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TEIL 4 - JULIA BIRKENECK


Vorwort zu Teil 4



Julia Birkeneck. Ein Name, der heftige Ablehnung bei Werner, Chris und Ellen verursacht. Doch warum ist Julia so geworden? Hat sie alles von sich erzählt, damals in dem Bistro, als sie sich bei Werner entschuldigte? Wie hat sie die Erkenntnis verarbeitet, daß Werner junge Mädchen bevorzugt? Was geschah, nachdem sie mit ihren Eltern wieder umgezogen war, fort von Koblenz? Und wie ging sie damit um, daß Mädchen in ihrem Alter (13) oder jünger bereits Geschlechtsverkehr hatten, von dem sie persönlich kaum etwas kannte und wußte?
Fragen, die dieser Teil beantworten möchte.

Noch ein letztes Wort zu diesem Teil: "Chris" war ursprünglich nur als ein einziger Teil gedacht, nämlich dem heutigen zweiten Teil. Die beiden anderen Teile kamen fast wie von selbst dazu, und so hatte ich die Idee, mehr von Anja, Yvonne und Julia B. zu schreiben. Jedoch... Anja und Yvonne sind, so leid mir das tut, gestrichen. Ich finde einfach keinen Bezug mehr zu ihrem "Leben", nachdem sie eigene Freunde gefunden haben. Deswegen werde ich "Chris" mit diesem vierten Teil abschließen und beenden. Was aus Chris und Werner wurde, kann in "SH-059 Hochwasser" nachgelesen werden. Der vorliegende Teil 4 geht noch einmal ausführlich auf Julia Birkenfeld ein, und mehr "gips nich". Mehr habe ich einfach nicht in meinem Kopf :-(

Shana


Zusatz von Avalon:
Shana hat mir das Konzept für diesen letzten Teil geschickt, und ich habe ihn entsprechend beendet, um "Chris" zu komplettieren, jedoch - wie mit Shana abgesprochen - nicht so zuckersüß und kalorienreich. Julia hat - wie Shana schon in "Hochwasser" entsprechend über Chris geschrieben hat - eine negative Grundeinstellung, und mit dieser Eigenschaft kann sie einfach kein Glück erreichen, wie sehr sie auch danach sucht. Jedoch ist mit Shana abgesprochen, das Ende so zu halten, daß gegebenenfalls noch ein Happy End nachgereicht werden kann, wenn das gewünscht wird. Generell würde mich interessieren, ob ein "realistisches" Ende wie in "SH-066 Katrin" oder mehr die Linie von Shana mit dem romantischen Schluß ankommt. Schließlich schreibe ich nicht für mich, sondern für euch :)










Kapitel 20



Es war inzwischen Oktober im Jahre 1990. Abwesend saß Julia in ihrem Zimmer an der Ostseite des neuen Hauses, das ihre Eltern ziemlich überraschend gekauft hatten. Aus den zum Teil hitzigen Gesprächen hatte Julia jedoch erfahren, warum sie nach so kurzer Zeit erneut umgezogen waren.
Ihr Vater war ein Schuft.
Das war die kürzeste Beschreibung, die Julia einfiel. Er "klaute" Menschen von einer Firma und brachte sie zu einer anderen, und dafür bekam er auch noch viel Geld. Julia hätte liebend gerne auf alles Geld verzichtet, wenn sie nur wieder so Freunde wie Chris, Ellen, Jasmin und Uschi gehabt hätte.
Julia ließ sich seufzend auf ihr Bett fallen, den Blick auf das Fenster gerichtet, hinter dem sich die Bäume im Garten unter dem starken, heftig wehenden Wind lautstark bogen. Der Anblick der abfallenden Blätter machte sie traurig.
Wie schon seit Wochen wanderten ihre Gedanken zurück zu diesem einen Tag am Rhein, zu den fröhlichen, lachenden Menschen, vor denen sie weggelaufen war. Weg von dem gefährlichen Menschen namens Werner, der auf sie jedoch überhaupt keinen gefährlichen Eindruck gemacht hatte. "Kinderschänder". So nannten ihre Eltern Menschen, die Geschlechtsverkehr mit Kindern hatten. Doch Chris und Ellen hatten alles andere als traurig, bedrückt, mißhandelt oder gequält ausgesehen. Julia verstand es nicht.
Sie dachte daran, wie Werner ihr in dem Supermarkt geholfen hatte, wie er und Ellen sie vor den anderen Jugendlichen beschützt hatten, wie fröhlich und ausgelassen die Atmosphäre in seiner Wohnung gewesen war. Und wie bereitwillig Ellen und Chris mit ihm geschmust hatten und sich ohne Anzeichen von Zwang oder Druck von ihm berühren ließen. Im Gegenteil; sie suchten diese Berührungen sogar.
Sie dachte an die langen, ernsten Gespräche mit Werner; wieviel er ihr erklärt hatte, und wie wenig sie davon verstanden hatte. Erotik. Sex. Fremdwörter in ihrem Leben. Genau wie Zärtlichkeit, die sie nun seit mehr als einem Jahr vermißte. Kein Streicheln, kein Schmusen. Ellen, Chris und Werner waren eigentlich durchgehend am Schmusen gewesen. Werner konnte kein Kinderschänder sein. Nicht, wenn Chris und Ellen so glücklich aussahen.
Julia stieß einen lauten Seufzer aus, der in dem leeren Haus ungehört verhallte. Wieder war sie alleine und einsam. Zum Teil aus eigener Schuld, zum Teil wegen ihrer Eltern. Traurig schloß sie die Augen und lauschte auf das Pfeifen des Windes draußen im Garten.



Es wurde Montag. Niemand war glücklicher darüber als Julia. Montag bedeutete Schule, und Schule bedeutete Ablenkung von ihren Gedanken. Schweigsam aß sie ihr Frühstück, genauso schweigsam wie ihr Vater, der in irgendeiner Wirtschaftszeitung blätterte, genauso schweigsam wie ihre Mutter, die ihren Tagesplan durchging, der sie von zu Hause fernhalten würde. Die letzten Bissen würgte Julia regelrecht hinunter, nur um so schnell wie möglich aus dieser Leichenhalle von Küche zu entkommen. Aufspringen, hinauslaufen und "Tschüs" murmeln geschah in einer einzigen Sekunde. Die Eltern antworteten mit knappen Gesten.
Julia warf sich in ihren Parka, schnallte sich den Tornister um und lief mit hochgeschlagener Kapuze durch den Regen zur Garage, wo ihr Rad stand. Ihr neues Rad, mit dem sie fahren konnte, wohin sie wollte. Ein Damenrad. Julia hätte es am liebsten in die nächste Mülltonne gedrückt, und zwar in Einzelteilen. Sie hatte sich ein Rennrad gewünscht, eins mit 18 Gängen, aber bekommen hatte sie ein Damenrad mit drei Gängen. 'Ein Rennrad paßt nicht zu einer jungen Dame', hatte ihre Mutter gesagt. Das, was Julia darauf erwiderte, paßte auch nicht zu einer jungen Dame, und somit waren sie wieder quitt. Nur daß Julia sich nun tagtäglich über den Anblick ihres Damenrades ärgern mußte. Seufzend zog sie sich das lange Regencape an, schwang sie sich auf den Sattel und fuhr los. Die Garage schloß sie nicht; man konnte das doch mal vergessen, gerade bei dem Regen.
Mit den Gedanken nur halb auf der Straße, mit der anderen Hälfte noch immer bei den Kindern aus Koblenz, radelte sie an einer Baustelle vorbei. Erst einige Meter weiter wurde ihr bewußt, was sie gesehen hatte. Sie hielt an und sah zurück. Nach einigen Sekunden nickte sie zufrieden und fuhr weiter.
Nach der Schule hatte es zum Glück aufgehört zu regnen. Julia fuhr bis zu der Baustelle, die ihr am Morgen aufgefallen war, und stieg dort vom Rad. Nachdenklich schaute sie in das tiefe, etwa zwei Meter breite Loch. Nur kurz zögerte sie, dann schob sie das Rad unter der Absperrung her und gab ihm einen kräftigen Stoß. Polternd und klirrend fiel es in den Schacht. Zwei Arbeiter, die in der Nähe standen und Julias Aktion sprachlos verfolgt hatten, setzten sich in Bewegung und kamen auf sie zu. Julia lächelte sie fröhlich an.
"Mein Vater holt das heute abend ab. Tschö!" Ausgelassen lief sie nach Hause.
Das Rad war hin, wie ihr Vater ziemlich verärgert feststellte, nachdem er das Rad am Abend abgeholt hatte. Julia erwiderte seinen Blick gelassen.
"Mit einem Rennrad wäre das nicht passiert. Da sitze ich besser drauf, und das hätte ich auch viel besser im Griff."
"Merkwürdig ist nur", sagte ihr Vater vorwurfsvoll, "daß die Arbeiter behaupten, du hättest das Rad mit voller Absicht in den Schacht geworfen."
"Aber sicher", lächelte Julia. "Wahrscheinlich nach der zehnten Flasche Bier. Und nach der zwanzigsten haben sie ein UFO landen sehen."
Herr Birkeneck resignierte. Am nächsten Nachmittag bekam Julia ihr Rennrad mit 18 Gängen, das sie trotz des strömenden Regens fröhlich einweihte. Naß bis auf die Haut, aber zum ersten Mal seit dem Sommer wieder mit guter Laune kam sie am Abend nach Hause, zog sich noch in der Diele Parka, Schuhe, Pulli, Hose und Strümpfe aus und lief nur in der Unterhose und mit den nassen Sachen im Arm ins Bad, wo sie ihre Kleidung über der Wanne auswrang und dann zum Trocknen über den Rand hängte. Schließlich rubbelte sie sich selbst mit einem Handtuch ab, bevor sie wie befreit in ihr Zimmer lief. Dort fand sie einen Zettel in der Handschrift ihrer Mutter auf dem Kopfkissen: "Sind zum Essen gefahren und gegen elf zurück."
Achselzuckend zerknüllte Julia den Zettel und ließ ihn in den Papierkorb neben ihrem Tisch fallen. Nackt, wie sie aus dem Bad gekommen war, ging sie in die Diele und drückte den Hauptschalter, der sämtliche Jalousien vor den Fenstern herabließ. Dann ging sie in die Küche, wo ein weiterer fürsorglicher Zettel auf den Kühlschrank verwies, in dem Julia zwei zubereitete Brote fand. Natürlich wieder mit dem Aufschnitt, den sie haßte wie die Pest: Blutwurst und Sülze. Julia warf die Brote in die Mülltonne und schmierte sich zwei neue Scheiben; eine mit feiner Kalbsleberwurst, die andere mit diesem leckeren Frühstücksfleisch, daß es in diesem besonders guten Geschmack nur hier in Norddeutschland gab.
Das war aber auch das einzig Gute, überlegte sie kauend. Das neue Haus war so weit außerhalb jeder Stadt, daß selbst der örtliche Busbetreiber es als Verschwendung ansah, eine Haltestelle in der Nähe einzurichten. Hier wohnten die Leute, die Geld hatten, und die knapp vierzig Bewohner, die sich auf fünfhundert Hektar verteilten, hatten mindestens zwei Autos pro Familie.
"Na ja!" seufzte sie die stummen Wände an. "Immerhin habe ich jetzt mein Rennrad. Und ich kann mit mir selbst reden. Für diese kleine Gnade sollte ich dankbar sein." Achselzuckend schluckte sie den letzten Bissen hinunter, schaltete überall das Licht aus, auch in ihrem Zimmer, und warf sich nackt auf ihr Bett, die Arme hinter dem Kopf verschränkt.
Und wie immer, wenn sie Ruhe hatte, sah sie das etwas mißtrauische Gesicht von Chris vor sich, mit den braunen Augen, die so verliebt auf Werner schauten, an das lachende Gesicht von Ellen, die geradezu durchgehend an Werner klebte, an Anja und Yvonne, die sich auch an Werner warfen, wenn er mal einen Moment alleine saß.
"Das muß doch an mir liegen", flüsterte Julia in die Dunkelheit ihres Zimmers. "Chris und Ellen waren zwölf. Anja auch. Yvonne sogar erst elf. Und sie alle haben Sex mit Werner. Richtig Sex. Sie wollen Sex. Sie lieben Sex. Was stimmt nicht mit mir?" Sie warf sich herum, drückte ihr Gesicht in das Kissen und weinte leise.
Bis zum Wochenende regnete es durchgehend, erst am Freitag abend klärte sich der Himmel, und am Samstag stand eine strahlende Sonne am Himmel. Julia beschloß nach dem Frühstück spontan, sich davonzumachen. Sie steckte sich den Stadtplan der Gegend sowie fünfzig Mark ein, wählte das beliebteste Kommunikationsmittel der Familie - einen Notizzettel -, um ihre Eltern wissen zu lassen, daß sie zum Mittagessen nicht anwesend sein würde, und machte sich dann, nachdem sie sich vergewissert hatte, daß sie Werkzeug und Flickzeug in der Satteltasche hatte, auf den Weg in die Freiheit.
Stundenlang fuhr sie gemächlich kreuz und quer durch die Gegend, aß mittags in einer Pizzeria einen Teller gemischte Nudeln mit Salat und machte sich gegen drei Uhr nachmittags wieder auf den Heimweg. Gegen halb acht war sie wieder in ihrem Zimmer, frisch geduscht; der Zettel, mit dem ihre Eltern ihr mitteilten, daß sie im Theater waren und entweder erst sehr spät oder am nächsten Morgen zurückkamen, lag im Papierkorb. Lustlos schaufelte Julia die Cornflakes in ihren Mund, die sie aus Trotz mit einer besonders dicken Schicht Zucker überzogen hatte, und brachte nach der zweiten Portion schließlich Geschirr, Besteck und die Tüten mit Zucker und Milch zurück in die Küche. Sie spülte den Teller kurz durch, dann ging sie ins Bad, um sich ausgiebig die Zähne zu putzen. Um kurz nach acht saß sie, mit einem sehr kurzen Nachthemd bekleidet, auf dem elterlichen Sofa und schaute gelangweilt in den Fernseher.
Die Show, die Julia sich anschaute, war genauso lausig wie ihre Stimmung, doch in der masochistischen Grundhaltung, die Julia sich angewöhnt hatte, konnte sie sich nicht dazu durchringen, auf einen anderen Kanal umzuschalten. So saß sie angeödet und gelangweilt bis kurz nach zehn auf dem Sofa, bis alle Wetten durch waren, dann schaltete sie um auf das dritte Programm und tat sich noch eine Stunde norddeutsche Volksmusik an, gemischt mit Hafenmusik, bevor sie um viertel nach elf vollkommen frustriert und gelangweilt in ihr Zimmer ging.
Wie üblich war die Zentralheizung des Hauses sehr stark aufgedreht. Julia, die in ihrem Zimmer vergeblich nach einem Regler für die Heizung gesucht hatte, zog sich das Nachthemd aus, das - obwohl sehr kurz und dünn - einfach für diese Haustemperatur zu warm war, warf sich mit einem kurzen Grunzen bäuchlings auf das Bett, spreizte Arme und Beine ab und langweilte sich noch mehr.
Daß sie mittlerweile nackt schlief, wußten weder ihre Mutter noch ihr Vater. Julia tat es allerdings auch erst, seit sie in diesem Haus wohnten; in ihrem Zimmer war es mindestens fünf Grad wärmer als im Rest des Hauses.
Todmüde wegen der Uhrzeit und hellwach wegen des Frustes in ihr wälzte sie sich auf ihrem Bett herum, bis es Mitternacht war, dann gab sie auf. Sie zog sich warm an, packte das Tränengas, das ihr Vater ihr wegen des neuen und sehr langen Schulwegs besorgt hatte, griffbereit in die Tasche ihres Parkas, vergewisserte sich, daß sie den Schlüssel hatte und verließ das Haus für einen kleinen Spaziergang.
Die Wolken hatten sich den Tag über vollständig verzogen. Am dunklen, sternklaren Himmel leuchte die schmale Sichel des zunehmenden Mondes, der die Straße in ein sehr mattes Licht tauchte. Die Luft - und das war das dritte Gute, das Julia an dieser Gegend fand - war sehr kühl und erfrischend sauber, bei fast völliger Windstille.
Sie ging langsam über die lange, gewundene, dunkle Straße, die - wegen der weit auseinander liegenden Häuser - keine Straßenbeleuchtung hatte, atmete die kühle, frische Luft mit tiefen, bewußten Atemzügen ein und versuchte krampfhaft, nicht an ihre Trauer zu denken. Ihre Schritte lenkte sie unbewußt in Richtung der Hamburger Innenstadt, auch wenn diese mehr als zwanzig Kilometer entfernt war. Es war einfach ein Ziel, das Leben und Freude versprach, und so ging sie in diese Richtung.
Nach und nach ließ sie alle Häuser hinter sich; vor ihr lag nur noch ein einziges, und von dort kam ihr eine dunkle Silhouette entgegen. Julia griff in die Tasche ihres Parkas, entfernte den Deckel von der Dose Tränengas und legte den Zeigefinger auf den Druckknopf, während sie nach außen hin ruhig, nach innen hin jedoch vor Angst zitternd weiterging. Schließlich, als sie noch gut zwei Meter auseinander waren, blieb die Gestalt stehen, Julia ebenfalls.
"Hallo, Frau Nachbarin", hörte Julia eine sympathische Männerstimme sagen. "So spät noch unterwegs?"
"Verzeihung, kennen wir uns?" erwiderte Julia mißtrauisch.
"Nur vom Sehen", sagte die Stimme leise lachend. "Und das auch nur, weil du mich heute morgen beinahe über den Haufen gefahren hättest."
"Oh!" Julia erinnerte sich an den peinlichen Moment. Sie war so froh gewesen, von zu Hause wegzukommen, daß sie kaum auf den Verkehr geachtet hatte und dem Besitzer des Hauses fast über die Füße gefahren wäre. An sein Gesicht konnte sie sich nicht mehr erinnern, nur noch daran, daß er sie nicht angeschrien, sondern herzhaft gelacht hatte.
"Dann möchte ich mich nachträglich entschuldigen", sagte sie höflich. Der Mann machte eine Geste.
"Ich lebe ja noch, und die schweren Verletzungen sind inzwischen ausgeheilt. Und du hattest bestimmt deine Gründe, warum du ausgesehen hast wie ein Killer im Einsatz."
"Ja, die hatte ich." Julias Trauer schwang nun deutlich in ihrer Stimme mit. "Und daran hat sich seit heute morgen nichts geändert."
"Verstehe." Die Stimme des Mannes veränderte sich, von freundlich zu mitfühlend. "Laß mich raten... Du bist voller Freude in diese lebhafte, fröhliche Siedlung gezogen und vermißt deine alten Freunde überhaupt nicht. Du bist deinen Eltern sogar äußerst dankbar, daß ein munteres junges Mädchen wie du nun endlich mal Ruhe zum Nachdenken hat, nicht wahr?"
"Hören Sie auf!" Julias Stimme zitterte bedenklich. "Bitte!"
Der Mann setzte sich auf den Bürgersteig und nestelte an seiner Jacke herum. Sekunden später erleuchtete die Flamme eines Feuerzeuges sein Gesicht; zu kurz, um es genau zu sehen, doch lang genug, um scharfgeschnittene Züge zu ahnen. Dann verlöschte die Flamme, und ein kleiner roter Fleck leuchtete hell auf, als er an der Zigarette zog.
"Ich verstehe dich vielleicht besser, als du ahnst", sagte der Mann. "Mir ging das ganz genau so. Ich heiße übrigens Sven, und du kannst du zu mir sagen, wenn du möchtest. Meine Eltern haben mich nach Darmstadt verschleppt, als ich dreizehn war, und ich bin dort eingegangen wie eine Rose im Winter. Womit ich natürlich nicht sagen will, daß ich so gut wie eine Rose aussehe. Eher wie eine Distel. Oder eine Brennessel. Auf jeden Fall was Stacheliges." Gegen ihren Willen mußte Julia etwas lachen.
"Heute kann ich auch lachen", redete Sven weiter. "Aber damals, als wir umgezogen sind, hätte ich meine Eltern am liebsten umgebracht. Ich bin in dem Haus hinter mir geboren, mitten im Wohnzimmer, und hier in der Siedlung aufgewachsen. Es ist recht einsam hier, aber es ist nun mal meine Heimat. Und dann sind wir mittenrein nach Darmstadt gezogen. Auch wenn es jetzt unkultiviert und ordinär klingt, aber ich fand es da zum Kotzen."
"Das klingt ehrlich." Julia setzte sich ebenfalls hin, mit den zwei Metern Abstand, die in der Stille der Nacht kaum Unterschied machten, und mit dem Gesicht zu ihm. "Ich fluche manchmal noch schlimmer. Ich heiße Julia. Und wie hast Sie - äh, haben du - Ach!" Sie stieß mißmutig den Atem aus. "Wie hast du es wieder geschafft, hierher zu kommen?"
Sven lachte leise. "Klingt jetzt hart, aber meine Eltern haben mir den Gefallen getan, endlich zu sterben. Das war vor vier Jahren, als ich vierunddreißig war. Glückwunschkarten werden gerne angenommen."
Normalerweise wäre Julia über diese Rohheit schockiert gewesen, aber in ihrer momentanen Stimmung konnte sie Sven nur zu gut verstehen.
"Ich male dir eine!" versprach sie mit einem leisen Lachen. "Aber nur, wenn du mir eine Beileidskarte wegen dem Umzug hierher malst."
"Die kriegst du. Die kannst du sogar sofort haben. Davon habe ich noch Dutzende herumfliegen. Für alle neuen Nachbarn. Aber ich habe das dumpfe Gefühl, daß die nicht so gut ankommen."
"Bei mir würde die einen Ehrenplatz bekommen", versprach Julia feierlich. "Mit Rahmen. Hast du das Haus hier geerbt?"
"So in der Art. Meine Eltern haben mir alles vererbt, was sie hatten, und davon konnte ich das Haus zurückkaufen. Tja, und nun lebe ich seit vier Jahren hier und überlege, was ich mit meinem Leben anfangen soll."
"Arbeitest du nicht?" fragte Julia erstaunt.
"Nein. Morgens habe ich keine Lust, aufzustehen, dann versuche ich, Bilder zu malen, für die höchstens Geisteskranke etwas bezahlen würden, oder ich schreibe Bücher und Geschichten für den gleichen Kundenkreis. Abends langweile ich mich zu Tode, und nachts kann ich nicht einschlafen. Sie haben mir ziemlich viel Geld hinterlassen, Julia. Im Moment bin ich irgendwie auf der Suche nach meinem Leben. Nach einem Sinn."
"Kann ich mitsuchen?" fragte Julia bitter. "Wir haben bis vor ein paar Wochen in Koblenz gewohnt, wo ich endlich mal die Chance hatte, ein paar Freunde zu haben, und da..." Ihre Stimme kippte, als die Trauer so stark hochkam, daß Julia sie nicht mehr im Zaum halten konnte. "Entschuldigung", konnte sie gerade noch schluchzen, dann schlugen die Tränen zu. Julia zog die Knie an die Brust, warf den Kopf zwischen die Beine und weinte bitterlich. Sven rutschte schnell neben sie und legte seinen Arm um ihre Schultern, um ihr Trost zu geben.
In diesem Moment schaltete etwas in Julia um. Auch wenn Sven sie im nächsten Moment gefoltert und zu Tode gequält hätte, hätte sie dies wegen der kameradschaftlichen Geste mit Freuden akzeptiert. Mehr wollte sie ja gar nicht, nur jemanden, mit dem sie reden konnte und der für sie da war. Ein Instinkt oder Reflex ließ sie sich an seinen Hals werfen, auf seinen Schoß klettern und sich an ihm festhalten, während die Tränen mit aller Macht aus ihr heraus strömten.
"Au weh", drang Svens besorgte Stimme durch ihr Weinen. "Dich hat es ja ganz schön erwischt. Wein dich aus, Deern. Ich bin bei dir." Seine linke Hand stützte sie im Rücken, seine rechte Hand strich wieder und wieder tröstend und beruhigend durch ihre langen, leicht gelockten schwarzen Haare. Seine mitfühlenden Worte und sanften Berührungen öffneten weitere Schleusen in ihr, bis sie kaum mehr Luft zum Atmen hatte, doch die Tränen konnten einfach nicht mehr zurückgehalten werden.
Sven hielt sie still im Arm und wiegte sie sanft, wie ein trauriges kleines Kind, das nicht einschlafen wollte. Er spürte ihre heiße Stirn an seinem Hals, an den sie sich auf der Suche nach Schutz geschmiegt hatte, fuhr mit der Hand unter ihre dichten Haare und strich tröstend mit dem Daumen über ihren Nacken und den Hals, bis ihr bitterliches Weinen und Schluchzen nach einigen Minuten nachließ und einem erschöpften, schweren Atmen Platz machte. Julia wollte sich befreien, doch Sven hielt sie mit sanftem Druck fest.
"Wenn du glaubst", sagte er leise, "daß du noch menschliche Nähe brauchst, dann bleib bei mir. Ansonsten steh auf." Er nahm seine Hände von ihr und wartete. Als Julia nach einigen Sekunden noch immer still auf seinem Schoß saß, legte er wieder seine Arme um sie.
"Dir scheint es ja noch dreckiger als mir damals zu gehen", sagte er trocken. "Armes Kind."
Julia schmiegte sich wortlos an ihn und tat so, als wäre sie nicht da. Jetzt, da sie ihre große Trauer und den schmerzenden Kummer herausgeweint hatte, war es ihr furchtbar peinlich, daß sie sich so hatte gehenlassen.
"Aber du hast es wohl gebraucht", meinte Sven, als hätte er gespürt, welche Gedanken sie bewegten. "Und ich schätze, es war wichtig, daß du dich mal ausgeweint hast." Seine Hand fuhr zärtlich durch ihr volles Haar, dann schloß er Julia in seine Arme und drückte sie beschützend an sich, ohne zu reden. Julia schmiegte sich an ihn.
"Ist das nicht verrückt?" fragte sie leise, als würde sie sich selbst diese Frage stellen. "Ich kenne dich nicht und rede mit dir über mein Leben. Und dann heule ich wie ein kleines Kind."
"Na und?" Sven wiegte sie sanft in seinen Armen. "Julia, der einzige Mensch, der seine Probleme nicht mehr klar sehen kann, ist der, der sie hat. Wenn du mittendrin steckst, kannst du nicht mehr klar sehen. Darüber reden hilft immer, und wenn es ein Anruf bei der Telefonseelsorge ist. Lach nicht, aber genau das habe ich damals getan. Es hat mir sehr geholfen. Einfach zu wissen, daß da jemand ist, der dir zuhört und der deine Probleme ernst nimmt, auch wenn er sie nicht lösen kann. Einfach reden, Julia. Das hilft immer. Möchtest du jetzt nach Hause?"
"Nein." Sie schlang ihre Arme um ihn. "Da möchte ich am liebsten nie wieder hin." Sie seufzte laut.
"Ach, Sven! In Koblenz hätte ich so tolle Freunde haben können. Richtig nette Menschen. Aber wegen dem ganzen Unsinn, den meine Eltern mir eingeredet haben, bin ich in dem Moment abgehauen, wo mir etwas gesagt wurde, wovor meine Eltern mir Angst gemacht haben." Sie zuckte mit den Schultern. "Und selbst wenn ich geblieben wäre, wäre das alles durch diesen Sch- diesen verdammten Umzug sowieso kaputtgegangen. Sven? Was denkst du über Kinderschänder?"
"Daß man sie ohne Gerichtsurteil kastrieren sollte. Julia, bist du etwa -"
"Nein!" sagte sie schnell. "Aber was, wenn ein Mädchen wie - ich meine, ein Mädchen in meinem Alter mit einem Erwachsenen schläft, weil sie es so will? Wirklich will?"
"Das ist schwer." Trotz der Dunkelheit spürte sie seine forschenden Blicke. "Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein junges Mädchen Sex mit einem Erwachsenen haben will, Julia. Beim besten Willen nicht. Aber wenn sie es wirklich von sich aus will, ohne Notsituation oder Druck..."
"Notsituation?"
"Wie zum Beispiel, daß sie kein Dach über dem Kopf hat. Oder kurz vorm Verhungern steht. Geld für Drogen braucht. Sowas eben. Wenn es vollkommen freiwillig und bewußt geschieht... Ich kann es mir zwar nicht vorstellen, aber unter diesen Umständen würde ich sagen, es wäre okay. Wieso fragst du? Und sag jetzt nicht: nur so."
"Nur so." Julia lachte leise und drückte sich an ihn. "Nein, die Frage hat schon einen realistischen Hintergrund, Sven. In Koblenz gab es nämlich jemanden, der sehr, sehr nett war. Er war erwachsen. Mitte oder Ende Dreißig, schätze ich. Er wohnte mit zwei Mädchen in meinem Alter zusammen, und bevor du jetzt schreist und tobst: sie wollten bei ihm wohnen, und ihre Eltern waren sogar damit einverstanden. Dann gab es noch zwei weitere Mädchen, die wohl öfter bei ihnen zu Besuch waren, und er hat mit allen vier geschlafen. Richtig Sex gehabt. Und die Mädchen wollten das auch, Sven. Hundertprozentig. Chris und Ellen, die bei ihm gewohnt haben, klebten andauernd an ihm und haben mit ihm geschmust, und die anderen beiden, die zu Besuch kamen, auch. Eines der Mädchen war erst elf, als sie mit ihm geschlafen hat."
"Elf Jahre", sagte Sven ruhig.
"Elfeinhalb, um genau zu sein. Ich war auch total geschockt, als ich das gehört habe, aber Yvonne hatte es sehr gut gefallen. Sven, ich habe es ihr angesehen, daß sie nicht lügt. Sie hat die Wahrheit gesagt. Und die anderen Mädchen auch. Sie alle wollten Sex mit - mit dem Mann haben. Ohne Notsituation, und ohne Zwang. Er hat auch nichts dafür bezahlt."
Sven stieß leise den Atem aus. "Was soll ich dazu sagen, Julia? Es mag sein, daß es Mädchen wie die von dir geschilderten gibt. Aber gleich zwei? In einer Wohnung mit dem Mann, und mit Erlaubnis der Eltern? Plus zwei weitere? Du mußt zugeben, daß das sehr unwahrscheinlich klingt."
"Das gebe ich auch sofort zu", erwiderte Julia ohne zu zögern. "Sven, als ich erfahren habe, daß Werner ein Mensch ist, der auf junge Mädchen steht, habe ich mir sofort meine Sachen geschnappt und bin abgehauen. Wir waren da alle am Rhein und haben uns bestens unterhalten. Aber ich komme damit einfach nicht klar!" Sie sah ihn verzweifelt an, ohne seine Augen zu sehen.
"Sven, Werner war total in Ordnung! Er hat mich nicht angefaßt, mir keine Angebote gemacht und auch nicht versucht, mich ins Bad oder in sein Schlafzimmer zu locken. Nichts! Außerdem gab es in der Gegend wohl noch mehr Paare in dieser Konstellation erwachsener Mann, junges Mädchen. Chris und Ellen sagten, daß ihr Leben, seit sie mit Werner zusammen waren, viel harmonischer und ruhiger verlief. Sie haben sogar für ihre Verhältnisse richtig gute Zeugnisse gehabt, das erste Mal überhaupt. Und sie waren, verdammt noch mal, glücklich!" Sie kämpfte die aufsteigenden Tränen zurück und behielt die Kontrolle über ihre Stimme.
"Sven, die drei - also Werner, Chris und Ellen - waren so glücklich miteinander, daß ich neidisch auf sie wurde und versucht habe, das kaputtzumachen. Und trotzdem haben sie mir verziehen und mir angeboten, ihre Freundin zu werden. Chris weniger, aber Ellen auf jeden Fall. Und Chris hat sich auch bemüht, nett zu sein. Dafür habe ich auch vollstes Verständnis, daß sie sauer auf mich waren. Aber trotz allem haben sie mich eingeladen, mit ihnen zum Rhein zu gehen, wo noch viele andere Jugendliche waren." Sie drückte sich traurig an Sven, der still zuhörte.
"Da war ein Mädchen. Die Jasmin. Die hatte auch schon Sex. Auch mit zwölf. Die Uschi mit dreizehn. Viele andere auch. Das war eine ganz komische Gegend, Sven. Auf der einen Seite der Straße ein Ghetto, also ein riesiger Hochhauskomplex, wo die Armen wohnten, auf der anderen Seite Luxuswohnungen. Werner, Chris und Ellen wohnten in den Luxuswohnungen, aber Ellen und Chris hatten vorher in dem Ghetto gewohnt. Sie sagten, daß alle Kinder da schon sehr früh Sex hatten. Meine Eltern haben mich natürlich aufgeklärt, aber das war's auch schon. Die ganzen Mädchen in Koblenz jedoch... Die haben vollkommen offen und locker darüber geredet, als wäre es für sie die natürlichste Sache der Welt. War es ja auch. Für sie jedenfalls. Und ganz offensichtlich waren Chris und Ellen froh, bei Werner zu sein. Erstens wohnten sie nicht mehr in dem Ghetto, und zweitens haben die drei sich wirklich geliebt. Das habe ich auch nicht so richtig kapiert. Keiner war eifersüchtig auf den anderen, Sven. Das lief alles völlig ruhig ab. Als ich von denen abgehauen bin, habe ich eigentlich täglich über das alles nachgedacht. Chris war so wütend auf mich, weil ich das beinahe kaputtgemacht hatte, daß ich mir ernsthaft Gedanken darüber gemacht habe. Wenn Werner wirklich ein - ein Kinderschänder gewesen wäre, dann hätte sie doch eigentlich froh sein müssen, daß ich mich eingemischt habe, oder? Aber das war sie nicht. Sie war fuchsteufelswild und hat mir schwerste Vorwürfe gemacht. Da bin ich wirklich ans Nachdenken gekommen. Was meinst du? Würde so ein Mädchen reagieren, das zum Sex gezwungen wird?"
"Wohl kaum", seufzte Sven. "Julia, was genau gibt dir zu denken? Daß es - deinen Worten nach - Menschen gibt, die erwachsen sind und trotzdem Sex mit Jugendlichen haben, weil die Jugendlichen den Sex wollen? Daß du einfach abgehauen bist, weil du etwas erfahren hast, was du im ersten Moment nicht verarbeiten konntest? Oder daß es Jugendliche gibt, die schon gründliche Erfahrungen mit Sex gemacht haben?"
"Genau." Julia legte ihre Wange an seine Schulter und schaute abwesend auf die Straße. Sven wartete einige Sekunden, dann lachte er leise.
"Verstehe. Also alles." Er drückte sie kurz.
"Fangen wir vorne an. Bei dem ersten kann ich dir nicht helfen, Julia. Für mich persönlich ist Sex mit einem Mädchen unter 16 oder 17 Jahren unvorstellbar. Jüngere Mädchen sind meiner Meinung nach noch völlig unreif und abhängig. Sie wissen gar nicht was sie tun." Julia wollte widersprechen, doch Sven legte ihr die Finger auf die Lippen.
"Warte bitte. Es ist meine Meinung dazu. Ich kenne kein Mädchen von 12 oder 13 Jahren, das Sex mit einem Erwachsenen hat und ihn genießt, also bleibe ich vorerst bei dieser Meinung. Dann bist du abgehauen, als du erfahren hast, daß dieser Werner es mit jungen Mädchen treibt. Das war - auch wieder meiner Meinung nach - das Beste, was du tun konntest. Es war in dem Moment das Sicherste für dich. Du sahst dich einer möglichen Gefahr gegenüber und bist ihr ausgewichen. Das würde ich genauso tun. Da spielt wieder der erste Punkt hinein, daß weder du noch ich Mädchen dieses Alters kennen, die Freude am Sex mit Erwachsenen haben, uns also auch keine korrekte Meinung darüber bilden können. Was uns zum dritten Punkt bringt. Ich weiß aus den Medien, daß viele Kinder und Jugendliche zum Sex gezwungen werden, und ich muß zugeben, daß ich dadurch ein gewisses Vorurteil habe, was diese Sache angeht. Dazu kommt die körperliche Komponente. Daß ein erwachsener Mann und ein Mädchen von elf oder zwölf Jahren körperlich zusammenpassen, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Ich denke, daß es dem Mädchen äußerst weh tun würde. Nun sagst du, daß dieses eine Mädchen schon mit elf Jahren Sex hatte. Unvorstellbar, und auch unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Wenn der Mann sehr behutsam vorgeht und immer auf das Mädchen hört und achtet... Mag sein, daß das Mädchen dann Spaß daran hat. Aber vorstellen kann ich es mir eigentlich nicht. Dreizehn oder vierzehn kann schon anders aussehen. Da hat die Pubertät eingesetzt, der Körper ist mehr entwickelt, und die Gefühle sind da. Trotzdem. Eine Dreizehnjährige und ein Erwachsener... Nein. Das wird dem Mädchen zu sehr weh tun."
"Es wäre aber möglich", sagte Julia leise. "Daß es dem Mädchen gefällt."
"Möglich ja, aber unwahrscheinlich. Julia, ich denke, du vergißt eins dabei. Sex ist etwas, was nicht von heute auf morgen passiert, wenn wir mal von den ganz normalen Jugendlichen ausgehen, zu denen du wohl auch gehörst. Ihr fangt an mit Schmusen, mit Umarmen, mit Küssen. Dann, wenn ihr sehr viel Vertrauen zu eurem Freund habt, laßt ihr euch auch an anderen Stellen streicheln. An - intimeren Stellen. Darüber vergehen wieder einige Wochen. Dann kommt es vielleicht zum Anschauen dieser intimen Stellen. Bis es zum ersten Orgasmus kommt, vergehen normalerweise Monate. Das typische Mädchen hat erst, soweit ich weiß, im Alter von fünfzehn oder sechzehn Jahren den ersten richtigen Sex. Viele sogar noch später, und nur ganz wenige früher."
"Es wäre aber möglich."
Sven lachte leise. "Ja, du kleine Nervensäge. Es wäre möglich, daß ein dreizehnjähriges Mädchen Freude am Sex mit Erwachsenen hat. Nun zufrieden?"
"Nein." Julia zuckte mit den Schultern. "Ich habe ja gesehen, daß es möglich ist. Sogar bei vielen Mädchen, die nicht älter als vierzehn waren. Ich habe sie kennengelernt." Sie schmiegte sich an ihn.
"Mir geht aber nicht mehr aus dem Kopf, was Werner gesagt hat, Sven. Er meinte, daß er und ich aus einer Welt kommen, und diese ganzen Mädchen aus dem Hochhaus aus einer anderen Welt. Daß deren Uhren ganz anders laufen. Kann das sein, Sven? Gibt es so etwas?"
"So etwas gibt es, Julia. Das nennt man Milieu. Du kennst es bestimmt. Dieses Milieu hier" - er machte eine ausholende Bewegung mit der Hand - "ist das Milieu der Reichen. Des Geldes. Natürlich gibt es hier auch Sex, aber wohl kaum in dem Alter, das du erwähnt hast. In Hamburg selbst gibt es den Babystrich, wo Zwölf- und Dreizehnjährige Jungen und Mädchen sich verkaufen. Das ist der Gegensatz zu hier." Er atmete laut aus.
"Es kann gut sein", sagte er dann nachdenklich, "daß es eine - ja, eine Zwischenstufe gibt. Einen Punkt zwischen diesen beiden Extremen. Wo Mädchen in dem Alter Spaß am Sex haben, ihn aber nicht machen müssen, weil sie Geld brauchen. Ich allerdings kenne so Mädchen nicht."
"Also hat er da auch recht gehabt", murmelte Julia. "Sven, ich glaube nicht, daß Werner ein Kinderschänder ist. Ich habe das schon vorher nicht geglaubt, aber jetzt bin ich ganz sicher, daß er es nicht ist. Er hat mir geholfen, als ich beim Klauen im Supermarkt erwischt wurde. Wegen einer vollkommen blödsinnigen Mutprobe. Er war mit Ellen gerade einkaufen und hat mich aus der Falle herausgeholt. Dann hat er sich ganz normal von mir verabschiedet und nicht mal darauf gedrängt, daß wir uns wiedersehen sollen. Und als ich ihn mal nach dem Unterschied zwischen Zärtlichkeit, Erotik und Sex gefragt habe, hat er mir das nur mit Worten erklärt. Er hat mich nicht berührt." Julia verschwieg das leichte Streicheln; das war ja nun wirklich nichts gewesen. Nicht im Vergleich zu den Berührungen, mit denen er Ellen und Chris angefaßt hatte.
"Gibt es so etwas, Sven?" fragte sie voller Hoffnung. "Gibt es Erwachsene, die junge Mädchen so sehr mögen, daß sie ihnen nichts tun?"
"Auch das weiß ich nicht, Julia. Es mag sein, daß es sie gibt, aber es wäre sicherer, davon auszugehen, daß es sie nicht gibt."
"Ich verstehe, was du meinst. Rauch dir ruhig eine. Mein Vater raucht auch."
"War das so deutlich?" lachte Sven leise, der gleich nach einer Zigarette griff und sie anzündete. Auch Julia lachte.
"Ja. Du wirst ziemlich unruhig. Wird mein Vater auch, wenn er am Telefon hängt und seine Zigaretten sind nicht in Griffweite. Soll ich eben weg von dir?"
"Möchtest du weg von mir?"
"Nein." Julia zuckte mit den Schultern. "Darf ich ganz ehrlich sein, Sven? Ich kenne dich überhaupt nicht, aber das ist mir im Moment auch vollkommen egal. Ich habe Angst, dich loszulassen, weil ich dann keinen mehr habe, der mir zuhört." Wieder schaffte sie es, ihre Tränen nicht aufsteigen zu lassen.
"Dann bleib", sagte Sven betroffen. "Ist das so schlimm bei dir?"
"Ja." Julia schluckte den Kloß in ihrer Kehle hinunter. "Du malst und schreibst?"
"Das wäre geprahlt, Julia. Ich bringe Farben und Buchstaben aufs Papier. Willst du mal hören, was ich heute morgen geschrieben habe? 'Und dröhnt das Dröhnen auch in deinen Öhren, berührt das nicht die röten Möhren. Denn Möhren sind ein Hochgenuß, besonders wenn garniert mit Kuß.' Meine Bilder sehen so ähnlich aus wie meine Gedichte sich anhören. Würdest du so etwas kaufen?"
"Nein!" Julia drückte sich fröhlich lachend an ihn. "Jetzt kapiere ich, was du mit den Geisteskranken vorhin meintest."
"Das war das schönste Kompliment des Tages", erwiderte Sven galant. "Mein nächstes Gedicht über Kohlrabi widme ich dir."
Julia schmiegte sich mit einem leisen, zufriedenen Seufzer an ihn. "Danke fürs Zuhören, Sven. Das hat mir sehr geholfen. Darf ich mal an der Zigarette ziehen?"
"Nicht, wenn das deine erste wäre. Dann würdest du deine Lunge auf die Straße husten."
"Wahrscheinlich." Julia drückte ihn kräftig. "Kommt man so zu Drogen oder Alkohol? Weil einem alles auf die Nerven geht?"
"Und wenn man dann niemanden hat, mit dem man reden kann... Ja, glaube schon. Sind deine Eltern nicht zu Hause, Julia?"
"Nein. Die kommen wahrscheinlich erst morgen früh nach Hause. Entführst du mich jetzt?" Ein Schimmer von Hoffnung lag in dieser Frage. Sven drückte sie zärtlich.
"Möchtest du, daß ich dich entführe?"
Spontan nickte Julia. "Ja, Sven. Entführ mich zu dir. Laß alles dunkel, so daß ich dich nicht sehe, setz mich irgendwo hin, und dann verhörst du mich. Tu so, als wolltest du Lösegeld für mich verlangen, und damit meine Eltern glauben, daß du mich hast, mußt du alles über mich wissen. Ich will nämlich darüber reden, aber ich habe nicht den Mut dazu, es freiwillig zu tun. Du mußt mich irgendwie dazu zwingen. Machst du das bitte? Entführst du mich? Bitte!" Ihre Stimme drückte eine so große Sehnsucht aus, daß Sven zustimmte.
"Dann schlage ich dich jetzt bewußtlos." Seine Faust tippte sehr leicht gegen ihr Kinn, und Julia tat so, als wäre sie bewußtlos: sie ließ ihre Arme fallen und wurde schlaff. Große Aufregung erfaßte sie, als Sven sie hochhob und zu seinem Haus trug. Er setzte sie vorsichtig ab, schloß die Tür auf, trug sie hinein und trat die Tür mit dem Fuß zu, dann brachte er sie durch die stockdunkle Diele in ein Zimmer, wo er sie auf eine weiche Unterlage setzte.
"Ich muß dir den Parka ausziehen", flüsterte er. "Sonst wird dir zu warm."
Julia blieb stumm. Sven faßte das als Zustimmung auf und tastete nach dem Reißverschluß. Julias Nerven fingen an zu summen, als er ihr den Parka auszog. Ihr Herz schlug schneller, und ihr Atem beschleunigte sich. Sie mußte beinahe lachen, als sie hörte, daß Sven ihren Parka in die Diele brachte und an die Garderobe hängte, sogar auf einen Bügel. Dann kam er zurück und setzte sich neben sie.
"Ich fessele jetzt deine Hände im Rücken." Er beugte sie etwas vor und erschrak, als Julia sich willenlos fallen ließ. Er fing sie noch auf, doch dabei kam er mit seinem Arm gegen ihren Oberkörper. Ein Schauer von Angst und Aufregung fuhr durch Julia, als sie plötzlich erkannte, daß sie im Haus eines fremden Mannes war, dem sie im Grunde genommen nun ausgeliefert war. Sie hatte nur das Gefühl, daß sie ihm vertrauen konnte, sonst nichts. Sie wußte nicht einmal, wie er aussah. Wenn sie sich nun in ihm getäuscht hatte und er tatsächlich mit ihr machte, was er wollte...?
Die Angst stieg, genau wie die Aufregung. Julia fühlte sich mit einem Mal wieder lebendig. Sie spürte ihr Herz laut und schnell schlagen, spürte das Sofa, auf die sie saß, roch den Zigarettenqualm in der Luft, vermischt mit Gerüchen von ihm und den Möbeln, und sah nichts außer dunklen Schatten in der Dunkelheit.
Sven drückte ihr die Hände behutsam in den Rücken und tat so, als würde er sie fesseln. Es kam Julia vor wie ein magisches Band. Auch wenn sie versuchte, sich zu befreien, es ging nicht. Ein Teil von ihr wußte, daß dies nur ein harmloses Spiel war, ein anderer Teil jedoch, nämlich der Teil in ihr, der schon als Kind Aufregung, Nervenkitzel und Gefahr gesucht hat, ging auf dieses Spiel ein und verwandelte es für sie in Realität. Ihre Hände waren frei, aber ihr kam es so vor, als wären sie tatsächlich gefesselt. Sie schaffte es nicht, ihre Hände wieder auseinander zu bringen. Die Aufregung wuchs noch mehr, als er die gleiche Bewegung an ihren Füßen machte.
"Fertig", flüsterte er. "Jetzt müssen wir warten, bis du aufwachst."
"Der Mund", wisperte sie zurück. "Sonst schreie ich, wenn ich aufwache."
"Richtig." Er machte Geräusche, als würde er Klebeband abreißen, das er dann auf ihren Mund klebte. Das Gefühl war so echt, daß Julia nur noch erstickt brummen konnte. Willig folgte sie dem Druck seiner Hand, der sie seitwärts auf das Sofa drückte. Sie hob ihre Füße hoch, die - ihrem Eindruck nach - gefesselt waren, und legte sie auf das Sofa, dann blieb sie still und bewegungslos. Sven setzte sich vorsichtig neben sie, in Höhe ihres Bauches, und strich ihr sanft über die Schulter.
"Möchtest du das wirklich, Julia?" fragte er besorgt. "Möchtest du, daß ich dich über deine ganze Vergangenheit ausfrage?"
Julia durchbrach das Spiel für einen Moment. "Ja, Sven. Schwerpunkt Eltern. Was sie mir alles angetan haben. Nicht das, was du vielleicht denkst. Also kein Mißbrauch. Aber diese ganze Kälte..." Sie schluchzte leicht, fing sich jedoch sofort wieder.
"Mehr kann ich nicht darüber sagen", flüsterte sie. "Nicht freiwillig. Ich habe Werner schon etwas erzählt, aber das war nur die Oberfläche. Bohr bitte tief. Kannst du das?"
Seine Hand legte sich leicht auf ihren Kopf, der Daumen strich über die Wange. "Ich denke schon. Wir haben wohl beide das gleiche hinter uns, Julia. Ich werde dir die Fragen stellen, die ich mir immer wieder gestellt habe. Hast du Angst? Ich meine, vor den Antworten?"
"Ja." Ihre Stimme zitterte. "Aber das muß raus, Sven. Ich muß das jemandem sagen, oder ich drehe noch vollständig durch!"
"Das Gefühl kenne ich." Er strich ihr kräftig über den Kopf. "Wann sollen wir anfangen?"
Julia holte Luft. "Kannst du rausgehen? Richtig nach draußen und mich hier alleine lassen? Rauch dir eine, und wenn du zurückkommst, bin ich wach und völlig aufgelöst, weil ich nicht weiß, wo ich bin. Dann erklärst du mir, warum ich hier bin, und dann quetscht du mich aus. Laß aber das Licht aus, ja?"
"Mach ich." Er stand auf, steckte sich eine Zigarette an und ging in die Diele, wo er sich einen Mantel anzog, bevor er wortlos nach draußen ging und die Tür zuzog.
Julia war allein. Allein in einem fremden Haus, bei einem fremden Mann, von dem sie nicht einmal wußte, wie er aussah, und von dem Gefühl erfüllt, an Händen und Füßen gefesselt zu sein. Probeweise bewegte sie ihre Hände, doch die klebten zusammen. Die Aufregung stieg wieder an, genau wie das Gefühl von Gefahr. Sie versuchte, aufzustehen, was ihr auch gelang, doch als sie sich bemühte, einen Fuß zu bewegen, ging es nicht. Sie konnte nur hüpfen.
Halb glücklich, halb ängstlich ließ sie sich wieder auf das Sofa fallen und legte sich hin. Ihre Gedanken rasten und schickten ihr Bilder von Folter, Vergewaltigung und Mord. Aufgeregt atmete sie ein, als sie erkannte, daß tatsächlich die Möglichkeit bestand, daß er ihr etwas tun könnte. Sie glaubte es nicht, aber die Möglichkeit bestand und gab diesem Spiel eine sehr realistische Note.
Ihr Herz schlug hart und schnell, als Julia daran dachte, daß ihre Eltern jetzt vielleicht nach Hause kommen würden und sie vermißten. Was würden sie tun? Würden sie überhaupt in ihr Zimmer schauen, um nach ihr zu sehen? Und wenn sie entdeckten, daß sie weg war, würden sie dann zur Polizei fahren und sie als vermißt melden? Oder würden sie vermuten, daß sie bei einer Schulfreundin war, die sie erst kürzlich kennengelernt hatte?
Ein wildes Gefühl von Freiheit schoß durch Julia, als sie kurz daran dachte, daß sie die ganze Nacht hierbleiben könnte, eben weil sie es so wollte. Sollten ihre Eltern sich doch Sorgen machen! Sie hatten ihr immerhin auch genug Sorgen bereitet. Was schuldete sie ihnen eigentlich? Nichts. Nicht das geringste. Im Grunde genommen schuldeten ihre Eltern eher ihr jede Menge. Wegen der vielen Umzüge, wegen des Verlusts von möglichen Freunden, wegen der unzulänglichen Aufklärung und des Verschweigens vieler wichtiger Dinge. Und vor allem deshalb, weil sie nicht so leben durfte, wie sie es wollte.
Als Sven zurückkam, bereit für das "Verhör", war Julia schon sehr viel weiter. Sie sprang auf, als er zum Sofa kam, warf sich an seine dunkle Gestalt und drückte ihn stürmisch.
"Sag nichts!" bat sie ihn. "Hör einfach zu, ja? Erst mal vielen, vielen Dank, daß du das mit mir machen wolltest, aber das ist nicht mehr wichtig. Ich erzähle dir alles, Sven. Hast du Zeit?"
"Mehr als genug", sagte er erstaunt. "Was -"
"Nicht! Laß mich reden." Sie drückte ihn auf das Sofa, setzte sich neben ihn, legte sich seinen Arm um die Schultern und drehte sich halb zu ihm.
"Paß auf", sagte sie leise. "Hast du ein Auto?"
"Nein, ein Motorrad."
"Noch besser!" Sie schmiegte sich an ihn. "Weißt du, daß ich immer wild sein wollte, Sven? Ich wollte Radrennen fahren, quer durchs Gelände, aber meine Eltern wollten mich zu einer Prinzessin erziehen. Zu einer kultivierten jungen Dame, die sich in der Gesellschaft auskennt. Aber ich wollte auf Bäume klettern und mich schmutzig machen. Meine Freunde durfte ich nie selbst aussuchen, und wenn ich mal jemanden von der Schule mit nach Hause gebracht habe, hat meine Mutter ihn oder sie sofort nach den Familienverhältnissen ausgefragt. Und wenn das ihrem Standard nicht entsprach, wurde mein Besuch gleich wieder nach Hause geschickt. Du kannst dir vorstellen, wie viele Freunde ich hatte." Sven drückte sie bekümmert an sich. Julia kuschelte sich an ihn.
"So ging's mir jahrelang", sagte sie leise. "Meistens habe ich nur allein in meinem Zimmer gesessen und auf die Straße geguckt, wo die Jungs herumtobten und Fußball spielten. Ein einziges Mal habe ich mitgemacht, mit dem Erfolg, daß meine Mutter wie eine Furie auf die Straße geschossen kam und mich mit Gewalt ins Haus gezerrt hat. Sie gab mir zwei Ohrfeigen und schloß mich in meinem Zimmer ein. So ein Benehmen würde nicht zu einer jungen Dame passen, meinte sie wütend. Aber das wollte ich nie sein, Sven. Ich meine, man kann doch nicht gegen das leben, was in einem ist, oder?"
"Nein", sagte er leise. "Das kann man nicht."
"Sehe ich auch so." Sie rutschte etwas höher und legte ihre Stirn an seine Wange.
"Ich bin 1977 geboren", sagte sie leise. "Aber ich wünsche mir oft, ich wäre 30 Jahre eher geboren. Ich wollte immer eine Rockerbraut werden. Ich fahre so gerne Rad, weil ich mir ein Motorrad wünsche. Was hast du für eins?"
"Eine Gold Wing."
"Cool!" Sie gab dem überraschten Sven einen Kuß auf die Wange. "Sven, das ist kein Trotz oder so etwas. Ich bin einfach kein süßes Püppchen, sondern ein wildes Mädchen. Ich möchte toben und was anstellen, aber ich darf das einfach nicht. Ich mußte sogar mein altes Rad - also eigentlich war das ja brandneu - versenken, damit meine Eltern mir ein Rennrad kauften. So kann man doch nicht leben, oder? Ich meine, daß man seine Wünsche mit Gewalt durchsetzen muß, oder?"
"Nein", seufzte Sven. "Leider müssen viele so leben."
"Aber ich will das nicht mehr!" erwiderte Julia hitzig. "Was ist denn so falsch daran, wenn ich wild sein will? Ich bin deswegen doch nicht kriminell. Ich will mich einfach nur so geben, wie ich bin. Sven? Können wir was fahren? Fährst du mich etwas herum? Ich bezahle dir auch den Sprit. Fahren wir durch St. Pauli? Bitte!"
"Ausgeschlossen!" Svens Stimme war so abweisend, daß Julia ihre Fragen im gleichen Moment bereute. "Erstens habe ich keinen Helm für dich, zweitens ist das um diese Uhrzeit viel zu gefährlich für dich."
"Okay." Julia erkannte den Ton. Weitere Diskussionen und Argumente waren völlig sinnlos. Sven verstand vielleicht, was sie bewegte, aber auch er war nicht bereit, auf sie einzugehen. Sie löste sich behutsam von ihm.
"Danke, daß du mir zugehört hast", sagte sie, mit ihrer besten herzlichen Stimme. "Das hat sehr gutgetan. Aber jetzt ruft mein Bett."
"Komm nicht auf dumme Ideen", warnte Sven sie besorgt. "Julia, fahr nicht mit dem Rad nach St. Pauli. Es ist Samstag nacht, und somit Hochbetrieb. Es ist viel zu gefährlich für dich."
"Wahrscheinlich hast du recht", seufzte sie überzeugend. "Nein, ich leg mich schlafen. Danke für deine Zeit."
"Jederzeit, Julia. Wenn du reden möchtest, komm einfach vorbei."
'Du mich auch', dachte sie. "Das mache ich bestimmt. Bis bald, Sven."
"Bis bald, Julia. Halt die Ohren steif." Er brachte sie in die Diele und half ihr in ihren Parka, dann ließ er sie hinaus. Julia winkte ihm zu und machte sich auf den Heimweg. Erst als sie die Tür ins Schloß fallen hörte, ließ sie ihre Maske fallen und ging bedrückt weiter.
"Warum versteht der mich nicht?" fragte sie sich verzweifelt. "Chris ist doch so wie ich. Uschi auch. Ellen und Jasmin auch. Es muß doch möglich sein, hier Menschen zu finden, die mich verstehen!"
Frustriert kam sie schließlich zu Hause an. Als sie die Tür aufschloß, blendete sie das helle Licht in der Diele. Ihre Eltern waren zu Hause. Und im gleichen Moment sah sich Julia zwei voreingenommen Richtern gegenüber.
"Wo kommst du her?" fragte der männliche Richter vorwurfsvoll, und der zweite, der weibliche Richter, fragte im gleichen Ton: "Weißt du überhaupt, wie spät es ist?"
"Nein!" fauchte Julia. "Ich war der Meinung gewesen, daß die Sonne verpennt hat."
"Nicht frech werden." Ihr Vater sah sie drohend an. "Wir werden uns morgen darüber unterhalten. Geh in dein Zimmer."
Julia schluckte die heftige Antwort, die ihr auf der Zunge lag, herunter. "Nur eine Frage", sagte sie ruhig. "Wenn ihr euch das Recht nehmt, mich jeden Abend allein zu lassen, warum darf ich dann nicht einen Spaziergang machen?"
"Morgen!" Ihre Mutter sah sie streng an. "Geh ins Bett, Kind. Jetzt."
"Ich bin nicht müde. Es ist so warm in meinem Zimmer, daß ich nicht schlafen kann. Ich sehe auch nicht ein, warum wir ein Gespräch verschieben sollten. Immerhin -"
"Schluß!" rief ihr Vater scharf. "Geh in dein Zimmer!"
Julia warf ihm einen wütenden Blick zu. "Lange mach ich das nicht mehr mit." Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und ging in ihr Zimmer.










Kapitel 21



Nach einer unruhigen Nacht voll wirrer Träume wachte Julia gegen halb zehn auf. Wie zerschlagen zog sie sich das Nachthemd über, ließ die Jalousie vor ihrem Fenster nach oben fahren und öffnete das Fenster weit. Kalte, frische Morgenluft zog in das Zimmer. Julia nahm ein paar tiefe Atemzüge, bevor sie mürrisch in die Küche ging. Ihre Mutter war mit den Vorbereitungen des Mittagessens beschäftigt.
"Wieder beruhigt?" wurde sie begrüßt. Julia verzog keine Miene.
"Ich wünsche dir auch einen schönen guten Morgen. Sonst habe ich nichts zu sagen."
"Es ist dein Leben."
"Da hast du recht." Julia ließ sich auf ihren Stuhl fallen. "Abgesehen von der Tatsache, daß ich nicht das machen darf, was ich will, darf ich ja alles machen, was ich will. Dafür sollte ich dankbar sein, doch statt dessen mache ich euch Sorgen, weil ich das tue, was ihr mir verbietet, also eigentlich alles. Ich habe wirklich ein schönes Leben. Vielen Dank für mein Leben."
"Ich denke, wir sollten uns mal um eine Therapie für dich bemühen, Julia."
"Hervorragend!" Julia klatschte begeistert in die Hände. "Da kann ich endlich mal sagen, wie sehr ihr mich ankotzt. Wie sehr ihr in mein Leben eingreift und mich zu etwas machen wollt, was ich nicht bin. Eine wirklich sehr gute Idee, Mutter. Machst du das sofort? Bitte!"
"Wir greifen in dein Leben ein?" Ihre Mutter schaute sie perplex an. "Kind, wir -"
"Laß es." Müde griff Julia nach dem Brotkorb. "Ich möchte nicht mehr darüber reden." Unter den verwunderten Blicken ihrer Mutter machte sie sich zwei Brote fertig, legte sie auf ihren Teller, stellte diesen zusammen mit einem Becher und einer Tüte Milch aus dem Kühlschrank auf ein Tablett und trug dieses dann in ihr Zimmer, wo sie lustlos frühstückte, bei offenem Fenster und in ihrem dünnen, kurzen Nachthemd. Als sie fertig war, brachte sie alles zurück in die Küche und stellte die Milch in den Kühlschrank, dann suchte sie sich frische Wäsche heraus und ging duschen.
Den Vormittag verbrachte sie damit, völlig abwesend aus dem Fenster zu starren und sinnlose Figuren auf ein Blatt Papier zu malen. Das Mittagessen wurde in gewohnter Stille eingenommen, dann zog sich Julia wieder in ihr Zimmer zurück. Sie starrte einige Minuten auf das vollgemalte Blatt Papier. Plötzlich knüllte sie es zusammen, warf es in den Papierkorb, holte ihr persönliches Briefpapier aus ihrem Schreibtisch und begann, dreißig gleichlautende Briefe zu verfassen, die sie anschließend in Kuverts steckte und auf ihren Tisch legte. Sie zog sich warme Kleidung an, griff sich ihren Schlüssel und die Briefe und lief hinaus.
Nach einer halben Stunde hatte sie in fast jedem Haus - abgesehen von ihrem eigenen und dem von Sven - einen Brief eingeworfen. Aufgekratzt kehrte sie nach Hause zurück, zog sich wieder leichte Kleidung an, warf sich auf ihr Bett und schaute gespannt auf ihr Telefon.
Doch es läutete nicht.
Statt dessen kam um kurz nach fünf ihr Vater herein und zeigte ihr einen ihrer Briefe.
"Julia, was soll dieser Unsinn?"
"Der war nicht an dich adressiert", erwiderte Julia aufgebracht. "Woher hast du den?"
"Den hat ein besorgter Nachbar vorhin abgegeben." Er sah auf den Brief und las ihn vor.
"Hallo, Nachbarn! Ich bin ein gutaussehendes 13jähriges Mädchen und suche einen erwachsenen Freund, mit dem ich vernünftig reden kann, da mir dies zu Hause nicht ermöglicht wird. Bei Gefallen auch Schmusen." Er warf den Brief auf ihren Tisch.
"Julia, ich werde nicht noch einmal zulassen, daß du uns lächerlich machst. Dein Auftritt in Koblenz und deine lächerlichen Vermutungen bezüglich dieser Christina und ihres Onkels waren -"
"Du machst dich selbst lächerlich!" erwiderte Julia wütend. "Und richte dem Nachbarn, der den Brief hergebracht hat, bitte aus, daß ich ihn für ein verdammtes Denunziantenschwein halte."
"Es ist schade, daß deine Erziehung nicht mit deinem Wortschatz mithalten kann. Du wirst jetzt noch einmal Briefe schreiben, aber in denen wirst du dich für deinen ersten Brief entschuldigen und ihn als einen dummen Witz darstellen."
"Und wenn ich das nicht tue?"
"Dann werden deine Mutter und ich uns ernsthaft Gedanken um deine weitere Zukunft machen müssen."
Julia lächelte bitter. "Die sich wahrscheinlich in einem guten Mädcheninternat abspielen würde. Richtig?"
"Diese Möglichkeit schließen deine Mutter und ich nicht aus."
"Gut, du hast gewonnen. Ich schreibe die Briefe und werde mich entschuldigen. Und nun geh bitte; ich möchte mich umziehen."
"Überlege dir sehr gut, was du schreibst", warnte ihr Vater sie. "Denn -"
"Der besorgte Nachbar wartet schon auf die nächste Dummheit, nicht wahr? Und er wird dich liebend gerne sofort über meinen Fehltritt informieren." Wütend knöpfte Julia ihre Hose auf. Wortlos verschwand ihr Vater.
Julia atmete mehrmals tief durch, um sich zu beruhigen, dann zog sie ein Blatt Papier heraus und begann, ihren nächsten Brief zu entwerfen. Schließlich war er fertig.
"Ich möchte mich bei allen Nachbarn für meinen ersten Brief entschuldigen", las sie halblaut vor. "Ich wurde zu dieser Entschuldigung genötigt, da für meine Eltern der gesellschaftliche Ruf wichtiger ist als die Probleme ihrer eigenen Tochter. Die Alternative zu dieser Entschuldigung wäre ein Internat, und auch wenn ich sehr unzufrieden und unglücklich bin, bin ich doch nicht so verrückt, wie meine Eltern es glauben. Es tut mir leid, Sie, lieber unbekannter Nachbar, mit meinen Sorgen überfallen zu haben."
Sie nickte zufrieden. "So sollte das gehen. An die Arbeit."
Um halb sieben waren alle Briefe fertig und verteilt. Das Klima im Hause Birkeneck wurde trotzdem nicht angenehmer.

* * *

Die letzte Schulwoche vor den Kartoffelferien - wie die Herbstferien hier in Norddeutschland genannt wurden - hatte begonnen. Julia war soeben mit den Hausaufgaben fertig geworden und packte ihre Schulsachen in ihren Tornister, als ihr Telefon klingelte. Sie vermutete ein Mädchen aus ihrer Klasse und ließ es klingeln, doch dann wurde sie neugierig und nahm ab.
"Julia Birkeneck", meldete sie sich.
"Lars Beckersen", hörte sie eine freundliche Männerstimme sagen. "Hat das einsame und völlig verzweifelte junge Mädchen ohne verständnisvolle Eltern Lust auf ein Stück Erdbeertorte und einen Kaffee?"
Julias Herz begann zu rasen.
"Ich weiß nicht", meinte sie unsicher. "Meine Eltern sind nicht da, und ich soll nicht rausgehen."
"Das dachte ich mir schon fast", lachte die Stimme freundlich. "Ich wette, sie waren über den Brief auch nicht gerade begeistert."
"Nein, das kann man nicht sagen." Julia schwieg einen Moment. "Warum melden Sie sich erst jetzt? Ich hatte den Brief schon vor einer Woche verteilt."
"Wenn du ihn mir an meinen Urlaubsort geschickt hättest, hätte ich mich sofort gemeldet. Ich bin erst gestern abend zurückgekommen. Julia, ich wohne in der Nummer 38. Das ist vier Häuser weiter, auf der rechten Seite. Kaffee und Kuchen sind fertig. Komm vorbei, wenn du Lust hast, und wenn du keine Lust oder sogar Angst hast, weil wir uns ja nicht kennen, ist das auch in Ordnung. Ich bin in meiner Garage und schraube an meinem Motorrad herum. Die Kiste will nämlich nicht so, wie ich will."
"Motorrad?" Julia wurde hellhörig. "Was ist das für eins?"
"Nur ein kleines. Eine alte 750er Yamaha. Der mittlere Zylinder macht Probleme. Ich tippe auf den Vergaser oder die Kolbenringe, und da hänge ich gerade dran. Lars Beckersen, Nummer 38. Wenn du nicht kommst, werde ich dich auch nicht mehr belästigen. Ich wünsche dir auf jeden Fall viel Erfolg und Glück, Julia. Ich denke, du kannst es gebrauchen."
"Ja, das - Hallo?" Er hatte aufgelegt. Auch Julia legte den Hörer zurück. Nachdenklich starrte sie auf das Telefon.
"Geh ich oder geh ich nicht?" murmelte sie leise. "Ist er in Ordnung oder nicht? Obwohl... Nett hörte er sich ja an, und wenn er an seinem Motorrad bastelt, kann uns jeder sehen. Wenn er mich ins Haus locken will, kann ich ja immer noch abhauen. Genau."
Entschlossen stand sie auf und packte ihren Tornister fertig, dann zog sie sich alte Sachen an und lief aus dem Haus. Kurz darauf stand sie vor dem Haus mit der Nummer 38. Die Garage stand offen. Julia sah einen kleinen Sportwagen von einer Marke, die sie nicht kannte, und ein Motorrad in vielen Einzelteilen. Daneben hockte ein Mann auf dem Boden, der auf den ersten Blick sympathisch aussah. Er hatte, wie viele Menschen in dieser ländlichen Gegend, sehr helle Haare, eine schmale Statur und schien recht groß zu sein. Zögernd ging Julia näher heran und blieb einige Schritte vor der Garage stehen.
"Hallo!" sagte sie unsicher. Der Mann sah auf und lächelte überrascht.
"Hallo! Bist du Julia?"
"Ja. Und Sie sind Herr Beckersen?"
"Manchmal. Meistens bin ich einfach nur Lars." Er stand auf. Er war weit über 1,80 groß, hatte ein offenes, freundliches Gesicht und, wie Julia fand, wunderschöne blaue Augen, die sie herzlich ansahen.
"Ich kann dir leider nicht die Hand geben", entschuldigte er sich und streckte zum Beweis ölverschmierte Hände aus. "Kuchen steht da oben auf dem Brett. Nimm dir ein Stück. Kaffee ist auch da. Nicht sehr stark, damit du kein Herzrasen bekommst. Milch und Zucker stehen auch auf dem Tablett."
"Danke." Julia ging zu dem Brett, das an der Wand neben dem Auto hing, etwa in ihrer Kopfhöhe, und nahm sich einen Teller mit Erdbeertorte nebst Gabel. Sie schüttete sich eine Tasse halb mit Kaffee ein und füllte den Rest mit Milch, dann ging sie zögernd zu Lars zurück, der mit beiden Händen tief in dem Motorrad steckte.
"Die habe ich vom Schrottplatz", erzählte er in lockerem Ton. "Sollte eingestampft werden. Ich habe sie schon wieder ans Laufen gekriegt, aber der mittlere Zylinder hat vor meinem Urlaub noch Mucken gemacht."
"Aha." Julia kniete sich neben ihn auf den Boden, stellte die Tasse ein gutes Stück entfernt auf den Boden und schaute neugierig auf den Motor. "Was ist das alles?"
"Das hier ist der Zylinder." Er deutete auf einen großen Block mit schwarzen Rippen. "Da drin laufen die Kolben auf und ab. Das sind die runden Dinger in den Löchern. Das da vorne" - er zeigte auf ein Teil, das auf einem dicken Tuch lag - "ist der Zylinderkopf. Der kommt oben drauf, wenn alles mal fertig ist. Diese lange Stange mit den Zapfen ist die Nockenwelle; die sorgt dafür, daß sich die Ventile - das sind die Dinger in den dicken Federn - richtig bewegen und das Benzin in den Motor lassen. Mit der Kette hier oben wird die Nockenwelle vom Motor gedreht."
"Cool! Woher kennen Sie das alles?"
"Durchs Basteln", lächelte er, ohne sie anzusehen. "Man darf nur keine Angst davor haben, und man braucht ein gutes Buch mit vielen Bildern. Liegt oben auf dem Tank." Julia reckte ihren Hals und fand ein dickes Buch mit unverständlichen Bildern.
"Kann ich was helfen?" bot sie an.
"Gerne. Du kannst mir helfen, den Kuchen zu vertilgen. Hab ich dich endlich!" Julia erschrak bei diesen Worten, doch Lars zog nur ein silbern glänzendes Teil aus dem Motorrad heraus und zeigte es Julia.
"Der Vergaser. Übeltäter Nummer Eins bei Motorproblemen. Der saß ganz schön fest." Sorgsam legte er den Vergaser auf das weiche Tuch, dann stand er auf.
"Ich geh mir eben die Hände waschen, dann kann ich dir beim Essen Gesellschaft leisten."
"Ist gut", erwiderte Julia lächelnd. Sie sah ihm nach, bis er durch die Tür, die Garage und Küche miteinander verband, gegangen war, dann atmete sie erleichtert auf.
"Der scheint wirklich nett zu sein", sagte sie zu sich selbst. "Und ich dummes Huhn erschrecke mich gleich." Kopfschüttelnd stellte sie den Teller zu dem Kaffee und stand auf, um sich in der Garage umzusehen.
An der Rückwand hingen Unmengen an Werkzeug an einer Lochwand. Julia erkannte Schraubenschlüssel, Zangen und Schraubendreher, doch es waren noch viele andere Werkzeuge, die sie nicht kannte und deren Form ungewöhnlich war. An der Seitenwand, direkt über dem Motorrad, hingen fünf dicke Reifen, wahrscheinlich für das Auto.
Staunend ging sie zur Lochwand und schaute sich jedes einzelne Werkzeug an, bis Lars zurückkam.
"Jetzt kann ich dir auch Guten Tag sagen", meinte er mit einem verschmitzten Lächeln. "Hallo, Julia. Nett, daß du gekommen bist."
"Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite", erwiderte sie das Lächeln. "Und das meine ich ernst." Sie tauschten einen Händedruck, dann holte sich Lars Kuchen und Kaffee.
"Setz dich auf die Maschine", bot er ihr an, während er sich auf den Kotflügel des Autos setzte. Julia schnappte sich ihren Kuchen und den Kaffee und setzte sich mit leuchtenden Augen auf das Motorrad, das etwas nach hinten schwankte, aber sicher stehen blieb.
"Wohnt ihr schon lange hier?" fragte Lars zwischen zwei Bissen. Julia schüttelte den Kopf und schluckte in Ruhe herunter.
"Nein, erst ein paar Wochen. Aber nach dem Einstand, den ich gebracht habe, werden wir wohl bald wieder umziehen."
"Wenn deine Eltern es vorziehen, zu flüchten, wahrscheinlich. Entschuldigung, ich habe die Sahne vergessen. Bin sofort zurück." Er stellte seinen Teller vorsichtig auf die Motorhaube des Autos und lief zurück in die Küche. Sekunden später kam er mit einer Schüssel Sahne zurück.
"Bedien dich."
"Danke!" Julia nahm sich zwei Löffel, die sie auf die Torte kippte. "Sie auch?"
"Sicher, aber das schaffe ich schon selbst." Er lächelte ihr zu, füllte auch sich Sahne auf den Teller und stellte die Schüssel dann zu dem Kuchen auf dem Brett.
"Hier in der Gegend gibt es keine Kinder in deinem Alter", meinte er nachdenklich. "Das jüngste ist 15 oder 16, soweit ich weiß. Vor zehn Jahren war noch richtig Leben in der Siedlung. Die Kinder spielten auf den Straßen, überall war Lachen und fröhliches Kreischen, aber heute... Wie ausgestorben. Wie haben deine Eltern die Entschuldigung aufgenommen?"
"Noch weniger begeistert als den ersten Brief. War ja auch irgendwie dumm von mir." Julia sah betreten zu Boden.
"Nein, Julia", entgegnete Lars ruhig. "Es war ein Schrei nach Aufmerksamkeit. Deine Eltern müssen sehr taub sein, wenn sie das nicht merken. Magst du Motorräder?"
"Sehr gerne, aber auskennen tue ich mich nicht. Also welche Marken es gibt, wie schnell welches Modell ist und so weiter. Keine Ahnung davon."
"Dafür gibt es auch genug Prospekte", lächelte Lars. "Der Vorbesitzer hat diese Kiste aufgebohrt, das heißt, schneller gemacht. Sie hat ab Werk 750 ccm und 75 PS, aber er hat sie auf 800 ccm und 98 PS gebracht. Sogar im Brief eingetragen, also vom TÜV abgenommen. Vorne und hinten breitere Reifen, und eine Höchstgeschwindigkeit von knapp 240 statt 200. Die Gold Wing vom Sven Peters aus dem ersten Haus sieht dagegen ganz schön blaß aus."
"Kennen Sie ihn?" fragte Julia erstaunt. Lars zuckte mit den Schultern.
"Sicher. Motorradfahrer kennen sich oft untereinander, Julia. Aber der Mensch ist langweilig. Wie sein Motorrad. Die Gold Wing ist ein Tourer, das heißt, du kannst damit Tausende von Kilometern am Stück herunterreißen, aber langweilig ist sie trotzdem. Elfhundert Kubikzentimeter, knapp hundert PS, und lahm wie ein überladener LKW. Sieht aus wie ein Wohnzimmer auf zwei Rädern. Große Koffer an den Seiten, großer Koffer hintendrauf, großer Windschutz vorne. Was soll der Unsinn?" Er sah sie unwillig an. "Entweder fahre ich Motorrad, um den Wind zu spüren, oder ich setz mich gleich in so ein Ding mit vier Rädern. Aber Windschutz auf einem Motorrad ist wie - ja, wie ein Ventilator in einem Fesselballon."
"Genau!" stimmte Julia überzeugt zu. Sie hatte zwar nicht viel verstanden, aber es klang logisch. "Und der Mensch ist langweilig?"
Lars lächelte entschuldigend. "Nicht direkt. Sagen wir mal lieber, er ist ein absolut gesetzestreuer Bürger. Fährt nur mit Helm, fährt nur so schnell, wie es erlaubt ist, und fährt lieber langsamer durch die Kurven als schnell. Er ist etwas gemütlicher als ich."
"Also langweilig!" Julias Augen leuchteten, als sie ihn ansah. "Und Sie?"
"Und ich?" grinste Lars. "Nun, ich fahre ziemlich oft schneller als erlaubt, liebe es, in den Kurven aufzusetzen, daß die Fußrasten Funken ziehen, und bin überhaupt nicht gesetzestreu. Und Helme hasse ich wie Glatteis in einer Kurve."
"Aha?" Julias Herz schlug vor Aufregung schneller. "Und welche Gesetze übertreten Sie am liebsten?"
"Was sich so anbietet." Er zwinkerte ihr zu.
"Ich bin kein Krimineller", beruhigte er Julia. "Aber ich finde, daß es viel zu viel Regeln gibt. Wenn ich ohne Helm fahre und einen Unfall baue, bin ich selber schuld. Ich brauche niemanden, der mir vorschreibt, was ich tun darf und was nicht. Wenn ich an eine Baustelle komme, wo Menschen arbeiten, fahre ich sechzig und halte Abstand. Wenn eine Baustelle überschaubar und menschenleer ist, fahre ich hundertsechzig. Soll das denn."
"Geil!" Julia sah ihn aufgeregt an. "Was halten Sie von - von - Ich meine, wenn Erwachsene und Jugendliche was zusammen machen?"
"Ein Picknick?" fragte er mit einem so breiten und listigen Grinsen, daß Julia sofort wußte, daß er sie durchschaut hatte. Sie nickte.
"Ja, genau. Ein Picknick. Mit Vor- und Nachspeise."
"Nun, wenn der Jugendliche ganz genau weiß, was er eingepackt hat und sich sicher ist, daß er keine Bauchschmerzen nach dem Essen bekommt... Warum nicht?"
Julias Herz begann zu rasen. "Würden Sie dem Jugendlichen Essen in den Mund stopfen?" fragte sie leise.
"Nein. Aber ich würde den Jugendlichen mit allem füttern, was er möchte."
"Und wenn er sagt, er mag nicht mehr?"
"Dann höre ich im gleichen Moment auf." Er sah Julia tief in die Augen. "Auch wenn er das schon bei der Vorspeise sagt."
Julias Herz schlug bis zum Hals, und ihre Kehle war trocken. "Ich glaube, ich verstehe." Sie trank einen Schluck von dem Kaffee, der schon gut abgekühlt und tatsächlich nur schwach war.
"Was halten Sie denn von Erwachsenen, die Jugendliche mit Essen vollstopfen, bis ihnen schlecht wird?"
"Überhaupt nichts", erwiderte Lars abweisend. "Julia, wenn ich einen Jugendlichen für das Picknick gefunden habe, möchte ich, daß es mehr als nur einmal ein Picknick gibt. So wird es für beide schöner. Von Einmalaktionen halte ich überhaupt nichts. Das hinterläßt bei dem Jugendlichen nur Schmerz und Kummer, und bei dem Erwachsenen Angst und Sorge. Das bringt keinem von beiden etwas."
Julia war, als würde sie Werner reden hören.
"Welchen Typ würden Sie denn zum Picknick einladen?" fragte sie mit laut hämmerndem Herzen. Lars lächelte tief.
"Den Typ, der weiß, daß es zum Picknick geht. Und der weiß, daß er jederzeit ‚Halt' sagen kann. Und der weiß, daß ich auf dieses ‚Halt' höre."
"Hören Sie wirklich darauf?" fragte sie im Flüsterton.
"Ja, Julia. Ich kann es dir nur beweisen, indem ich dich zum Picknick - oder besser, erst mal nur zu der Vorspeise einlade, aber dafür kennen wir uns noch nicht gut genug. Genauer gesagt, du kennst mich nicht. Es ist kein Vorwurf und keine Überheblichkeit, aber du hast kaum Menschenkenntnis. Ich könnte dich einwickeln und zum - zum Picknick überreden, aber genau das will ich nicht, Julia." Er sah ihr tief in die Augen.
"Reden wir ganz offen, Julia. Ich bin kein Kostverächter. Wenn ein Mädchen zu mir kommt und Sex will, bekommt sie Sex. Wenn sie Zärtlichkeiten will, bekommt sie Zärtlichkeiten. Wenn sie gehen will, kann sie im gleichen Moment gehen."
"Und wenn sie reden will? Erst mal nur reden?"
Lars grinste. "Dann soll sie den Mund aufmachen und sich alles von der Seele reden. Julia, möchtest du mir helfen, die Kiste wieder flott zu kriegen? Und später mal mitfahren? Oder war ich schon zu offen?"
"Nein." Julia holte tief Luft. "Lars, Sie - Ach, ich sag einfach Du, ja?" Lars nickte lächelnd.
"Lars, ich bin froh, daß du so offen bist. Ich weiß nur nicht, ob ich dir trauen kann. Verstehst du? Du sagst, daß du offen bist, aber das könnte auch ein Trick sein, um..."
"Um dich ins Bett zu kriegen?" fragte er lächelnd. Julia wurde rot, wich seinem Blick aber nicht aus.
"Genau. Woher weiß ich, daß du mich nicht fallenläßt, wenn wir - Sex gehabt haben?"
"Das, Julia, weißt du nie vorher. Und das ist jetzt keine Masche, sondern die reine Wahrheit. Ob dein Freund nun 15 oder 50 ist, das ist das einzige, was du niemals vorher wissen wirst. Du kannst eigentlich nur eins tun: versuchen, den Menschen, mit dem du zu tun hast, kennenzulernen. Gründlich und tief. Und das solltest du tun, bevor du mit ihm ins Bett gehst." Er sah Julia eindringlich an.
"Und du solltest auf keinen Fall aus Trotz etwas tun, was du hinterher bereust, Julia. Ich weiß, daß ich mich jetzt wie deine Mutter oder dein Vater anhöre, aber das ist mein voller Ernst. Wenn du aus Wut oder Trotz mit einem Mann ins Bett gehst, wirst du es nicht genießen können." Sein Blick wurde weich. "Und ich möchte, daß meine Freundin es genießt. Jeden einzelnen Moment lang. Ganz bewußt, und voller Freude und Vergnügen."
Julia stellte ihre Tasse auf den Tank, hielt sie fest, während sie abstieg, und ging dann zu Lars. Einen halben Schritt vor ihm blieb sie stehen und sah ihm direkt in die Augen.
"Was denkst du über Kinderschänder?"
"Über Menschen, die Kinder zum Sex zwingen? Daß man sie an ihren Eiern aufhängen und verdursten lassen sollte." Obwohl Julia in Reichweite war, behielt er seine Hände bei sich.
"Julia, Menschen wie ich sind sowieso immer mit einem Bein im Gefängnis. Ich muß die Sache nicht noch komplizierter machen, indem ich ein Mädchen zum Sex zwinge. Genau wie du möchte ich einen Menschen an meiner Seite haben, mit dem ich reden und schmusen kann und mit dem ich Sex habe. Alles das, was zu einer Partnerschaft gehört. Nur daß meine Partnerin eben noch minderjährig ist, aber das ist auch der einzige Unterschied. Und wenn du in deinem Brief nicht 'Bei Gefallen auch Schmusen' geschrieben hättest, würden wir dieses Gespräch gar nicht führen. Ich schätze dich nicht als ein Mädchen ein, das unbedingt über körperlichen Einsatz einen Freund sucht, aber dieser Satz war ein so lauter Hilfeschrei nach einem Freund, daß ich einfach anrufen mußte." Er lächelte Julia an, die ihm gebannt zuhörte.
"Du kannst jetzt gehen, wenn du gehen möchtest. Oder du kannst hierbleiben und mir bei dem Motorrad helfen. Oder du kannst sagen, was du tun möchtest. Oder was du überhaupt möchtest."
Julia lächelte dünn. "Genau das, was jetzt ist. Ich wollte einen erwachsenen Freund zum Reden finden. Einen, der ehrlich ist. Du bist - Wie alt bist du?"
"Einundvierzig."
"Du bist 41, ich bin 13. Du sagst ganz offensichtlich das, was du denkst, ich tu das auch. Du suchst ein junges Mädchen als Freundin, ich einen erwachsenen Mann als Freund. Ich weiß nur nicht, was wir jetzt machen sollen."
"Den Vergaser reparieren." Er zwinkerte ihr zu. "Hast du Lust, dich etwas schmutzig zu machen?"
Julias Augen leuchteten hell auf. "Darauf habe ich wahnsinnige Lust!"
"Dann komm." Er stellte Teller und Tassen zurück auf das Brett und setzte sich dann vor die Maschine. Julia kam direkt an seine Seite und sah zu, wie er den Deckel des Vergasers abschraubte.
"Der Vergaser", erklärte er, "mischt die Luft, die hier hinten hereinkommt, und das Benzin, was durch diese kleine Nadel zusammen mit der Luft in den Zylinder fließt. Die Ventile steuern dieses Einlassen. Benzin und Luft ergeben ein hochexplosives Gemisch, was dann im Motor vom Kolben zusammengedrückt wird. Der Funken von der Zündkerze kommt dazu, und das Gemisch explodiert. Der Kolben wird durch diese Explosion wieder nach unten gedrückt und treibt somit den Motor an. Sobald der Kolben wieder nach oben kommt, geht das zweite Ventil auf und läßt die Abgase raus, die durch die Krümmer und den Auspuff dann dem Hintermann ins Gesicht blasen." Julia lachte hell. Lars zwinkerte ihr zu.
"Wenn ein Zylinder nicht richtig läuft, liegt das meistens am Vergaser. Zum Beispiel, wenn - Ha! Richtig getippt. Zieh mal an der Nadel."
"An dem Ding da?" Julia deutete auf einen kleinen, goldfarbenen Stift.
"Genau."
Julia zog vorsichtig daran. "Klemmt."
"Exakt. Dadurch kommt kein Benzin in den Zylinder, und deswegen läuft er nicht. Das heißt, er läuft schon, aber er läuft eben nur mit. So, als würdest du eine Schulkameradin beim Laufen hinter dir her ziehen. Zum Glück lief der Motor nicht lange. Das haben wir gleich."
Er stand auf, ging zur Rückwand und kam wenig später mit einer kleinen Kiste zurück, aus der er eine neue Nadel holte. Julia sah aufmerksam zu, wie er die alte Nadel mit einer kleinen Zange herausholte und eine neue einsetzte. Sie sah, daß er sehr konzentriert und überlegt arbeitete, ohne Hektik und Aufregung.
"So", meinte er, als die neue Nadel eingehängt war. "Schraubst du den zu? Deckel und Schrauben liegen da vorne."
"Gerne!" Behutsam drehte Julia den Deckel, bis er paßte, dann setzte sie die Schrauben ein und drehte sie sorgfältig fest. Lars legte derweil eine dünne Pappe mit drei großen und acht kleinen Löchern auf den Zylinder und setzte den Zylinderkopf auf die Pappe.
"Fertig!" meldete sie sich.
"Prima. Gehst du auf die andere Seite? Dann kannst du besser sehen."
"Schon unterwegs." Sie lief schnell um das Motorrad herum und hockte sich hin.
"Hier vorne ist der Luftfilter", erklärte Lars. "Damit wird, wie der Name schon sagt, die Luft gefiltert. Also Staub, Insekten und Rentner, die im Weg stehen."
"Lars!" Julia lachte fröhlich. Lars zuckte mit den Schultern.
"Die Gold Wing hat deswegen die Scheibe vorne. Da prallen die Rentner dran ab. Der Vergaser muß jetzt auf den Luftfilter. Hältst du bitte die Schelle fest? Dieses runde Ding mit der Schraube daran?"
"Das hier? Hab's."
"Danke." Er drückte den Vergaser in das Gummi und reichte ihr dann einen Schraubendreher. "Ziehst du die Schraube an? Fest, aber nicht mit Gewalt."
"Schon klar." Konzentriert zog sie die Schraube fest. "Erledigt."
"Prima. Vor deiner Nase baumelt ein kleiner schwarzer Schlauch. Der muß auf die kleine Spitze vor dir. Er hängt schon direkt daneben."
"Gefunden. Auch festschrauben?"
"Ja, bitte."
"Wofür ist der Schlauch?" fragte Julia, während sie ihn festschraubte.
"Da kommt das Benzin durch. Deswegen sollte der richtig fest und sicher sitzen. Sonst könnte Benzin auf den heißen Motor laufen und zu brennen anfangen."
"Ich passe auf." Mit höchster Konzentration zog sie die Schraube an, bis der Schlauch festsaß. "Fertig."
"Perfekt. Jetzt muß der Vergaser an den Zylinder, aber das mache ich von hier."
Julia sah zu, wie Lars den kurzen Gummischlauch auf der anderen Seite des Vergasers festzog. Dann stand er auf.
"Das war's an dieser Seite. Jetzt kommt der spannende Moment." Er holte einen Drehmomentschlüssel und zog die Schrauben am Zylinderkopf fest, entsprechend den Angaben im Handbuch, wobei er Julia den Sinn des Schlüssels erklärte.
"Sitzen die Schrauben zu locker, könnte das Benzin durch den Schlitz zwischen Zylinder und Zylinderkopf auslaufen. Sind sie zu fest, können ganz feine Risse - sogenannte Haarrisse - im Zylinder auftreten und ihn zerstören."
"Machst du deswegen die Schrauben von innen nach außen fest?"
"Genau, Julia. Damit die Spannung von innen nach außen geht. So, das war die erste. Möchtest du die zweite machen?"
"Gerne!" Ihre Augen strahlten vor Glück, als sie den Schlüssel ansetzte. Lars deutete auf die Markierung an dem Schlüssel.
"Wenn der Stab da drauf zeigt, ist sie fest genug."
"Ich passe auf." Sorgfältig zog sie die Schraube fest, bis der Schlüssel den korrekten Wert anzeigte. Stolz strahlte sie ihn an.
"Sehr gut. Gleich die dritte hinterher?"
"Klar!" Munter zog Julia die restlichen sechs Schrauben fest, die Augen immer auf den Schlüssel gerichtet.
"Du hast Talent", stellte Lars ruhig fest. "Gut. Jetzt kommt der Krümmer, also der Teil des Auspuffs, der vom Motor zum Endrohr geht. Dann sind wir fertig."
"Warum hast du das alles abgebaut, wenn's nur am Vergaser lag?"
"Weil das nicht viel Arbeit ist, aber Zeit gespart hätte, wenn ich auch noch den Zylinder hätte abnehmen müssen."
"Verstehe."
Julia hielt den Krümmer, während Lars ihn am Endrohr befestigte, dann schraubte er ihn am Motor an.
"Das war's", verkündete er schließlich. "Probelauf draußen."
Er schob die Maschine vom Ständer. "Setz dich drauf", forderte er Julia auf. Julia brauchte keine zweite Aufforderung. Mit einem Satz saß sie auf der Maschine, die Lars vorsichtig aus der Garage und auf die Straße schob.
"Laß an", sagte er lächelnd. "Linke Hand nach hier. Das ist der Benzinhahn. Dreh ihn nach unten, dann kann das Benzin frei fließen."
Julia schaute nach unten und fand den kleinen Hahn. Sie drehte ihn.
"Gut. Linke Hand zieht den Hebel, nur zur Sicherheit."
Julia verzog das Gesicht, weil der Hebel sehr schwer ging. Lars lächelte. "Das ist die Kupplung. Keine Bremse. Rechte Hand dreht den Schlüssel bis zur zweiten Markierung. Die erste ist nur für Licht."
Aufgeregt drehte Julia den Schlüssel. Ein rotes und ein grünes Licht zwischen den beiden runden Instrumenten leuchteten auf.
"Das rote", erklärte Lars, "ist das Warnsignal für Öl. Sobald der Motor läuft, geht das aus. Wenn nicht, müssen wir den Motor sofort wieder abstellen, dann stimmt etwas nicht." Julia nickte angespannt.
"Das grüne ist der Leerlauf. Wenn die Lampe leuchtet, kannst du den Hebel wieder loslassen." Sofort entspannte Julia die Finger der linken Hand.
"Puh!" sagte sie. "Ganz schön schwer."
"Der Hebel, oder alles?"
"Alles." Sie strahlte ihn glücklich an. "Was jetzt?"
"Anlassen. Rechte Hand an den Gasgriff, Daumen ganz locker und leicht auf den Knopf darunter."
Julia legte ihre Hand entsprechend.
"Prima. Jetzt den Knopf drücken, und sobald der Motor läuft, den Knopf loslassen und ganz leicht am Griff drehen, und zwar zu dir. Damit gibst du Gas."
"Mit der Hand?" Julia starrte ihn verblüfft an. "Ich dachte, mit dem Fuß!"
"Nicht beim Motorrad. Der linke Fuß schaltet die Gänge, der rechte drückt die Bremse am Hinterrad. Der Hebel am Griff links ist die Kupplung, der Hebel rechts die Bremse für das Vorderrad, und der rechte Griff ist das Gas. Ist alles Gewöhnungssache. Mylady, starten Sie die Maschine."
"Sehr wohl, Mylord!" Julia strahlte ihn voller Glück an, dann schaute sie konzentriert auf die Instrumente. Sie drückte auf den Knopf. Der Anlasser nahm seine Arbeit auf, und nach einigen Runden sprang der Motor mit einem aggressiven Knurren an. Julia nahm den Daumen vom Knopf und drehte vorsichtig am Gas. Das Knurren wurde zu einem heiseren Röhren. Die rote Lampe erlosch.
"Ja!" Lars streckte die geballte Faust in die Luft. "Sie läuft! Rutsch mal nach hinten, Julia."
"Fahren wir jetzt?"
"Nur eine kleine Runde. Bereit?"
"Und wie!"
Lars hielt die Yamaha fest, während Julia die hinteren Fußrasten ausklappte und nach hinten rutschte. Lars stieg auf.
"Schön festhalten", ermahnte er sie. "Ich fahre ziemlich zügig."
"Okay." Sie warf ihre Arme um seinen Bauch und verschränkte sie. Eine Sekunde später wurde ihr die Luft aus dem Leib gepreßt, als Lars mit voller Beschleunigung lospreschte. Landschaft und Häuser jagten an ihr vorbei, und viel zu schnell für ihren Geschmack bremste Lars wieder. Julia sah erstaunt an ihm vorbei.
"Wow! Hier sind wir schon?"
Sie standen am Ende der Straße, vor ihnen lag freies Feld. Lars schaute sie mit einem verschmitzten Lächeln an.
"Ich sagte doch, daß die Kiste etwas schneller als üblich ist. Zurück geht's langsamer."
"Nein!" Julia sah ihn bittend an. "Noch mal so schnell! Bitte!"
"Okay."
Lars wendete und schoß mit knapp 150 die Straße in Gegenrichtung entlang, bis er wieder vor seiner Garage anhielt und langsam hineinfuhr. Überglücklich stieg Julia ab, während Lars den Motor ausschaltete und die Maschine aufbockte.
"Jetzt kommen die beiden schwersten Aufgaben", seufzte er. "Aufräumen und Moped putzen."
"Moped!" Julia lachte hell. "Kann ich helfen?"
"Nur wenn du möchtest, Julia. Es gibt ein Mittel für die Chromteile, ein zweites für die Räder, die aus Aluminium sind, und ein drittes für die Stahlteile. Und, um es richtig kompliziert zu machen, noch ein viertes für den Motor."
"Ah ja." Julia sah ihn munter an. "Und wo soll ich anfangen?"
"Wo du möchtest. Die Flaschen und Dosen stehen alle auf dem Brett hinter dir. Putzlappen liegen in der großen Kiste in der Ecke. Mach die Chromteile am besten zum Schluß, dann ärgerst du dich nicht, wenn dir etwas auf den sauberen Auspuff läuft."
"Klingt vernünftig." Julia schaute sich die Mittel in Ruhe an, dann wählte sie das für den Motorblock. Während sie sich saubere Putzlappen holte, räumte Lars das Werkzeug zurück, anschließend half er ihr und putzte die Felgen.
Gegen sieben Uhr war die Yamaha eine Augenweide. Der silberne Tank blitzte, genau wie der Lenker und die Auspuffrohre, die Krümmer schimmerten in Gold und Blau, Motor und Rahmen waren sauber und schimmerten schwarz, und sogar die angelaufenen Aluräder sahen wieder silbern aus.
"Du hast fantastisch gearbeitet, Julia." Lars sah sie anerkennend an. "Sollen wir nach dem Abendessen noch etwas fahren?"
"O ja!" seufzte Julia. "Mit oder ohne Helm?"
"Wie du möchtest. Du solltest dir aber etwas wärmere Kleidung anziehen, und vielleicht sogar einen Schal umlegen. Der Fahrtwind kann sehr kühl sein."
"Mache ich. Kann ich mir irgendwo die Hände waschen?"
"Natürlich. Bei dir zu Hause oder bei mir in der Küche. Wenn du dich hier wäschst, nimm am besten das Pulver aus der gelben Flasche. Es ist sehr rauh, aber damit geht jeder Schmutz weg."
"Bin gleich zurück." Sie lief durch die Tür in die Küche und sah sich schnell um. Es war alles sauber, bis auf das benutzte Geschirr neben der Spüle, aber Boden und Wände waren blank, wie die Fliesen über der Spüle. Julia fand das Waschpulver auf Anhieb. Es war tatsächlich rauh, löste den Schmutz aber im Nu. Zwei Minuten später waren ihre Hände blitzblank. Sie trocknete sich ab und lief wieder in die Garage, wo Lars gerade die benutzten Putzlappen zusammenlegte.
"Die kommen in die Waschmaschine. Wann bist du wieder hier?"
Julia sah nachdenklich auf die Straße. "Eigentlich möchte ich gar nicht nach Hause", meinte sie leise. "Kann ich bei dir essen? Ich bezahle auch."
"Ja, nein."
"Was?"
Lars lächelte. "Ja, du kannst gerne hier essen. Nein, du wirst nicht bezahlen. Weder mit Geld noch anders."
Julia wurde etwas rot. "Das habe ich verstanden. Darf ich dann eben meine Eltern anrufen? Das heißt, wenn sie überhaupt zu Hause sind."
"Natürlich." Er sah Julia forschend an. "Zum Abendessen müssen wir aber beide gleichzeitig im Haus sein. Oder einer von uns ißt in der Garage."
"Ich nicht", erwiderte Julia fest. "Und du auch nicht. Bleibt die Garage offen?"
"Nein. Bist du so nett und schaltest das Licht aus? Der Schalter ist gleich neben der Tür. Ich ziehe eben zu."
"Was?" lachte Julia. "Kein motorbetriebenes Garagentor?"
"Nö." Er zwinkerte ihr zu und ging zum Tor, um es zuzuziehen. Julia wartete, bis er wieder bei ihr war, dann schaltete sie das Licht aus und folgte ihm in die Küche. Lars schloß die Tür zur Garage ab und hängte den Schlüssel des Motorrades dann in einen kleinen Kasten. Julia ging in die Diele, wo das Telefon stand, und rief bei sich zu Hause an, doch ihre Eltern waren nicht da. Achselzuckend legte sie auf und ging wieder in die Küche.
"Worauf hast du Hunger?" fragte Lars sie. "Kalt oder warm?"
"Kalt reicht."
"Bockwurst und Kartoffelsalat?"
"Das klingt lecker." Julia nickte begeistert.
"Dann setz dich hin und laß dich verwöhnen."
Julia setzte sich auf die bequeme, breite Sitzbank. "Kommt jetzt die Vorspeise?" fragte sie mit etwas Angst.
"Nein. Jetzt kommt das Dankeschön für deine tolle Hilfe." Er stellte zwei Teller auf den Tisch und sah Julia an. Sie sah die Wärme, die er für sie empfand, und den Wunsch, sie im Arm zu halten, aber mehr nicht.
"Ich möchte", sagte er leise, "daß du sehr oft zu mir kommst, Julia. Wenn ich dir Angst mache, sag das bitte sofort. Und auch, wenn du ein mulmiges Gefühl bekommst. Ich möchte dich zur Freundin, aber ich möchte nicht, daß du Angst vor mir hast und nicht wiederkommst. Nimmst du Senf oder Ketchup zur Wurst?"
"Senf. Den mittelscharfen, wenn's geht."
"Sollst du kriegen." Er legte das Besteck dazu, dann einen Teller mit acht Bockwürstchen und eine große Schüssel Kartoffelsalat. Zum Schluß stellte er den Senf und den Ketchup dazu, beides in Schalen.
"Du machst dir richtig Mühe", sagte sie beeindruckt. Lars zuckte mit den Schultern.
"Ich mag es, wenn es gut aussieht. Plastikflaschen und Metalltuben auf dem Eßtisch liegen mir nicht so. Laß es dir schmecken."
"Du dir auch." Sie nahm den Kartoffelsalat mit einem dankbaren Lächeln entgegen, füllte ihren Teller und gab ihn dann Lars, der sich etwas auf den Teller tat, während Julia sich eine Wurst nahm und etwas von dem Senf.
"Jetzt sind wir gar nicht zum Reden gekommen", meinte sie nach einem Bissen.
"Unwichtig. Reden ist eine Form der Problemlösung, Spaß und Freude eine andere. Außerdem bezweifle ich, daß es dir leichtgefallen wäre, zu mir als Fremden so offen zu sein, wie es für dich nötig wäre."
"Da hast du nicht ganz unrecht." Sie lächelte ihn an. "Aber ein Fremder bist du auch nicht mehr. Würdest du mit mir Samstagnacht nach St. Pauli fahren?"
"Sicher. Was möchtest du sehen?"
"Du würdest das tun?" Julia starrte ihn verblüfft an.
"Natürlich. Es ist kein Viertel, in dem ich wohnen möchte, aber gesehen haben muß man es mal. Gerade Samstagnacht ist da sehr viel Betrieb, und es gibt so viele Touristen, daß es für dich relativ ungefährlich ist."
"Was, bitte, heißt: relativ?"
"Das, was ich sagte, Julia. Ungefährlich ist diese Gegend nicht. Wenn du nachts dort alleine wärst, würde ich keinen Pfennig auf deine Gesundheit setzen. Aber zu zweit sieht das schon anders aus." Er lächelte verschmitzt. "Notfalls kann ich ja laut um Hilfe brüllen."
"So siehst du aus!" lachte Julia. "Du wirst mich gefälligst retten, ist das klar?"
"Jawohl, Mylady. Wenn es sein muß, sogar unter Einsatz meiner Zähne."
"Au ja!" kicherte Julia hell. "Den Gegner beißen." Sie wurde wieder ernst.
"Wenn das da so gefährlich ist, warum würdest du dann mit mir dahin fahren?"
"Weil du es so möchtest. Gefährlich ist immer eine Sache der Definition, Julia. Tagsüber laufen da die Schulkinder herum, auf dem Weg nach Hause. Da passiert nichts. Nachmittags geht langsam die Prostitution los, und abends der Barbetrieb und die Nacktshows. Du mußt nur wissen, von welchen Ecken du dich wann fernzuhalten hast, und schon ist es nicht mehr gefährlich. Es gibt Seitenstraßen, in denen du von einer Sekunde zur anderen spurlos verschwindest, und zwei, drei Monate später tauchst du als minderjährige Nutte in einem Puff auf. Es gibt andere Seitenstraßen, wo du vor lauter leeren Spritzen auf dem Boden kaum mehr richtig gehen kannst. Das ist vielleicht etwas übertrieben gesagt, aber nur etwas. Wenn wir zu zweit sind und auf den Hauptstraßen bleiben, sind wir ziemlich sicher."
"Und du kennst dich da aus?" fragte sie mißtrauisch. Lars lachte leise.
"Julia, ich wohne seit meiner Geburt in Hamburg. Ich lese jeden Morgen die Zeitung und verfolge die lokalen Nachrichten. Jeder Hamburger, der das tut, kennt sich da aus. So wie jeder Bürger die Viertel seiner Stadt kennt, wenn er nur etwas aufmerksam ist. Du kennst bestimmt auch bestimmte Ecken in der Stadt, wo du früher gewohnt hast, ohne daß du zu den Menschen dort gehörtest."
Dieser Satz, obwohl Lars ihn bei weitem nicht so gemeint hatte, wie Julia ihn auffaßte, trieb ihr das Wasser in die Augen.
"Das stimmt", flüsterte sie. "Dazugehört habe ich nicht."
"Nicht jetzt, Julia." Er griff nach ihrer Hand und war erstaunt, mit welcher Kraft sie ihre Finger um seine schloß. Das war die Kraft der Einsamkeit und Verzweiflung.
"Was für Musik magst du, Julia? Wann ist dein Geburtstag? Wie war der zweite Vorname deiner Großmutter mütterlicherseits? Welches Kennzeichen hat der Wagen deines Vaters?"
"Was?" Julia starrte ihn vollkommen perplex an. "Was wird das denn jetzt?"
"Wann ist die deutsche Armee in Polen eingefallen? Wie viele Leute waren auf der Titanic, bevor sie gesunken ist? Wie hoch ist der Eiffelturm? Wie lange braucht das Licht der Sonne bis zur Erde?"
"Lars!" Julia lachte ausgelassen und tat so, als wollte sie ihre Gabel nach ihm werfen. "Was soll der Unsinn?"
"Ich wollte dich nur wieder zum Lachen bringen." Er grinste selbstgefällig. "Darin bin ich richtig gut."
"Au weia!" Julia schob ihren Kartoffelsalat zusammen, nahm etwas auf die Gabel und aß ihn, dabei sah sie ihn mit herzlichen Blicken an. Lars erwiderte ihren Blick lächelnd.
"Ich mag dich auch", sagte er leise. "Deswegen bist du noch hier. Sonst hätte ich dich nämlich nur das Motorrad putzen lassen. Aber meinen heißgeliebten Kartoffelsalat teile ich nur mit Menschen, die ich mag. Wann mußt du zu Hause sein? Wegen der Fahrt gleich."
"Zehn oder halb elf. Morgen ist ja Schule. Wo geht's denn hin?"
"Was durch die Stadt, wenn du magst. Dann brauchen wir allerdings Helme, sonst kleben uns die Grünen am Auspuff. Oder wir bleiben auf dem Land und können ohne Helm fahren. Das überlasse ich ganz dir."
"Stadt. Ich habe aber keinen Helm."
"Ich habe einige zur Auswahl, genau wie Lederkombis."
"Von früheren Freundinnen?" fragte Julia, ohne ihn anzusehen.
"Nein, aus meinen Geschäften."
"Geschäfte?" Julia sah auf. "Was für Geschäfte?"
"Süßwarengeschäfte."
"Was haben die denn mit Helmen zu tun?" fragte Julia verblüfft.
"Gar nichts."
Julia ließ ihre Gabel fallen. "Jetzt verstehe ich gar nichts mehr."
"Gut." Lars zwinkerte ihr zu und biß seelenruhig in sein Würstchen.
"Lars!" Julia stützte sich lachend auf die Hände und richtete sich halb auf. "Ich will jetzt sofort wissen, was du meinst!"
"Mein Bruder und ich haben eine Kette von Geschäften in ganz Deutschland", meinte er gelassen. "Wir verkaufen Motorradzubehör. Von Handschuhen über Helme und Schutzkleidung bis hin zu Koffern und Vollverkleidungen. Mein Bruder und ich haben das seit zwanzig Jahren nach und nach aufgebaut und erweitert, und seit gut drei Jahren sind wir ziemlich zerstritten." Er tauchte die Wurst in den Ketchup auf seinem Teller und sah Julia direkt in die Augen.
"Es ging um eine Erweiterung, Julia. Mein Bruder wollte auch Motorräder anbieten, aber ich war dagegen. Das war vor fünf Jahren. Er hat gegen mein Veto entschieden, obwohl wir beide fünfzig Prozent an dem Unternehmen halten, und mehrere hunderttausend Mark in den Sand gesetzt. Für Motorräder, für eine Werkstatt, für Werbung, für Verkaufsräume, für Personal. Nach zwei Jahren waren die roten Zahlen noch roter als zu Anfang, und so hat er das alles zähneknirschend verkauft. Mit gewaltigem Verlust, natürlich. Er hat nie eingesehen, wann man es gut sein lassen muß. Er wollte immer mehr und mehr und mehr. Dabei sind wir mit unserem Angebot konkurrenzlos günstig und beherrschen den deutschen Markt. Wie auch immer. Als die ganze Sache vorbei war, haben wir uns so gründlich in die Haare bekommen, daß ich ihm den ganzen Mist überlassen habe und dafür ein sehr großzügiges Gehalt bekomme. Ich bekomme satte Prozente auf die Sachen, die ich brauche, und halte mich ansonsten aus dem Geschäftsbetrieb heraus." Er lächelte schief.
"Verstehst du? Ich hatte einfach keine Lust mehr. Wir verdienen mehr als genug und hätten niemals mit den Motorradgeschäften konkurrieren können, aber das hat er nicht verstanden. Seit dem Tag reden wir nicht mehr miteinander. Andererseits hat er sich die Hörner abgestoßen und bleibt vernünftig, insofern bin ich schon zufrieden."
"Also arbeitest du nicht mehr", stellte Julia fest.
"Exakt. Und dafür, daß ich nicht mehr arbeite, bekomme ich so viel Geld, daß ich nie wieder arbeiten muß. Deshalb bastle ich so gerne an Motorrädern herum. Es macht mir Spaß, und der Tag geht schneller rum. Ein langer Urlaub ist eine zweite Möglichkeit, die Zeit totzuschlagen."
"Wie lange warst du jetzt in Urlaub?"
"Den gerade eben? Zwei Monate, in USA. Mir die Landschaft angesehen. Den Grand Canyon, die Niagarafälle, einige Nationalparks... Aber am besten haben mir die Everglades gefallen. Ein riesiges Sumpfgebiet im Süden von Florida, voller Schlangen und Alligatoren. War richtig aufregend. Ein kleiner Alligator, den ich streicheln wollte, hat mich sogar gebissen."
"Was?" Julia erschrak. "Wirklich?"
"Ja." Ohne Scheu zog sich Lars das Hemd aus und zeigte Julia eine Reihe frischer Narben am linken Oberarm. Fassungslos starrte Julia darauf.
"Er war noch klein", schwächte Lars seine Wunde ab und zog sich das Hemd wieder an. "Und er hatte bestimmt Angst vor mir. Ich lag zwei Tage im Krankenhaus, dann durfte ich wieder gehen. Dann noch einen Tag nach dem Fäden ziehen, und jetzt ist wieder alles in Ordnung"
Julia schüttelte den Kopf. "Wie bist du denn auf die Wahnsinnsidee gekommen?"
"Ich hatte Lust dazu." Er stopfte sich das Hemd in die Hose und sah sie an. "Kennst du das Gefühl nicht? Einfach das zu tun, worauf du Lust hast?"
Julia lachte kurz und bitter. "O doch. Das kenne ich. Deswegen hatte ich ja die Briefe geschrieben."
"Das hat mir sehr imponiert", sagte Lars lächelnd. "Dein Alter natürlich auch, aber mehr die Art. Fand ich einfach nur cool. Das bringen nicht viele."
"Bist du oft weg?" fragte sie leise.
"Bisher war ich häufig unterwegs, ja. Bisher hatte ich allerdings auch keinen Grund, hierzubleiben."
Julia mußte lächeln. "Verstehe. Wann ist dein nächster Urlaub geplant?"
"Noch gar nicht. Noch eine Portion, Julia? Oder möchtest du fahren?"
"Laß uns fahren. Wo sind die Anzüge?"
"Oben. Ich räume eben schnell auf."
Julia half ihm, den Tisch abzuräumen, dann gingen sie nach oben, wo Lars sie in ein Zimmer mit lauter Schränken führte. Er öffnete zwei Türen.
"Wie groß bist du, Julia?"
"1,66."
"Gut..." Er wühlte sich durch die Anzüge und holte einen in schwarz mit gelben Streifen an den Seiten heraus. "Dann müßte der dir passen. Du kannst ihn über deine Kleidung ziehen oder - Nein, zieh ihn über die Kleidung."
"Oder?" fragte Julia. Lars lächelte verlegen.
"Als Verkäufer würde ich jetzt sagen, daß ein Lederanzug dieser Qualität in der Übergangszeit, also September und Oktober, auch nur mit Unterwäsche getragen werden kann. Allerdings nur, wenn man nirgendwo zum Essen einkehren will. Zum reinen Fahren also. Aber das überlasse ich dir. Schuhgröße?"
"38."
"Gut." Er ging zu einem anderen Schrank und holte ein Paar Stiefel heraus. "Die werden einfach mit den Schnallen geschlossen. Sollten auch passen. Deine Finger..." Er sah kurz auf Julias Hände. "Größe Fünf." Flugs lag ein Paar Handschuhe neben den Stiefeln.
"Das sollte reichen. Damit bist du warm genug eingepackt. Nach dem Helm schauen wir, wenn du angezogen bist. Wenn du noch mal auf Toilette mußt, geh lieber jetzt. Unterwegs ist das eine Heidenarbeit, aus der Kombi herauszukommen. Das Bad ist gleich rechts, wenn du aus dem Zimmer kommst. Ich ziehe mich nebenan um. Ruf mich, wenn du fertig bist." Er lächelte Julia kurz zu und eilte hinaus, wobei er die Tür hinter sich zuzog.
"Na dann!" Julia sammelte Mut, dann zog sie sich rasch aus. Sie behielt nur Strümpfe und Höschen an. Genauso rasch stieg sie in die Kombi, die nach frischem Leder roch, und schloß den Reißverschluß an der Seite. Das Gefühl des kühlen weichen Leders auf ihrer nackten Haut ließ sie erschauern und ihre Brustwarzen hart werden.
"Hmm!" seufzte sie leise. "Noch ein Grund mehr, Motorrad zu fahren. Fühlt sich geil an!"
Sie genoß das Gefühl noch einige Augenblicke, dann nahm sie die Stiefel in Augenschein. Sie klappte die Schnallen auf, stieg hinein und schloß sie wieder. Staunend sah sie an sich herunter.
"Wie angegossen! Gutes Auge, der Mann."
Auch die Handschuhe saßen perfekt. Etwas steif stapfte sie zur Tür und öffnete sie.
"Lars?" rief sie. "Fertig!"
"Ich komme!"
Kurz darauf stand Lars im Zimmer, auch schon in Lederkombi; wie die von Julia schwarz mit gelben Streifen.
"Partnerlook?" lächelte sie.
"Sieht einfach besser aus." Er sah sie kurz an. "Darf ich sagen, daß du großartig aussiehst?"
"Danke", erwiderte Julia etwas schüchtern. "Helme gibt's wo?"
"Im dritten Schrank." Er öffnete die Türen zu einem Schrank voller Helme und schaute abschätzend auf Julias Kopf, dann zog er einen schwarzen heraus.
"Versuch den mal. Wenn er zu eng ist, melde dich sofort. Er soll perfekt um den Kopf passen, aber nicht einengen."
Julia setzte den Helm auf und wartete einige Sekunden, dann zog sie ihn wieder ab.
"Der drückt zu stark auf die Schläfen."
"Gut. Dann den hier." Er legte den Helm zurück und gab Julia einen anderen. Der paßte sofort: er legte sich fest um ihren Kopf, drückte jedoch nirgendwo übermäßig stark und unangenehm. Lars lächelte.
"Du siehst niedlich aus. Richtig niedlich. Auf geht's. Mein Helm liegt in der Garage."
Keine drei Minuten später saßen sie auf der Maschine. Julia schmiegte sich fest an Lars, der rasant, aber nicht so übertrieben schnell wie am Nachmittag fuhr. Sie machten kurz an einer Tankstelle Halt, wo Lars den Tank bis zum Rand füllte, dann ging es auf in Richtung Innenstadt.
Für Julia war diese Fahrt ein Ritt in die Freiheit. Nicht nur, weil ihre Eltern einen Anfall bekommen würden, wenn sie erfuhren, daß ihre kleine Tochter mit einem "Kinderschänder" auf dem Motorrad saß, sondern vor allem wegen der vielen Gefühle. Sie nahm Lars mit allen Sinnen auf, während sie ihn am Bauch umarmte, fühlte die leichten Temperaturunterschiede der Luft am bloßen Hals, hörte das heisere Röhren des Motors, roch jede Veränderung in der Luft und spürte die Straße unter den schnell drehenden Rädern.
Das war Freiheit!
Sie schmiegte sich noch fester an Lars und umarmte ihn kräftiger, gleichzeitig drückte sie ihre Beine noch enger an seine. Das Vibrieren des Motorrades schickte merkwürdige, aber sehr angenehme Wellen durch ihren Unterleib. Und als sie daran dachte, daß sie unter der Lederkleidung fast nackt war, fühlte sie sich gleich doppelt so aufgeregt und frei.
Auf der Hauptstraße in Richtung Innenstadt mußte Lars kurz an einer roten Ampel halten. Julia nutzte die Gelegenheit, um etwas zu tun, was sie im Fernsehen gesehen hatte: sie kletterte auf seinen Schoß und umarmte ihn von vorne, wobei sie ihre Beine in seinem Rücken verschränkte. Lars sagte keinen Ton dazu und fuhr weiter, als die Ampel Grün zeigte.
Julia dachte daran, daß diese Stellung äußerst verfänglich war. Sie mit offenen Beinen, er dazwischen, nur getrennt durch die Lederkombis... Aber genau dieser Gedanke raubte ihr fast den Atem.
"Nicht die Stadt!" rief sie plötzlich über den Fahrtwind. "Das Land!"
Lars nickte knapp, wendete mitten auf der Straße und fuhr zurück. An einer Kreuzung wählte er eine Landstraße, die voller Kurven und um diese Zeit kaum mehr befahren war.
"Halt dich fest!" rief er. Julia klammerte sich mit Armen und Beinen an ihn, und Lars drehte auf. Er jagte die Yamaha mit fast 170 Sachen über die Straße, die er in- und auswendig kannte, setzte in den Kurven mit den Fußrasten auf, daß es nur so krachte und funkte, und Julia war hin und her gerissen zwischen lustvoller Erregung und Todesangst.
So lebendig hatte sie sich noch nie gefühlt.
Sie sah die ganze Welt spiegelverkehrt. Alles blieb hinter ihr zurück, anstatt auf sie zuzukommen. Sie bewegte sich mit Lars und dem Motorrad in einem ganz eigenen, sehr intimen Rhythmus, den niemand auf der Welt in diesem Moment teilen konnte. Glücklich schloß sie die Augen und legte ihren Kopf an Lars' Schulter. Jedes Aufsetzen des Motorrades in den Kurven fuhr wie ein tödlicher Schock durch ihren Körper und erregte sie maßlos. Ihr Atem ging schnell wie nie zuvor, ihr Unterleib fühlte sich völlig fremd und doch unvorstellbar schön an. Sie preßte sich seufzend und stöhnend an ihn, suchte mit ihrem Unterleib noch mehr und noch festeren Kontakt zu ihm und fand plötzlich eine steinharte Stelle an seiner Lederkombi, die heißes Feuer durch ihren Leib schickte. Laut stöhnend rieb Julia sich daran, verstärkte das Feuer um ein Vielfaches, stieß bei jeder Bewegung kleine, heisere Schreie aus, bis ein weiteres Aufsetzen und ein hell loderndes Feuer in ihrem Unterleib zusammentrafen und ihr einen langen, leisen Schrei entlockten. Wie besessen drückte sie sich an Lars, rieb sich weiter mit aller Macht an ihm, bis das Feuer so plötzlich nachließ, wie es begonnen hatte, und eine nie gekannte wohlige Wärme in ihr hinterließ. Kaum spürte sie, daß Lars angehalten hatte und sie mit seinen Händen streichelte; sie spürte nur Glück und ungeheure Zufriedenheit.
Dann wurde ihr Kopf frei. Erschöpft öffnete sie die Augen und sah in die von Lars, der ebenfalls seinen Helm abgenommen hatte.
"Willkommen zurück", sagte er lächelnd. "War das so gut, wie es sich angehört hatte?"
"Willst du mal lachen?" sagte Julia leise und etwas verlegen. "Ich weiß nicht mal, was das gerade war. Es hat sich auf jeden Fall unglaublich schön und wild angefühlt."
"Aha?" Lars sah sie forschend an. "Hattest du so ein Gefühl noch nie?"
"Nein. Niemals zuvor." Sie lächelte leicht. "Wenn, würde ich mich auf jeden Fall daran erinnern."
"Und worauf hast du jetzt Lust, Julia?"
Sie schmiegte sich wortlos an ihn. "Bei dir im Arm zu liegen", flüsterte sie. "Stundenlang."
"Dann komm."
Er klappte den Seitenständer aus, ließ die Maschine kippen, bis sie Halt gefunden hatte, hielt Julia fest, während er das rechte Bein über den Tank schwang, stand mit ihr auf dem Arm auf und ging ein Stück mit ihr in den Wald hinein, an dem er angehalten hatte. Nach gut zehn Metern kniete er sich vorsichtig hin und ließ sich auf die Seite fallen. Julia blieb die ganze Zeit fest an ihn geklammert. Als sie merkte, daß sie lag, streckte sie ihre Beine aus und drängte sich mit ihrem ganzen Körper an ihn.
"Küß mich, Lars."
Er hielt sie fest, während er sich auf den Rücken rollte. Julia preßte gierig ihre Lippen auf seinen Mund, nur um ihn endlich zu spüren, dann folgte sie seiner Führung und begann, in seinem Rhythmus langsam und gleichmäßig zu kauen.
'Mein erster richtiger Kuß', dachte sie bewegt, während seine Hände zärtlich durch ihr Haar und über ihr Gesicht fuhren. 'Mein erster richtiger Kuß!'
Viel zu schnell wurde ihr die Luft knapp. Atemlos und enttäuscht und glücklich löste sie sich von ihm.
"Du mußt durch die Nase atmen, Julia", sagte Lars leise. "Dann hältst du länger durch."
Julia stöhnte leise. "Eigentlich vollkommen logisch!" Lars lachte.
"Du hast gerade nicht nach Logik, sondern nach Gefühl gehandelt. Bleib bitte so."
"Das hättest du wohl gerne, was?" kicherte Julia.
"Das fände ich sogar ganz besonders schön." Er küßte sie zärtlich auf den Mund. "Du bist ein sehr mutiges Mädchen, Julia. Für die Idee mit dem Brief gebührt dir meine Bewunderung."
"Die möchte ich nicht", erwiderte sie leise. "Ich möchte deine Freundschaft, Lars. Deine Zuneigung."
"Die hast du schon, Julia. Macht es dir Angst, wenn ich dich frage, ob ich deinen bloßen Rücken streicheln darf?"
Julia zögerte unsicher.
"Vergiß die Frage bitte", sagte Lars schnell. "Ich ziehe sie zurück."
"Was war das vorhin für ein Gefühl bei mir, Lars?" lenkte Julia ab.
"Das war der Grund, warum die Menschen Sex haben, Julia. Du hattest einen Orgasmus. Einen Höhepunkt. Bei Tempo 170 auf der Landstraße. Falsch herum auf einem Motorrad. Schon dafür müßte ich mich in dich verlieben."
Schockiert, geschmeichelt und verlegen drückte sie ihre Wange an sein Gesicht. "Das war ein Höhepunkt? Jetzt verstehe ich langsam einiges."
Lars' Hand fuhr durch ihre Haare. "Darf ich offen reden, Julia?"
"Natürlich." Sie gab ihm einen flüchtigen Kuß auf die Wange.
"Du - besser gesagt: jedes Mädchen und jede Frau hat in der Scheide, zwischen den äußeren Schamlippen, die Klitoris. Das ist das empfindlichste Teil der Scheide und zuständig für das Lustgefühl. Du hast gerade sehr breitbeinig auf dem Motorrad gesessen und dadurch deine Scheide geweitet. So weit, daß deine Klitoris noch durch das Leder hindurch gereizt wurde. Durch das Reiben hast du deine Lust so weit nach vorne getrieben, daß du einen Höhepunkt bekommen hast. Eigentlich alles ganz einfach, aber verstehen können das nur diejenigen, die schon einmal einen Orgasmus hatten."
"Lars!" Julia richtete sich halb auf. "Lars, Werner hat mir mal gesagt, daß Lust ein so starkes Gefühl ist, daß man Angst davor bekommt. Ich hatte aber keine Angst! Nicht ein bißchen!"
"Tja... Im Prinzip hat dein Werner recht, auch wenn ich nicht weiß, wer das ist. Nur sehr selten werden Mädchen von ihrer Lust so gepackt wie du gerade, daß sie nichts mehr außer dieser Lust spüren. Ich nehme an, daß lag bei dir an der Kombination von dem Motorradfahren, den Vibrationen und deiner Sitzposition. Die meisten Mädchen erfahren die sexuelle Erregung in sehr viel ruhigerer Umgebung, wo sie mehr Zeit haben, darüber nachzudenken, was da in ihnen gerade passiert. Und da kommt, wie dieser Werner schon sagte, sehr häufig Angst auf, weil das wirklich sehr intensive Gefühle sind." Er küßte sie sanft.
"Wenn das bei mir zu Hause passiert wäre", sagte er leise, "beim Streicheln und Schmusen, dann hättest du bestimmt Angst bekommen. Aber jetzt, wo du weißt, wie schön ein Orgasmus sein kann, weißt du auch, daß du dieses Gefühl durch Streicheln und Küssen verstärken und verschönern kannst."
"Das weiß ich eben noch nicht", erwiderte sie verlegen. "Hast du Zeit?"
Lars lachte. "Ich habe Zeit, solange du so schön auf mir liegst."
"Ich will hier auch nicht mehr weg", kicherte Julia. "Wir haben vorher in Koblenz gewohnt, und da..." Sie erzählte Lars von Werner, von der Mutprobe, von Chris und Ellen, von Werners Erklärungen über Sex und Erotik, und dann, als sie mit diesem Teil fertig war, von ihren Gedanken, von ihres Vaters Arbeit, von den Umzügen, von Sven und letztlich von ihrem Wunsch, endlich mehr über Sex zu erfahren, am besten mit einem Freund, der so war wie Werner.
"Das war der eigentliche Grund für diesen verrückten Brief", schloß sie. "Aber jetzt bin ich froh, daß ich es gemacht habe. Lars? Kann man sich am ersten Tag schon in jemanden verlieben?"
"Wenn jemand so hübsch und intelligent ist wie du? Sicher. Das merke ich doch bei mir."
"Ich bei mir auch." Sie küßte ihn kurz, dann ausgiebig. Ihre Hände glitten über sein Gesicht, auf der Suche nach möglichst viel Nähe und Berührung, und diesmal atmete sie auch durch die Nase und freute sich unsagbar, daß der Kuß viel länger dauerte als der erste. Aus reiner Erschöpfung der Nackenmuskeln mußte sie schließlich aufhören.
"Ich hab dich lieb, Lars!" flüsterte sie.
"Ich dich auch, Julia. Ich bin sehr froh, daß dein Werner so ehrlich war und deine Unerfahrenheit nicht ausgenutzt hat. Und daß du abgehauen bist, verstehe ich auch. Da bin ich der gleichen Meinung wie Sven. Es war für dich einfach in dieser Situation einfach sicherer, schnellstens zu verschwinden. Aber jetzt bist du in einer neuen Position, Julia. Du weißt, wie intensiv und schön ein Orgasmus sein kann, und du kannst es mit deinen eigenen Fingern reproduzieren. Eine andere Möglichkeit wäre, daß dein Freund dir dabei hilft. Allerdings sollte das ein Freund sein, dem du sehr vertraust, denn er könnte den Moment deines Orgasmus dazu benutzen, in dich einzudringen."
"Verstehe..." erwiderte Julia nachdenklich. "Weil ich in dem Moment nichts anderes spüre. Richtig?"
"Beinahe. Du spürst zwar selbst mitten in einem Orgasmus, daß ein männliches Glied in dich geht, aber dein Körper ist einfach viel zu schwach, sich dagegen zu wehren."
"Würdest du diesen - diesen schwachen Moment ausnutzen?"
"Nein. Das könnte jetzt zwar eine Lüge sein, aber da wir gerade so offen reden: ich möchte mehrmals mit dir Sex haben, Julia. Nicht nur einmal. Und auch erst dann, wenn du dazu bereit bist."
"Du kannst wirklich sehr offen und direkt sein", erwiderte sie verlegen. "Hat das - Streicheln meines bloßen Rückens auch schon mit Sex zu tun?"
"Das ist Erotik. Ja. Das hat mit Sex zu tun. Es bereitet dich darauf vor. Es muß nicht unbedingt zum Sex führen, aber es bereitet dich darauf vor."
Julia nickte und sah sich um. Sie waren im Wald, in fast völliger Dunkelheit. Sie sah das schwache Licht des Motorrades, das Lars hatte brennen lassen, und hörte das leise Ticken, mit dem sich der heiße Motor abkühlte.
"Fährst du mich nach Hause?" fragte sie leise.
"Natürlich." Lars machte Anstalten, aufzustehen, doch Julia hielt ihn auf.
"Bleib. Ich hab's mir anders überlegt. Wie möchtest du meinen Rücken streicheln?"
"Den Reißverschluß an der Seite aufziehen, meine Hand hineinstecken und streicheln." Er lachte leise. "Und ich gehe ganz bestimmt nicht an die Vorderseite. Außer, du erlaubst es mir."
"Nicht am ersten Tag." Julia drückte sich verlegen an ihn. "Mach auf."
"Möchtest du das, Julia? Oder möchtest du mir damit einen Gefallen tun?"
"Ja. Das erste mehr als das zweite. Mach auf."
Seine linke Hand strich zärtlich über ihr Gesicht, während die rechte den Reißverschluß an ihrer Seite öffnete. Julia erschauerte, als die gespeicherte Wärme aus der Lederkombi wich und die kalte Abendluft über ihre Haut fuhr. Dann erschauerte sie ein weiteres Mal, viel heftiger, als Lars' Hand sich auf ihren bloßen Rücken legte und sie sanft streichelte. Seine Finger glitten liebkosend zum Nacken hinauf, spreizten sich, strichen wieder hinunter, über Wirbelsäule und Haut, bis fast zu ihrem Höschen, und begannen von vorne. Julia spürte wieder ein leichtes Kribbeln in ihrem Unterleib.
"Das ist schön!" wisperte sie, als sie sich an diese neue, fremdartige Berührung gewöhnt hatte. "Lars? Laß uns noch etwas fahren, und dann setzen wir uns bei dir ins Wohnzimmer. Ich möchte einfach bei dir im Arm sein, in normaler Kleidung. Bitte!"
Sie hatte noch nicht ganz zu Ende gesprochen, da war ihre Lederkombi schon wieder zugezogen. "Du mußt mich nicht bitten, Julia. Sag einfach, was du willst, und ich tue es für dich."
Julia lächelte listig in die Dunkelheit. "Holst du mir ein paar Sterne vom Himmel?"
"Sicher. Wenn du mich zu ihnen hochhebst..."
"Du Lügner!" Lachend drückte sie ihn. "Ich hab dich lieb."
"Ich dich auch, Julia. Du vereinst Schönheit, Intelligenz und Courage. Eine aufregende und bezaubernde Mischung."
Julia küßte ihn verlegen. "Und du bist ehrlich, hast schöne klare Augen und bist einfach richtig lieb. Lars? Können wir das so machen, daß du mir an einem Tag was Neues erklärst, und am nächsten Tag machen wir das? Dann kann ich mich schon mal an den Gedanken gewöhnen."
"Natürlich, Julia. Möchtest du morgen lernen, richtig zu küssen?"
"Richtig? Wir haben uns doch schon richtig geküßt!"
"Beinahe. Ein richtiger Kuß geht mit Zunge. Das heißt, daß sich unsere beiden Zungen gegenseitig berühren und sich ablecken. Das klingt ekelhaft, ist aber eines der schönsten Gefühle beim Kuß."
Julia seufzte leise. "Ich bin wirklich strohdumm. Ich weiß davon überhaupt nichts."
"Du bist nicht dumm", entgegnete Lars leise, ihre Haare streichelnd. "Du bist 13 Jahre jung. Das ist ein großer Unterschied. Bist du dumm, weil du noch nicht auf der Uni bist? Bist du dumm, weil du weder Auto noch Motorrad fahren kannst? Bist du dumm, weil du noch keinen Beruf hast?"
"Nein!" lachte Julia leise. "Ich bin erst 13."
"Genau das." Lars drückte sie zärtlich. "Du bist 13. Und wenn du 14 bist, wirst du schon sehr viel mehr wissen. Gib dir selbst Zeit, Julia. Wollen wir fahren?"
"Gleich. Leck mal ab." Sie streckte mutig ihre Zunge heraus, die gegen Lars' Lippen stieß. Einen Moment später spürte sie seine Zunge sanft um und über ihre lecken. Es war ein erschreckendes, widerliches Gefühl, und gleichzeitig so aufwühlend und erregend, daß sie ihm ihre Zunge in den Mund steckte und ihn leidenschaftlich küßte. Sehr schnell lernte sie die Bewegungen, dann machte sie aktiv mit. Sie leckte über seine Zähne und Lippen, über seinen Gaumen und seine Zunge, ekelte sich die ganze Zeit, den Mund eines anderen Menschen auszulecken und spürte die Lust über diesen Ekel hinaus ansteigen. Instinktiv zog sie die Knie an, begann, sich wieder an seiner Kombi zu reiben, auf der Suche nach dem richtigen Punkt, und seufzte enttäuscht, als sie ihn nicht fand. Mißmutig unterbrach sie den Kuß und preßte ihre Wange an die seine.
"Nicht traurig sein", tröstete Lars sie. "Versuch das nachher, wenn du in deinem Bett liegst. Sei aber nicht ängstlich, wenn deine Scheide dabei feucht wird, Julia. Sie wird feucht, weil sie sich auf den Sex, also das Eindringen des Gliedes vorbereitet. Daran ist nichts Falsches oder Krankes."
"Du kannst das gut erklären", erwiderte sie verlegen. "Das sind alles so unglaublich intime Dinge, aber du redest ganz ruhig und gelassen darüber. Das hilft mir sehr, Lars."
"Ich tue es für uns beide, Julia. Je weniger Angst du hast, um so schöner wird es später für uns werden."
"Für wann hast du das geplant?" flüsterte sie. "Den richtigen Sex?"
"Für einen ganz bestimmten Tag." Er küßte sie zärtlich. "Nämlich genau für den Tag, wo du mir sagst, daß du mit mir schlafen möchtest. Keinen einzigen Tag eher."
"Warum schlafen Menschen miteinander?"
"Einmal, um Nachwuchs zu bekommen. Kleine Babys, aus denen dann wieder hübsche Mädchen oder nette Jungs werden. Zum anderen, weil der Orgasmus beim richtigen Sex viel stärker und intensiver ist. Das ist ein so starkes Gefühl, daß man Sex hauptsächlich aus diesem Grund macht. Der dritte Grund ist der, weil man sich so vereint. Es gibt keine größere Nähe, Julia. Die Frau erlaubt einem Teil des Mannes, in sie einzudringen. Mehr körperliche Nähe gibt es nicht. Und gerade aus diesem Grund sollte das Vertrauen zwischen diesen Menschen sehr groß sein. Wenn du jemanden an dich und sogar in dich läßt, dem du nicht vertraust, wird die Angst größer sein als die Freude, und damit wird das Erlebnis nicht besonders schön."
"Wie kommt man dahin?" fragte sie leise. "Ich kann mir nicht vorstellen, daß ich das von heute auf morgen sage."
"So läuft das auch nicht. Es beginnt mit dem Streicheln von nackter Haut, während man sich küßt. Der nächste Schritt wäre, daß du mir erlaubst, dich mit meinen Fingern zu einem Orgasmus zu bringen."
"Das heißt", unterbrach sie ihn, "du würdest mich da unten anfassen."
"Genau. Und wenn du jetzt Angst vor diesem Gedanken bekommst, bist du noch nicht bereit dafür. Also denk nicht weiter darüber nach. Ich sage es dir nur. Dann kommt der Schritt, wo wir beide uns nackt anschauen würden. Auch dieses Bild wird dir jetzt noch Angst machen. Dann berühren wir uns gegenseitig an den Geschlechtsteilen. Verstehst du, Julia? Es geht immer einen kleinen Schritt weiter, aber gerade weil Sex etwas ist, woran dein und mein Körper beteiligt sind, solltest du dir genügend Zeit lassen, um es wirklich zu wollen." Er küßte sie liebevoll.
"Jetzt gerade", sagte er leise, "wolltest du einen weiteren Orgasmus. Heute Mittag wußtest du noch nicht einmal, was ein Orgasmus genau ist und wie er sich anfühlt. So geht das weiter, Julia. Immer einen kleinen Schritt nach dem anderen."
"Und du hast nichts dagegen, solange zu warten, bis ich mit meinen kleinen Schritten bei dir angelangt bin?"
"Ganz im Gegenteil", lächelte Lars. "Ich freue mich über jeden kleinen Schritt, weil jeder Schritt die Distanz zwischen uns verringert."
"Und warum machst du keinen auf mich zu?"
"Tue ich doch. Mein Wunsch, deinen bloßen Rücken zu streicheln. Meine Erklärungen. Das sind Schritte, an denen du - symbolisch gesprochen - das Laufen lernst. Wenn ein Kleinkind sieht, daß andere Kinder schon laufen können, will es auch laufen lernen. Wenn du weißt, was es alles gibt, dann beschäftigst du dich damit in Gedanken und verlierst die Angst. Wenn ich jedoch etwas tun würde, was du nicht kennst, würdest du wieder Angst bekommen. Und das möchte ich auf keinen Fall."
"Weil du sehr oft Sex mit mir haben willst", lachte Julia verschämt.
"Ganz genau." Er drückte sie kraftvoll an sich und schaukelte sie sanft auf sich. "Weil ich mich auf den Tag freue, wo wir beide gemeinsam in einem Bett liegen."
"Beide nackt?"
"Das", lachte Lars leise, "ist ein Bild, das du dir selbst ausmalen mußt. Sollen wir auf dem Rückweg noch etwas Süßes kaufen? Kekse oder Schokolade?"
"Nein." Ihre Finger fuhren sanft über sein Gesicht. "Diese Vorstellung macht mir Angst, Lars. Große Angst. Gleichzeitig... Ich weiß nicht genau, aber etwas in mir fängt an, sich darauf zu freuen. Das ist nur ganz schwach und unausgeprägt, aber es ist da."
"Dieses Etwas", erwiderte er leise, "wird mit jedem Schritt größer, Julia, und die Angst wird gleichzeitig kleiner. Denk darüber nicht weiter nach, sondern warte einfach ab."
"Ich will so viel wissen", entschuldigte sie sich. "Ich muß immerzu an Chris und Ellen denken, die es gar nicht abwarten konnten, mit Werner zu schlafen. Aber den Grund verstehe ich eben nicht. Ist das nur wegen eines Orgasmus?"
"Ja, und wegen dem Gefühl, daß zwei Körper sich vereinen. Das ist die intimste Sache der Welt, und gleichzeitig eine wunderschöne. Aber die beiden konnten es auch nur tun, weil sie ihre Angst davor verloren hatten. Weil sie wußten, was kommt."
"Das hat Werner auch gesagt." Julia küßte ihn noch einmal ausgiebig, dann richtete sie sich auf. "Fahr uns heim. Kann ich wieder vorne sitzen? Ohne Helm?"
"Natürlich."










Kapitel 22



"Erst halb neun", wunderte sich Julia, als sie in Lars' Wohnzimmer saß. "Das kommt mir wie ein ganz anderer Tag vor."
"Es ist auch sehr viel passiert, was für dich neue Erfahrungen waren." Er stellte die Getränke auf den Tisch und setzte sich zu ihr. "Was möchtest du jetzt tun?"
"Auf deinen Schoß kommen", hauchte sie.
"Solange du mir nicht weh tust, kannst du machen, was du möchtest." Lars streckte schmunzelnd seine Arme aus. Julia kletterte auf seinen Schoß, legte ihre Arme um seinen Hals und ließ sich dann gegen ihn sinken. Lars schloß sie zärtlich in seine Arme und strich leicht über ihren Rücken.
"Das habe ich so vermißt!" gestand Julia flüsternd. "Einfach nur schmusen."
"Dann bleib jetzt ganz still und genieße es." Seine linke Hand strich über ihr volles Haar, seine rechte über den Rücken. Julia sackte etwas zusammen, als sie sich völlig entspannte. Sie drehte ihren Kopf zu ihm, legte die Lippen an seinen Hals und blieb regungslos auf ihm sitzen.
"Geh zum Rücken", flüsterte sie und küßte ihn zart auf den Hals. Lars zog ihren Pullover aus der Hose und strich über die nackte Haut. Julia seufzte unhörbar. Minute um Minute ließ sie sich streicheln und verwöhnen, dann löste sie sich plötzlich von ihm und drehte sich um, so daß sie mit dem Rücken zu ihm saß. Sie ließ ihren Kopf nach hinten fallen und sah ihn an.
"Bauch."
"Sicher?"
"Ja." Sie zog den Pulli vorne aus der Hose, schloß die Augen und wartete. Als sich Lars' Hand auf ihren nackten Bauch legte, fuhr sie leicht zusammen, doch dann war es wunderschön. Sie seufzte leise, als er anfing, sie zärtlich zu streicheln.
"Ist das schön. Lars? Du gehst doch nicht höher?"
"Nein." Er küßte sie auf die Stirn. "Erst wenn du sagst, daß ich es tun soll."
"Nicht heute." Sie drehte den Kopf zu ihm. "Kuß."
Im Arm gehalten, gestreichelt und geküßt. Julia war im siebten Himmel. Nun verstand sie, warum Chris und Ellen immer so an Werner klebten. Sie wollte am liebsten auch nicht mehr aufstehen.
Lars strich mittlerweile mit beiden Händen über ihren Bauch und die Seiten, während sie sich küßten. Julia spürte den Wunsch nach mehr in sich und nahm sich vor, morgen, wenn sie ihn besuchte, etwas Dünneres als diese dicke Hose anzuziehen. Doch der Wunsch blieb und wuchs sogar noch.
Schließlich faßte sie nach seiner rechten Hand und schob sie höher. Als seine Finger gegen ihre kleine Brust stießen, fuhr sie erschreckt zusammen und spürte gleichzeitig ein Feuer tief in sich. Der Schreck ließ nach, das Feuer blieb. Sie strich mit seinen Fingern über ihre Brust und ließ dann seine Hand los. Lars bewegte seine Finger sanft hin und her und wartete auf Ablehnung, doch Julias Kuß wurde noch wilder und signalisierte ihm ihr Einverständnis. Zärtlich und liebevoll strich er über ihre harten Brustwarzen, massierte das weiche Fleisch ihrer Brüste und drückte es leicht mit den Fingern. Julia unterbrach den Kuß, als es unerträglich heiß in ihr wurde.
"Mehr!" stöhnte sie leise. "Mehr!"
"Du sollst dir doch Zeit lassen", ermahnte er sie leise. Julia schüttelte den Kopf.
"Nein! Gib mir mehr, Lars! Bitte! Ich glühe!"
"Na schön." Er küßte sie erneut, während seine linke Hand ihre Hose öffnete. Julia schämte sich zu Tode, als der Knopf aufsprang und er den Reißverschluß nach unten zog, und gleichzeitig wurde ihr heiß wie nie zuvor. Seine linke Hand glitt über den Bauch nach oben zu ihren Brüsten, seine rechte wanderte nach unten, in ihre Hose, strich über ihr Höschen, was Julia erbeben ließ, ging zwischen ihre Beine, die sie instinktiv spreizte, und fand den Punkt, der sie laut stöhnen ließ, als er mit dem Finger darauf drückte.
"Genau da! Weiter! Gib mir mehr, Lars! Ich will, daß du das machst!"
Lars küßte sie leidenschaftlich und brachte seine Hand in ihr Höschen. Julia zitterte wie bei einem Erdbeben, als sie seine Finger auf ihrer intimsten Stelle spürte. Panische Angst erfüllte sie, die jedoch sofort von einer wilden, heißen Lust verdrängt wurde, als Lars begann, diese empfindliche Stelle zu reiben. Sie stöhnte erregt in seinen Mund, schnappte nach seiner Zunge, saugte sie in ihren Mund und lutschte daran. Als wäre sie von dem Dämon der Lust besessen, schob sie beide Hände in ihren Rücken und weiter nach unten, unter ihren Po und zwischen seine Beine, wo sie das harte Teil spürte, auf dem sie saß. Sein Reiben wurde kräftiger und fordernder, lockte die verstecktesten Gefühle aus ihr heraus, ließ das Feuer in ihr aufflammen, bis es sie fast verbrannte. Sie drückte mit den Fingern vorsichtig auf dieses harte Teil an ihm, schleckte seinen Mund aus, ließ ihre Zunge fangen und fing seine, spürte seine Finger an und ein kleines Stück in ihrer Scheide, was ihr Feuer noch einmal anheizte, stöhnte vor Erregung und Atemnot, und plötzlich schlugen die Flammen in ihr zu, verbrannten ihre Angst und Probleme, schossen heiß und blendend weiß durch ihre Nerven, und sie biß ihn in die Lippe, lutschte, saugte und leckte, während seine Finger in der Nässe ihrer Scheide wühlten und die Flammen nicht geringer werden ließen. Ihre Nerven schrien ein Lied der Freude, ließen ihren Körper immer wieder vor höchster Lust zucken, bis viel zu früh ihre Muskeln erschlafften und sie ausgelaugt und erschöpft in seinen Armen lag. Seine Finger spielten zärtlich mit ihrer nassen Scheide, verlängerten das wohlige Nachgefühl der Ekstase, und seine Lippen fuhren gefühlvoll über ihr Gesicht und küßten es zart. Sie spürte einen Finger tief in ihre Scheide gehen, und sie seufzte glücklich, als keine Angst mehr in ihr war. Spielerisch spannte sie die Muskeln dort an, klemmte seinen Finger ein, entspannte sich und gab ihn wieder frei. Als Lars begann, seinen Finger sehr langsam in ihr zu bewegen, schmiegte sie ihr Gesicht an seinen Hals.
"Ich liebe dich!" flüsterte sie. "Du mußt jetzt nichts sagen, aber ich liebe dich, Lars. Laß deinen Finger in mir; das ist so schön! Liebst du mich auch?"
"Ich liebe dich auch, Julia. War es schön für dich?"
"Es war wunderschön! Ich habe jetzt keine Angst mehr vor dir. Wie wird sich dein - dein Glied in mir anfühlen?"
"Noch etwas mehr als das jetzt." Er zog seinen Finger zurück, brachte einen zweiten Finger dazu und schob beide vorsichtig in sie. Julia stöhnte tief, als ihre junge Scheide so enorm geweitet wurde; ein Gefühl, daß sie in dieser Intensität niemals erwartet hätte. Und es würde sogar noch - seinen Worten nach - etwas mehr als jetzt sein, wenn es zum richtigen Sex käme.
"Schlaf mit mir!" flüsterte sie erregt. "Jetzt! Schlaf mit mir, Lars!"
"Nein." Er küßte sie auf den Mund. "Zuerst mußt du noch etwas sehen, Julia. Und ich möchte, daß du eine Nacht darüber schläfst. Bitte."
Halb enttäuscht, halb beruhigt küßte sie ihn auf den Mund. "Was soll ich denn noch sehen?"
"Zwei Dinge." Er lächelte leicht. "Ich habe gerade, als du deinen Orgasmus hattest, dein Jungfernhäutchen durchbrochen. Deswegen wirst du etwas Blut in deinem Höschen finden. Wahrscheinlich nicht viel, aber du sollst dir deswegen keine Sorgen machen. Das ist ein ganz normaler Vorgang. Ich habe es getan, damit der Sex später ohne Schmerzen für dich abläuft."
Julia dachte an die Worte von Jasmin über ihr "erstes Mal".
"Danke!" flüsterte sie glücklich. "Das habe ich überhaupt nicht gemerkt."
"Deswegen habe ich es getan. Wenn wir tatsächlich miteinander schlafen, würde dein Hymen von meinem Glied durchbrochen werden, und somit würdest du einer neuen und vielleicht auch anfangs beängstigenden Erfahrung noch einen Schmerz draufsetzen. Das geht in den seltensten Fällen gut."
"Das habe ich schon gehört. Noch mal Danke!"
"Schon gut." Er drückte sie zärtlich. "Und das zweite, was du sehen sollst, ist mein Glied. Genau wie du vorhin glühe auch ich jetzt, und ich brauche auch dringend einen Orgasmus, sonst tut mir alles weh. Du bist herzlich eingeladen, mir dabei zuzusehen. Natürlich nur, wenn du möchtest."
"Nur zusehen?" fragte sie leise. "Nicht anfassen oder so?"
"Nein. Nur zusehen."
"Okay." Julia stand auf und brachte ihre Kleidung in Ordnung. "Wo?"
"Im Bad." Er kam auf die Füße und ging unsicher mit ihr nach oben.
"Warum gehst du so komisch?" fragte Julia besorgt. Lars lächelte sie beruhigend an.
"Eben weil ich glühe. Wenn ein Mann so richtig heiß und - ja, geil ist, dann bereiten sich seine Hoden auf den Samenausstoß vor. Es geschieht häufig, daß der Samen schon vor der Ejakulation aufsteigt und die Samenstränge anschwellen läßt, und wenn der Samen dort bleibt, weil der Mann keinen Orgasmus bekommt, dann bleiben sie geschwollen und tun weh."
"Lars! Das tut mir so leid!" Julia sah ihn betroffen an. "Wenn -"
"Pst!" lächelte er. "Deswegen sollst du es ja sehen, Julia. Woher sollst du das denn auch wissen? Deine Mutter wird dir das bestimmt nicht erklärt haben, und dein Vater wohl erst recht nicht."
"Da hast du recht!" seufzte Julia. "Bist du mir wirklich nicht böse?"
"Natürlich nicht. Die Amerikaner haben ein nettes Wort für Mädchen, die Jungs so aufheizen, daß sie diese Schmerzen bekommen: Teaser. Das kommt von 'to tease', was soviel wie aufreizen oder aufziehen bedeutet. Ein Teaser ist ein Mädchen, das alles verspricht, aber vor dem Finale die Fliege macht."
"Verstehe!" Julia sah ihn mit großen Augen an. "Und beim Mann kann der Reiz - oder der Schmerz - so groß werden, daß er das Mädchen vergewaltigt?"
"Ganz genau. Weil das Verlangen nach Erleichterung übermächtig wird. Ein Teaser spielt immer mit dem Feuer, und verbrennt sich auch manchmal die Finger." Er öffnete die Tür zum Bad und ging hinein.
"Dann muß ich mich jetzt wohl bedanken, daß du mich nicht vergewaltigt hast", meinte Julia kleinlaut.
"Nein, Julia." Er sah sie an, während er sich die Hose öffnete. "Du kennst diese Dinge noch gar nicht. Außerdem möchte ich dich nicht einmal vergewaltigen, sondern oft mit dir schlafen. Ich werde dir nichts tun, Mädchen. Bestimmt nicht. Nur das, was du willst. Aber du solltest wissen, daß nicht alle Männer oder Jungen so wie dein Werner oder ich sind. Ich war früher auch nicht so, wie ich heute bin. Früher war ich viel stürmischer, und ein Teaser hat sich bei mir regelmäßig die Finger verbrannt."
Julia erschrak. "Du hast Mädchen vergewaltigt?"
"Nein. Ich habe dem Mädchen klipp und klar gesagt: Alles oder nichts. Entweder brennt der Ofen, oder er bleibt aus. Aber da war ich, wie gesagt, jünger." Er zog die Hose aus und, ohne jegliche Scheu, auch die Unterhose. Julia riß die Augen auf, als sie das erste Mal in ihrem Leben ein hartes Glied sah.
"Komm an meine linke Seite", forderte Lars sie auf. "Rechts brauche ich etwas Platz."
Er stellte sich vor das Waschbecken. Zögernd kam Julia näher. Lars hob sein Glied hoch und drückte es an den Bauch.
"Hier unten sind die Hoden, in dem Hodensack. Du siehst, wie dick das hier ist?" Er deutete auf eine Stelle oberhalb der Hoden. Julia nickte unsicher. "Das sind die Samenstränge, und die sind voll bis obenhin."
"Darf ich mal fühlen?" fragte sie scheu.
"Sicher, aber bitte sehr, sehr vorsichtig." Er lächelte entschuldigend. "Die tun schon weh genug."
Julia nickte betreten und nahm die Haut vorsichtig zwischen ihre Finger, um noch behutsamer zu drücken.
"Richtig voll!" staunte sie. "Fast schon hart."
"Genau. Wenn Junge und Mädchen stundenlang heftig schmusen, tut das dem Jungen nur noch weh. Dein Job als Mädchen ist, den Jungen im Zaum zu halten, daß er gar nicht erst so erregt wird, oder bis zum Ende mitzuspielen." Er drückte sie leicht an seine linke Seite. "Deswegen sagte ich, daß du viel Vertrauen haben mußt, Julia. Sonst kann es passieren, daß sich ein Junge, eben wegen des Drucks, auf dich wirft und loslegt, ob du willst oder nicht. Frauen können das übrigens auch, wenn sie sehr erregt sind. Ich werde jetzt onanieren. Das heißt, ich reibe mein Glied, wie ich vorhin deinen Kitzler - die Klitoris - gerieben habe, bis ich einen Orgasmus habe. Schau gut zu, damit du siehst, wie der Samen herauskommt."
Julia nickte schnell. Sie schlang ihre Arme um seinen Bauch, preßte sich an seine linke Seite und legte den Kopf an seine Brust, um perfekt sehen zu können. Lars schloß seine Finger um sein Glied zur Faust und begann, die Hand vor und zurück zu bewegen.
"Ganz vorne", erklärte er Julia, "sitzt die Eichel. Die ist so empfindlich wie deine Klitoris. Deswegen ist es auch völlig uninteressant, welcher Mann den - vulgär gesagt - längsten Schwanz hat."
Julia kicherte mit roten Ohren. "Da sollen die Jungs ja sogar Wettbewerbe abhalten, oder?"
Lars grinste schelmisch. "Kann gut sein. Aber wenn man weiß, daß auch ein Mann mit einem winzigen Glied einen Orgasmus bekommen kann, relativiert sich das alles. Die Natur hat die empfindliche Eichel ganz nach vorne gesetzt, und so kann auch ein Pygmäe mit einem winzigen Schwanz seinen Spaß haben."
"Du bist herrlich!" Julia drückte ihn stürmisch. "Weißt du, daß ich immer weniger Hemmungen habe, mit dir darüber zu reden?"
Er fuhr ihr mit der linken Hand lächelnd durch die Haare, während er sich mit rechts wichste. "Du wolltest einen Freund zum Reden, und den hast du nun. Selbst schuld."
"Klar. Immer ich." Sie sah verliebt zu ihm auf. "Ich wollte auch einen Freund zum Schmusen, und den habe ich nun auch. Bist du auch mit mir zufrieden?"
"Ich bin sogar glücklich, dich bei mir zu haben", sagte Lars ernst. "Sehr glücklich, Julia."
"Ich auch." Sie drückte sich an ihn und sah ihm zu. "Leg los. Ich will was sehen für mein Geld."
Seine Hand wurde schneller. "Für welches Geld?"
"Das Geld, was ich für das Putzen bekommen hätte." Sie drückte ihn kräftig. "Ich will was sehen, was jeden Pfennig davon wert ist."
"Das wirst du." Seine linke Hand wanderte nach unten und legte sich auf ihren Po. Julia drängte sich an ihn.
"Kann man das auch zu zweit machen?" fragte sie leise. "Sich gegenseitig einen - Orgasmus machen?"
"Ja." Sein Atem ging schwerer. "Wenn du magst, können wir das morgen mal tun. Schlafen sollten wir morgen noch nicht miteinander, Julia. Es gibt noch so viele schöne Dinge vorher. Wir sind jetzt Freunde, wir schmusen miteinander, und du lernst jeden Tag dazu. Einverstanden?"
"Ja. Sehr gerne." Sie rieb ihren Kopf an seiner Brust. "Möchtest du meinen Po direkt auf der Haut streicheln?"
"Das überlasse ich ganz dir."
"Dann warte." Rasend schnell knöpfte sie ihre Hose auf und zog sie nach unten. "Geh ins Höschen."
"Mit dem größten Vergnügen. Du bist ein wundervolles Mädchen, Julia."
"Und du ein wundervoller Freund." Sie schmiegte sich mit roten Wangen an ihn. Als seine Hand in ihr Höschen ging und sich auf ihren warmen, flachen Po legte, um das weiche Fleisch zu streicheln, wurde ihr wieder heiß. Wie von selbst glitt ihre linke Hand tiefer, strich ganz leicht über sein Glied und legte sich dann von unten an die schweren, vollen Hoden. Lars seufzte leise.
"Das fühlt sich schön an, Julia. Aber bitte nicht zudrücken."
"Ich bin vorsichtig", versprach sie. "Tut das da so weh? Da stellen sich alle immer so an..."
"Das tut da höllisch weh. Wenn du kräftig davor schlägst, kann es so weh tun, daß der Junge oder der Mann bewußtlos wird."
"Oh!" Julia riß ihre Hand zurück. Lars klopfte mit seinen Fingern auf ihren Po.
"Ich sagte: schlagen! Nicht streicheln oder vorsichtig anfassen."
"Ja." Zögernd legte sie ihre Hand wieder unter seine Hoden und hob sie ganz vorsichtig an. Lars stöhnte.
"Perfekt!"
Verschämt und geschmeichelt rollte Julia seine Hoden in ihrer Hand, die Augen fest auf sein Glied gerichtet, das von seiner Hand gerieben wurde. Für einen kurzen Moment wurde ihr der Wahnsinn dieser Situation bewußt. Sie kannte Lars erst seit dem Nachmittag, und nun stand sie in seinem Bad, sah zu, wie er onanierte, hielt seine Hoden in der Hand und hatte seine Finger in ihrer Scheide gehabt.
"Und trotzdem geht's mir einfach nur gut!" flüsterte sie so leise, daß selbst Lars es nicht hörte. "Richtig gut! Verdammt, versaut und schweinisch gut!" Sie drückte Lars mit ihrem rechten Arm so fest, daß er noch einmal schneller wurde. Seine linken Finger drückten sich in ihre Porille und auf den After, was Julia heftig zittern ließ.
"Bin gleich fertig!" stieß er gepreßt hervor. "Paß gut auf."
Julia richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf sein Glied. Seine rechte Hand raste das Glied entlang, das vorne sehr feucht schimmerte, und plötzlich stöhnte Lars laut und tief. Julia erschrak, als ein dicker Strang weißer Flüssigkeit aus der Spitze herausschoß und in das Waschbecken flog. Lars' Finger drückten kräftig gegen ihren Po, seine rechte Hand rieb sehr schnell weiter, und weitere Stränge dieser Flüssigkeit schossen heraus und fielen klatschend in das Waschbecken.
"Wow!" flüsterte sie ehrfürchtig. "So sieht das aus!"
Mit einem letzten Seufzer quetschte Lars die Haut an seinem Glied zusammen und ließ einige dünne Tropfen in das Waschbecken fallen, dann neigte er seinen Kopf und legte ihn auf den von Julia.
"Danke dir", sagte er leise. "Das war richtig gut und schön."
"Du hast es mir ja auch richtig schön gemacht", antwortete sie verlegen und geschmeichelt. "Jetzt tut nichts mehr weh?"
"Nein. Jetzt ist alles in Ordnung. Möchtest du es dir mal in Ruhe anschauen? Jetzt ist es ungefährlich."
"Das ganze Pulver verschossen?" kicherte Julia mit rotem Gesicht.
"Das trifft den Nagel auf den Kopf." Er strich sanft über ihren Po. "Schau es dir an, wenn du möchtest. Ich bin ganz lieb und brav."
"Das weiß ich." Zögernd bewegte sie ihre linke Hand nach oben, bis sein Glied, das nun wesentlich weicher war, in ihrer Hand ruhte. Sie spürte die immense Hitze, die es ausstrahlte, und die samtene Konsistenz der Haut.
"Fühlt sich richtig schön an", sagte sie leise. "So lebendig."
"Bei dir", flüsterte Lars, "hat es sich auch sehr schön angefühlt. Julia, bereust du irgend etwas von dem heutigen Tag?"
"Ja." Sie sah ihn ernst an. "Daß ich nicht selbst die Yamaha fahren durfte. Aber sonst nichts." Sie sah die Sorge in seinen Augen. "Sonst wirklich nichts, Lars. Ich hatte immer Angst vor Sex, weil... Ich habe dir ja von meinen Eltern erzählt. Sie haben nie erwähnt, daß Sex zwischen Erwachsenen und Mädchen wie mir auch schön sein kann. Sie sagten immer nur, daß das Mädchen dazu gezwungen wird und daß es dann sehr, sehr weh tut. Aber ich fühle mich jetzt richtig gut. Rundherum wohl." Sie drückte ihn mit beiden Armen.
"Mir hat alles gefallen, Lars. Alles. Ich fand es wunderschön. Manches war im ersten Moment - ja, beängstigend und auch - peinlich, aber ich bin glücklich, daß es so gekommen ist. Du hast mehr von meinen Ängsten genommen als du dir vorstellen kannst. Gehen wir wieder runter?"
"Sofort. Ich muß eben nur schnell waschen. Möchtest du zusehen?"
"Ja." Sie legte ihren Kopf wieder an seine Brust und schaute zu, wie er sein Glied wusch, dann verschwand es in seiner Unterhose. Etwas traurig löste sie sich von ihm.
"Jetzt wäscht du dich noch", sagte er mit einem sanften Lächeln. "Und bitte nicht erschrecken, wenn du das Blut entdeckst."
"Versprochen." Sie sah erstaunt auf, als er zur Tür ging. "Gehst du raus?"
"Ja." Er strich ihr über den Kopf. "Mach das erst mal alleine, Julia. Nicht wegen dem Blut, sondern wegen deinem Unterleib. Wir haben viel Zeit."
"Danke", wisperte sie. "Ich hätte es gemacht, aber..."
"Schon in Ordnung. Bis gleich." Er zwinkerte ihr zu, ging hinaus und schloß die Tür hinter sich. Dankbar sah Julia ihm hinterher, dann zog sie sich schnell Hose und Unterhose herunter. Sofort sah sie das Blut.
"Nun ist es passiert", sagte sie leise. "Wie soll ich das Mutti erklären? Meine Tage kommen doch erst Ende nächster Woche. Sie wird sofort wissen, daß was passiert ist. Mist!"
Nachdenklich starrte sie auf ihr Höschen, dann faßte sie einen Entschluß. Sie schlüpfte aus den Schuhen, zog Hose und Unterhose aus und wusch sich dann gründlich, bis kein Blut mehr an ihrem Finger zu sehen war. Sie spülte mit klarem Wasser nach, trocknete sich ab und stellte erleichtert fest, daß das Handtuch anschließend vollkommen sauber war. Sie ließ das Höschen aus und zog nur die Hose und die Schuhe an. Das Höschen faltete sie ordentlich zusammen und ging hinaus. Schnell hatte sie Lars' Schlafzimmer gefunden. Mit stark klopfendem Herzen lief sie hinein, legte das gefaltete Höschen ordentlich auf sein Kopfkissen und rannte wieder hinaus.
"Für dich!" flüsterte sie, als sie in der Diele stand, dann hüpfte sie fröhlich die Treppe hinunter und weiter ins Wohnzimmer, wo Lars schon mit ausgestreckten Armen auf sie wartete. Mit einem leisen Jubelschrei sprang Julia ihn an, warf ihn um und legte sich auf ihn.
"Was zeigst du mir morgen?" fragte sie glücklich. Lars nahm ihr Gesicht in beide Hände und küßte sie zart auf den Mund.
"Wenn du möchtest, würde ich dir gerne einen dritten Weg zeigen, wie du einen schönen Orgasmus bekommst. Du kannst dich an etwas Hartem reiben, oder es kann mit den Fingern gemacht werden. Das kennst du jetzt." Julia nickte aufmerksam.
"Und das dritte?"
"Da würde ich dich, wenn du einverstanden bist, da unten küssen. Na!" lachte er leise, als Julia heftig erschrak.
"Es schmeckt nicht nach Pipi, Julia. Bestimmt nicht. Es wird für dich sehr schön werden, weil mein Mund weich und warm ist. Meine Zunge auch. Wir müssen es nicht tun, aber es ist für ein Mädchen ein sehr schönes Gefühl."
Julia lächelte schüchtern. "Das überlege ich mir noch, ja?"
"Natürlich." Er zog sie an sich und drückte sie. "Wenn du das nicht machen möchtest, kann ich dir zeigen, wie schön es ist, deine Brüste zu küssen. Oder wir lernen morgen überhaupt nichts Neues, sondern schmusen einfach nur."
"Warten wir einfach ab." Sie drückte ihr Gesicht an seinen Hals. "Ist das schön für dich, ein Mädchen überall zu küssen?"
"Es ist wunderschön, Julia. Ein Kuß kann hart und fordernd sein, oder sanft, weich und zärtlich. Wenn du magst, kann ich dir das morgen an deinem Rücken zeigen."
"Das machen wir!" sagte Julia entschlossen. "So fangen wir an, und dann warten wir ab, was passiert. Wann kann ich morgen kommen?"
"Sobald du die Hausaufgaben fertig hast. Einverstanden?"
"Natürlich, dann habe ich den Kopf frei für dich. Was machst du morgen früh?"
"Zum TÜV fahren und das Motorrad anmelden. Wir sind heute mit roten Nummern gefahren, aber ab morgen hat das Moped ein richtiges Nummernschild. Und dann... Mal sehen. Auf dich warten und an dich denken."
Julia küßte ihn verliebt. "Bin ich deine einzige Freundin?"
"Das bist du. Meine liebste und einzige Freundin."
"Ich zieh mir morgen was Leichteres an", flüsterte Julia. "Dann kannst du meinen Po einfacher streicheln."
"Hört sich verlockend an, aber mach nichts, was deine Eltern mißtrauisch werden läßt, sonst ist es schnell vorbei."
"Schon klar." Sie küßte ihn schnell. "Unter der normalen Kleidung, meinte ich."
"Schlaue Julia. Was möchtest du jetzt tun?"
"So bleiben." Sie kuschelte sich ein. "Bis ich gehen muß. Können wir - Nein, das frage ich dich morgen."
"Oder übermorgen."
"Nein, morgen. Hat mit den Herbstferien zu tun. Und jetzt Ruhe, ich will schmusen."
"Ja, Chef."

* * *

Als Julia um viertel vor elf nach Hause kam, betrat sie eine Eiskammer. Sie erschrak heftig, als sie die kalten Gesichter ihrer Eltern sah.
"Wo warst du?" fragte ihr Vater beherrscht. Julia wurde blaß.
"Bei - bei einem Mädchen aus meiner Klasse. Wieso?"
"Das war Lüge Nummer Eins." Ihr Vater riß sie am Handgelenk ins Wohnzimmer und drückte sie grob auf das Sofa. "Wo warst du?"
"Habe ich doch gesagt!" rief Julia verzweifelt. "Was soll das hier?"
"Wir haben erfahren", sagte ihre Mutter aufgebracht, "daß du den ganzen Tag bei einem Mann verbracht hast. Du sollst mit auf seinem Motorrad gefahren sein, und hast sehr viel Zeit in seiner Wohnung verbracht. Also zum letzten Mal: Wo warst du?"
Julia packte die Wut. Sie sprang auf und funkelte ihre Mutter an. "Wer hat das gesagt? Wer spioniert mir hinterher?"
"Das tut nichts zur Sache. Wo warst du?"
"Das tut sehr viel zur Sache!" Julia wurde blaß vor Wut. "Ich habe einem Nachbarn geholfen, ein schweres Motorrad zu reparieren. Eine 750er, die nicht mehr richtig lief. Als Dankeschön hat er mir ein Abendessen spendiert - Kartoffelsalat mit Würstchen - und mich auf der Testfahrt mitgenommen. Und jetzt will ich wissen, welcher geile alte Sack mir hinterher spioniert!"
"Mäßige bitte deine Sprache!" fuhr ihr Vater sie an. "Es war kein - niemand, der deiner Beschreibung entspricht, sondern jemand, der sich große Sorgen um dich macht."
"Aber sicher!" höhnte Julia. "Nur weil er bei mir nicht landen konnte, rächt er sich jetzt an mir."
"Was?" Nun wurden ihre Eltern blaß. "Was sagst du da?"
"Nichts." Julia atmete tief durch. "Es ist ja nichts passiert. Auf jeden Fall hat der Nachbar, wo ich war, nichts getan, was ich nicht wollte. Wir haben das Motorrad repariert, wir haben zu Abend gegessen, wir sind etwas herumgefahren. Er hat mir sogar eine vollständige Schutzkleidung gegeben, also Helm, Handschuhe, Stiefel und Lederkombi."
"Laß das jetzt mal weg", meinte ihr Vater irritiert. "Was war das mit: der konnte bei dir nicht landen?"
"Paps!" Julia legte ihren mitleidvollsten Blick auf. "Ich habe eine große Dummheit begangen, indem ich den Brief letzte Woche geschrieben habe. Daraufhin..." Sie zuckte mit den Schultern. "Jemand hat bei mir angerufen und mir bestimmte - Angebote gemacht. Sehr deutliche Angebote. Die ich natürlich abgelehnt habe. Er hat es noch mehrmals versucht, als ihr beide nicht da wart, und nun versucht er wohl, sich auf diese Art an mir zu rächen. Ziemlich primitiv und einfallslos." Ihr Herz schlug bis zum Hals, trotz ihrer äußerlichen Ruhe. Ihre Eltern schauten sich besorgt an.
"Wie bist du denn an diesen Motorradfahrer gekommen?" fragte ihre Mutter schließlich. Julia zuckte mit den Schultern.
"Durch Zufall. Ich bin was mit dem Rad gefahren und habe gesehen, wie er an seiner Maschine herumschraubte. Ich hab ihm was zugesehen, und als er mich fragte, ob ich Lust hätte, zu helfen, bin ich schnell nach Hause, hab mir alte Klamotten angezogen, mein Rad in die Garage gestellt und bin wieder zu ihm. Wir haben den Schwimmer im Vergaser getauscht, und den Zylinderkopf wieder aufgesetzt, die Krümmer angeschraubt, und sie lief. Das war mein Tag. Sehr viel aufregender als alle anderen bisher in dieser Gruft von Siedlung. Lars Beckersen - so heißt er - sagte, daß es kaum mehr Kinder in meinem Alter hier gibt. Das jüngste, so glaubt er, ist 15 oder 16. Wir haben Erdbeertorte gegessen und ganz schwachen Kaffee getrunken. Und eben das Motorrad repariert. Hat euch euer Spitzel nicht erzählt, daß ich mich freiwillig nackt ausgezogen und auf sein Motorrad gelegt habe?"
"Schluß jetzt mit dem Unsinn!" rief ihr Vater scharf.
"Wieso?" erwiderte Julia aufgebracht. "Das unterstellt ihr mir doch indirekt durch dieses Verhör! Ich glaube es ja nicht! Wird mir hinterher spioniert! Der kann morgen was erleben! Dem mache ich die Hölle heiß!"
"Du läßt Herrn Jensen in Ruhe!" explodierte ihr Vater. "Er hat sich nur Sorgen um dich gemacht!"
Julia lächelte siegessicher. "Jensen heißt er also. Danke, Paps. Das wollte ich nur wissen. Damit ist der Spitzel aufgeflogen."
"Sekunde!" Ihr Vater sah sie verwirrt an. "Heißt das, er hat dich gar nicht belästigt?"
"Genau das heißt es", grinste Julia. "Der zweite Brief - die Entschuldigung - war vollkommen sinnlos. Es hat niemand aufgrund der Briefe angerufen. Niemand hat mich belästigt oder mir bestimmte Angebote gemacht."
"Geh in dein Zimmer", sagte ihr Vater viel zu leise, um es nicht ernst zu nehmen. Wortlos drehte sich Julia herum und lief in ihr Zimmer. Sie warf die Tür zu und lehnte sich dagegen; ihr Herz schlug hart und schnell.
"Du Mistkerl!" flüsterte sie voller Zorn. "Du kannst was erleben, Jensen!"



Als Julia am nächsten Tag von der Schule kam, blinkte der Anrufbeantworter ihrer Eltern. Julia hörte ihn kurz ab und erfuhr, daß ihr Vater den Rest der Woche in Flensburg zu tun hatte und erst am Freitagabend wiederkommen würde. Sie zuckte die Achseln und ließ die Nachricht für ihre Mutter stehen.
Das gleiche Gerät in ihrem Zimmer zeigte ebenfalls eine Nachricht, aber sie blinkte nicht. Das bedeutete, daß auch sie bereits abgehört worden war. Julias Herz begann zu rasen, als sie daran dachte, daß ihre Mutter möglicherweise eine sehr vertrauliche Nachricht von Lars mitbekommen hatte. Ihr Mund war staubtrocken, als sie auf "Wiedergabe" drückte. Es war tatsächlich Lars.
"Hallo, Julia", sagte er in einer sehr neutralen, aber freundlichen Stimme. "Hier ist Lars Beckersen. Du hast mir gestern bei der Yamaha so toll geholfen, daß ich dich fragen wollte, ob du mir noch einmal helfen möchtest. Gegen vier Uhr heute nachmittag bekomme ich eine sehr kaputte Maschine, wo ich einige Tage mit zu tun haben werde. Wenn du magst, komm vorbei, und wenn du mir helfen möchtest, bekommst du auch etwas mehr als nur eine Mitfahrgelegenheit für einen Abend dafür. Ich dachte an zehn Mark die Stunde. Dann also vielleicht bis später, andernfalls noch einen schönen Tag."
"Mensch, Lars!" Julia stieß erleichtert den Atem aus, als sie realisierte, daß seine Nachricht vollkommen unschuldig und unverfänglich war. Sie wollte die Nachricht mit zitternden Fingern löschen, aber dann fiel ihr ein, daß es gerade diese Nachricht war, die ihre Eltern von der Harmlosigkeit ihrer Besuche bei Lars überzeugen konnten. Dabei dachte sie keinen Moment daran, das Angebot der zehn Mark pro Stunde anzunehmen; sie hatte eine andere "Entlohnung" im Sinn.
Putzmunter tanzte sie in die Küche, schaltete den Backofen aus, in dem ihr Essen stand, holte es mit zwei Topflappen heraus und schloß genußvoll die Augen, als der leckere Duft der mit viel Parmesan überbackenen Lasagne in ihre Nase zog. Es war eine Riesenportion; offenbar war ihr Vater schon seit dem Morgen weg. Sie trug die Auflaufform zum Tisch, wo bereits ein Brettchen bereitlag, stellte sie darauf und begann hungrig, die große Portion zu verkleinern.
Nachdem sie die Hälfte vertilgt hatte, gab sie auf. Gesättigt stellte sie die Schüssel zurück in den Ofen, räumte den Tisch ab, legte das benutzte Geschirr in den Geschirrspüler und stellte das Brettchen zurück, dann ging sie in ihr Zimmer, um die Hausaufgaben zu machen.
Sie beeilte sich und schaffte es, alles bis viertel vor vier vollständig und trotzdem sauber erledigt zu haben. Dann zog sie sich aus, schlüpfte in ihren dünnsten Hausanzug, zog sich darüber einen dicken Pulli und die alte Hose von gestern an und rannte los.
Zwei Minuten später kam sie atemlos bei Lars an, der schon gemütlich auf seinem Auto saß und wartete.
"Hallo!" rief er ihr zu, und leiser hinterher: "Nur die Hand!"
"Schon klar!" lachte sie, während sie langsam auf ihn zuging. "Bin doch nicht doof."
"Das habe ich auch nicht behauptet", sagte er lächelnd, während sie die Hände schüttelten. "Aber wenn du so verliebt bist wie ich, dann..."
"Bin ich", erwiderte sie mit roten Wangen. "Aber trotzdem weiß ich, daß wir vorsichtig sein müssen. Sagt dir der Name Jensen etwas?"
"Der aus Nummer 37? Sicher. Der steckt seine Nase in so viele Dinge, daß sie eigentlich schon kaputt sein müßte. Warum?"
"Weil er sie jetzt auch in meine Angelegenheiten steckt." Julia sah in aufgebracht an. "Der hat die Frechheit besessen, meine Eltern anzurufen, um ihnen mitzuteilen, daß ich den ganzen Tag gestern bei dir war."
"Paßt zu ihm", meinte Lars unbeeindruckt. "Sollen wir uns mal richtig dafür rächen?"
"Genau das habe ich vor." Julias Augen schossen Blitze ab. "Ich werde ein Hakenkreuz auf sein Haus sprayen."
"Darf ich dir davon abraten?" sagte Lars behutsam. "Das würde den Verdacht sofort auf dich lenken. Bist du mal so lieb und holst mir das kleine blaue Telefonbuch aus der Diele? Es liegt gleich neben dem Telefon."
"Bin schon weg!"
Sie lief los und kam wenig später mit dem Büchlein zurück. Lars schlug es auf und deutete auf eine Zeile, die sehr alt aussah.
"Diese Nummer habe ich vor zehn Jahren mal gebraucht", meinte er mit einem listigen Funkeln in den Augen. "Was hältst du davon, wenn wir ihm für heute abend, sieben Uhr, eine hübsche junge Dame ins Haus bestellen?"
"Lars!" Julia sah ihn aufgeregt an. "Hast du das vor, was ich hoffe, das du vorhast?"
"Ja." Er zwinkerte ihr zu. "Ich kenne die Inhaberin dieses - Geschäftes noch von früher. Ich habe eines ihrer Mädchen mal zwei Wochen vor der Polizei versteckt. Frag nicht nach Details; ich kann sie dir nicht verraten. Ich habe aber nichts mit ihr angefangen." Julia lächelte erleichtert.
"Ich denke, ich werde den Gefallen, den sie mir schuldet, heute mal aufbrauchen. Wollen wir?"
"O ja!" seufzte Julia glücklich. "Ist er verheiratet?"
"Das ist er. Sonst wäre es ja keine Rache."
"Geil!" Aufgeregt hüpfte Julia auf der Stelle. "Wann rufen wir an?"
"Sobald das Motorrad angekommen ist. Müßte gleich kommen."
"Ich weiß, was jetzt kommt." Julia sah angestrengt auf ein Auto, das sich näherte. "Lars, hast du Lust, meine Mutter kennenzulernen?"
"Warum nicht?" entgegnete er gelassen. "Ist sie das?"
"Ja." Julia seufzte leise. "Danke, daß deine Nachricht so unverfänglich war."
"Julia." Er sah sie nur an. "Glaubst du im Ernst, ich würde auf einen Anrufbeantworter im Haus deiner Eltern sprechen und sagen, wie sehr ich dich liebe? Daß mir gestern sehr gefallen hat, was wir getan haben? Ich bin auch nicht ganz doof."
"Anschiß angekommen", kicherte Julia. "Nur gut, daß wir so schlau sind." Sie winkte ihrer Mutter zu, die hinter der Einfahrt angehalten hatte und ausgestiegen war.
"Mutti! Hier!"
"Und das Moped kommt", meinte Lars. "Perfektes Timing. So werden alle Verdachte ausgeräumt. Halt bitte deine Mutter auf, Julia; wir brauchen die Einfahrt."
"Ist gut." Julia rannte los und redete schnell auf ihre Mutter ein, während ein Transporter auf der Straße hielt und rückwärts in die Einfahrt fuhr, von Lars dirigiert. Schließlich stand der Wagen, der Motor ging aus. Julia kam mit ihrer Mutter, die der ganzen Aktion mit schon sehr viel weniger Mißtrauen zusah, zu Lars, der zwei breite, schwere Bretter aus dem Transporter holte, um das Motorrad darüber herauszuschieben.
"Ach du Scheiße!" entfuhr Julia, als sie das ramponierte Motorrad sah. Die Sitzbank war zerfetzt, die beiden Auspuffrohre verschrammt und eingedrückt, der Lenker war schief. Der Tank schien in Ordnung zu sein.
"Julia!" rief ihre Mutter streng. "So etwas sagt man nicht!"
"Manchmal schon!" brummte der Fahrer des Wagens, der zusammen mit Lars die Maschine über das Brett rollen ließ, während sie auf dem anderen balancierten. "Zum Beispiel dann, wenn man sieht, was ein idiotischer Fahrer aus einem schönen Motorrad gemacht hat. Motor hin, Bremsen hin. Der Mensch ist sogar zu dumm, einen Rollstuhl zu fahren!"
"Laß gut sein, Peter!" lachte Lars. "Frau Birkeneck hat momentan bestimmt andere Sorgen. So, laß kommen!"
Er sprang von dem Brett und bremste das Motorrad von vorne, während Peter es hinten festhielt. Wenig später stand es in seiner ganzen ramponierten Schönheit in der Einfahrt.
"Armes Moped!" Julia strich zärtlich über den Tank. "Dich kriegen wir schon wieder hin."
"Danke dir, Peter." Lars drückte ihm dreihundert Mark in die Hand. "Abgemeldet?"
"Ja. Hier ist alles drin. Abmeldung, Brief, Schlüssel und Garantieunterlagen." Er gab Lars einen A4-Umschlag. "Der hat das Teil sauber kaputtgefahren, und Garantie auf Dummheit gibt's nicht. Da hat er das Ding stehenlassen und sich gleich 'ne neue gekauft. Aber der wird's auch nicht besser ergehen."
"So Leute gibt's. Guten Heimflug."
"Und dir viel Spaß." Er zwinkerte Lars zu, schwang sich wieder in sein Auto und fuhr ab. Lars legte den Umschlag auf den Sitz des Motorrades und wandte sich an Julias Mutter.
"Ich bitte um Entschuldigung, aber Peter hat einen engen Terminkalender. Seine Werkstatt ist voll bis obenhin. Sie sind bestimmt Frau Birkeneck."
"Richtig. Und Sie sind...?"
"Lars Beckersen. Sehr angenehm. Julia, legst du bitte schon einmal das Werkzeug zurecht? Der Knarrenkasten reicht erst mal."
"Mach ich!" Fröhlich hüpfte Julia in die Garage und lief zielsicher auf eine kleine Kiste zu.
"Sie hilft Ihnen tatsächlich?" fragte ihre Mutter erstaunt.
"Aber sicher!" gab Lars nicht minder erstaunt zurück. "Aus welchem Grund sollte sie sonst hier sein? Sie hat gestern nur Kleinigkeiten gemacht, aber ihre Freude war so groß, daß ich dachte, ich hole sie mal bei einer richtigen Aufgabe dazu."
"Wie haben Sie meine Tochter kennengelernt?" fragte Frau Birkeneck mit einem Blick auf das Motorrad.
"Sie ist hier durch die Gegend gestrolcht und hat mich wohl schimpfen und fluchen gehört", gestand Lars mit einem schiefen Grinsen. "Da wurde sie neugierig und kam näher, und noch bevor wir uns richtig bekanntgemacht hatten, saß sie schon neben mir und schraubte und schimpfte wie ich."
"Meine Tochter schraubte", wiederholte Frau Birkeneck tonlos.
"Mit sehr viel Hingabe und Talent. Schauen Sie."
Frau Birkeneck sah fassungslos zu, wie Julia mit einem merkwürdigen Werkzeug, dessen oberes Ende wackelte, einen blinkenden Ring am Auspuff löste und dann mit der Hand losdrehte. Es war nicht zu übersehen, daß es ihr sehr viel Spaß machte.
"Das habe ich gestern schon gemerkt." Lars führte Frau Birkeneck etwas zur Seite. "Julia ist das, was meine Eltern früher ein wildes Mädchen genannt haben. Ein Junge im Körper eines Mädchens. Sie hat Spaß an der Schule; deshalb müssen Sie sich keine Sorgen machen. Aber sie hat auch Spaß am Basteln. Schauen Sie sich das an!"
Julia griff in diesem Moment zielstrebig in die Werkzeugkiste, holte die Knarre und den passenden Aufsatz heraus, steckte beides fachmännisch zusammen und begann, die Krümmer am Zylinder abzuschrauben.
"Das fasse ich nicht", murmelte Frau Birkeneck. "Meine Tochter repariert ein Motorrad."
"Und das recht gekonnt. Frau Birkeneck, ich kann mir sehr gut vorstellen, welche Sorgen oder Befürchtungen Sie zu mir geführt haben. Aber Sie sehen, auf welcher Basis Julia bei mir ist. So war es auch gestern." Er hob lächelnd die Hand, als sie etwas sagen wollte.
"Der Brief. Bestimmt möchten Sie Julias Brief erwähnen. Aber glauben Sie mir, daß Julia mit ihrem neuen Hobby überhaupt kein Interesse mehr an einem Freund hat, und an einem erwachsenen schon einmal gar nicht. Sie sucht einfach nur Anerkennung, und die findet sie hier in Form der Freude, wenn das Motorrad später einmal läuft."
"Würden Sie ihr zutrauen, ein Damenrad zu zerstören, weil sie ein Rennrad haben will?"
"Ja", antwortete Lars sofort. "Der Typ ist sie. Ein Damenrad ist völlig unpassend für ihren Typ. Sie sucht das Abenteuer. Und was ist abenteuerlicher als ein kaputtes Motorrad zu reparieren und es später zu fahren? Auch wenn es nur als Sozia ist?"
"Das kann hinkommen. Sie hat es tatsächlich ab!" Perplex sah Frau Birkeneck zu, wie Julia den abmontierten Krümmer vorsichtig auf den Boden legte und Lars strahlend anlachte.
"Was jetzt?"
"Den Zylinderkopf, aber vorher -"
"Die Zündkabel markieren. Ich weiß!" Fröhlich sprang sie auf, um Klebeband zu holen.
"Das hat sie alles gestern gelernt?" fragte ihre Mutter ungläubig.
"Sie ist intelligent und besitzt eine rasche Auffassungsgabe. Außerdem halte ich nichts davon, meine Helfer nur zu Handreichungen zu verdonnern. Je mehr ich ihr erkläre, um so besser kann sie mir helfen."
"Was machen Sie beruflich?" Frau Birkeneck sah ihn mit anderen Augen als vorher an.
"Meinem Bruder und mir gehört die Kette namens Voss. Wir besitzen in jeder größeren deutschen Stadt Geschäfte, in denen wir das gesamte Motorradzubehör verkaufen. Wir haben das seit zwanzig Jahren aufgebaut und können nun so langsam die Früchte unserer Arbeit genießen, wie es so schön heißt."
"Beeindruckend. Wie hat das begonnen?"
"Mit fünf Geschäften, die wir von unserem Vater geerbt haben, der leider sehr früh verstorben ist. Darauf aufbauend haben wir uns nach und nach erweitert, und nach dreißig Geschäften kamen wir an den Punkt, wo nicht mehr wir nach neuen Filialen fragen mußten, sondern wo wir von bereits existierenden Händlern angesprochen wurden, die unter unserem Namen arbeiten wollten."
"Wie kam es denn zu dem Namen Voss?"
Lars lachte leise. "So hieß das erste Geschäft, das mein Vater gekauft hatte, mitsamt dem Namen. Der war wesentlich bekannter als Beckersen, und so ist es dabei geblieben. Eine nicht unübliche Praxis bei Geschäftsübernahmen."
"Ich weiß." Nachdenklich schaute sie auf ihre Tochter, die konzentriert eine Schraube nach der anderen löste und in diesem Moment den oberen Teil des Motors abnahm.
"Lars!" rief sie erschrocken. "Der rechte Kolben hat ein Loch!"
"Gut!" rief Lars erfreut aus. "Dann hast du das Problem schon gefunden."
"Ich lasse Sie mal alleine", sagte Frau Birkeneck lächelnd. "Anscheinend ist Julia hier in guten Händen."
"Nicht nur anscheinend", versicherte Lars ihr. "Sondern ganz bestimmt. Beobachten Sie Julia in den nächsten Tagen etwas mehr, und wenn Sie glauben, sie verändert sich zu ihrem Nachteil, sprechen Sie mich bitte sofort an." Er lächelte herzlich. "Aber bedenken Sie bitte auch, daß Selbstsicherheit und Unabhängigkeit nicht unbedingt nachteilig zu sehen sind."
Frau Birkeneck seufzte. "Sie sollte eine Dame werden, und nun hockt sie in ihren ältesten Klamotten auf dem Boden und wühlt mit beiden Händen in einem Motor herum. Ist das kein Nachteil, Herr Beckersen?"
"Es wäre einer, wenn Julia nur die Anlagen einer Dame in sich hätte. Aber in ihr steckt mehr. Sie hat Lust auf neue Erfahrungen und neues Wissen. Sie arbeitet gerne mit den Händen. Sie hat technisches Verständnis. Wenn sie nur eine Dame wäre, würde sie sich vor dieser Tätigkeit ekeln, eben weil sie sich dabei schmutzig macht. Aber so würde ich darauf wetten, daß aus ihr eine selbstsichere und starke Frau wird, sofern sie ihre gesamten Talente ausleben kann." Er lächelte entschuldigend.
"Ich habe keine Kinder, Frau Birkeneck. Ich war auch nie verheiratet. Ich habe nie die richtige Partnerin dafür gefunden. Aber ich weiß aus meiner jahrzehntelangen Erfahrung im Umgang mit Menschen, daß ein Mensch nur das werden kann, was in ihm steckt. Unser Vater zum Beispiel hat akzeptiert, daß ich früher in der Schule gehäkelt habe."
"Was?" unterbrach Frau Birkeneck ihn ungläubig lachend. "Sie haben gehäkelt?"
"Ja." Lars lächelte fröhlich. "Ich häkle noch heute. Die Decke, die in der Küche auf der Sitzbank liegt, ist von mir. Ich würde nie einen Wettbewerb im Häkeln gewinnen, aber es macht mir Spaß und beruhigt die Nerven. Früher wurde ich deswegen weibisch genannt, aber heute bin ich froh, daß mein Vater es einfach so hingenommen hat."
"Verrückte Welt", lachte sie. "Sie häkeln, und Julia bastelt an einem Motorrad. Muß ich das verstehen?"
"Vielleicht lernt Julia bei mir auch das Häkeln", schmunzelte Lars. "Wer kann das schon sagen."
"Na schön!" lachte sie. "Sie haben gewonnen. Julia kann bei Ihnen bleiben. Wie halten Sie das mit Abendessen?"
"Das bekommt sie hier, wenn Sie einverstanden sind. Es macht wenig Sinn, wenn sie sich wäscht und umzieht, um bei Ihnen zu essen, und sich dann wieder umzieht, um hier weiterzuarbeiten. Aber das überlasse ich ganz Ihnen."
"Einverstanden." Sie warf Julia, die die ganze Zeit gebannt zugehört hatte, einen besorgten, mütterlichen Blick zu. "Dir macht es wirklich Spaß?"
"Ja." Ihre Augen leuchteten so hell, daß ihre Mutter es akzeptieren mußte. "Ich weiß nur nicht, was wir jetzt machen müssen."
"Den Zylinder abnehmen, und das wird etwas schwierig."
"Vorher verabschiede ich mich." Frau Birkeneck drückte Lars' Hand und winkte Julia zu. "Viel Spaß noch."
"Danke!" strahlte Julia. "Den habe ich! Lars? Wie kriegen wir den jetzt runter?"
"Sofort." Er setzte sich zu ihr. Julias Mutter sah ihnen noch einen Moment zu, wie die beiden sich in den Motor vertieften, dann ging sie lächelnd und sehr beruhigt zurück zu ihrem Auto. Kurz darauf waren Julia und Lars allein.
"Geschafft", murmelte Lars.
"Hast du super gemacht", lächelte Julia. "Dafür bekommst du gleich eine Belohnung."
"Die habe ich dich schon. Du bist ja hier."
Julia schaute ihn verliebt an. "Ich liebe dich auch. Was kann ich jetzt machen?"
"Einen Block und einen Stift holen, wenn du so lieb wärst. Dann können wir gleich aufschreiben, was ich morgen kaufen muß."
"Bin sofort zurück!" Sie sprang auf und kam kurz darauf wieder. "Sag mal, kann ich morgen mit zum Einkaufen? Oder machst du das gleich morgens?"
"Morgens bestelle ich das telefonisch, und ab drei Uhr kann ich das abholen. Sicher kannst du mit, Julia. Jetzt aber los. Schreibst du bitte eben auf?"
"Sicher. Bereit!"
"Yamaha 350. Auspuffrohr rechts und links." Er musterte das Innenleben des Motorrades kritisch. "Zwei neue Kolben, vier - nein, mach acht Kolbenringe."
"Was ist das?"
"Zeige ich dir gleich. Hast du? Gut. Zylinderkopfdichtung. Zwei Zündkerzen. Eine Sitzbank. Lenker. Kupplungsgriff. Gabel... Nein, die hat er nicht geschafft. Die ist gerade. Scheinwerfer. Blinker links komplett. Schutzblech vorne. Reifen geht noch. Scheibenbremse vorne samt Belägen." Er ging kopfschüttelnd um das Motorrad herum.
"Den Fahrer möchte ich zu gerne mal in die Finger kriegen. Schau mal her, Julia." Sie stand auf und schaute auf den Gasgriff, auf den Lars deutete. "Der ist verzogen, also innen mehr gedreht als außen. Das deutet auf einen gasgeilen Fahrer hin, der die Maschine aufdreht, bis der Motor platzt. Und das bei gerade mal 6 000 Kilometern. Mehr hat die nicht drauf."
"Fast brandneu!" meinte Julia erschrocken. "Oder?"
"Genau. Das Gas aufgerissen bis zum Anschlag und dann noch mehr dran gezogen. Wenn der Motor seine 30- oder 40 000 drauf hat, wäre das normal, aber nicht bei gerade mal 6 000 Kilometern. Vom Einfahren hat der garantiert nie etwas gehört." Er lächelte, als Julia ihn fragend ansah.
"Ein Motor muß eingefahren werden, Julia, damit sich die ganzen beweglichen Teile aufeinander einspielen. Wenn jemand gleich von Anfang an mit Vollgas fährt - und das vermute ich hier stark - können sich die Teile nicht sauber abschleifen, und es kann neben Rissen im Zylinderblock auch zu dem führen, was wir hier haben: einem Kolbenfresser. So nennt man das. Machen wir weiter. Bremsscheibe hinten samt Belägen. Kette... Ja, die auch. Ist sicherer. Hinterrad ist in Ordnung." Seufzend vollendete er seine Runde und kam neben Julia zum Stehen. "Du hast alles?"
"Ja." Stolz zeigte sie ihm den Block.
"Gut. Legen wir los. Vielleicht kommt noch etwas dazu, wie Getriebe und Kupplung, aber das werden wir erst dann sehen, wenn die Kiste wieder läuft. Vielen Dank übrigens für dein Geschenk. Ich fand es süß."
Julia wurde flammend rot. "Mutti wäre ausgerastet, wenn sie das in der Wäsche gefunden hätte. Ich wußte nicht, wohin damit."
"Ich werde einen Rahmen kaufen und es aufhängen. Gleich in der Diele."
"Lars!" Ihre Gesichtsfarbe wurde noch dunkler. "Wenn du das machst, dann..."
"Dann?"
"Ach!" Wütend schaute sie auf den Motor. "Wie kriegen wir den ab?"
"Die Schrauben innen lösen. Die sind sehr lang. Ich habe dich wirklich sehr lieb, Julia. Das war nur ein Witz. Also das mit dem Rahmen; nicht der Satz, daß ich dich lieb habe."
"Gut, daß du das nachgeschoben hast." Sie lächelte ihn verliebt an. "Sonst hätte ich dich jetzt gebissen. Basteln wir hier draußen?"
"Nein, wir schieben die Maschine in die Garage. Ich mache eben Platz."
Wenig später stand die 750er an der Seite der Garage, und die 350er in der Mitte des freien Platzes. Julia trug die bereits abgeschraubten Teile in die Garage, während Lars eine nicht fusselnde Decke ausbreitete. Dann sorgte er für helle Beleuchtung.
Gegen sieben Uhr hatten sie alles abgeschraubt, was ersetzt werden mußte, und machten Schluß. Sie wuschen sich die Hände, dann zog sich Julia die dicken Sachen aus und deckte schon einmal den Tisch, während Lars sich ebenfalls etwas Leichteres anzog. Zehn Minuten später aßen sie gemütlich, räumten anschließend die Küche auf und gingen hinüber ins Wohnzimmer, wo Julia sich direkt auf seinen Schoß setzte und ihn anlächelte.
"Guten Tag, Lars."
"Guten Tag, Julia." Er schloß seine Arme um sie, zog sie an sich und erwiderte ihren leidenschaftlichen Kuß, bis sie beide außer Atem waren. Dann kuschelte sich Julia an ihn.
"Gibt es hier einen Platz, wo wir beide nebeneinander liegen können?" fragte sie leise, ohne ihn anzusehen. Lars drückte sie leicht an sich.
"Ja."
"Wo?"
"Oben."
Julia lachte leise. "Muß ich dich auf Knien bitten, daß wir dahin gehen?"
"Nein." Auch er mußte lachen. "Aber du müßtest es schon sagen."
"Lars?" fragte sie leise. "Gehen wir nach oben?"
"Wenn du das möchtest, gerne."
"Das möchte ich. Gehen wir."
"Warte." Er hielt sie fest, während er aufstand, und trug sie nach oben. Glücklich schmiegte sich Julia an ihn, bis er sie vorsichtig auf seinem breiten Bett absetzte. Doch anstatt ihn loszulassen, zog sie ihn auf sich und ließ sich dann fallen.
"Ich liebe dich!" flüsterte sie. "Mir ist kalt. Machst du mich warm?"
"Liebend gerne. Roll dich bitte auf den Bauch."
Julia drehte sich und legte sich lang in das Bett. Lars setzte sich neben sie und begann, sie vom Nacken bis zu den Füßen zu streicheln und zu massieren. Julia stieß wohlige Laute aus. Lars wollte sie gerade auf den Rücken drehen, als es an der Tür läutete. Julia fuhr auf.
"Das ist Mutti! Das spüre ich!"
"Dann los."
Sie liefen schnell hinunter. Julia raste in die Küche, um sich in Rekordzeit anzuziehen. Mitten im zweiten Klingeln öffnete Lars die Tür.
"Frau Birkeneck!" Er sah sie besorgt an; ihr Gesicht war verweint. "Ist etwas passiert?"
Sie nickte durcheinander. "Ein Unglücksfall in der Familie. Wo ist Julia?"
"In der Küche. Kommen Sie bitte herein."
"Nein, ich - Holen Sie sie bitte."
"Natürlich." Er wollte sich gerade umdrehen, als Julia ankam.
"Mutti! Was ist los?"
Ihre Mutter schüttelte den Kopf und blinzelte. "Julia, dein Vater... Ich kann jetzt nicht darüber reden. Wir müssen sofort los."
"Hatte er einen Unfall?" Julias Herz hämmerte vor Angst.
"Wir müssen los, Kind." Sie sah kurz zu Lars. "Es tut mir leid."
"Keine Ursache. Können Sie fahren, oder soll ich..."
"Nein, das geht schon. Vielen Dank."
Julia drehte sich schnell zu Lars. "Bis morgen dann. Wenn nicht, rufe ich an."
"Mach das", lächelte Lars. "Ich bin hier." Er sah ihnen nach, bis sie im Auto und losgefahren waren, dann schloß er besorgt die Tür.
"Was ist denn los?" fragte Julia beklommen, als ihre Mutter losfuhr.
"Später", schluchzte sie unterdrückt. "Das kam alles so plötzlich, Kind."
"Was denn?" Julia bekam Angst. Auch wenn sie kein besonders gutes Verhältnis zu ihren Eltern hatte, machte ihr die Möglichkeit, plötzlich ihren Vater zu verlieren, doch große Angst.
"Später, Julia. Bitte!"
Voller Angst sah Julia hinaus auf die dunklen Straßen. Ihre Mutter fuhr in Richtung Autobahn und dort nach Flensburg. Nun war Julia sich sicher, daß mit ihrem Vater etwas war. Sie hatte den Eindruck, ihr Herz säße im Hals; so stark pochte und klopfte es dort.
Nach insgesamt fast zwei Stunden Fahrzeit, in denen ihre Mutter immer wieder auf ein Blatt Papier schaute, wo die Route notiert war, hielten sie vor einem Gelände, das nach einer Privatklinik aussah. Das hohe, schmiedeeiserne Tor öffnete sich, und sie fuhren hindurch bis zu dem großen, altertümlichen Haus, zu dessen beiden Seiten lange und hohe Gebäude abgingen. Mit einem Knoten im Magen stieg Julia aus. Ein Flügel der großen, schweren Tür öffnete sich, und eine Frau Ende Dreißig kam heraus und auf Julia zu.
"Du bist Julia Birkeneck?" fragte sie freundlich. Julia nickte bang.
"Was ist mit meinem Vater?"
"Komm bitte mit, ich bringe dich zu ihm."
"Ich komme nach!" rief ihre Mutter. "Ich muß noch etwas ausladen."
Julia nickte und folgte der Frau in die Halle. Für die Schönheiten der Teppiche und Bilder hatte sie kein Auge. Die Frau ging zu einer Tür, auf der "Büro" stand, und öffnete sie, dann forderte sie Julia mit einem Lächeln auf, einzutreten. Julias Herz hämmerte, als sie in das Zimmer ging.
"Paps!" Erleichtert warf sie sich ihrem Vater an den Hals und drückte ihn stürmisch. "Bist du doch nicht verletzt?"
"Nein", sagte er kühl, ohne ihre Umarmung zu erwidern. "Setz dich bitte."
"Aber -"
"Setz dich!"
Julia fuhr unter seiner scharfen Stimme zusammen. Verwirrt ließ sie sich in einen der beiden Sessel fallen und entdeckte erst jetzt eine ältliche Frau hinter dem Schreibtisch, vor dem die Sessel standen.
"Was ist hier los?" fragte sie ängstlich. In diesem Moment kam ihre Mutter herein.
"Mutti! Was läuft hier?"
"Sei still!" fuhr ihr Vater sie an. "Julia, deine Mutter und ich haben uns gestern abend sehr viele Gedanken um deine weitere Entwicklung gemacht. Wir können es nicht hinnehmen, daß du ohne unser Wissen und Einverständnis alleinstehende erwachsene Männer besuchst und andere Männer, die dir überhaupt nichts getan haben, beschuldigst, sie hätten dir gewisse Angebote gemacht. Das zeugt von einer sehr großen Unreife, und deshalb habe ich mich heute bemüht, dieses Institut hier für dich zu finden. Frau Rosen" - er deutete auf die Frau hinter dem Schreibtisch, die Julia distanziert musterte - "hat sehr viel Erfahrung mit Mädchen deines Alters, die gewissen sexuellen Phantasien ausgeliefert sind, und du wirst bis zu deiner Volljährigkeit ihrer Aufsicht unterstellt werden." Bei diesen Worten brach Frau Birkeneck in Tränen aus, und Julia war wie vor den Kopf geschlagen.
"Bis... Paps!" Sie sprang auf, bleich wie der Tod. "Das kannst du nicht machen!"
"Doch, das kann ich sehr wohl machen. Du schreibst Briefe, in denen du dich Erwachsenen anbietest, du unterstellst einem unbescholtenen Mann, er hätte Verkehr mit seiner Nichte, du erfindest sexuelle Belästigungen, die niemals stattgefunden haben. Dieses Verhalten wird hier korrigiert werden. Du wirst einmal in der Woche mit einer Psychologin sprechen und hier im Haus unterrichtet werden. Du -"
"Ich will telefonieren!" Julias Stimme bebte. "Ich will einen Anwalt anrufen. Das kannst du nicht mit mir machen!"
"Neuankömmlinge dürfen im ersten halben Jahr keine Privatgespräche führen", sagte Frau Rosen kühl. "Je mehr Kooperationsbereitschaft du zeigst, um so mehr Vergünstigungen wirst du bekommen."
"Ich scheiße auf Ihre Vergünstigungen!" schrie Julia völlig außer sich. "Ich will sofort telefonieren! Sie können mich hier nicht einfach so einsperren! Das ist Freiheitsberaubung! Ich will einen Anwalt!"
"Ich sehe schon", seufzte Frau Rosen, zu den Eltern gewandt. "Am besten lassen Sie uns allein." Sie drückte einen Knopf auf ihrem Tisch, und sofort traten zwei kräftige Frauen ein. Julia begann, am ganzen Leib zu zittern, als ihr bewußt wurde, daß ihr freies Leben, so unglücklich es auch gewesen sein mochte, in diesem Moment endete und noch sehr viel mehr Unglück für sie bereithielt.
"Lars!" wimmerte sie, als die beiden Frauen sie unter den Armen griffen und hinausschleiften. Dann schrie sie gellend seinen Namen, wieder und wieder.
"LARS! LAAAARS!"







E N D E








Nachwort



Somit endet "Christina". Shana wollte ein glückliches Ende, an dem Julia in Lars' Armen liegt, aber das hätte nicht mehr zu ihrer negativen Einstellung gepaßt, und zu den Ansichten, die ihre Eltern von Erziehung haben, erst recht nicht. Es ist ein Grundgesetz des Lebens, daß negative Gedanken negative Geschehnisse anziehen, und Julia hat nun einmal eine negative Grundhaltung. Daher wäre ein glückliches Ende in ihrer Situation völlig unrealistisch und am Leben vorbei.

Anderslautende Meinungen können mir gerne geschickt werden :)




Chris Teil 4 - Julia Birkeneck (c) Shana 1998

 

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