Fuß vom Belsenplatz in Oberkassel entfernt, somit hätte Nikki alle Möglichkeiten, schnell in die Innenstadt zu kommen, denn der Belsenplatz wurde von fünf U-Bahnen und fünf Buslinien angefahren. Der zweite Pluspunkt war die Umgebung: es war eine winzige Siedlung aus kleinen Häusern, alle in den fünfziger Jahren entstanden, mit einem Garten und einer schon ältlicheren Einwohnerschaft. Was Bernd besonders zusagte, war, daß jedes Haus eine kleine Garage hatte. Der dritte und entscheidende Pluspunkt war das Haus selbst. Die Besitzerin, Frau Welter, ging seit einem Unfall an Krücken; das war der Grund für ihren Umzug und den Verkauf; sie konnte sich kaum mehr selbst versorgen, ihr Sohn holte sie daher zu sich nach Kassel. Ihre 22jährige Nichte Martina war jedoch vor Ort und half ihrer Tante. Bernd erkannte die junge Frau gleich wieder, als er sie vor sich sah. Sie zeigte Bernd und Nikki auch das Haus. Es war alt, aber in gutem Zustand. Nikkis Augen glänzten mit jedem Raum mehr, den sie besichtigten. Im Erdgeschoß war ein Wohnzimmer von vielleicht dreißig Quadratmetern, eine doppelt so große Küche wie die, die Nikki jetzt hatte, ein kleines Gästebad und eine Abstellkammer für Staubsauger, Besen und dergleichen. Im ersten Obergeschoß gab es drei Zimmer zu je zwanzig Quadratmetern und ein Bad, wie Nikki es sich gewünscht hatte: mit Wanne und Dusche. Im Keller war ein großer Raum, fast so groß wie das Wohnzimmer, ein Raum für die Heizung, die altersschwach aussah, und zwei kleine Vorratsräume. Aus dem großen Raum führte eine Tür nach draußen in den Garten. Alle Räume im Keller und ersten Stock waren leergeräumt, im Wohnzimmer und in der Küche türmten sich die Kartons. "Es sieht alles etwas unordentlich aus", meinte Martina entschuldigend, als sie alle wieder im Wohnzimmer versammelt waren. "Nicht so schlimm wie in unserem Lager", grinste Bernd. Martina lachte hell auf. "Ja, das stimmt. Herr im Himmel, hab ich einen Schock bekommen, als ich da das erste Mal drin stand!" "Das mache ich mit allen Neulingen", meinte Bernd seelenruhig. "Wer das überlebt, schafft alles." "Vielen Dank!" lachte Martina. "Wieso?" fragte Nikki gleichzeitig. "Ist das so schlimm?" "Nicht ganz", erklärte Bernd ihr. "Es sieht nur total chaotisch aus, wenn man nicht weiß, wie es geordnet ist. Du wirst es morgen sehen. Was machen Sie denn derzeit, Martina?" "Das gleiche wie letztes Jahr. Studieren. Landschaftsbau und Architektur." Sie sah ihre Tante an. "Willst du, oder soll ich?" "Ich mach schon." Frau Welter setzte sich mühsam zurecht, dabei verzog sie ihr Gesicht vor Schmerzen. "Die können sagen, was sie wollen, aber gepfuscht haben die bei meiner Hüfte doch!" Sie stieß den Atem auf und griff nach einem Stapel Papier vor ihr auf dem Tisch. "Gut, Herr Clemens. Referenzen brauche ich keine, Martina hat Sie in den höchsten Tönen gelobt." Bernd nickte dankend in Martinas Richtung, die freundlich zurücklächelte. "Es läuft wie folgt: Sie zahlen mir eine monatliche Rente von 2.500,- Mark, auf Lebenszeit. Ich werde, sobald ich in Kassel bin, einen Notar aufsuchen, der Sie informiert, sobald ich nicht mehr bin. Zweitens: Sie zahlen Martina einmalig 100.000,- Mark, damit sie ihr Studium fertigmachen kann. Ihre Eltern lassen sie nämlich hängen." "Wieso denn das?" Bernd drehte sich überrascht zu Martina. "Bei Ihrem Talent -" "Das juckt meinen Vater nicht", erwiderte Martina traurig. "Er will, daß ich Anwältin werde. Das liegt mir aber überhaupt nicht! Ich komme mit Pflanzen und Landschaften viel besser klar." "Das weiß ich noch", bestätigte Bernd. "Ihre Pläne für die Neugestaltung einer zwei Kilometer langen Trasse waren einfach genial. Nicht ausgefeilt, aber der Ansatz war Spitze. Natürlich bekommen Sie das Geld, Martina. Es wäre eine Verschwendung, wenn Sie Anwältin wären!" "Danke." Martina sah erleichtert zu ihrer Tante herüber. "Drittens und letztens", fuhr Frau Welter fort, "wird der Kaufvertrag über Martina laufen. Ich habe das Haus vor einem Jahr auf sie überschrieben, genau an dem Tag, als sie mich anrief, weil ihr Vater sie hängenließ. Sie hat eine Hypothek von 20.000,- Mark aufgenommen, die Sie, Herr Clemens, übernehmen müßten. Das wär's. Einverstanden?" "Ja." Bernd zögerte keine Sekunde. "Martina kann sofort einen Scheck von mir bekommen, oder sie nennt mir eine Kontonummer. Ende nächster Woche hat sie das Geld. Für die Hypothek..." Martina reichte ihm einen schmalen Schnellhefter. "Danke." Bernd blätterte kurz durch die Papiere. "Okay. Das kann auch bis Ende der Woche geklärt werden." Er sah zu Frau Welter. "Wie machen wir das mit Ihnen? Haben Sie schon ein Konto?" "Nein. Das bekommen Sie, sobald ich in Kassel eingezogen bin. Mein Sohn kommt morgen mit einem Laster und holt mich und meine Möbel ab." "Wir beide", sagte Martina in Bernds Richtung, "werden uns nächste Woche beim Notar treffen und den Kauf perfekt machen, damit Sie im Grundbuch eingetragen werden. Wie kann ich Sie erreichen? Über die Firma?" "Nein. Über meine Handynummer." Er gab Martina die Nummer. "Jetzt eine Frage von mir. Wenn ich eine Anzahlung leiste, kann ich dann schon am Montag hier mit der Renovierung loslegen?" Frau Welter sah kurz zu ihrer Nichte, die sofort nickte. "Ja, Tante Ilse. Eine Anzahlung brauche ich nicht. Solange der Vertrag nicht unterschrieben ist, gehört das Haus offiziell noch mir, so daß ich da keine Gefahr sehe. Er kann meinen Schlüssel haben." Sie nahm ihren Bund vom Tisch und entfernte einen Ring mit drei Schlüsseln. "Haustür und Garage. Die beiden silbernen sind für die Garage, der goldene für das Haus." "Danke, Martina. Ich werde Sie nicht enttäuschen." "Das weiß ich." Sie warf ihm einen Blick zu, in dem eine ganze Geschichte lag. Sie und Bernd erinnerten sich Martinas dritten Tag, als ein Aushilfsarbeiter Martina gegenüber sehr zudringlich geworden war. Bernd hatte ihn am Kragen gepackt und fristlos auf die Straße gesetzt, noch bevor etwas Unwiderrufliches passiert war. Bernd wandte sich zu Nikki. "Und was meinst du dazu? Gefällt es dir hier?" "O ja!" Nikki schaute Bernd begeistert an. "Das Wohnzimmer ist etwas kleiner, als ich mir gewünscht habe, aber der Garten ist einfach geil! Und überhaupt viel mehr Zimmer, als ich wollte!" "Ist das jetzt gut oder schlecht?" schmunzelte Bernd. "Gut ist das!" grinste Nikki. "Kann ich mich besser vor dir verstecken!" Martina und ihre Tante lachten, als Nikki quietschend Bernds Griff auswich. "Darf ich Sie etwas fragen, Herr Clemens?" "Klar, Martina. Was denn?" "Sie sagten, Nikki wäre Ihre Tochter. Ich meine aber mich zu erinnern, daß Sie zwei - äh..." "Zwei Söhne haben", ergänzte Bernd in aller Ruhe. "Ja. Daß auch Nikki mein Kind ist, ist der Grund, warum ich sehr schnell eine neue Unterkunft brauche. Aus dem gleichen Grund kann ich sie nicht mit zu mir nach Hause nehmen. Meine Frau möchte mich nicht mehr um sich haben." "Verstehe. Verzeihung." Martina bereute ihre Frage schon sehr. "Halb so wild", tröstete Bernd die junge Frau. "So Sachen geschehen nun mal. Meine Söhne sind erwachsen, aber Nikki braucht jemanden, der sich um sie kümmert." Er sah Nikki an. "Oder?" "O doch", lächelte sie. Sie war selbst erstaunt, wie leicht sie die Rolle einer Tochter spielen konnte. "Hauptsache, weg von Mutti." Das kam so plötzlich und so bitter, daß selbst Bernd erschrak, der inzwischen doch schon einiges von Nikki gehört hatte. Bernd erkannte auch, daß Nikki die Tochter nicht nur spielte; sie wollte wirklich von Zuhause weg und zu ihm. Er legte seinen Arm um sie und sah ihr in die Augen. "Bald, Nikki", versprach er ihr. "Wir beide klären das ganz schnell. Versprochen." Nikki nickte tapfer, mit feuchten Augen. Während Bernd mit den beiden Frauen weiterredete, malte sie sich schon aus, wie sie ihre Mutter dazu bringen würde, ihren Auszug zu akzeptieren. Nur kurz kam die Frage in ihr auf, wieso sie Bernd, den sie erst drei Tage kannte, schon so vertraute, daß sie ernsthaft entschlossen war, zu ihm zu ziehen, doch sie nahm es einfach als gegeben hin. Vielleicht hatte ihre Freundin Angie wirklich recht, wenn sie sagte, daß Nikki irgendwann einmal richtig glücklich und zufrieden sein würde. Ganz in ihre Gedanken versunken, schmiegte sie sich an Bernd, den Blick in das Nichts gerichtet. Bernd legte ebenso instinktiv seinen Arm um sie und redete weiter. Nikki gab sich ganz dem unterschwelligen Gefühl von Schutz und Liebe hin, das die Umarmung in ihr auslöste. Sie malte sich aus, wie sie Bernd das Frühstück ans Bett bringen würde, wie sie zusammen auf der Terrasse saßen, wo sie ihre Hausaufgaben machte, wie sie abends auf dem Sofa sitzen würden, so wie jetzt, Arm in Arm, wie sie... "Was?" Sie zuckte zusammen und sah Bernd an. "Was hast du gesagt?" "Ich hab dich gefragt, ob du mich mal eben losläßt", schmunzelte Bernd. "Damit ich den Vertrag schon einmal unterschreiben kann." "Klar!" Flugs saß sie gerade und sah Bernd zu, wie er seinen Namen unter das Dokument vor ihm schrieb. "Jetzt gehört es uns?" fragte sie aufgeregt, als Bernd den Kuli wieder einsteckte. "Ja." Bernd lächelte sie glücklich an. "Jetzt gehört es uns." "Wow!" Nikki warf sich ihm an den Hals und drückte mit aller Kraft zu. "Ich red heute abend mit Mutti!" "Langsam, Nikki", bremste Bernd sie lachend, von den beiden Frauen mitfühlend beobachtet. "Laß uns wenigstens ein paar Möbel hier haben!" "Mann!" maulte Nikki. Bernd drückte sie zärtlich und wiegte sie sanft hin und her. "Laß dir doch Zeit, Nikki", redete er leise auf sie ein. "Klär erst mal zu Hause ab, wie deine Mutter überhaupt dazu steht. Wenn sie wirklich so ist, wie du erzählt hast, wird sie keinen Ärger machen, aber wir sollten erst dieses Haus hier in Ordnung haben, bevor du etwas anleierst, was sie vielleicht so wütend macht, daß sie dich gleich auf die Straße setzt. Halte noch zwei Wochen durch, Nikki. Oder eine. Ich spreche am Montag mit ein paar Leuten und sehe zu, daß hier ganz schnell renoviert wird. Okay?" Er kraulte sie zärtlich hinter dem Ohr. "Okay", seufzte Nikki schwer. "Zwei Wochen halte ich noch durch." Sie hob den Kopf und sah Bernd streng an. "Höchstens!" "Versprochen." Bernd zwinkerte ihr zu und setzte sie dann auf das Sofa neben sich. "Ich mach, so schnell ich kann." "So schnell wie mit dem Haus hier?" fragte Nikki aufgeregt. Bernd nickte. "Cool! Dann klappt das todsicher!"
* * *
Es war inzwischen schon zehn Uhr abends. Bernd und Nikki saßen am südlichen Ende der Altstadt auf einer Bank, mit Blick auf den Rhein, in dem sich das Licht der Wohnhäuser auf der anderen Rheinseite spiegelte. Nikki wollte noch nicht nach Hause; sie wollte vielmehr jede Sekunde mit Bernd auskosten. Und genau das war der Punkt, den Bernd nun ansprach. "Nikki?" fragte er leise, um das Mädchen nicht zu erschrecken, das dicht neben ihm saß. Sofort drehte sie ihren Kopf zu ihm und schaute ihn fragend an. "Was denn?" "Ich würde dich gerne etwas fragen." "Dann mach doch", lächelte sie. "Oder ist das was ganz Schlimmes?" "Nein, glaube ich nicht." Er drückte ihre Hand, die in seiner lag. "Ich wollte dich fragen, wieso du so schnell zu mir kommen möchtest. Verstehe mich bitte nicht falsch", sagte er hastig, als Nikki ihn verletzt ansah. "Ich liebe dich sehr, und ich möchte dich auch nur zu gerne bei mir haben, aber ich verstehe nicht, wie du nach drei Tagen schon sicher sein kannst, daß wir zueinander passen. Oder ist das nur eine Flucht vor deiner Mutter?" "Ja", antwortete Nikki leise. "Nein. Beides. Nichts von dem." Sie sah Bernd traurig an. "Bernd, das hab ich mich auch schon gefragt. Ich weiß es einfach nicht. Ich weiß nur, daß ich mich bei dir richtig rundherum wohl fühle. Ich weiß, daß du mir nichts tust. Ich weiß, daß du mich lieb hast, und ich weiß, daß ich dich auch lieb habe. Ja, ich will von Zuhause weg. Aber das ist nicht der Grund. Wenn es Mutti nicht gäbe, oder wenn sie nett zu mir wäre, dann würde ich vielleicht nicht zu dir ziehen wollen, aber ich würde auf jeden Fall ganz viel bei dir sein wollen. Das weiß ich ganz sicher." In dem Laternenlicht sah Bernd ihr scheues Lächeln. "Das Gefühl, was du in dir hast, hab ich nämlich auch, Bernd. Ich wußte nur nicht, was es war. Das Haus ist wirklich schön, nicht?" "Ja, das ist es." Er drückte Nikki sanft an sich. "Und es wird noch schöner, wenn du erst darin wohnst. In welcher Farbe möchtest du die Wände gestrichen haben?" "Die im Partykeller grün", grinste Nikki. "Die anderen weiß." "Okay", schmunzelte Bernd. "Hoffentlich wird euch dann nicht schlecht in dem Licht." "Nee, war ein Witz", lachte Nikki leise. "Mach die auch weiß. Ich sorg schon für Bilder. Wann geht's los?" "Übermorgen. Montag bin ich noch der Chef von dem Laden. Ich suche mir fünf Leute aus, gebe denen zwei oder drei Tage bezahlten Urlaub, und lasse sie die Wände tapezieren. Am Donnerstag kommt der Teppichboden, und dann muß ich mich dringend um Möbel kümmern." Bernd sah Nikki an und schüttelte lächelnd den Kopf. "Ich kann das noch gar nicht richtig glauben, Nikki! Am Mittwoch habe ich dich gesehen, und heute, drei Tage später, kaufe ich ein Haus, und wir beide reden davon, zusammenzuziehen. Mädchen, was machst du mit mir? Ach ja! Das wolltest du mir doch verraten, wenn ich das Haus habe!" "Ganz einfach", lächelte Nikki schüchtern. "Ich mach das gleiche wie du. Liebhaben." Sie schmiegte sich an Bernd und legte ihre Wange an seine Schulter. "Ich hab dich wirklich sehr lieb", beteuerte sie leise. "Ich dich auch, Nikki", erwiderte Bernd genauso leise. "Schon von der ersten Sekunde an, als ich dich gesehen habe. Möchtest du deine Möbel mitnehmen, oder möchtest du lieber ein ganz neues Zimmer?" "Lieber ein neues", antwortete Nikki wie aus der Pistole geschossen. "Der Schreibtisch ist viel zu klein, und die Matratze in meinem Bett ist durchgelegen. Ich hab im Januar mal Geld abgehoben und wollte mir neue Möbel kaufen, aber jedes Möbelgeschäft hat mich ausgelacht und rausgeschmissen. Ich solle wiederkommen, wenn ich älter bin!" Sie atmete wütend aus. "Das wird eine spannende nächste Woche." Bernd legte seine Wange an Nikkis Kopf. "Ein Haus vollständig einrichten. Ich kann nur hoffen, daß wir Möbel finden, die vorrätig sind, so daß wir nicht mehrere Wochen darauf warten müssen." "Selbst wenn", meinte Nikki gedankenverloren. "Hauptsache, wir können irgendwo schlafen. Den Rest schaffen wir schon." "Und du bist sicher, daß du mit mir zusammenleben möchtest?"
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