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SH-010 - Kanadischer Sommer
Kanadischer Sommer .... (sh-010.zip) (M/f M/ff incest cons tragic(in the beginning)) (74k) Kombiniert eine 15j. Ausreißerin mit einer 13j. Tochter, und ihr bekommt? Richtig. Ärger.
Copyright © 1998, Shana.
Kanadischer Sommer
Begonnen: 17. Oktober 1997 Beendet: 03. Mai 1998 Nr.: SH-010
© Story: Shana 1997
Die Vorbereitung
Duluth - Thunder Bay - Armstrong - Green - Lake Nipigon. Das war unsere Reise- route für diesen Sommerurlaub. Wir drei - meine Frau, unsere Tochter, und ich - woll- ten dort, fernab von Krach und Lärm Erholung finden. Doch plant einen Plan, und er wird zunichte... Drei Tage vor der Hinfahrt kam meine Frau von ihrer Arbeit. Sie war Verkaufslei- terin in einem Chemiewerk. Schon an der Art, wie sie hereinkam, merkte ich, daß et- was nicht stimmte. Sie kam in mein Arbeitszimmer, setzte sich in eine Stuhl und schaute mich nur an. Ich sah auf von dem Kapitel des Handbuches, an dem ich gerade schrieb. „Was ist los?“ fragte ich sanft. Doris schüttelte den Kopf. „Urlaub ist gestrichen“, sagte sie, und unterdrückte Wut klang in ihrer Stimme. „Warum denn das“? fragte ich enttäuscht. Ich stand auf und setzte mich auf die Lehne des Stuhls. Sie griff nach meiner Hand und hielt sie fest. „Weil genau in unserer ersten Urlaubswoche eine Delegation aus Thailand kommt, und ich habe die hohe Ehre, ihnen unser Werk zu zeigen und mit ihnen über Lieferver- träge zu verhandeln.“ Ihre Stimme war ätzend. „Geplante Dauer: zwei Wochen. Und anschließend“, ging sie über meinen Einwurf hinweg, daß sie doch nachkommen kön- ne, „müssen die Verträge mit unseren Kunden in Übersee überarbeitet werden.“ Sie legte ihren Kopf auf meine Hand. „Das heißt also, selbst wenn ich nachkommen woll- te, es geht einfach nicht.“ „Dann blasen wir die ganze Sache eben ab und bleiben zu Hause“, sagte ich. „Und Sam?“ fragte Doris. Sam war unsere Tochter. „Was wird sie dazu sagen? Sie freut sich doch so sehr darauf.“ Doris holte tief Luft. „Ihr werdet eben alleine fahren.“ „Kommt gar nicht in Frage“, sagte ich bestimmt. „Der Urlaub war für uns drei ge- dacht. Wenn du hierbleibst, bleiben wir auch.“ Doris sah auf; etwas von ihrem Humor kehrte zurück. „Darüber werden wir heute abend abstimmen.“
Trotz ihrer erst knapp dreizehn Jahre (Sam würde ihren Geburtstag im Urlaub fei- ern) spürte unsere Tochter ganz genau, daß etwas nicht stimmte. Sie legte ihr Brot weg und schaute uns beide der Reihe nach an. „Raus mit der Sprache“, sagte sie ängstlich. „Wollt ihr euch scheiden lassen?“ Do- ris und ich sahen uns erstaunt an. „Aber nein, Liebling“, sagte ich, und Doris meinte: „Wie kommst du denn darauf?“ Unsere Ehe war nicht perfekt, aber wir sahen zu, daß Probleme schnell geklärt wur- den. Streit gab es auch ab und zu, aber wir fanden immer eine Lösung. Sam atmete auf. „Alles andere kann ich verkraften“, sagte sie erleichtert. Auffor- dernd sah sie uns an. „Legt los. Was ist?“ Doris erklärte ihr, daß sie nicht mit uns in Urlaub fahren könnte, und daß ich mich weigern würde, ohne sie zu fahren. „Das heißt also“, schloß sie, „daß wir jetzt ab- stimmen. Wenn ihr hierbleibt, hättet ihr nicht viel von mir, denn ich muß auch noch abends sehr viel arbeiten. Wenn ihr zusammen fahrt, hättet wenigstens ihr beide Ur- laub. Sam, möchtest du mit Daddy fahren?“ Sie sah Sam an. Sam kämpfte mit sich. Sie mochte uns beide gleich gern und war im Zwiespalt. „Was möchtest denn du?“ fragte sie schließlich ihre Mutter. „Ich möchte, daß ihr fahrt“, sagte Doris. „Es macht doch keinen Sinn, allen den Urlaub kaputtzumachen.“ Sam nickte. „Dann möchte ich auch fahren“, sagte sie leise. „Ich hab mich schon so darauf ge- freut.“ Entschuldigend sah sie ihre Mutter an. Doris nahm sie in den Arm. „Ist schon gut“, sagte sie zärtlich und fuhr Sam durch das Haar. Dann lächelte sie boshaft. „Wer weiß. Vielleicht ist es ja auch Urlaub für mich, euch mal drei Wochen lang nicht zu sehen.“ „Mutti!“ sagte Sam entrüstet. Dann merkte sie, daß ihre Mutter nur einen Witz ge- macht hatte. „Du bist ein Biest“, sagte sie erleichtert. „Bist du wirklich nicht böse, daß wir fahren?“ Doris schüttelte den Kopf. „Wirklich nicht. Ich bin nur sauer auf meinen Boß, aber nicht auf euch.“ „Dad sagt gar nichts dazu“, meinte Sam und sah mich an. „Möchtest du denn nicht mit mir fahren?“ „Ich möchte mit euch beiden fahren“, sagte ich etwas traurig. „Aber was nicht geht, geht nicht.“ Doris und ich schauten uns kurz an. Dann nickte ich. „Doch, Spatz“, sagte ich zu Sam. „Ich fahre gern mit dir. Obwohl ich deine Mutter vermissen werde.“ „Ich auch“, sagte Sam leise.
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Freitag nachmittag. Sam hatte Schulschluß und kam aufgeregt nach Hause. Doris hatte, trotz ihrer vielen Arbeit, schon am Vorabend die Koffer für uns gepackt. Sam verstaute noch einige Bücher, ihren Walkman und Kassetten, dann trugen wir die Koffer zum Auto. Wir hatten uns schon am Morgen von Doris verabschiedet, aber es war doch ein sehr fremdartiges Gefühl, ohne sie loszufahren. Ich rief sie noch einmal an, doch sie war gerade in einer Konferenz. Traurig schlossen wir das Haus ab und gingen zum Auto. Sam setzte sich auf den Beifahrersitz, schnallte sich an und hing ih- ren Gedanken nach. Ich warf noch einen letzten Blick auf das Haus, in der Illusion, daß Doris erscheinen und sagen würde, sie könnte doch mitfahren, aber nichts derglei- chen geschah. Schließlich stieg ich ebenfalls ein und startete den Motor. Wir fuhren los. Am Abend waren wir in Duluth und übernachteten dort. Am Morgen sollte es weitergehen nach Thunder Bay, von dort aus nach Norden bis Armstrong, dann nach Osten bis Green. Von dort aus südöstlich, bis wir in ein kleines Dorf kamen, wo wir die Schlüssel für die Blockhütte abholen würden, die ich, auf Empfehlung eines Freun- des, bestellt hatte. Noch ein paar Meilen weiter, und wir wären am südlichsten Ende der Landzunge, weitab von anderen Menschen, um uns herum nur Wald und der See. Gut erholt standen wir auf, frühstückten in aller Ruhe und fuhren weiter nach Thunder Bay. Mittlerweile war unsere Traurigkeit wegen Doris nicht mehr ganz so groß. Sam steckte eine ihrer Kassetten in das Autoradio. Wir sangen die Texte mit, soweit wir sie kannten. Kurz nach Thunder Bay stand ein Mädchen in Sams Alter am Straßenrand und hielt den Daumen hoch. „Sollen wir die mitnehmen?“ fragte Sam und schaute neugierig hinaus. „Vielleicht will die ja in unsere Richtung.“ „Schon Heimweh nach einer Freundin?“ grinste ich und fuhr langsamer. Sam blitzte mich an. „Nein! Aber die sieht so... so hilflos aus.“ Ich brachte den Wagen hinter dem Mäd- chen zum Stehen. Sie kam heran. Sam ließ die Scheibe herunterfahren. „Hi“, begrüßte sie die Fremde freundlich. „Wo willst du denn hin?“ „Richtung Armstrong“, sagte das Mädchen. Sam drehte sich zu mir. „Da kommen wir doch dran vorbei, oder? Können wir sie mitnehmen?“ „Von mir aus“, sagte ich und schaute das Mädchen an. „Komm rein, wenn du möchtest.“ „Gerne. Danke.“ Sie öffnete die hintere Tür, warf ihre Tasche auf den Rücksitz und ließ sich schwerfällig in den Sitz fallen. Ich fuhr weiter. Sam drehte sich auf ihrem Sitz und sah nach hinten. „Machst du auch Urlaub?“ plapperte sie los. „Wir fahren an den Lake Nipigon. Dad hat da eine Blockhütte gemietet. Wo kommst du denn her? Wir kommen aus Minneapolis. Wie heißt du denn? Ich bin Samantha, genannt Sam, und das ist mein Dad. Er...“ „Sam“, ermahnte ich sie freundlich. „Du solltest ihr eine Chance geben, zu ant- worten.“ Sam grinste verlegen. „Tut mir leid. Wie heißt du?“ „Ellen“, murmelte das Mädchen in einem Ton, der jeden anderen sofort zur Aufga- be des Gesprächs gebracht hätte. Außer Sam. „Hi, Ellen“, lächelte sie. „Nett, dich kennenzulernen.“ „Sam“, sagte ich, „vielleicht möchte Ellen nicht reden.“ „Möchtest du dich nicht unterhalten?“ fragte Sam besorgt. Ellen schüttelte den Kopf. „Im Moment nicht.“ „Okay“, sagte Sam etwas beleidigt und drehte sich wieder nach vorne. Sie kramte eine Kassette aus ihrer Tasche und legte sie in das Fach des Autoradios. „Stört es dich, wenn ich Musik höre?“ fragte sie etwas spitz nach hinten. Im Innenspiegel sah ich El- len, die ihren Kopf schüttelte. Sam zuckte die Schultern und schaltete das Radio ein. Dann sah sie nach draußen, den Ellenbogen auf die Armlehne gestützt, den Kopf auf die Hand gelegt. Mir war nicht entgangen, daß Ellen einen verstörten und tieftraurigen Eindruck machte. Ich verglich sie kurz mit Sam. Beide waren etwa gleich alt, soweit ich das be- urteilen konnte, und gleich groß, aber damit endete auch schon jede weitere Gemein- samkeit. Sam kam nach mir; sie war kräftig gebaut, ohne dick zu sein, hatte blonde, schulterlange Haare und blaue Augen, und ein freundliches, weltoffenes Wesen. Ellen war sehr schlank, schwarzhaarig und hatte braune Augen, die verschlossen, mißtrau- isch und ängstlich in die Welt blickten. Ihre ungepflegten Haare fielen lang bis in den Rücken. Sam war nett und hübsch angezogen: sie trug eine weiße Bluse, einen Jeans- rock und flache Schuhe. Ellen trug ein schwarzes, unordentliches T-Shirt mit vielen Flecken im Brustbereich, schwarze, abgetragene Jeans und schwarze, fleckige Turn- schuhe. Ich fing an, mir Gedanken über unseren Passagier zu machen. Nicht nur, weil ihre braunen Augen mich irgendwie gefangen nahmen, sondern weil sie aussah wie jemand, der von zu Hause ausgerissen war. Ich sah Probleme auf uns zukommen.
Gegen Mittag waren wir in Armstrong. Ich parkte an einem kleinen, gemütlich aus- sehenden Restaurant. „Mittagspause“, rief ich fröhlicher, als mir zumute war; Ellens Anwesenheit - bes- ser gesagt, ihre Stimmung - brachte eine etwas depressive Note in unsere kleine Ge- meinschaft. Aber ich wollte mich davon nicht beeinflussen lassen. Sam reckte sich und schnallte sich los. Ich schaute nach hinten. Ellen saß nach wie vor still da und schaute hinaus. „Na los doch“, munterte ich sie auf. „Oder hast du keinen Hunger?“ Sie sah auf. Zum ersten Mal bemerkte ich den tiefen Schmerz in ihren Augen. Was war diesem Kind nur passiert, fragte ich mich, während ich auf ihre Antwort wartete. Schließlich schüttelte sie den Kopf. „Nein.“ „Aha“, sagte ich grinsend. „‘Nein, ich habe keinen Hunger.’ Doppelte Verneinung ergibt ein Ja. Also hast du Hunger.“ Sam kicherte; sie kannte diese semantischen Spielchen von mir. Ellen schaute verwundert auf. „Was meinen Sie?“ „Ganz einfach“, lachte Sam. „Dad hat gefragt, ob du keinen Hunger hast. Du hast verneint, also hast du Hunger.“ Ellen sah Sam an, dann mich. Ihr Blick sagte, daß sie kein Wort verstand. „Paß auf“, lächelte ich. „Hast du Hunger?“ „Nein“, antwortete sie. „Gut. Nächste Frage: Hast du keinen Hunger?“ Jetzt dämmerte es ihr. Ein leichtes Lächeln zog über ihr Gesicht und ließ ihr schmales Gesicht sehr hübsch aussehen. „Ja.“ Sam lachte. „Sie hat es kapiert!“ Ellen mußte gegen ihren Willen mitlachen. Sofort stieg das Stimmungsbarometer um etliche Grade. „Gut“, sagte ich. „Jetzt ohne Witz, Ellen. Möchtest du etwas essen oder trinken?“ „Durst hätte ich schon“, sagte sie verlegen, „aber...“ „Du bist natürlich eingeladen“, sagte ich zuvorkommend. Für einen kurzen Mo- ment zuckte Mißtrauen in ihren Augen auf. Sie schaute auf Sam, die sie fröhlich an- grinste, und auf mich. Dann gab sie nach. „Ja dann...“, lächelte sie und schnallte sich los. „Dann hast du auch Hunger?“ fragte Sam eifrig. „Aber nur auf eine Kleinigkeit“, betonte Ellen und stieg aus. „Wir schauen mal“, erwiderte ich. Gemeinsam betraten wir das kleine, gemütliche Restaurant und suchten uns einen Tisch am Fenster. Ein Grund für unseren Urlaub in dieser Gegend war das Fehlen jeglichen Tourismusses. Das Restaurant war da für die Einheimischen und Durchreisenden. Es war gut gefüllt, aber nicht voll. Sam fragte El- len, ob sie am Fenster sitzen wollte. Ellen lehnte ab. Sie setzte sich so hin, daß sie je- den Moment aufspringen konnte. Ich begann, mich ernsthaft zu fragen, was mit ihr los war. Wir bestellten Getränke und studierten die Speisekarte. Sam wählte ein Schinke- nomelette, ich ein Steak mir Erbsen und Kartoffeln, Ellen einen kleinen Salat. Das brachte ihr einen strafenden Blick von Sam ein. „Du mußt doch was essen“, sagte sie mütterlich. „Tu ich doch“, gab Ellen zurück. „Salat ist doch kein Essen“, entgegnete Sam. „ Salat ist eine Beilage. Du brauchst doch mehr Fleisch auf den Rippen.“ Ellen schaute verschlossen auf den Tisch. „Dad“, drängte Sam, „sag doch auch mal was!“ „Wenn sie nur einen Salat möchte, Spatz, mußt du das akzeptieren.“ Sam wurde widerspenstig. „Aber sie sieht doch so dünn aus!“ Sie griff nach Ellens Arm, um ihren Satz zu untermauern, doch Ellen zog ihn mit einer heftigen Bewegung zurück. „Faß mich nicht an!“ zischte sie. Blanke Wut schoß aus ihren Augen. Sam wich er- schrocken zurück. „Entschuldigung“, sagte sie betroffen. Ich zählte Eins und Eins zusammen und kam auf Zwei. „Ellen“, sagte ich so sanft wie möglich. „Niemand von uns wird dir etwas tun. Sam macht sich einfach nur Sorgen um dich. Sie hat noch nicht gelernt“ - ich warf meiner Tochter einen kurzen Seitenblick zu - „daß verschiedene Menschen unterschiedliche Eßgewohnheiten haben und unterschiedlich viel Essen brauchen. Sie meint es nur gut. Sei nicht sauer auf sie, ja?“ Ellen beruhigte sich wieder. „Ich bin nicht sauer auf sie. Ich bin... Tut mir wirklich leid, Sam.“ Sie meinte es ehrlich. Sam war zufriedengestellt. „Mein Fehler“, gab sie zu. „Ich hätte dich nicht einfach anfassen sollen.“ Nach ei- ner kurzen Pause fügte sie hinzu: „Trotzdem solltest du etwas mehr essen als nur Grünzeug.“ Ellen sah in Sams Augen und fand nur Sorge um ihre Gesundheit darin. Sie gab nach und blickte mich an. „Wenn ich wirklich...“, begann sie. „Such dir aus, was dir schmeckt“, sagte ich, froh, daß der Konflikt vorbei war. El- len nickte kurz und schaute wieder auf die Karte. Schließlich wählte sie einen Kinder- teller mit Schnitzel und Gemüse. Sam wollte gerade etwas dazu sagen, doch auf einen kurzen Blick von mir blieb sie still. Der Kellner kam und brachte die Getränke, dann nahm er unsere Bestellung auf. „Sie machen also Urlaub?“ fragte Ellen höflich. Sam nickte. „Ja, nur leider ohne Mutti.“ Wieder schoß ein kurzes mißtrauisches Zucken über Ellens Gesicht. „War das so geplant?“ fragte sie. „Nein“, antwortete ich offen. „Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre ich mit Sam zu Hause bei meiner Frau geblieben, aber ich wurde überstimmt.“ Sam sah Ellens fra- genden Blick und erklärte ihr kurz, aber treffend, warum sie alleine mit mir zum See fuhr. „Wir sind eine Familie, Ellen“, fügte ich hinzu, als Sam fertig war. „Und es ist nur wegen Sam, weil sie sich so auf die Ruhe und auf die Gegend gefreut hat. Sonst wären wir wirklich zu Hause geblieben.“ „Verstehe“, sagte Ellen leise. Mittlerweile war mir schon fast klar, was in ihr vor- ging. Ich beschloß, sie vorsichtig auszufragen. „Wo willst du denn hin? In Armstrong sind wir ja schon.“ Ellen spielte mit ihrem Besteck. „Weiter Richtung Green“, meinte sie schließlich. „Und danach?“ bohrte ich. Sie nannte den Namen eines Dorfes. Es war das Dorf, in dem ich die Schlüssel abholen wollte. Mir schien, daß sie gar nicht wußte, wo sie hin sollte, und solange wie möglich bei uns bleiben wollte. Den Namen dieses Dorfes hatten Sam und ich mehrmals erwähnt. Ich ließ es dabei bewenden. Spätestens im Dorf würde sie sich von uns trennen müssen. Sie konnte ja schlecht sagen, daß sie in die gleiche Blockhütte wollte wie wir. Dieser Gedanke tat mir leid; ich mochte Ellen, trotz ihres merkwürdigen Verhaltens, das ich mir jedoch zu einem gewissen Teil erklären konnte. Ich mochte sie sogar sehr, gestand ich mir selbst ein. Sam lockerte die Wartezeit bis zum Essen auf durch lustige Geschichten aus ihrer Schule, in denen sie nicht gerade die beste Rolle spielte, und schon bald waren wir alle am Lachen. Sam hatte das Talent, sich selber nicht allzu ernst zu nehmen, und das brachte ihr in der Schule wie in der Nachbarschaft viele Freunde. Anderseits konnte sie sehr zielstrebig und entschlossen sein, wenn sie etwas wirklich wollte. Ich fand, es war eine interessante Mischung. Meine Haare, Augen und Statur sowie der Charakter von Doris waren in ihr vereint. Ich schaute meine kleine Tochter an und merkte plötz- lich, daß ich mich auf die nächsten drei Wochen allein mit ihr freute. Wir würden uns sehr nahe kommen und sehr viel Zeit füreinander haben, mehr als zu Hause. Und das war schon merkwürdig, fand ich, denn ich war ja täglich zu Hause und schrieb an den Handbüchern für neue Software, aber vielleicht war es genau das: ich war immer da. In den nächsten drei Wochen konnte sich keiner von uns auf sein eigenes Zimmer zu- rückziehen; egal, was kam, wir mußten es durchstehen. Ich war sicher, wir würden es schaffen. „Was ist denn, Daddy?“ fragte Sam mitten in meine Überlegungen hinein. Ich faßte alle meine Gedanken in einem einzigen Satz zusammen. „Ich hab dich lieb, Spatz“, sagte ich. Sam strahlte. „Ich dich auch, Dad.“ Sie griff nach meiner Hand und drückte sie. Ellen drehte sich um und schaute auf die Flaschen an der Bar. Ich kümmerte mich nicht um sie. „Versprichst du mir etwas, Sam?“ fragte ich ernst. „Was denn?“ Sie sah mich mit ihren großen blauen Augen an. „Daß du mit mir über alles redest, was dich stört und bewegt. Ich möchte nicht, daß wir in den drei Wochen hier Streit bekommen, nur weil wir nicht miteinander re- den oder Mißverständnisse nicht aufklären.“ „Das verspreche ich“, strahlte Sam. Ellen drehte sich wieder zu uns. „Sie mögen Ihre Tochter wohl sehr“, meinte sie mit einem komischen Unterton. „Natürlich“, lachte ich. „Ich liebe sie sogar wie mein eigenes Kind. Das ist sie ja, nebenbei gesagt, auch.“ Sam kicherte. Ellen öffnete den Mund, um etwas zu sagen, überlegte es sich jedoch anders und schloß ihn wieder. „Dad ist richtig lieb“, sagte Sam offen. „Er ist immer da, wenn ich ihn brauche. Genau wie Mom.“ „Schon gut, Sam“, sagte ich leichthin. „Wir wollen Ellen doch nicht mit unserem Familienleben langweilen.“ Ich hatte bemerkt, daß in Ellens Augen wieder Schmerz war. Sie blinzelte kurz. „Ich finde das nicht langweilig“, sagte sie ernst. „Ich fragte mich nur gerade, war- um manche Eltern so lieb und andere wieder so grausam sind.“ Sie sagte es, als ob es sie selbst nicht beträfe, doch ich spürte die Absicht hinter ihren Worten. „Ich kann nur von uns reden“, sagte ich, „und von meiner Einstellung zur Familie und zu Kindern. Für mich sind Kinder etwas sehr Wertvolles; etwas, was sehr gut be- schützt werden muß. Als Vater oder Mutter muß ich mein Kind auf das Leben vorbe- reiten, ohne es zu erschrecken oder zu ängstigen, und dabei dem Kind genug Selbst- vertrauen geben, damit es später, wenn es alleine ist, selbst zurechtkommt.“ Ellen nickte nachdenklich. „Und andere Eltern“, sagte sie leise, „geben dem Kind einfach einen Stoß, damit es aus dem Nest fällt. Wenn es dann nicht fliegen kann, ist es selbst schuld.“ „In der Regel“, antwortete ich, „wissen die Eltern, wann das Kind flügge ist. Aber ich weiß, was du meinst. Zum Glück sind immer Menschen da, an die ein Kind sich wenden kann, wenn es alleine ist und nicht mehr weiter weiß.“ Dieser letzte Satz kam von einer Stelle meines Bauches, die anfing, sich sehr für Ellen zu erwärmen. Sie sah auf und lächelte leicht. „So wie Sie?“ „Wenn ich helfen kann, helfe ich“, sagte ich ehrlich. „Ich muß nur um Hilfe gebe- ten werden. Ich mische mich nicht ungefragt ein.“ „Ach ja?“ fragte Sam spitz. „Was war denn mit meiner letzten Klassenarbeit in Geschichte?“ „Da mußte ich mich einmischen, mein süßer kleiner Spatz“, grinste ich, „weil dein Lehrer mich darum gebeten hatte. Du hättest mir ja nie erzählt, daß du eine Fünf be- kommen hast.“ Sam murmelte etwas, was wie eine Beleidigung klang, doch sie sagte es so leise, daß ich es nicht genau mitbekam. Dafür fing Ellen an, zu lachen. Sie hatte es verstanden, doch keines der Mädchen wollte mir sagen, worum es ging. „Typisch“, maulte ich. „Kaum sind Frauen untereinander, geht es über die Männer her.“ „Die haben es ja auch verdient“, sagte Ellen mit mehr Verständnis und Wut, als es ihrem Alter zustand. „Ja klar“, sagte ich und spielte beleidigt. „Genau wie Frauen immer zänkisch sind.“ „Gar nicht wahr!“ - „Stimmt doch gar nicht!“ Sam und Ellen protestierten heftig, und schon war eine herrliche Diskussion über typisch männlich oder weiblich im Gan- ge, die erst unterbrochen wurde, als das Essen kam. Wenigstens hatte Ellen ihren Tief- punkt überwunden. Sie lachte jetzt mehr und war wesentlich offener als vorher. Sie war richtig hübsch, wenn sie lachte. Ich ertappte mich dabei, daß ich sie immer öfter ansah.
Ich fuhr den Wagen in eine Parklücke vor einem Lebensmittelgeschäft und schal- tete den Motor aus. „Da wären wir“, sagte ich zu Ellen. „Sam und ich müssen jetzt etwas einkaufen für die nächsten Tage, dann fahren wir weiter zur Hütte. Wo gehst du jetzt hin?“ Als Ellen merkte, daß dies ein Abschied war, blickte sie alarmiert auf die wenigen Häuser, die das Dorf bildeten. Sie war in einer Sackgasse gelandet. Ich wußte es, und sie wußte es. Aber würde sie es zugeben? Sam drehte sich auf ihrem Sitz herum und streckte Ellen ihre Hand hin. „Es war schön, dich kennengelernt zu haben“, sagte sie ehrlich. „Wenn du mal wieder in der Gegend bist, schau doch mal vorbei. Ich würde mich freuen, dich wiederzusehen.“ Automatisch griff Ellen nach Sams Hand und schüttelte sie. „Tja“, machte sie dann, „ich schätze, ich werde dann mal zu meinen Leuten hier gehen.“ Sie sah uns nicht an, sondern griff nach ihrer Tasche und stieg aus. Sam und ich verließen ebenfalls den Wagen. Ich reichte Ellen ebenfalls meine Hand zum Ab- schied. Etwas in mir weigerte sich, sie hier einfach so stehen zu lassen, aber ich hätte es Sam - und vor allem Doris - gegenüber niemals rechtfertigen können, wenn ich sie mit zu uns in die Hütte genommen hätte, egal, wie meine Gefühle zu ihr aussahen. „Alles Gute, Ellen“, sagte und meinte ich. „Und denk immer dran: Wenn du Freunde brauchst, findest du auch welche.“ Sie schüttelte kurz meine Hand und be- dankte sich für das Mitnehmen. Dann lächelte sie Sam noch einmal zu , drehte sich um und ging die Straße zurück, die wir gekommen waren. Sam und ich gingen in das Ge- schäft, holten den Schlüssel gegen Bezahlung der Miete und kauften Lebensmittel für die nächsten drei oder vier Tage. Als wir wieder herauskamen, dachte ich, ich hätte Ellen hinter einem Haus stehen sehen, doch als ich näher hinsah, war dort nichts. Wir verstauten die Tüten auf der Rückbank, stiegen ein und fuhren die letzten paar Meilen zur Hütte. Ich folgte den Anweisungen, die ich in dem Geschäft bekommen hatte, und ohne uns zu verfahren, fand ich den kleinen Weg durch einen dichten Wald, der von der Straße abging. Wir bogen ein, fuhren noch etwa 600 Yards, dann endete der Weg. Einige Schritte vor uns stand die Hütte, die größer war, als ich vermutet hatte. „Das sieht ja fantastisch aus!“ rief Sam überwältigt. Ich mußte ihr recht geben. Der Himmel war klar und hellblau, mit nur vereinzelten kleinen Wolken, die Bäume trugen ihr schönstes Grün, der See schimmerte klar und rein, die Wiese zwischen Hütte und See war saftig und dicht, die Hauptstraße von hier aus nicht mehr zu sehen. „Das ist wunderschön hier, Dad“, sagte Sam, schnallte sich los und umarmte mich stürmisch. „Danke!“ „Gefällt es dir wirklich?“ Sam nickte heftig. „Ja. Genauso hab ich es mir vorgestellt. Nur du und ich und Natur. Und ganz viel Ruhe.“ „Wir sprechen uns in ein paar Tagen wieder“, lachte ich. „Dann denkst du be- stimmt anders darüber.“ „Garantiert nicht“, sagte Sam ernst und schaute mich an. „Du weißt doch, daß ich den ganzen Großstadtlärm nicht mag.“ Plötzlich schaute sie bekümmert drein. „Nur schade, daß Mutti nicht hier sein kann.“ „Ich weiß, Spatz. Mir fehlt sie auch.“ Ich tröstete Sam, indem ich zärtlich ihr Haar kraulte. „Wollen wir denn noch weiter hier sitzen bleiben oder ausladen?“ „Ausladen!“ Sam sprang aus dem Wagen, nahm zwei Tüten vom Rücksitz und ging zur Tür der Hütte. Ich folgte ihr mit den restlichen beiden und schloß auf. Ein er- staunter Ausruf entfuhr Sam. „Boah! Ist das schön!“ Ein gemütlich eingerichtetes Zimmer begrüßte uns. Wir schauten auf einen großen Tisch mit sechs Stühlen, im hinteren Teil der Hütte, mit ei- nem Vorhang abgetrennt, standen zwei große Betten, auf dem Boden lagen viele Felle von Tieren, die ich zwar von Bildern her, aber nicht dem Namen nach kannte, an den Wänden standen mehrere Regale, es gab ein großes Waschbecken, eine chemische Toilette, einen Kühlschrank mit großem Tiefkühlfach, einen großen Herd, zwei große Schränke und viele Fenster, die Sam sofort öffnete. Das hereinfallende Licht enthüllte weitere Details: Bilder von Landschaften und Tieren an den Wänden, kleine handge- schnitzte Figuren in den Regalen und eine Inventarliste auf dem Tisch, auf der alle Ge- genstände aufgeführt waren, zusammen mit dem Kaufpreis, falls wir etwas von den Gegenständen mitnehmen wollten. Der Vermieter der Hütte hatte schon gesagt, daß hier nur Leute Urlaub machen würden, die ihm entweder persönlich oder über andere bekannt waren, und daß er solange Vertrauen hätte, bis er enttäuscht werden würde. Dies gab mir ein sehr gutes Gefühl. Wir trugen die Koffer hinein, räumten die Lebensmittel in den Kühlschrank, dann sortierten wir unsere Kleidung in die Schränke. Gegen sieben Uhr abends waren wir fertig. „Teil Eins geschafft“, sagte ich und ließ mich auf einen Stuhl fallen. „Was ist Teil Zwei?“ fragte Sam und kam mit zwei Dosen Limonade zum Tisch. „Noch mal zurück ins Dorf und Mutti anrufen. Bescheid sagen, daß wir gut ange- kommen sind und uns eingerichtet haben.“ Sam freute sich. „Kann ich mit?“ „Sicher doch. Wenn du nicht mit ihr sprichst, glaubt sie vielleicht noch, ich hätte dich unterwegs verkauft.“ Sam kicherte. „Wollen wir direkt los?“ „Ja, am besten. Dann direkt in die Falle. Ich bin todmüde von der Fahrt.“ „Ich auch“, gähnte Sam und streckte sich. „Stundenlang im Auto sitzen macht ganz schön müde.“ „Oh ja, Sam. Dann trink mal aus.“ Sam nahm einen tiefen Zug von der Limo und stellte die Dose zurück. Dann gingen wir zum Auto, stiegen ein und fuhren los. Kurz nachdem wir auf die Straße eingebogen waren, richtete Sam sich plötzlich auf und sah angestrengt hinaus. „Was ist los?“ fragte ich. Sam zuckte die Schultern. „Weiß nicht. Ich dachte, ich hätte Ellen gesehen. War wohl Einbildung.“ Sie lehnte sich wieder an. Ich warf schnelle Blicke in die Spiegel, sah jedoch nichts. „Sie ist komisch“, sagte Sam nachdenklich. Sam war zwar aufgeklärt, aber von gewissen Abarten wußte sie noch nichts, und wenn es nach mir ging, wollte ich dies so lange wie möglich von ihr fernhalten. „Sie hat wohl ziemlich viel erlebt“, sagte ich deshalb vorsichtig. „Was denn?“ wollte Sam neugierig wissen. „Ich nehme an, daß ihre Eltern sie ziemlich mies behandelt haben. Vielleicht sogar geschlagen.“ „Deswegen wollte sie auch nicht, daß ich sie anfasse?“ Sam sah mich mit großen Augen an. Ich nickte. „Wahrscheinlich. Es hat sie vielleicht daran erinnert, daß sie am Arm gezogen und verprügelt wurde. Aber genau weiß ich es nicht.“ „Ist sie vielleicht auch mißbraucht worden?“ fragte Sam aufgeregt. Ich warf ihr ei- nen scharfen Blick zu. „Wo hast du das denn her?“ „Ein Mädchen bei uns in der Schule hat sich genauso benommen wie Ellen“, plap- perte Sam. „Es kam dann raus, daß ihr Vater sie mißbraucht hat.“ Ich schloß für einen kurzen Moment die Augen. Das war genau das, wovor ich Sam beschützen wollte, doch die Schule hat ihre eigenen Regeln. „Was ist das eigentlich genau?“ Sam drehte sich auf ihrem Sitz und schaute mich wißbegierig an. „Mißbrauchen?“ fragte ich zurück. Sam nickte eifrig. „Ja. Was bedeutet das? Mir konnte das keiner so genau erklären.“ Wer A sagt... „Paß auf, Sam. Mißbrauch ist so ähnlich wie Vergewaltigung, nur daß Mißbrauch noch schlimmer ist. Mißbrauch ist, wenn ein Elternteil das eigene oder ein anderes abhängiges, minderjähriges Kind für eigene sexuelle Bedürfnisse benutzt. Wenn jemand vergewaltigt wird, kann sie oder er zur Polizei gehen, aber ein miß- brauchtes Kind wird von den Eltern so unter Druck gesetzt, daß es sich an niemanden wenden kann, weil es einfach zuviel Angst hat.“ „Puh“, machte Sam. „Das heißt, das Ellen von ihrem eigenen Vater...?“ „Möglich“, antwortete ich. „Ich habe den Eindruck, daß Ellen abgehauen ist. Aber solange wir nichts Genaues wissen, dürfen wir uns nicht einmischen. Es kann ja auch sein, daß sie wirklich jemanden hier in der Gegend kennt und ihn oder sie besucht. Wenn wir jetzt mit so einer Anschuldigung hereinplatzen und sie nicht stimmt, machen wir uns ganz schön lächerlich. Vielleicht ist sie einfach so schlecht drauf, weil sie sit- zengeblieben ist. Oder weil jemand aus ihrer Familie gestorben ist. Wir wissen es nicht.“ Sam war schon ganz woanders. „Habt ihr mich auch schon mal mißbraucht?“ fragte sie neugierig. „Sam!“ sagte ich aufgebracht, dann wurde mir klar, daß meine Tochter den morali- schen und rechtlichen Inhalt dieses Wortes noch gar nicht richtig erfaßt hatte. Ich be- ruhigte mich wieder. „Kleines, stell dir mal vor, ich würde abends in dein Zimmer kommen, dir dein Nachthemd vom Leib reißen und dich vergewaltigen.“ Sam sah mich erschrocken an. „Kannst du dich daran erinnern?“ „Nein“, sagte Sam aufgewühlt. „Hast du ein schlechtes Gefühl, wenn du an deine Mutter oder an mich denkst?“ „Nein, natürlich nicht. Ich hab euch beide doch lieb!“ „Na siehst du“, sagte ich lächelnd und strich ihr über das Haar. „Wenn wir dich jemals mißbraucht hätten, würdest du Angst vor uns haben. Du würdest uns aus dem Weg gehen, wo du nur könntest. Und auf keinen Fall hättest du uns lieb. Das Schlim- me am Mißbrauch ist, daß der Erwachsene sich einfach über die Wünsche und Pri- vatsphäre des Kindes hinwegsetzt und dem Kind seinen eigenen Willen aufdrückt. Das Kind wird benutzt wie ein Taschentuch, das nach Gebrauch weggeworfen wird.“ Ich strich ihr zärtlich über den Nacken. „Aber deine Mutter und ich sind nicht so. Wir lie- ben dich.“ Sam lächelte mich beruhigt und dankbar an. „Ich liebe euch auch.“ Mittlerweile waren wir in dem Dorf angekommen. Ich hielt vor einem öffentlichen Telefon und wählte unsere Nummer. Schon nach dem ersten Klingeln meldete sich Do- ris. Ich ließ sie zuerst mit Sam sprechen, dann wechselten wir noch einige Sätze. Doris war beruhigt, daß wir gut angekommen waren. Wir versprachen ihr, am Montag wie- der anzurufen, wünschten uns gegenseitig noch alles Gute, dann legte ich auf. Sam griff nach meiner Hand, als wir zum Auto zurückgingen; sie vermißte ihre Mutter. Doch auf der Rückfahrt zur Hütte legte sich ihre traurige Stimmung. Schließlich war Urlaub. Trotzdem ging Ellen mir nicht aus dem Kopf. Irgend etwas an ihr zog mich an. Nicht körperlich, nein; sondern etwas, das viel tiefer lag.
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„Jetzt schau dir das an!“ sagte ich verblüfft. Auf der Treppe zur Hütte saß Ellen und schaute krampfhaft unbeteiligt auf den See. Sam lief zu ihr. „Hi!“ sagte sie erfreut. „Was treibst du denn hier?“ Ich kam dazu und sah Ellens Augen. Sie wußte nicht, wo sie hin sollte; gleichzeitig hatte sie Angst, die Wahrheit zu sagen „Sam“, sagte ich ruhig zu meiner Tochter. „Läßt du uns mal einen Moment allein?“ „Ja. Sicher.“ Sam schaute mich fragend an. Ich erwiderte ihren Blick und versuch- te, ihr mitzuteilen, daß ich mit Ellen reden wollte. Sie verstand. „Ich muß eh’ noch auf- räumen.“ Sie verschwand in der Hütte. Ellen stand auf, unsicher, was ich vorhatte. „Kommst du mit?“ sagte ich zu ihr. „Laß uns ein bißchen am Wasser laufen.“ Ich machte keinerlei Anstalten, sie zu zwingen oder sie zu berühren. Ich ging einfach los, zwar langsam, aber stetig, und hoffte, daß sie mir folgen würde. Sie tat es. Ich hörte ihre leisen Schritte im Gras. Schließlich war sie neben mir, hielt jedoch etwa zwei Schritte Abstand zu mir. Langsam gingen wir am Wasser ent- lang. „Ellen“, sagte ich dann. Sie blickte kurz zu mir und schaute wieder auf den Boden. „Wenn wir dir irgendwie helfen können, laß es uns wissen. Ich weiß nicht, was du hinter dir hast, obwohl ich mir einiges denken kann, aber egal, was es war, es zählt hier nicht. Hör einfach auf dein Gefühl, ob du Sam und mir vertrauen kannst, und wenn du denkst, du kannst es, dann rede mit uns.“ Ich fühlte, daß Ellen diese Worte in sich wirken ließ. Schweigend gingen wir wei- ter. Schließlich holte sie tief Luft, dann erzählte sie von sich und von ihrer Vergangen- heit. „Ich bin abgehauen.“ Ihre Stimme war leise, aber ich hatte keine Schwierigkeiten, sie zu verstehen. „Ich bin abgehauen, weil ich meine Eltern umgebracht habe. Und ich habe es getan, weil sie mich beinahe umgebracht haben.“ Sie schwieg. Sie wartete auf eine Reaktion von mir. „Red weiter“, meinte ich so sachlich und unbeteiligt wie nur möglich. „Ich habe gewartet, bis sie schliefen. Dann habe ich den Gasherd angedreht, ohne das Feuer anzumachen. Ich habe meine Sachen gepackt, einen Wecker so gestellt, daß er nach zwanzig Minuten klingeln würde, und bin einfach weggegangen. Ich dachte mir, wenn der Wecker klingelt, würden sie wach werden und Licht anmachen, und dann... Bumm! Es hat auch wunderbar geklappt“, sagte sie bitter. „Ich war schon eini- ge Blocks weiter, als es laut knallte. Ich hab mich nicht mal umgedreht.“ Ihre Stimme zitterte. „Wollen Sie wissen, warum ich das getan habe?“ „Wenn du es erzählen möchtest...“ „Meine Mutter hat mich jede Woche mindestens einmal so verprügelt, daß ich kaum laufen konnte. Jeden Freitag abend, manchmal auch öfter. Sie war schon ir- gendwie gerissen. Sie hat es immer zum Wochenende oder vor einem Feiertag ge- macht, damit ich ja nicht in der Schule fehle. Das könnte ja unangenehm auffallen. Als sie dann ihren Macker kennengelernt hatte, wurde es noch schlimmer. Dieser Arsch hatte Spaß daran, mich zu foltern. Ich meine damit, richtig zu foltern. Er hat mich ge- fesselt und geknebelt, dann prügelte meine Mutter auf mich ein, und er machte mit. Einmal war ich das ganze Wochenende bewußtlos. Für den Montag habe ich eine Ent- schuldigung bekommen: weil mir schrecklich übel war. War nicht einmal gelogen.“ Sie schluckte schwer. „Als ich dann vierzehn wurde, wurde es richtig schlimm. Er fing an, mich mit seinem Gürtel zu verprügeln. Er schlug mich auf den Rücken, auf den Hin- tern, auf die Beine, auf den Kopf, aber am liebsten auf den Oberkörper. Ihm war es egal, was er traf, Hauptsache, es tat mir richtig weh. Gestern Abend war es dann mal wieder soweit. Mutter hat sich vollaufen lassen, Mark hat kräftig mitgeschluckt. Ich wollte abhauen, aber er hat mich in der Tür abgefangen und an das Bett gefesselt. Als beide so richtig voll waren, fingen sie wieder an, auf mich einzuschlagen.“ Ellen zog während des Gehens ihr T-Shirt aus der Hose und machte ihren Rücken frei. Er war voll von Striemen und blauen Flecken. Ich schloß die Augen. „Als sie dann ihre Wut abgeprügelt hatten, fing der Typ an, sich auszuziehen. Er legte sich auf mich und hat...“ Sie kämpfte ihre Tränen nieder. „Daß ich meine Tage hatte, machte ihn nur noch geiler. Mutti hat nur zugeschaut und gelacht. Das war der Moment, wo ich be- schlossen hab, sie alle zu machen. Als er fertig war, konnte ich mich kaum mehr be- wegen. Mir tat alles weh, nicht nur außen, sondern auch innen. Er grinste mich dann widerlich an. ‘Das machen wir jetzt jeden Abend’, sagte er und drückte mir einen sab- bernden Kuß auf meine Lippen. Ich habe ihn angespuckt. Er lachte nur, machte meine Fesseln los und ging raus. Ich war so wütend, daß alles in mir richtig kalt war. Kennen Sie das Gefühl?“ Ich nickte. „Ich habe gewartet, bis sie eingeschlafen waren, dann ha- be ich den Herd angemacht. Trotz meiner Schmerzen war eine unglaubliche Kraft und Entschlossenheit in mir. Nach der Explosion bin ich einfach nur weitergegangen, im- mer der Straße nach, die ganze Nacht durch, bis Sie und Sam dann angehalten und mich mitgenommen haben. Als Sam dann beim Essen vorhin sagte, daß Sie ohne Ihre Frau in Urlaub wären, dachte ich im ersten Moment, ich wäre vom Regen in die Traufe gekommen, aber dann wurde mir langsam klar, daß das bei Ihnen etwas anderes ist. Sam mag Sie wirklich, und Sie mögen Sam auch. Daß Vater und Tochter so miteinan- der umgehen, war irgendwie neu und ungewohnt für mich. Es tut mir leid, daß ich so aggressiv war. Rufen Sie jetzt die Cops?“ An ihrer Stimme konnte ich ablesen, daß sie aufgegeben hatte. Sie hatte kein Ziel mehr. „Nein“, sagte ich langsam und blickte sie an. „Ellen, wenn du wirklich eine Mör- derin wärst, würde ich nicht zögern, dich an die Polizei zu übergeben. Aber du erin- nerst mich an einen Vogel, den Sam mal gefunden hat.“ Ellen blickte mich fragend an. Ich lächelte leicht. „Das arme Tier hatte sich einen Flügel gebrochen und flatterte hek- tisch im Garten herum. Sam lief hinterher und fing es ein, um es gesund zu pflegen. Der Vogel hackte und pickte nach ihr, als sie ihn endlich gefangen hatte. Sams Hände waren völlig blutig, aber sie beruhigte das verletzte Tier, bis es endlich stillhielt. Dann schiente sie den Flügel und pflegte den Vogel, bis der Flügel wieder heil war.“ Ich wollte Ellen die Hand auf die Schulter legen, ließ es aber lieber sein. „Der Vogel hat genauso gehandelt wie du. Er fühlte sich bedroht, er war verletzt, und er kam mit der Situation im ersten Moment nicht klar. Erst als er fühlte, daß Sam ihm helfen wollte, ließ er es zu. Wir konnten dem Vogel doch keinen Vorwurf machen, daß er Sam ver- letzt hatte. Er hatte nur so gehandelt, wie seine Instinkte ihm rieten. So wie du. Ellen, als ich dich das erste Mal gesehen hatte, war mir klar, daß du irgend ein großes Leid mit dir herumschleppst. Ich kann nur sagen, daß es mir sehr leid tut, was dir geschehen ist, und noch mehr bedaure ich, daß es zu einer so gewaltsamen Lösung kommen mußte. Aber du hast in meinen Augen das einzige getan, was du konntest, und deine Eltern - das heißt, deine Mutter und ihr Freund - haben, finde ich, das bekommen, was sie verdient haben.“ Ich machte eine Pause. Ellen schaute sehr erleichtert und beruhigt. „Was mir jetzt nur noch Gedanken macht“, sagte ich dann, „ist: wirst du nicht ge- sucht? Vermißt dich niemand?“ „Glaube nicht“, sagte Ellen nachdenklich. „Wir sind erst vor kurzem da hingezo- gen, und Mutti hatte immer wieder vergessen, uns umzumelden. Verwandte haben wir auch nicht mehr. Es wußte kaum einer, daß wir da wohnen. Die Nachbarn waren auch meistens weg, oder sie saßen auf der Straße und quatschten. Außer meiner Mutter und ihrem Typ dürfte keinem anderen etwas passiert sein. Hoffe ich“, schob sie besorgt nach. Ich beruhigte sie. „Wir holen am Montag eine Zeitung und schauen mal nach. Was hast du jetzt vor?“ Ellen zuckte die Schultern und sagte nichts. „Möchtest du erst mal hier bleiben, bei Sam und mir?“ half ich ihr. Sie preßte die Lippen zusammen und nickte. „Ich weiß doch nicht, wo ich hin soll“, sagte sie leise und sah mich traurig an. „Ich wollte nur da raus!“ Dann brachen ihre Schleusen. Sie kämpfte zwar tapfer dagegen an, doch Trauer und Schmerz waren stärker. Ihr ganzer Körper wurde geschüttelt, als sie weinte. Ich nahm sie in den Arm und hielt sie fest. Sie versteifte sich im ersten Moment, doch dann drückte sie sich fest an mich, umarmte mich und preßte ihr Ge- sicht an mein Hemd. Ich hielt sie einfach nur fest und ließ sie gewähren. Trotz meiner äußerlichen Ruhe war ich tief erschüttert und bewegt. In der Zeitung liest man häufig von solchen Schicksalen, denkt vielleicht kurz darüber nach, wie es dazu kommen konnte, und liest den nächsten Artikel. Man vergißt zu schnell, daß es sich um wirkliche, lebendige Menschen handelt, deren Gefühle betrogen und abgetötet werden. Ich hatte vollstes Verständnis für Ellens Handlung. An ihrer Stelle hätte ich nicht anders gehandelt. Ellen weinte noch immer mit voller Kraft. Ich strich ihr leicht über die Haare und tröstete mit den sinnlosen Lauten, die trotzdem beruhigend wirken. Endlich ließ ihr Schluchzen nach. Sie rieb ihre Augen an meinem Hemd trocken. Ich ließ sie los, doch sie protestierte. „Bitte nicht loslassen. Noch nicht!“ Ich verstand sie und hielt sie weiter im Arm. Schließlich, nach mehreren Minuten, löste sie sich von mir. „Ich hab Ihr Hemd naßgemacht“, sagte sie entschuldigend. „Genau deswegen sind wir doch hergekommen“, lachte ich und zeigte auf den See. „Um naßzuwerden!“ Ellen lachte mit und wischte sich zwei Tränen weg. „Na komm“, sagte ich. „Gehen wir erst mal zurück und essen zu Abend, dann schauen wir, wo wir dich unterbringen.“
Sam war einigermaßen überrascht, als sie von mir hörte, daß Ellen eine Waise sei und aus Angst vor dem Waisenhaus abgehauen war. Ellen eine Ausreißerin? Das stei- gerte ihr Ansehen in Sams Augen ungemein. Die Hintergründe hatten Zeit, fand ich, und es war ja auch soweit nicht gelogen. Hilfsbereit, wie Sam nun einmal war, bot sie Ellen sofort an, bei uns zu bleiben. Erst dann fragte sie mich, ob das in Ordnung ginge. „Nachdem du ihr gesagt hast, sie kann bleiben“, lächelte ich, „kann ich ihr ja jetzt schlecht sagen, daß sie in der Wildnis übernachten soll.“ Sam nahm diese leichte Er- mahnung zur Kenntnis, freute sich aber über ihren „Sieg“. „Sie kann ja bei mir im Bett schlafen“, schlug Sam hoffnungsvoll vor. „Wenn du möchtest“, fügte sie besorgt hinzu. „Gerne“, sagte Ellen dankbar. Dann sah sie mich an. „Falle ich Ihnen auch nicht zur Last? Ich meine, Sie wollen ja Urlaub machen und so...“ „Da mach dir mal keine Sorgen, Ellen“, erwiderte ich sanft. „Du bist eingeladen und kannst bleiben. Alles weitere wird sich schon ergeben. Erhol dich erst mal, ja?“ Dankbar nickte Ellen, den letzten Satz verstehend. „Das ist sehr nett. Vielen Dank.“ „Wie alt bist du eigentlich?“ wollte Sam wissen. „Kurz vor fünfzehn“, antwortete Ellen. Sam starrte sie mit offenem Mund an. „Fünfzehn??? Ich dachte, du wärst...“ Sie brach staunend ab. „Ja?“ fragte Ellen. „Wie alt dachtest du?“ „Na ja“, meinte Sam verlegen. „Ich dachte, du wärst so alt wie ich.“ „Und wie alt bist du?“ „Dreizehn, nächsten Samstag.“ Jetzt starrte Ellen sie an. „Du hast nächsten Samstag Geburtstag? Ich auch!“ Sprachlos blickten sich die Mädchen an. Ich klatschte in die Hände. „Ist doch herrlich“, freute ich mich. „Brauchen wir nur einmal zu feiern statt zwei- mal.“ „Daddy!“ Sam stampfte mit dem Fuß auf. „Wenn mein Geburtstag eine so große Last für dich ist...“, meinte sie schnippisch. Ich knubbelte sie, bis sie lachte. „Eine Riesenlast“, lachte ich. „Und erst die ganzen Geschenke im Auto... Kein Wunder, daß der Wagen so viel Benzin brauchte.“ Sams Augen wurden groß. „Meine Geschenke hast du mit?“ Das Geburtstagsfieber packte sie. „Und die sind im Auto?“ „Ja“, feixte ich, „aber das bleibt zu, und die Schlüssel behalte ich.“ „Ach, Dad!“ jammerte Sam. Ellen blickte neidisch aus dem Fenster und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Mir kam eine Idee, sie mit einzubeziehen. „Ellen, könntest du mir einen Gefallen tun?“ fragte ich sie. Sie drehte sich zu mir. „Welchen denn?“ „Könntest du die Autoschlüssel nehmen und darauf aufpassen? Ich fürchte nämlich, daß Sam mich noch weichklopft.“ Ich reichte ihr die Schlüssel. Sam und Ellen sahen staunend auf meine Hand. Schließlich griff Ellen danach und nahm die Schlüssel. „Ich werde darauf aufpassen“, versprach sie ernst. Stolz und Freude über diesen Vertrauensbeweis zog über ihr Gesicht. Sam hingegen blickte griesgrämig. Sie hatte verloren. Ellen konnte sie nicht so überreden, wie sie es bei mir konnte. Ich grinste insgeheim. Zwei Fliegen mit einer Klappe: Sam war abgeblockt, und Ellen fühlte sich akzeptiert.
Nach dem Abendessen machte sich Müdigkeit breit. Zu dritt räumten wir den Tisch ab, dann fingen die Mädchen an, die Betten zu beziehen, während ich mir den Auto- schlüssel von Ellen geben ließ, um Salbe im Dorf zu kaufen. Als ich zurückkam, lagen die Mädchen schon im Bett und schliefen. Leise legte ich die große Tube auf den Tisch und ging wieder hinaus. Ich wollte mich noch einige Minuten an den See setzen und nachdenken. Ein ganz sanfter Wind kam vom Wasser herüber und trug den Geruch nach Ferne in sich. Sam gegenüber machte ich immer den Eindruck, daß ich alles unter Kontrolle hatte, daß mich nichts groß überraschen konnte, daß ich mit allem fertig wurde. Doch diese Geschichte mit Ellen... Ich war mir unsicher, was aus ihr werden sollte. Ellen war erst einmal untergebracht, sie fühlte sich sicher. Doch was war in drei Wochen, wenn es für Sam und mich hieß, nach Hause zu fahren? Was würde dann mit ihr pas- sieren? Heim? Jugendstrafanstalt? Oder ewige Flucht? Fragen über Fragen, doch keine Antwort. Hinter mir hörte ich leise Schritte. „Hallo, Ellen“, sagte ich, ohne mich umzudre- hen. Sie setzte sich neben mich, in einer Hand die Tube mit der Salbe. „Hallo“, sagte sie mit einem schüchternen Lächeln. „Woher wußten Sie, daß ich es bin?“ „Sam kommt nicht so zaghaft heran“, antwortete ich. Ellen nickte. Sie sah auf die Tube. „Danke hierfür“, meinte sie. „Gern geschehen. Ich glaube, es ist ein gutes Mittel. Der Verkäufer sagt, es wird viel von Raftern gekauft.“ „Raftern?“ „Von Leuten, die es lieben, mit einem Schlauchboot durch wildes Wasser zu fah- ren und sich dabei ziemlich böse Prellungen zuziehen. Es soll sehr gut wirken und kaum wehtun.“ „Das ist sehr nett von Ihnen“, bedankte Ellen sich. „Ellen, tu mir bitte einen Gefallen. Sag Dave zu mir, okay? Schließlich werden wir die nächsten drei Wochen hier zusammen wohnen, und Formalitäten machen mich immer nervös, besonders im Urlaub.“ Ellen lächelte. „Gerne. Danke.“ Sie wog die Tube in der Hand. „Wie krieg ich das jetzt auf den Rücken?“ „Da gibt es mehrere Möglichkeiten: du spritzt es dir in den Nacken und läßt es runterlaufen. Oder du spritzt es auf den Boden und wälzt dich darin herum wie ein Ferkel im Schlamm.“ Ellen kicherte wie Sam bei dieser Vorstellung. „Oder du ver- biegst dich wie ein Akrobat und reibst es dir selbst auf den Rücken. Oder...“ „Oder du machst es“, unterbrach sie mich. „Das wäre auch eine Möglichkeit. Ich wollte es nicht vorschlagen, weil ich fürch- tete, du könntest es falsch verstehen.“ „Du bist sehr nett, Dave“, sagte Ellen mit einem schüchternen Lächeln. „Ich denke, ich kann dir vertrauen.“ Sie drückte mir die Tube in die Hand, drehte sich mit dem Rücken zu mir und zog ihr T-Shirt aus, das sie als Nachthemd trug. Der Anblick ihres mißhandelten Rückens tat mir in der Seele weh; es gab kaum eine Stelle vom Nacken bis zu ihrem Slip, die nicht grün und blau geschlagen war. „Oh Ellen, es tut mir so leid“, sagte ich bewegt. Sie zuckte die Schultern, ohne sich umzudrehen. „Man gewöhnt sich an Schmerz“, sagte sie leichthin. „Das andere tat mehr weh. Mir tut nur eins leid: daß es für die beiden so schnell ging. Ich wünschte, sie hätten mehr leiden müssen, so wie ich.“ Tiefer Haß sprach aus ihr, den ich ihr nicht übelneh- men konnte. „Aber wenn du glaubst, daß mein Rücken schlimm aussieht...“ Sie drehte sich um und präsentierte mir ihren nackten Oberkörper. Ich starrte ungläubig auf ihren Körper, dann schloß ich erschüttert die Augen. „Ellen, mein Gott, Ellen...“ Meine Stimme brach. Vom Hals bis zum Bauch waren Wunden, teils verkrustet, teils noch frisch, aber das waren nur Kleinigkeiten. Ihre Brustwarzen und die Haut dazwischen waren auf einer Breite von etwa vier Inches eine einzige rohe, blutige Masse. Jetzt verstand ich auch, warum ihr T-Shirt so fleckig aussah. Ich stand auf und rannte zum Wagen, aus dem ich den Verbandskasten holte. Mit zitternden Knien lief ich zurück. Ich schüttete den Inhalt vor Ellen auf den Boden, dann lief ich zum See und füllte den Plastikkasten mir klarem, frischem Wasser. Ich zwang mich zur Ruhe, als ich zu Ellen zurückging. Ellen blickte zu Boden, als ich eine Verpackung mit Mullbinden aufriß und mir die Gummihandschuhe anzog. Ich tauchte einer der Binden in das Wasser und begann, ihre Wunden zu säubern. Ellens Hände verkrallten sich in der Erde, als der Schorf entfernt wurde, aber sie biß die Zähne zu- sammen. „Hat Sam das gesehen?“ fragte ich während dieser Tätigkeit. „Nein“, sagte Ellen leise. „Ich hab mir ein T-Shirt von ihr genommen, als sie schon im Bett war, und mich draußen umgezogen. Hast du Angst um deine Tochter?“ Diese Frage kam bitter. „Nein, nicht so, wie du meinst. Sie wird erst dreizehn, und das bedeutet, sie würde das, was mit dir passiert ist, nicht verstehen.“ „Hast recht“, lenkte Ellen ein. „Es war dumm von mir.“ „Du hast allen Grund, verbittert zu sein, Ellen. Dafür brauchst du dich nicht zu ent- schuldigen.“ „Ja... Wahrscheinlich bin ich einfach nur neidisch auf sie.“ „Auf Sam?“ „Ja, auf Sam und auf alle anderen, die ein anständiges Elternhaus haben. Ach, Da- ve“, brach es aus ihr heraus, „ich habe immer die Kinder beneidet, die mit ihren Eltern Hand in Hand gingen und fröhlich lachten. Ich habe sie beneidet und gleichzeitig ge- haßt. Ich wollte an ihrer Stelle sein, und ich wollte sie am liebsten umbringen. Ich wollte weglaufen, aber ich habe es immer und immer wieder hinausgeschoben, bis ge- stern.“ Sie deutete auf ihre Brust. „Das kommt von gestern, aber so habe ich schon oft ausgesehen. Das, was Mark mit mir gestern nach dem Prügeln gemacht hat, war der Auslöser. Das konnte ich nicht ertragen. Nicht gegen meinen Willen, und nicht mit ihm.“ Sie sah mich flehend an. „Ich mach dich jetzt erst mal fertig“, sagte ich mit zitternder Stimme, „dann ziehst du dein Shirt an, und dann nehme ich dich in den Arm. Einverstanden?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Nimm mich jetzt in den Arm. Bitte!“ schluchzte sie, beugte sich zu mir und streckte ihre Arme nach mir aus. In diesem Moment war sie fünf Jahre alt, ein einsa- mes, verängstigtes Kind, das Trost und Schutz suchte. Ich zog sie an mich. Zitternd umarmte sie mich, und ich tröstete sie, so gut ich konnte. Schließlich ließ ihre Angst nach. Sie sah mich mit feuchten Augen an. „Jetzt hast du auch noch Blut an deinem Hemd“, meinte sie ängstlich. „Das ist nicht so wild“, wehrte ich ab. „Wichtiger ist, daß du jetzt versorgt wirst. Eigentlich sollte ich dich sofort in ein Krankenhaus bringen, Ellen.“ „Nein“, sagte sie bestimmt. „Bisher war das nicht nötig, und das ist auch nicht so schlimm. Nicht schlimmer als sonst. Du machst das schon richtig.“ Sie löste sich von mir. „Mach weiter.“ Ich brachte meine zitternden Hände zur Ruhe und machte mich an den schwierig- sten Teil. Nach etwa zehn Minuten war Ellens Oberkörper frei von Blut und Schmutz, sie hatte einen Flüssigverband aufgesprüht bekommen und trug einen breiten Verband darüber. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. Ellen hatte Tränen in den Augen; es hatte doch mehr wehgetan, als sie vermutet hatte. Im Vergleich dazu waren die Prellungen an ihrem Rücken nur noch Kinderkram, trotzdem trug ich die Salbe dort noch auf. Endlich war es geschafft. Ellen war versorgt, und mir war so elend zumute wie schon lange nicht mehr. Ellen zog das Shirt wieder an und legte sich seufzend auf das Gras. „Jetzt fühl ich mich schon viel besser“, sagte sie und schaute in den Himmel, der sich langsam dunkel färbte. „Danke.“ „Gern geschehen“, sagte ich schwach und zog die Handschuhe aus. Ich trug die blutigen Mullbinden zum Wasser und wusch sie aus, dann legte ich sie der Länge nach auf die Wiese, damit sie trockneten, und beschwerte sie mit einigen Steinen, um sie am Wegfliegen zu hindern. Die Handschuhe waren ebenfalls gewaschen, der Verbandska- sten wieder eingepackt und im Auto verstaut. „Du bist der erste Mensch, der sich wirklich um mich kümmert“, sagte sie leise, ohne mich anzusehen. „Bin ich so wie der Vogel, von dem du erzählt hast?“ „Vielleicht“, antwortete ich. Ich setzte mich neben sie und sah auf den See, der die kräftigen Farben der untergehenden Sonne widerspiegelte. „Auf jeden Fall brauchtest du Hilfe, und wir konnten zufällig helfen.“ Ellen richtete sich auf, bis sie saß, dann griff sie nach meiner Hand und hielt sie fest. Schweigend blickten wir auf das Wasser, bis es dunkel wurde. „Ich geh schlafen“, flüsterte Ellen. Sie drückte mich kurz, dann sprang sie auf und lief zur Hütte. Ich folgte ihr wenige Minuten später. Im Mondlicht sah ich sie und Sam unter einer Decke liegen, Rücken an Rücken, beide friedlich schlafend. Lächelnd zog ich mich aus und legte mich in das zweite Bett. Kurz danach war ich auch eingeschla- fen.
Ich wurde wach, als sich etwas neben mir bewegte. „Schon wach, Doris?“ mur- melte ich. Ein unterdrücktes Kichern war die Antwort. Ich schlug die Augen auf. Draußen dämmerte es schon, es mußte so gegen fünf Uhr morgens sein. Dann blickte ich neben mich und sah Sam, die mich grinsend anschaute. „Ich bin’s“, kicherte sie leise, um Ellen nicht zu wecken. Ich streckte meinen Arm aus. Sam rutschte an mich und kuschelte sich ein. Ich legte meinen Arm um sie und drückte sie zärtlich an mich. „Schon wach, Spatz?“ fragte ich leise. „Ein bißchen“, flüsterte sie. „Aber ich wollte einfach zu dir und noch ein bißchen bei dir schlafen.“ Sie rutschte ein bißchen hin und her, bis sie richtig lag. Dann gab sie mir einen Kuß auf die Wange. „Ich hab dich lieb, Daddy“, murmelte sie und schloß die Augen. „Ich dich auch, Spatz.“ Sie lächelte und schlief wieder ein. Ich genoß das Gefühl, meine Tochter im Arm zu halten und schloß ebenfalls die Augen. Plötzlich spürte ich massive Aggression. Ich öffnete die Augen und bemerkte Ellen, die, auf ihren Ellbogen gestützt, zu uns herüber sah. „Es ist nicht das, was du denkst“, flüsterte ich ihr zu. „Sam kommt oft zu meiner Frau und mir, um zwischen uns zu schlafen.“ „Tut mir leid“, kam die leise, schuldbewußte Antwort. Sie stand auf und setzte sich an die Seite, an der Sam lag. Sie sah meine Tochter an, die lächelnd und mit leicht of- fenem Mund fest und ungestört schlief. Ellen atmete tief durch. „Tut mir wirklich leid“, wiederholte sie leise. „Es war nur...“ „Schon klar, Ellen“, wisperte ich. „Wie ich schon sagte: ich liebe Sam. Sie ist mei- ne Tochter, und ich würde mir eher die Hände abhacken, als ihr wehtun.“ Ellen nickte. Trotzdem sah ich Neid in ihren Augen, als sie Sam anschaute. Mir kam eine Idee. „Warte mal kurz“, flüsterte ich und rutschte nach außen. Vorsichtig zog ich Sam nach, die im Schlaf murrte, aber nicht wach wurde. „Leg dich doch einfach dazu“, schlug ich vor. „Darf ich?“ fragte Ellen begeistert. „Es ist genug Platz. Hüpf rein.“ Ellen kroch vorsichtig unter die Decke neben Sam, um sie nicht zu wecken. „Danke“, flüsterte sie glücklich und streichelte kurz meinen Arm, der an ihrem Kopf lag. „Ellen, sag bitte nicht immer ‘Danke’, ja?“ Sie kicherte kurz. „Bin halt gut erzogen“, meinte sie grinsend und zwinkerte. Dann kuschelte sie sich zurecht und schloß die Augen. „Nacht, Dave“, wisperte sie. „Nacht, Ellen“, flüsterte ich zurück. Kurz darauf waren wir alle wieder am Schla- fen.
„Gibt das hier ein Samantha-Sandwich?“ Die lachende Stimme meiner Tochter weckte mich. Ich öffnete die Augen und schaute auf. Sam strahlte über das ganze Ge- sicht. „Was passiert hier eigentlich nachts, wenn ich schlafe?“ feixte sie. Ich kitzelte sie. „Nachts kommen die ganzen Schatten aus ihren Verstecken und versammeln sich um dich“, sagte ich mit hohler Stimme. „Sie strecken ihre langen Finger nach dir aus und wollen dich aus deinem Bett ziehen, um dich mit in ihr Reich zu schleppen.“ Ich machte eine böse Grimasse. Sam quietschte auf und versteckte sich unter der Decke. „Du machst mir keine Angst“, kicherte sie aus ihrem Versteck heraus. Ellen wurde wach und schaute verständnislos zur Decke hoch. „Hör ich jetzt schon Stimmen?“ murmelte sie. „Morgen, Ellen“, kam eine dunkle Stimme aus den Tiefen des Oberbettes. Ellen fuhr zusammen und schaute sich nervös um. „Wer redet da?“ Die Bettdecke wurde zurückgeschlagen, und Sams grinsendes Gesicht zeigte sich. „Ich!“ rief sie fröhlich. Ellen atmete auf und lachte. „Oh Mann, Sam! Für einen Moment dachte ich, ich drehe durch.“ Sie fuhr sich durch ihre langen Haare und entdeckte mich. „Dave! Was machst du in meinem Bett?“ Sie wurde panisch und sprang aus dem Bett. Sam bekam einen Lachanfall. „Au weia“, kicherte sie erstickt, „braucht die immer solange, um wach zu werden? Hallo! Bodenkontrolle an Ellen! Sie sind in Dads Bett und nicht umgekehrt! Erbitten Kurskorrektur!“ Jetzt klickte es bei Ellen. Erleichtert ließ sie sich fallen. Ich konnte nicht reden; ich mußte so herzhaft lachen wie schon lange nicht mehr. Ellen fiel in das allgemeine Lachen mit ein und lachte am lautesten von uns dreien. Was hatte ich mir da bloß eingefangen? Einen fröhlichen blonden Wirbelwind als Tochter und eine verstörte Anhalterin als ungeplanten Familienzuwachs für den Ur- laub! Sam kuschelte sich an mich und fing an, mit mir zu schmusen, wie sie es immer tat, wenn sie bei Doris und mir im Bett war. Ellen blickte uns zuerst mißtrauisch an, dann verwandelte es sich in Neid. Sie mochte vielleicht schon fast fünfzehn sein, aber sie war auch ein einsames, junges Mädchen, in meinen Augen seelisch so alt wie Sam, wenn nicht sogar noch jünger. „Möchtest du an meine andere Seite?“ fragte ich sie. Ellen zögerte nur einen kur- zen Moment, dann nickte sie mit leuchtenden Augen. Sie sprang über Sam und mich, legte sich an meine andere Seite und kuschelte sich dort ein. Sam blinzelte ihr fröhlich zu. „Jetzt machen wir ein Dad-Sandwich“, kicherte sie. Mit einem Finger piekste sie in Ellens Bauch, doch anstatt zu lachen, wie Sam erwartet hatte, holte Ellen schmerzhaft Luft. Sam richtete sich auf. „Hab ich dir wehgetan?“ fragte sie betroffen. „Ist nicht deine Schuld“, sagte Ellen. „Ich...“ „Sie hat sich verbrannt“, sprang ich ein. „Ihr ist beim Kochen der Schnellkochtopf explodiert und hat sie übel verbrannt.“ „Genau“, sagte Ellen erleichtert. „Dabei bin ich hingefallen, die Treppe runter, und hab mir den ganzen Rücken aufgeschlagen. Deswegen bin ich ja auch abgehauen“, improvisierte sie. „Die ganze Küche fing an, zu brennen, und ich wollte einfach nicht riskieren, verprügelt zu werden.“ „Boah“, machte Sam bewundernd. Ich atmete innerlich auf. Jetzt hatten wir eine gute Erklärung für Ellens Verletzungen. Ich log meine Tochter nicht gerne an, aber diese Erklärung war immer noch besser als die Wahrheit, die sie vielleicht nicht ver- kraften konnte. Noch nicht. Sam beschränkte ihre Kabbeleien auf mich; Ellen reichte es, beschützt in meinem Arm zu liegen. Mit einer Hand kitzelte ich Sam, mit der anderen streichelte ich Ellens Haar, um ihr zu zeigen, daß sie dazugehörte. Sie bedankte sich, indem sie ihr (verständliches) Mißtrauen ablegte und sich in unserer Mitte wohlfühlte. Ich fing an, den Urlaub zu genießen. Und mich über Ellens Anwesenheit zu freuen.
3
Den Sonntag morgen verbrachten wir zuerst damit, die Hütte einzurichten, dann zogen Sam und ich unsere Badesachen an. Ellen behielt aus den geschilderten Gründen ihr T-Shirt an, zog jedoch die Jeans aus und folgte uns zum See. Sie tat mir richtig leid, wie sie so am Ufer saß und uns zusehen mußte, doch sie sagte nur, daß sie in einigen Tagen schon mitmachen könnte. Sam war ziemlich neugierig wegen Ellens Verletzun- gen, also zog Ellen kurz ihr Shirt hoch und zeigte Sam ihre Prellungen und den dicken Verband. Gehörig beeindruckt, bestand Sam auf keiner weiteren Vorführung und drängte Ellen auch nicht mehr, doch mit ins Wasser zu kommen. Das Wasser war noch etwas kühl, aber nicht so kalt, daß das Schwimmen eine Qual war. Es tat richtig gut. Sam und ich tobten im Wasser, bis wir müde wurden, dann schwammen wir zurück zum Ufer, wo Ellen schon netterweise große Badetücher hingelegt hatte. „Danke“, sagten Sam und ich wie aus einem Mund und ließen uns auf die Tücher fallen. Ellen ließ sich ebenfalls nach hinten fallen, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schaute in den Himmel, ohne etwas zu sehen. Sam hingegen sah etwas, was sie sich nicht so recht erklären konnte. Sie druckste eine Weile herum, und schoß dann ihre Frage in Richtung Ellen ab. „Du, Ellen“, fing sie an. Ellen drehte den Kopf zu ihr. „Ja?“ „Wenn du jetzt fast fünfzehn bist, warum... ich meine, wieso ist dein Busen dann noch so klein?“ Ellen mußte lächeln. „Ganz einfach, Sam“, sagte sie locker. „Vergleich uns beide mal. Du hast einen stabilen Knochenbau, ich einen sehr schmalen. Ich meine, du bist nicht dick, absolut nicht, ich finde sogar, daß du sehr gut aussiehst, aber du hast eben stabilere und dicke- re Knochen als ich. Wenn jemand so schmal ist wie ich, gibt das auch nur einen klei- nen Busen. Normalerweise“, ergänzte sie. Sam nickte befriedigt. „Aha“, machte sie und dachte kurz nach. „Stimmt“, sagte sie dann. „Mutti ist auch sehr schmal, und sie hat auch keinen großen Busen. Tante Sarah dagegen ist ganz schön fett, und sie hat richtig dicke Euter.“ Beide Mädchen kicherten. „Sam“, sagte ich ermahnend, ohne die Augen aufzumachen. „Ja, Dad?“ flötete mein Töchterlein. „Wenn du auch mal richtig dicke Euter bekommen solltest, wirst du wahrscheinlich nicht mehr so darüber reden.“ Das saß. Ellen bekam einen Lachanfall, Sam war still und verletzt. „Du bist gemein“, schleuderte sie mir schließlich entgegen. „Warum? Du hast doch damit angefangen. Ich möchte mal wirklich wissen, wo du diese ganzen Ausdrücke her hast.“ „Ja, schon gut“, maulte sie. „Bin ja schon ruhig. Nichts darf man hier sagen. Alles wird verboten. Toller Urlaub.“ Plötzlich warf sie sich auf mich und kitzelte mich. Er- schrocken schnappte ich nach Luft. Sam saß breitbeinig auf mir und kitzelte meine Seiten nach Leibeskräften. Normalerweise hätte ich sie einfach geschnappt und hoch- gehoben, aber sie hatte mich kalt erwischt. Ich hatte vor Lachen keine Kraft mehr. Zu allem Überfluß warf Ellen sich dazu und kitzelte mit. Keuchend ergab ich mich. Quietschvergnügt ließen die beiden von mir ab. Ich richtete mich ächzend auf. „Irgendwann“, drohte ich meiner Tochter, „wahrscheinlich schon in allernächster Zukunft, werde ich dich im See versenken, als Fischfutter. Und Ellen dazu!“ Ich machte eine Bewegung, als würde ich die Mädchen einfangen wollen. Erschrocken schrien sie auf und sprangen zur Seite. Ich legte mein grimmigstes Gesicht auf und krabbelte auf allen Vieren auf sie zu. Lachend und quietschend rannten sie weg, bis sie in sicherer Entfernung waren, dann drehten sie sich um zu mir und machten freche Ge- sichter. Ich ließ einen Urschrei los und stand auf. Voller Erfolg: Sam und Ellen rannten panisch weg, bis hinter die Hütte. Befriedigt legte ich mich wieder hin. Trotzdem warf ich ab und zu einen Blick nach hinten. Nur um sicherzugehen.
Nach dem Abendessen saßen wir zu dritt auf der großen Bank auf der Veranda vor der Hütte; ich in der Mitte, Sam in meinem rechten Arm, Ellen in meinem linken. Ellen hatte sehr viel von ihrer Traurigkeit verloren; sie war jetzt fast genauso fröhlich und munter wie Sam. Ich bemerkte, daß sie häufig an ihrer Brust kratzen wollte, aber sich im letzten Moment immer wieder beherrschte. „Das juckt wie wahnsinnig“, meinte sie entschuldigend, als sie meinen Blick be- merkte. „Sollen wir den Verband noch mal wechseln?“ fragte ich besorgt. Ellen nickte. „Ja, das wäre vielleicht ganz gut.“ Sam beugte sich neugierig vor und sah zu, wie ich vorsichtig den Verband entfernte. Als die ersten Blutspuren zu sehen waren, wurde Sam blaß, und als sie dann die ersten Anfänge der Wunden sah, stand sie auf. „Mir ist nicht gut“, sagte sie nur und verschwand in der Hütte. Ellen sah ihr nach. „War doch ganz gut, daß du sie angelogen hast“, flüsterte sie. „Ja. So ungern ich sie belüge, aber sie hätte Probleme, es zu verstehen.“ Ich ent- fernte die letzte Lage. Ellen atmete tief ein, als der Verband weg war. „Das tut gut“, meinte sie schwach. „Am liebsten würde ich ohne Verband und oh- ne Shirt herumlaufen. An der Luft heilen Wunden immer am besten.“ „Wenn du möchtest, mach es. Hier sieht dich ja keiner.“ „Außer Sam“, meinte sie bekümmert. „Schon okay“, sagte Sam. Sie war, von uns unbemerkt, wieder dazugekommen. Sie war zwar noch etwas blaß, hatte sich aber gefangen. „Wenn es dir hilft“, sagte sie fürsorglich, „dann lauf ruhig so rum. Ich war nur im ersten Moment etwas erschrok- ken.“ Ellen sah sie dankbar an. „Das ist lieb von dir, Sam. Danke. Wenn ich so wie jetzt bin, juckt es nicht mehr so schlimm. Ich lauf zum Wasser runter, ja?“ Ohne auf Antwort zu warten, stand sie auf und ging zum See. Sam setzte sich neben mich und legte meinen Arm um sich. „So ein armes Mädchen“, sagte sie bekümmert und sah Ellen hinterher. „Das muß doch furchtbar wehtun. Ich wußte gar nicht, daß Verbrennungen so schlimm sein kön- nen.“ Ich schwieg. Sam redete weiter. „Ich dachte immer, daß bei Verbrennungen das Fleisch ganz schwarz aussieht, aber bei Ellen ist das alles so... so roh!“ Fragend blickte sie mich an. „Irgendwas stimmt da doch nicht. Oder?“ „Ach, Sam“, sagte ich traurig und drückte sie an mich, unfähig, ihr weiter die Wahrheit zu verschweigen. „Ich wollte es dir nicht sagen, aber ich will dich auch nicht länger belügen. Sie hat sich nicht verbrannt. Der Freund ihrer Mutter hat sie so zuge- richtet. Er und ihre Mutter hatten Spaß daran, Ellen zu verprügeln und zu quälen.“ Sam sah mich erschrocken und ungläubig an. Ich gab ihr einen Kuß auf die Stirn. „Spatz, ich wollte nicht, daß du es erfährst, aber manche Menschen sind so unglaublich brutal. Deswegen ist sie auch von zu Hause weggelaufen.“ Sam schwieg. Als sie mich dann wieder ansah, war sie ernst und entschlossen. „Und warum hast du mich... ich meine, warum habt ihr beide mich angelogen?“ „Samantha, wenn du im Fernsehen oder in den Nachrichten verletzte oder tote Menschen siehst, ist das alles weit weg. Es hat nichts mit dir persönlich zu tun. Aber bei Ellen ist es etwas anderes. Wir sehen sie, wir reden mit ihr, und wir wohnen mit ihr zusammen. Ich wollte nicht, daß du erfährst, wie grausam Menschen sein können, daß sie aus purer Freude Menschen wie Ellen quälen und mißhandeln. Das ist das Schlim- me, Sam. Ellens Wunden sind keine Schminke, wie in einem Krimi. Es sind echte Wunden, verursacht von einem anderen Menschen, der Spaß daran hatte, Ellen zu schlagen.“ Sam nickte. „Ich verstehe“, sagte sie langsam. Dann lächelte sie mich traurig an. „Schon gut, Daddy. Ich verstehe es.“ Sie sprang auf und rannte zu Ellen. Noch bevor Ellen etwas sagen konnte, hatte Sam sie umarmt und drückte sie an sich. Meine Tochter, dachte ich zärtlich. Mitfühlend und verständnisvoll. Doch, entschied ich, es war gut, daß sie es erfahren hatte. Ich konnte sie nicht ihr Leben lang von dem, was in der Welt passierte, fernhalten. Es war gut, daß sie es lernte, solange sie noch mit ihren Eltern zusammen war, denn dann konnten wir sie notfalls auffangen. Sie war stärker, als ich ihr zuge- traut hatte. Sam und Ellen kamen Hand in Hand zurück und setzten sich wieder neben mich. „Sam hat mir befohlen, halbnackt herumzulaufen“, kicherte Ellen, „damit ich schnell gesund werde.“ „Damit kannst du morgen Mittag anfangen, Ellen“, erwiderte ich. Die Mädchen schauten mich überrascht an. „Warum nicht morgen früh?“ wollte Sam wissen. Ich machte ein geheimnisvolles Gesicht. „Morgen früh“, sagte ich leise, „fahren wir einkaufen.“ „Einkaufen?“ - „Wohin denn?“ Ich ignorierte die Fragen und pfiff ein fröhliches Liedchen. Wie auf Kommando waren die beiden über mir und kitzelten mich. „Okay, okay“, lachte ich. „Ich ergebe mich. Wir fahren morgen früh nach Green und kaufen für Ellen ein paar schöne Sachen zum Anziehen. Außer“, unterbrach ich Ellens Proteste, „sie hat ein Geheimfach in ihrer Tasche, in der sie ihre ganze Kleidung versteckt. Hast du?“ fragte ich sie mit einem boshaften Lächeln. „Nein“, gab Ellen zu. „Aber das kommt nicht in Frage. Ich habe genug anzuzie- hen.“ „Was denn alles?“ fragte Sam. „Genug“, antwortete Ellen knapp. Sam grinste breit. „Ja klar“, sagte sie gedehnt. Ellen wurde wütend. „Das geht dich gar nichts an, was ich habe!“ „Oh doch“, erwiderte mein klein Töchterlein. „Solange du dir meine T-Shirts als Nachthemd ausborgst, geht es mich etwas an.“ Ihr Lächeln war ohne jede Gemeinheit. In diesem Moment erinnerte sie mich an Doris, die immer dann dieses Lächeln auf- legte, wenn sie mich in eine Ecke gedrängt hatte, aus der ich nicht mehr herauskam. Wie würde Ellen reagieren? „Du kannst dein Shirt wiederhaben“, fauchte sie. „Dann schlafe ich eben nackt.“ „Das geht nicht“, meinte Sam sachlich. „Dann würde das Blut direkt in die Bett- wäsche gehen.“ Schachmatt, dachte ich. Ellen sah mich hilflos an. Ich zuckte die Schultern. „Sam hat den Charakter ihrer Mutter“, erklärte ich. „Und gegen ihre Mutter kom- me ich auch nicht an. Gib lieber nach.“ Ellen preßte wütend die Lippen aufeinander. Sam lehnte sich grinsend an mich und wartete. Schließlich gab Ellen auf. „Na gut“, grollte sie. „Aber nur ein paar Sachen, ja?“ „Schauen wir mal“, grinste ich. Ellen funkelte mich an. „Wird das jetzt wieder so eine Überredung wie bei dem Essen neulich?“ „Vielleicht“, schmunzelte ich. Sam kicherte. „Gib doch auf, Ellen“, lachte sie. „Wir wollen dir doch nichts Böses.“ Sie wurde wieder ruhiger. „Mal ehrlich“, sagte sie einfühlsam. „Hast du wirklich genug Klamot- ten?“ Ellen schüttelte ganz leicht den Kopf. „Na siehst du“, sagte Sam freundlich. „Was ist denn daran so schlimm, wenn Dad dir ein paar Sachen kauft?“ „Weil ich das ganz komische Gefühl habe, daß es nicht bei ein ‘paar’ Sachen bleibt“, fauchte Ellen. „Ich will keine Almosen!“ „Sind Geschenke unter Freunden Almosen?“ fragte ich leise. Das traf. Ellen wußte nicht mehr, was sie sagen sollte. Sie entschloß sich zu einem Angriff nach vorne. „Ich habe das dumpfe Gefühl“, meinte sie mit einem lachenden und einem weinen- den Auge, „daß ihr beide euch gegen mich verbündet habt.“ „Etwa so, wie ihr beide euch heute morgen gegen mich verbündet habt?“ fragte ich grinsend. In einer hilflosen Geste streckte Ellen die Arme gen Himmel. „Ich geb auf“, stöhnte sie und ließ sich gegen mich fallen. Ich drückte sie an mich. „Ist auch besser so, Ellen. Schließlich wollen wir dich ja nicht beißen. Wir wollen doch nur, daß du hübsch aussiehst.“ „Genau“, stieß Sam nach. „Und Dad hat einen guten Geschmack. Er sucht auch immer die Sachen für Mom und mich aus.“ „Abgemacht?“ fragte ich Ellen. „Fahren wir morgen einkaufen?“ Gegen ihren Willen mußte Ellen lachen. „Ja, okay. Abgemacht. Meine Güte, seid ihr hart!“ „Keine Morgenlatte ist so hart wie das Leben“, zitierte Sam tiefsinnig. Ellen bekam einen Lachanfall und ich einen roten Kopf. „Sam! Jetzt reicht es! Wo hast du das nun wieder her?“ Sam blickte mich unschuldig an. „Das sagt Mutti immer, wenn sie Frust hat. Was ist denn überhaupt eine Morgenlatte?“ Ellen kringelte sich buchstäblich auf dem Bo- den und schnappte nach Luft. „Aufhören“, keuchte sie erstickt. „Ich kann nicht mehr!!!“ Sam blickte verwirrt auf die lachende Ellen und ihren grimmigen Dad. „Was habt ihr denn? Was ist denn los?“ „Nichts, Sam“, sagte ich beherrscht. „Ich werde mit deiner Mutter mal reden müs- sen.“ Sam trommelte mit ihren Fingern auf meinem Bein. „Könntest du mir denn vorher erklären, was eine Morgenlatte ist?“ „Sam!“ schrie Ellen und schlug mit den Fäusten auf den Holzboden. „Ich krieg keine Luft mehr! Hör auf!!!“ Sie hielt sich die Seiten vor Lachen. Sam schaute mich beleidigt an. „Dad!“ „Eine ‘Morgenlatte’“, erklärte ich grimmig, „ist ein umgangssprachlicher Ausdruck für die morgendliche Erektion eines Mannes, wenn er dringend auf Toilette muß. Reicht das?“ Sams Gesicht lief tiefrot an. „Oh“, machte sie. „Äh“, sagte sie dann. „Hm, tja“, fügte sie hinzu. „Doch schon so spät? Gute Nacht!“ Weg war sie. Ellen liefen die Tränen aus den Augen vor Lachen. „Ich geh noch etwas spazieren“, sagte ich hölzern und stand auf. „Ist gut“, keuchte Ellen. „Verlauf dich aber nicht!“ „Die Gefahr besteht nicht“, erwiderte ich grimmig. „Ich gehe einfach nach Gehör: immer dem Lachen nach.“
Ich war zurück, kurz bevor es vollkommen dunkel war. Sam und Ellen lagen schon im Bett und kicherten sich halbtot, wurden aber ganz still, als ich hereinkam. „Gute Nacht, ihr beiden“, sagte ich, als wäre nichts gewesen. „Gute Nacht“, kam ein zweistimmiges Echo. Ich setzte mich auf mein Bett und zog mich bis auf die Unterhose aus. „Dad?“ „Ja?“ „Kann ich bei dir schlafen?“ „Natürlich, Spatz“, sagte ich. „Komm rüber.“ Ich legte mich hin, Sam kroch an meine Seite und kuschelte sich ein. „Dave?“ Der gleiche Ton wie bei Sam vorher. „Ja?“ „Kann ich auch bei dir schlafen?“ Sam unterdrückte ein Kichern. Ich wurde miß- trauisch. „Habt ihr beide irgend etwas vor?“ „Nein“, kam die viel zu schnelle Antwort. Ich sah Sam an. Unschuldig erwiderte sie meinen Blick. „Von mir aus“, sagte ich endlich. Ellen sprang aus ihrem Bett und kroch an meine andere Seite. „Danke“, strahlte sie mich an. „Schon gut“, brummte ich. „Aber denkt daran: falls ihr irgendwelchen Unsinn vor- habt, werfe ich euch in den See.“ „Wir sind ganz lieb“, flötete Sam. „Ganz ehrlich“, flötete Ellen. „Hmpf“, grummelte ich und schloß die Augen. „Dave?“ kam Ellens leise Frage. „Ja?“ „Danke, daß ich bei euch sein darf. Gute Nacht.“ Sie drückte sich an mich. Ich legte meinen Arm um sie und strich über ihre Wange. „Schon gut, Ellen. Ich freu mich, daß du hier bist.“ Ellen gab mir einen Kuß auf die Wange. „Ich auch“, sagte sie leise. Sams Stimme drang in mein anderes Ohr. „Gute Nacht, Daddy. Danke für den schönen Urlaub.“ Auch von ihr bekam ich ei- nen Kuß. „Schluß jetzt, ihr zwei. Schlafen!“ „Jawohl, Sir!“ kam das Echo von beiden Seiten, dann war Ruhe. Nur nicht in mir. Daß Ellen an meiner Seite lag, beschäftigte mich doch sehr stark. Woher kam dieses große Vertrauen? Jedes andere Mädchen an ihrer Stelle hätte um Männer einen Riesenbogen gemacht, doch sie lag hier neben mir, einem praktisch fremden Mann, und schlief. Ich verstand es nicht.
Mitten in der Nacht wurde ich durch ein leises Geräusch wach, das von draußen kam. Es klang wie unterdrückter Husten. Schnell war ich auf und schlich mich nach draußen. Vor Einbrechern hatte ich keine Angst, doch es war nur Ellen, die auf der Bank vor dem Haus saß und leicht hustete. Ich setzte mich zu ihr. „Du erkältest dich noch“, sagte ich fürsorglich. „Es ist zwar Sommer, aber es kann hier oben nachts ganz schön kalt werden.“ Als Antwort schmiegte sie sich an mich. Ich legte meinen Arm um sie, um sie zu wärmen. „Ich finde die Nacht schön“, sagte sie wehmütig. „All die Sterne am Himmel. In der Stadt sieht man sie vor lauter Werbung und Licht gar nicht mehr. Hier sind es so viele!“ Ich sah nach oben und stimmte ihr zu. Die Milchstraße war ein leuchtend schimmerndes Band aus Sternen, das sich quer über den Himmel zog. Es war ein überwältigendes Bild. „Am liebsten würde ich hier wohnen“, sagte Ellen leise und traurig. „Es ist so schön hier, so ruhig und friedlich. Keine Gewalt und Zerstörung, keine Nachrichten, kein Fernsehen, keine Ablenkung. Nur ich und die Natur. Sam hat mir gesagt, daß sie nicht mal ihren Walkman angeworfen hat, seit sie hier ist.“ Sie lachte leise. „Sie ist eigentlich genau wie ich: keine Minute still sitzen, immer in Be- wegung. Aber hier ist das irgendwie anders. Ich brauch hier keine Action, keine Mu- sik, keine Leute. Nur dich und Sam.“ Sie legte ihren Kopf an meine Brust. „Sam hat mir erzählt, daß sie bei euch zu Hause immer Musik an hat, egal, was sie tut. Und hier braucht sie das nicht mehr. Sie meinte, die Geräusche hier wären die schönste Musik, die sie jemals gehört hat. Magst du mich?“ Ich brauchte einige Sekunden, um zu bemerken, daß sie mich etwas gefragt hatte, und dann noch einen Moment, um die Frage zu erfassen. „Natürlich mag ich dich, El- len“, sagte ich sanft. „Ich mag dich sogar sehr, obwohl ich dich kaum kenne. Wenn ich dich nicht mögen würde, wärst du gar nicht hier.“ Sie legte ihre Arme um mich. „Ich weiß“, sagte sie leise. „Ich wollte es nur hören. Darf ich dich etwas fragen, Dave?“ „Natürlich, Ellen.“ „Warum hat Mark das getan?“ Ich bezog ihre Frage auf die Prügel, die sie erhalten hatte. „Ich nehme an, daß er zu den Menschen gehört, denen es egal ist, was ein anderer Mensch fühlt. Sie wollen im- mer nur an sich selbst denken und keine Rücksicht auf andere nehmen. Ihnen ist nur wichtig, daß sie das bekommen, was sie wollen. Vielleicht war er aber auch einfach nur ein Sadist.“ „Aber du bist nicht so“, stellte sie fest. „Ich hoffe nicht“, lachte ich leise. „Nein, du bist nicht so.“ „Sag das noch einmal, und ich werde eingebildet“, lachte ich. „Das glaube ich nicht“, antwortete sie ernst. „Du bist so ganz anders als die Men- schen, die ich bisher kennengelernt habe. Sam ist auch ganz anders. Sie ist so offen, so freundlich und so natürlich, gar nicht so zickig.“ „Kommt einfach daher, weil sie eine sehr gute Mutter hat“, sagte ich. „Und einen tollen Vater“, ergänzte Ellen. „Wenn der Vater wirklich so toll wäre, hätte er seiner Frau gesagt, sie solle den Job hinschmeißen und mit in Urlaub kommen.“ „Wenn Sams Mutter mitgefahren wäre, hättet ihr dann angehalten, um mich mitzu- nehmen?“ Ellen sah mich an. „Nein, wahrscheinlich nicht“, gab ich zu. „Wir haben angehalten, weil Sam meinte, du würdest so hilflos aussehen.“ „Dann hatte die Sache doch etwas Gutes, zumindest für mich“, sagte sie. Ich beugte mich vor und gab ihr einen leichten Kuß auf die Haare. „Denk nicht so viel nach, Ellen. Freu dich einfach, daß du hier bist, und genieß die Zeit.“ „Das tu ich“, sagte sie lächelnd. „Und wenn du mir noch einmal einen Kuß gibst, verliebe ich mich in dich.“ Sie sprang auf und verschwand in der Hütte, bevor ich et- was sagen konnte. Ich nahm es jedoch nicht ernst. Kein Mädchen, das mißhandelt und mißbraucht worden war, verliebt sich schon zwei Tage später in einen ihr fremden Mann, der dazu noch verheiratet war.
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Sam war in keinster Weise eifersüchtig auf Ellen; auch nicht darauf, daß ich so viel Zeit für sie aufbrachte, denn ihr war völlig klar, daß jemand, der so Schlimmes erlebt hatte, sehr viel Zuwendung braucht. Sam half Ellen durch ihre freundliche Art, wieder zu sich zu kommen und sich wohlzufühlen. Schon am Montag morgen war Ellen wie ausgewechselt. Endlich war sie das junge Mädchen, das sie ja auch war. Ihre Probleme und Sorgen waren weggewischt, und sie fing an, sich auch wie im Urlaub zu fühlen. Ihre vorsichtige Anfrage beim Frühstück, ob ich denn überhaupt genug Geld hätte, um sie durchzufüttern, erledigte ich mit dem Hinweis auf Doris, die ja nicht mitkommen konnte. Nach dem Frühstück fuhren wir direkt nach Green, um Ellen neu einzukleiden. Trotz heftiger Proteste kauften wir für sie drei Jeans, zwei Shorts, eine Jeansjacke, eine Regenjacke, kiloweise T-Shirts und Blusen, Unterwäsche, Strümpfe, ein neues Paar Turnschuhe, ein Paar flache Schuhe, ein Paar feste Schuhe für Wandertage, Kosmetikartikel wie Shampoo, Duschgel, Kamm, Bürste, Zahnbürste, Waschlappen, Nagelpflegeset, Handtücher, Binden, Haar- spangen und -bänder, zwei Badeanzüge, Sonnencreme, neues Verbandsmaterial, Wundsalbe, einen großen Koffer und eine Reisetasche. Ellen war kurz davor, zu plat- zen, als sie die Endsumme sah, deshalb schob ich sie ab in das Kaufhausrestaurant, drückte ihr eine Cola in die Hand und ließ sie mit ihrer Wut und den neuen Sachen al- leine. Sam und ich gingen los und kauften für Ellen noch einige Geburtstagsgeschenke; nichts Großartiges, aber etwas, über das sie sich bestimmt freuen würde. „Sag mal, Dad“, fing Sam vorsichtig an, als wir zurück zum Restaurant gingen. „Was denn, Spatz?“ „Können wir Ellen nicht behalten?“ Ich blieb stehen und schaute sie an. „Wie, behalten?“ „Na ja“, druckste Sam herum. „Wenn sie doch keine Familie mehr hat, können wir sie dann nicht mit zu uns nehmen?“ „Sam“, sagte ich zärtlich und nahm meine Tochter in den Arm. „Wir kennen Ellen jetzt gerade mal zwei Tage. Ist das nicht ein bißchen früh, um so etwas Wichtiges zu entscheiden?“ Sam schüttelte den Kopf. „Entweder mag man einen Menschen, oder man mag ihn nicht. Ich mag Ellen. Du doch auch, oder?“ „Ja, aber trotzdem ist das zu früh. Außerdem sollten wir auch deine Mutter fragen, sie hat da ein kleines Wörtchen mitzureden. Findest du nicht?“ „Wir können sie ja heute abend fragen, wenn wir mit ihr telefonieren“, schlug Sam vor. „Sam“, bat ich sie. „Laß uns wenigstens noch eine Woche warten, ja? Nur um zu sehen, ob wir mit Ellen klarkommen, und ob sie mit uns klarkommt. Außerdem... viel- leicht will sie ja gar nicht bei uns bleiben.“ „Glaub ich nicht“, sagte Sam bestimmt. „Wo soll sie denn hin?“ Das war eine gute Frage, auf die ich im Moment keine Antwort hatte. Ellen war Kanadierin; um in die USA zu ziehen, eine gute Voraussetzung, aber... Es gab so viele Aber dabei: Wollte sie bei uns bleiben? Würde es Probleme innerhalb unserer Familie geben? Und vor allem: was würde Doris dazu sagen? „Paß auf, Sam“, schlug ich vor. „Wenn wir heute abend mit Mom telefonieren, sa- gen wir ihr nur, daß wir eine Anhalterin mitgenommen und sie für kurze Zeit bei uns aufgenommen haben. Alles andere, also Ellens Verletzungen und so weiter, behalten wir erst mal für uns. Wenn es wirklich dazu kommen sollte, daß Ellen bei uns bleiben möchte, und wir sie bei uns haben wollen, dann können wir immer noch mit Mom dar- über reden. Okay?“ „Okay“, lächelte Sam tapfer. „Aber ich denke, wir sollten Mom nicht erzählen, daß Ellen bei dir im Bett geschlafen hat. Ich bin zwar noch jung, aber so jung auch nicht mehr, daß ich nicht weiß, wie Mom darüber denken könnte.“ „Genau das ist das Problem“, sagte ich nachdenklich. „Wenn Mom dabei wäre, hätte sie todsicher nichts dagegen gehabt, aber aus der Ferne besehen kann das ganz anders aussehen, als es ist. Verdammt“, sagte ich vehement, „ich hasse solche Lügen- geschichten!“ „Wir lügen ja nicht wirklich“, sagte Sam bedrückt. „Wir sagen bloß nicht alles. Und außerdem: wenn wir Ellen nicht helfen, wer dann?“ Tja. Wer dann?
Ellen hatte sich inzwischen schon wieder so weit beruhigt, daß wir mit ihr reden konnten. Sie war zwar immer noch wütend über diese „Geldverschwendung“, wie sie es nannte, aber gleichzeitig auch dankbar für die ganzen neuen Sachen. Sie hatte zwar alles mitgenommen, was sie an Kleidung besaß, aber es war dennoch sehr wenig. Wir aßen in dem Restaurant zu Mittag und fuhren dann zurück. Sam und Ellen trugen die ganzen Tüten in die Hütte, während ich Ellens Geschen- ke unter die Matte im Kofferraum zu denen für Sam legte. Dann gingen wir an eine große, schwere Aufgabe: Ellen zu waschen. Sie hatte seit mehreren Tagen weder ge- duscht noch gebadet, ihre Haare waren fettig und strähnig, ihre Haut vom Hals abwärts schmutzig von Schweiß und Schorf, trotz meiner Säuberungsaktion vom Vortag. Haare und Gesicht waren noch einfach. Ellen legte sich auf den Rücken und hielt den Kopf in den See. Nach drei Durchgängen waren ihre Haare sauber, ebenso wie ihr Gesicht. Dann zog sie sich aus und stapfte tapfer in den See. Sam stützte sie, während ich sie vorsichtig wusch. Trotzdem floß manche Träne, als gerade verkrustete Wunden wieder aufbrachen, aber es war deutlich zu sehen, daß der Heilungsprozeß voran schritt. Schließlich war es geschafft. Ellen wankte zum Ufer, von Sam und mir gestützt, und ließ sich auf ein Badetuch fallen. Sie legte ein Handtuch über ihre Körpermitte und atmete schwer ein und aus. „Was für eine Scheiße“, sagte sie anklagend und wischte sich ein paar Tränen ab. Sam litt mit ihr und tupfte sich ebenfalls die Augen. „Ich könnte den Typ umbringen, der dir das angetan hat“, sagte sie voller Über- zeugung. Ellen zuckte mit keiner Miene. „Der kriegt seine Strafe schon noch“, erwiderte sie. „Sam, möchtest du mir die Wundsalbe auftragen?“ Sam blickte auf Ellens übel zugerichtete Brust und schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte sie mit zittriger Stimme. „Ich würde ja gerne, aber ich hab Angst, dir wehzutun.“ „Schon okay“, sagte Ellen und lächelte Sam an. „Würd mir genauso gehen. Dave? Wärst du so nett...?“ „Das wird höllisch wehtun“, warnte ich sie und griff nach der Tube. „Warum machst du es nicht selbst?“ fragte Sam Ellen. Ellen grinste verlegen. „Weil ich in genau dem Moment aufhören würde, wo es anfängt, wehzutun.“ „Das kenn ich“, gestand Sam kichernd. „Ist bei mir genauso. Wenn ich mir ir- gendwo einen kleinen Kratzer geholt habe, muß auch Mom oder Dad ran.“ „Wir sind schon zwei Memmen, was?“ lächelte Ellen, dann schaute sie mich an. „Fang an.“ Ich nahm eine große Menge von der Salbe in die Hand und strich sie schnell auf Ellens Brust. Als die heilende Flüssigkeit Kontakt bekam zu ihren wieder offenen Wunden, zog Ellen zischend Luft ein. „Das brennt“, wimmerte sie. Ihre Hände krallten sich in den Boden, dann riß sie das Handtuch vor das Gesicht und biß hinein. Sam stiegen Tränen in die Augen, als sie ihre Freundin leiden sah. Konzentriert machte ich weiter und verteilte die Salbe mit beiden Händen von der Brustmitte nach außen. Ellen japste und schrie in das Hand- tuch. Sam legte ihr die Hand auf die Schulter, um sie zu trösten, doch Ellen bekam das nicht mit. Ich machte, so schnell ich konnte, ohne nachlässig zu sein. Schließlich war ihr Oberkörper mit Salbe bedeckt. Aufatmend hockte ich mich hin. „Dad!“ Sams Stimme klang schockiert. Ich schaute sie an und folgte ihrem Blick. Sie sah auf Ellens Scham, die knallrot war und an vielen Stellen leicht blutete. „Um Himmels willen“, ächzte ich. „Ellen, was ist denn da passiert?“ „Wachs“, flüsterte sie unter Tränen. „Der hat mir die ganzen Haare mit Wachs entfernt. Tu da auch Salbe drauf. Bitte!“, drängte sie, als sie mein Zögern spürte. Es war der Punkt, den viele Soldaten kennen. Das Gefühl schaltet sich aus, und man tut nur noch das, was getan werden muß, ohne darüber nachzudenken, was man eigentlich tut. Man ist ein Automat, ohne Gefühl, ohne eigene Ansichten. Ich nahm noch etwas von der Salbe und strich es vorsichtig auf ihren Unterleib. Ellen schrie auf. Ihr Körper verspannte sich und bäumte sich auf, doch ich machte weiter, bis sie kom- plett eingerieben war. Ellen hatte sich vor Schmerzen in das Handtuch verbissen, daher zog ich mein Shirt aus und legte es über ihre Mitte. „Sam“, krächzte ich, als meine Anspannung nachließ. „Könntest du bitte was zu trinken holen?“ Sam nickte und sprang auf. Sie ging so wackelig zur Hütte, wie ich mich fühlte. Ich griff nach Ellens Hand und gab ihr einen Kuß auf die Fingerspitzen. „Es tut mir so leid, Ellen“, flüsterte ich. „Schon gut“, antwortete sie matt. Ihre Hand schloß sich um meine. „Das wird alles heilen. Irgendwann.“ Sie fing an, zu weinen, vor Schmerz und Trauer. Ich legte meine Hand auf ihren Kopf und streichelte sie, unfähig, meine eigene Trauer und Wut zu be- herrschen. Sam kam mit drei Dosen Limo an und setzte sich zu uns. Sie nahm Ellens andere Hand und streichelte sie. Dabei schaute sie mich anklagend an. „Warum hat der das getan?“ fragte sie bitter. „Ich weiß es nicht, Spatz. Warum erschießen Menschen andere Menschen? Ich weiß es wirklich nicht.“ Wir schauten Ellen an, die mit geschlossenen Augen leise vor sich hinweinte.
„Moment mal, Dave!“ Doris’ Stimme klang trotz ihrer Erschöpfung scharf. Sam und ich sahen uns an. Das wurde schwerer, als erwartet. „Du willst sagen, daß ihr eine minderjährige Ausreißerin mitgenommen habt, die jetzt bei euch in der Hütte wohnt?“ „Sie ist nur ausgerissen, weil sie so schwer verprügelt wurde“, sagte Sam hitzig und unüberlegt in das Telefon. „Sie ist so was von verletzt, dagegen sieht ein Horror- film aus wie die Muppetshow! Wir pflegen sie nur!“ „Laß mich mit deinem Vater sprechen.“ Ich bedeutete Sam, draußen zu warten. „Okay“, murrte sie. „Tschüs, Mom.“ Sie reichte mir den Hörer und verließ die Telefonzelle. „Doris“, sagte ich, als Sam draußen war. „Das Mädchen wurde sowas von miß- handelt, wie ich noch nie gehört, geschweige denn gesehen habe. Ihr ganzer Rücken ist voller Prellungen und blauer Flecken, und ihr Oberkörper ist blutig geschlagen wor- den.“ „Was?“ sagte Doris erschrocken. „Leider ja. Ellen - so heißt sie - hatte das Pech, bei einer alkoholabhängigen Mutter zu wohnen, die sie regelmäßig zusammengeschlagen hat. Als ihre Mutter dann einen Mann kennenlernte, der bei ihr einzog, fielen sie zu zweit über sie her. Der Mann hat Ellen mit einem Gürtel so verprügelt, daß ihr ganzer Oberkörper eine einzige offene Wunde ist.“ „Das ist ja...“ sagte Doris schockiert. „Das ist noch nicht alles. Natürlich hat der Mann Ellen auch noch vergewaltigt - das war ja der Hauptgrund, warum sie abgehauen ist -, und er hat ihr heißes Wachs auf die Schamhaare getropft und dann, als es kalt war, ihr die Haare da unten ausgeris- sen.“ „Dave! Das kann doch nicht wahr sein!“ Doris’ Stimme klang entsetzt. „Ich wünschte, es wäre nicht wahr. Im Moment sitzt Ellen auf der Wiese am See und läßt ihre Wunden an der Luft trocknen. Sie ist sowas von kaputtgemacht, das glaubst du nicht.“ „Und was habt ihr jetzt mit ihr vor?“ Doris Stimme war wieder normal. „Erst mal gesund pflegen, wie Sam schon sagte. Ellen ist von oben bis unten mit Wundsalbe eingecremt, den Rest wird die Zeit heilen.“ „Ich verstehe...“, sagte Doris. „Tut mir leid, daß ich im ersten Moment so miß- trauisch war.“ „Schon gut, Liebling. Aber wenn du sie sehen würdest, das heißt, ihre Wunden, hättest du bestimmt nicht anders gehandelt.“ „Ganz sicher nicht“, sagte Doris erschüttert. „So ein armes Kind. Was machst du mit ihr, wenn der Urlaub vorbei ist?“ Jetzt wurde es heikel. „Das habe ich mich auch schon gefragt. Sam möchte sie am liebsten mit zu uns nach Hause nehmen. Natürlich ist das eine Schnapsidee, denn...“ „Warum?“ unterbrach Doris mich. „Glaubst du, ihre Eltern legen noch Wert auf sie?“ „Nein.“ Ich machte eine Pause. „Ellen hat nach der Vergewaltigung den Gasherd angestellt und eine Explosion ausgelöst, die stattfand, nachdem sie schon weit weg war.“ „Sehr gut“, meinte Doris grimmig. „Ich hoffe, das Schwein hatte einen langsamen und qualvollen Tod.“ „In der Zeitung steht nur, daß bei einer Explosion zwei Menschen getötet und meh- rere andere leicht verletzt worden sind.“ „Zu schade, daß es so schnell ging... Paß auf, Dave. Warte ab, wie Sam mit Ellen auskommt, und dann entscheide, ob ihr sie mitnehmen wollt. Irgend jemand muß sich doch um das arme Ding kümmern.“ „Sie hat aber die kanadische Staatsbürgerschaft“, wandte ich ein. „Notfalls komme ich eben zu euch, und dann klären wir das gemeinsam. Wir könnten sie ja als unsere Nichte oder so was ausgeben... Ach was, Dave, das kriegen wir schon hin. Sieh erst mal zu, daß das Kind wieder gesund wird.“ „Doris, du bist fantastisch“, sagte ich bewundernd. „Das fällt dir erst jetzt auf?“ lachte sie. „Paß bloß auf! Halt mich auf dem laufen- den, ja? In den nächsten Tagen wird es bei mir sehr spät; diese neuen Kunden stellen sehr hohe Ansprüche, die wir zwar erfüllen können, aber die Verträge sind sowas von kompliziert, daß ich bis spät abends im Büro zu tun haben werde... Ruf mich doch Freitag wieder an, dann bin ich pünktlich zu Hause.“ „Mach ich, Doris. Ich liebe dich.“ „Ich dich auch, du verrücktes Etwas. Sammelt einfach eine Anhalterin auf...“ Sie lachte. „Was auch immer: sei nett zu dem Kind.“ „Das sind wir, keine Sorge.“ Ich legte auf, nachdem wir uns verabschiedet hatten. Sam blickte ängstlich durch das Glas. Ich grinste und hob den Daumen.
Durch Doris’ Einverständnis war eine große Last von Sams und meinen Schultern genommen worden. Jetzt bestand kein Grund mehr, ihr etwas zu verheimlichen, bis auf die Tatsache, daß Sam und Ellen bei mir schliefen. Aber ich dachte, daß Doris auch dafür Verständnis haben würde. Denn schließlich kann ein normal denkender Mann bei einem derart mißhandelten Mädchen wohl kaum sexuelle Gefühle aufbringen, von der Sicht des Mädchens gar nicht erst zu reden. „Tut mir leid, daß ich wegen Ellen nicht so viel Zeit für dich habe, wie ich wollte, Spatz“, sagte ich zu Sam auf der Rückfahrt. Sam sah mich erstaunt an. „Das ist doch Quatsch, Daddy“, meinte sie ernst. „Ich finde das so toll, wie du El- len gerettet hast.“ „Gerettet?“ grinste ich. „Dann bin ich für dich jetzt so eine Art Held?“ „Beinahe“, kicherte Sam und lehnte sich an mich. „Ganz im Ernst, ich finde es großartig, wie du dich um sie kümmerst. Und wer weiß, vielleicht wird sie ja bald meine Schwester.“ „Sam, du bist auch großartig, weißt du das?“ Sam strahlte mich an. „Das fällt dir erst jetzt auf? Paß bloß auf!“ „Sam“, stöhnte ich, „du wirst deiner Mutter von Tag zu Tag ähnlicher!“ „Danke“, sagte lieb Töchterlein mit einem versteckten Lächeln.
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