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„Gleich sind wir durch“, sagte das blonde Mädchen. Sie sah verzweifelt aus. „Aber es wird nicht besser! Dahinter kommt der Hauptweg zum Schloss. Er ist mit spitzen, scharfkantigen Steinen geschottert. Das tut schrecklich weh an den bloßen Füßen. Erst wenn der Wald zu Ende ist, kommt ein weicher Sandweg, der durch die Wiesen zum Schloss führt.“ Der Untergrund wurde allmählich weniger morastig. Die in Ketten gehenden Kinder sanken nur noch bis zu den Knöcheln ein. Vor ihnen floss ein flacher klarer Bach quer über den Weg. „Der Sumpf ist zu Ende“, sprach das blonde Mädchen und schritt in den Bach. Christian und Saskia folgten ihr. Das saubere Wasser wusch ihre dreckigen Füße rein und spülte den Schlamm aus den Wunden. Dann kamen sie endlich auf festen Boden. Wie das blonde Mädchen gesagt hatte, war der Weg mit grobem, scharfkantigem Schotter belegt. Die Kinder hatten ihre liebe Mühe, mit bloßen Füßen darüber zu laufen. „Wenn ich mir jetzt die Füße an scharfen Steinen zerschneide, kann ich wirklich nicht mehr“, stöhnte Saskia. Sie torkelte weiter, so gut sie konnte. Immer wieder stieß sie kleine Schreie aus, wenn sie auf einen besonders spitzen Stein trat. Eine Ewigkeit schien der bösartige Weg anzudauern. Er nahm und nahm und nahm kein Ende. Saskia musste wieder weinen. Dann endete der Wald und der Weg wurde zu einem breiten Sandweg. Die Kinder seufzten erleichtert, als sie den wunderbar weichen Untergrund unter ihren geschundenen Sohlen spürten. Sie nahmen ihre letzten Kräfte zusammen und schleppten sich mit ihrer Last zum Schloss. „Ladet das Holz hinten vor dem Kücheneingang ab!“ befahl der Soldat. Er trieb die angeketteten Kinder ums Schloss herum zum Hintereingang. Dort gab es überdachte Holzlager. So müde die Kinder waren, sie mussten zuerst das Holz, dass sie hergetragen hatten, sauber aufstapeln. „Ich habe Hunger“, sagte Christian. „Kriegen wir hier denn nichts zu essen? Und wann nehmen die uns die Ketten ab?“ Das blonde Mädchen lachte. Es war ein verzweifelter Laut. „Essen? Wenn wir keine Mucken machen, erhalten wir nachher eine dünne Haferschleimsuppe und vielleicht ein bisschen vertrocknetes Brot und die Ketten wirst du von heute an für immer tragen. Die nimmt man dir erst ab, wenn du tot bist.“ „Nein!“ wisperte Saskia entgeistert. „Das halte ich nicht aus! Meine Fußgelenke sind ganz wund von den schweren Eisen! Ich bin sogar blutig! Und die Handgelenke tun mir auch unheimlich weh!“ „Das interessiert niemanden“, sagte das blonde Mädchen traurig. „Mir ging es am Anfang auch so. Man gewöhnt sich allmählich an den ständigen Schmerz. Ich bin schon zwei Jahre als Arbeitskind auf Schloss Reep. Die Ketten wurden mir am ersten Tag angelegt und seitdem muss ich sie tragen.“ „Das ist unmenschlich!“ sagte Christian ungläubig. „Unternimmt denn keiner was dagegen?“ „Was sollen wir armen wehrlosen Kinder denn schon dagegen unternehmen?“ fragte das Blondchen. Tränen traten ihr in die Augen. „Wenn ich mich wenigstens ein einziges Mal satt essen dürfte! Nur ein einziges Mal! Ich habe immer Hunger!“ Sie weinte bitterlich. Christian überlief es eiskalt. Was, wenn ihnen das gleiche Schicksal bevorstand? Was, wenn die kleinen Blumenelfen ihr Wort nicht hielten, oder nichts gegen die Hexenmagie ausrichten konnten, welche die Schlösser zu ihrem Hand- und Fußfesseln geschlossen hielt? Eine Frau mit stechenden Augen kam aus dem Hintereingang. Sie zeigte auf Saskia und das blonde Mädchen: „Du und du! Ihr tragt Feuerholz in die Küche! Der Bub soll euch helfen! Dalli-dalli!“ Christian, Saskia und das blonde Mädchen packten Feuerholz und schleppten es in die Schlossküche. Ihre schweren Fußketten klirrten und polterten laut auf dem Steinfußboden. „Huh! Ist der Boden kalt!“ sagte Saskia. Das blonde Mädchen lächelte schmerzlich: „Was meinst du, wie kalt es nachts wird! Wir schlafen draußen in den Kinderkäfigen. Wir werden alle angekettet. Als ob wir mit den schweren Fußeisen und den eisernen Handfesseln abhauen könnten! Nachts wird es eisig kalt draußen vorm Schloss und manchmal kommen wilde Tiere aus dem Wald bis nahe ans Schloss. Sie schleichen knurrend und geifernd vor den Kinderkäfigen auf und ab. Wenn das passiert, vergehe ich vor Angst. Ich fürchte, dass eines Tages so ein Tier es schafft, das Käfiggitter zu durchbrechen und zu uns reinkommt. Angekettet wie wir sind, können wir uns nicht wehren.“ „Wie heißt du eigentlich?“ wollte Saskia wissen. „Ich heiße Regina.“ „Wir sind Saskia und Christian.“ Plötzlich schnüffelte das Blondchen: „Oh riecht das gut!“ Christian schnüffelte auch: „Hmmm! Frisches Brot!“ „Ömmes!“ sagte das blonde Mädchen. „Eine Spezialität der Köchin Anitram. Es sind dunkle viereckige Brotlaibe, gebacken aus dreiviertel Roggenmehl und einem Viertel Weizenmehl und es sind noch mehr feine Körner mit gebacken.“ Ihre Hände krampften sich vor Hunger zusammen. „Was gäbe ich darum, nur eine einzige Scheibe essen zu dürfen!“ Sie reckte die zusammen geketteten Hände hoch: „Nur eine Scheibe!“ Die drei Kinder luden das Holz in eine große Kiste neben dem riesigen Herd. An der Wand stand ein Käfig. Plötzlich flatterte es. Erschrocken traten die Kinder zurück. „Uhuu!“ machte es im Käfig. Christian trat näher. In dem Käfig saß eine dicke braune Eule und schaute ihn aus großen Augen traurig an. „Eine Schleiereule“, rief er. „Hrmpf! Sumpfohreule, wenn ich bitten darf“, sprach die Eule. Saskia kam angehumpelt: „Eine sprechende Eule. So eine sah ich noch nie. Du kannst wirklich sprechen?“ „Natürlich“, antwortete die Eule. „Du kannst es doch auch! Uhuu!“ Wieder blickte sie traurig. „Warum heulst du so?“ fragte Christian mitleidig. „Wegen der Köchin Anitram“, erklärte die blonde Regina. „Aus dem Hirn der Eule macht sie ihre ekelhaften Zaubersalben und sie liebt Eulenbraten.“ „Wie gemein!“ rief Saskia. „Die arme Eule!“ „Sie wird sie bei lebendigem Leib rupfen“, sagte Regina. „Dann drischt sie ihr den Schädel ein und holt das Gehirn raus. Dann gibt’s Eulenbraten.“ „Uhuu!“ machte die gefangene Sumpfohreule unglücklich. „Ich will nicht gefressen werden! Und schon gar nicht will ich gebraten werden! Uhuu!“ „Wir können dir nicht helfen arme Eule“, sprach die blonde Regina. „Wir sind selber Gefangene. Sieh doch!“ Sie hielt ihre aneinander geketteten Hände hoch. „Anitram hat die Schlösser unserer eisernen Fesseln verflucht. Sie ist nämlich eine Hexe. Niemand kann gegen sie ankommen. Höchstens die Hakenmänner, aber die sind wohl kaum auf der Seite armer gefangener Kinder.“ „Aber zwei Kinder klein werden die Macht von Hakylos dem Spinnendämon brechen“, sprach die Sumpfohreule. „So steht es geschrieben.“ „Wie wollen Kinder gegen solch eine Kreatur siegen?“ fragte Christian zweifelnd. Die dicke Eule grinste: „Er wird sich selber besiegen im Moment seines größten Sieges, heißt es. Die Kinder müssen in seine Hand fallen und dadurch wird seine Macht gebrochen.“ Sie glotzte mit großen runden Augen durchs Gitter ihres Käfigs: „Könnt ihr mich nicht befreien liebe Kinder? Ich habe keine Lust, enthirnt und gebraten zu werden.“ Saskia fasste durch die Gitterstäbe und kraulte den dicken Vogel. „Wenn ich könnte, ich würde dir helfen“, sagte sie leise. „Uhuuu!“ wimmerte die Eule. „Danke für deine Freundlichkeit Menschenmädchen.“ Sie rückte ganz nahe ans Gitter: „Gleich kommt die fiese Anitram. Holt euch schnell ein paar Ömmes-Laibe! Ich sorge dafür, dass sie es nicht merkt! Das Brot liegt dort hinten auf den Regalen zum Abkühlen. Rasch Kinder! Greift zu!“ „Oh Gott! Ich trau mich nicht“, wisperte die blonde Regina erschrocken. Ihre Augen waren geweitet vor Angst. „Du hast doch Hunger oder nicht?“ zischte Christian. „Los komm!“ Die drei Kinder humpelten so schnell es ihre zusammen geketteten Füße zuließen zu den Regalen. Jedes von ihnen stopfte sich drei Brotlaibe unter seine Lumpen. „Was macht ihr da?“ gellte eine schrille Stimme durch die Küche. „Was habt ihr dort hinten verloren? Finger weg vom Brot! Das ist nicht für euch!“ Die Kinder fuhren herum. In der Tür stand Anitram die Köchin. Die Augen der Hexe verengten sich: „Habt ihr etwa Brot gestohlen?“ Sie machte einen Schritt auf die drei total verängstigten Kinder zu. In diesem Moment begann die Sumpfohreule in ihrem Käfig ein Mordsspektakel zu veranstalten. Sie zappelte und flatterte und sie schrie so laut, dass einem die Ohren davon wehtaten. „Iiiiieeeck! Iiiiieck! Iiieeeeeck!“ Die Köchin lief zum Käfig. „Wirst du wohl AUF DER STELLE mit diesem schrillen Gekreische aufhören, du dämlicher Vogel!“ brüllte sie und schlug mit der flachen Hand auf den Deckel des Käfigs. Die Eule schrie und tobte noch mehr. „Ruhe du Mistvogel! Ruhe!“ Schnell verzogen sich Saskia, Christian und Regina nach draußen. „Weg mit dem Zeugs, bevor es einer merkt!“ rief Christian. Er begann seine Brotlaibe zu zerreißen und reichte die Stücke an die anderen Arbeitskinder weiter. Wie hungrige Tauben wuselten sie um die die drei erfolgreichen Brotdiebe herum. Es war nicht viel Brot, aber jedes Kind wurde einigermaßen satt. Als die Hexe Anitram aus dem Hinterausgang heraus geschossen kam, glotzten die Kinder Löcher in die Luft. Niemand konnte ihnen etwas beweisen. Anitram kochte vor Wut. Sie ahnte, dass man sie vergackeiert hatte, aber sie hatte keinen Beweis. Wütend dampfte sie davon.
48. Teil) (für Ramonika)
Angekettet
So schnell wollte Anitram nicht aufgeben. „Was steht ihr herum wie Ölgötzen?“ keifte sie und stemmte die Fäuste in die Hüften. „Arbeitet! Los! Das Holz aufschichten. Aber vorher klein hacken. Ein bisschen plötzlich, sonst gibt es kein Abendessen.“ Letzteres war ausnahmsweise einmal eine leere Drohung, die bei den Kindern nicht zog, aber sie hatten natürlich viel zu viel Angst vor der Köchin und den Soldaten des Junker van Reep. Schnell machten sie sich an die Arbeit. Es war sehr mühsam, in schwere Eisenketten gelegt zu arbeiten. Als Saskia Feuerholz in die Küche schleppte, sah sie Anitram vor dem Käfig stehen. „Na fettes Eulchen“, sagte die Köchin grinsend. „Bald geht es dir an den Kragen. Hihi!“ Wie gemein!, dachte Sassi empört. Die macht der armen Eule auch noch absichtlich Angst! Was für eine eklige Frau! Sie sah zu, dass sie schnell wieder rauskam. Beim Holzhacken wurde Reginas Gesicht ganz leer. Ihre blauen Augen schauten in die Ferne, aber die sahen nichts. „Regina was hast du?“ fragte Christian das Mädchen. „Nichts“, erwiderte Regina leise. „Was soll ich schon haben? Heimweh! Sehnsucht! Wie gerne würde ich einmal wieder frei und unbeschwert über eine Wiese laufen ohne diese entsetzlichen Ketten.“ Sie schaute Christian an. „Aber ich werde die Ketten tragen, bis ich sterbe.“ Eine Träne rann ihr die Wange hinab. Sie sah erbarmungswürdig aus. Christian fühlte sich furchtbar schlecht. Gerne hätte er Regina von den beiden Blumenelfen und ihrem Versprechen erzählt, aber was, wenn Ramonika ihnen nicht helfen konnte? Es wäre zu grausam gewesen, dem blonden Mädchen umsonst Hoffnungen zu machen. Aber er nahm sich vor, das Schloss nicht ohne die anderen Kinder zu verlassen. Als sie gerade beim Holzaufschichten waren, näherte sich Pferdegetrappel. Es war Junker van Reep mit seinem Gefolge. Hocherhobenen Hauptes ritt er an den Arbeitskindern vorbei. Solchen Abschaum würdigte er keines Blickes. Doch plötzlich zügelte er sein Pferd. Eine ungute Stille breitete sich aus. Christian schaute auf. Der Junker saß hoch zu Ross genau vor ihm und Saskia. Er zeigte mit dem ausgestreckten Finger. „Diese beiden Kinder! Die wie Zwillinge beieinander stehen! Führt sie her!“ Einige Soldaten saßen ab und schleppten Saskia und Christian zu dem Adligen. Der Junker musterte die beiden Kinder mit kalten Augen. „Die Klamotten runter!“ bellte er. „Ich will ihre Schultern sehen!“ Die Soldaten rissen Chris und Sassi die Fetzen, die sie am Leib trugen von den Schultern herunter. Der Junker trieb sein riesiges Pferd näher und starrte die Schultern der Kinder an. Seine Augen weiteten sich. „Beim Großen Waldgeist! Beide tragen das gleiche Mal auf der linken Schulter! Sie sind es!“ Er richtete sich auf. „Bewacht mir diese zwei besonders gut!“ befahl er. „Ich mache die Wachen persönlich für sie verantwortlich. Wenn sie entkommen, seid ihr reif für den Kerker!“ „Wie sollen die denn entkommen?“ witzelte der Hauptmann der Soldaten. „Sie tragen fünfzehn Kilo Eisen an Händen und Füßen.“ „Mache er keine Scherze“, zischte Junker van Reep. „Bewache er mir die Kinder gut.“ Er zeigte auf einen Soldaten: „Du!“ Der Soldat trat vor: „Ja Hoheit?“ „Du reitest zum östlichen Waldrand und berichtest den Hakenmännern, dass wir die Kinder haben, die Hakylos sucht.“ Der Soldat sah aus, als würde er sich gleich vor Angst in die Hosen brunzen. „Herr! Bitte nicht! Schickt mich nicht allein und schutzlos zu den Hakenmännern!“ heulte er und begann zu flennen. „Du erbärmliche Memme!“ fluchte der Junker. „Drei Mann sollen dich begleiten! Tragt eine rote Fahne mit euch, dann geschieht euch nichts! Hakylos wird euch mit Gold überhäufen für die gute Nachricht, die ihr ihm überbringt! Reitet auf der Stelle los!“ Junker van Reep bestimmte drei weitere Soldaten, die den ersten begleiten sollten. „Sagt den Hakenmännern, die beiden Kinder tragen das gleiche Mal auf der linken Schulter. Sie werden Bescheid wissen.“ „Ja Hoheit“, greinten die Soldaten ängstlich. Sie schlotterten vor Angst. Als die Arbeitskinder später mit einem Schüsselchen Haferschleimsuppe auf dem Boden zusammen hockten, dachte Christian laut über das Geschehene nach. „Was meint der Junker mit dem Mal?“ „Er meint das Muttermal auf deiner Schulter“, sagte Saskia und löffelte hastig ihre Suppe. „Ich habe genau das gleiche. Ist schon seltsam, findest du nicht?“ Sie wirkte bedrückt. „Er hat nach den Hakenmännern schicken lassen. Das sieht nicht gut aus. Christian, ich habe Angst.“ „Ich auch“, gab der Junge zu. „Und wie!“ Kaum hatten sie gegessen, kamen einige Wachsoldaten und trieben die Arbeitskinder zusammen. „Ab in die Käfige!“ brüllten sie und schlugen mit Lederriemen auf die Kinder ein, die nicht schnell genug liefen. Unter Kettengeklirre humpelten die kleinen Gefangenen in die Käfige. Christian und Saskia wurden mit Regina und einigen anderen Kindern in einen Käfig aus Eisenstangen gedrängt. Die Soldaten warfen sie roh auf die Knie und drückten sie gegen das hintere Gitter, das sich nahe der Außenmauer des Schlosses befand. Ohne Rücksicht rissen sie die zusammengeketteten Hände der Kinder hoch und hängten sie in Höhe des Kinns an große Ösen am Geländer. Mit groben Vorhängeschlössern sicherten sie die Fessel. Dann verließen sie den Käfig und warfen die Tür knallend hinter sich zu. Sie sperrten die Tür ab und trollten sich. „Soll das heißen, dass wir kniend schlafen müssen?“ fragte Christian. „Dürfen wir uns nicht mal hinlegen und gegen die nächtliche Kälte aneinander kuscheln?“ „Nein“, antwortete Regina. „Wir werden immer ans Gitter gehängt. Ich bin es schon gar nicht mehr anders gewohnt.“ „So kann man doch nicht schlafen“, jammerte Saskia. Tränen schossen ihr in die Augen „Das tut weh! Das halte ich nicht aus bis morgen früh!“ „Du wirst es aushalten“, sprach Regina traurig, „weil dir keine andere Wahl bleibt. Von heute an wirst du immer so schlafen Saskia.“ „Oh nein!“ weinte Saskia und lehnte den Kopf ans Gitter. „Bitte nicht!“
49. Teil) (für Ramonika)
Die Flucht
Die Nacht senkte sich auf Schloss Reep herab. Oben auf dem Rundgang zündeten die Wachen Fackeln an. Unten vor den Schlossmauern war es dunkel in den Kinderkäfigen. Der Fackelschein drang fast nicht bis zum Boden vor. „Wir ist kalt“, sagte Saskia weinend. Sie bibberte. „Das Eisen ist so furchtbar kalt.“ „Es wird noch viel kälter“, sagte Regina, die neben ihr am Gitter hing. „Noch viel kälter!“ Sie weinte nicht. Sie hatte keine Tränen mehr. Oben tappte ein Wachsoldat entlang. Seine Waffen klirrten leise und das Leder seiner Rüstung knarrte laut in der nächtlichen Dunkelheit. „Chris?“ flüsterte Saskia. „Ja Sassi?“ „Wann kommen die Hakenmänner?“ „Ich weiß es nicht. Wenn sie hören, dass die Kinder, die sie haben wollen, hier beim Schloss sind, werden sie sich gewiss beeilen.“ „Wo bleiben die Elfen?“ fragte Saskia schüchtern. „Was tun wir, wenn sie nicht kommen? Wenn sie keinen Zauber mitbringen?“ „Ich weiß nicht Sassi“, antwortete Christian niedergeschlagen. Er richtete sich ein wenig auf, um den Zug von seinen Armen zu nehmen. Die Handeisen rieben schmerzhaft an seinen Gelenken. Ihm war kalt. „Du musst einfach dran glauben, dass sie kommen und uns helfen.“ „J … ja“, fiepte Saskia. In ihrer Stimme schwangen Tränen mit. „Mir t … tun die Fesseln so weh, Christian! Ich weiß nicht, wie ich mich hinknien soll. Vor allem an den Fußgelenken habe ich Schmerzen. Ich wage gar nicht dran zu denken, dass es schief gehen könnte. Dann müsste ich die schrecklichen Eisen für immer tragen.“ Sie schniefte leise vor sich hin. Plötzlich summte etwas vor Saskias Gesicht in der Luft. Ein winziges Laternchen erstrahlte. „Weine nicht, Menschenmädchen“, rief ein feines Stimmchen. „Wir sind da.“ Es waren Ramonika und ihr Bruder. „Wir haben einen Zauber, mit dem wir den Fluch der Hexe Anitram knacken können“, verkündete der Bub stolz. „Vom Oberelf persönlich. Wir befreien euch!“ Ringsum begann es zu klirren und zu klappern, als die übrigen Kinder sich in ihren Ketten aufrichteten und zu Saskia und Christian hinschauten. „Nehmt uns mit, bitte!“ flehten sie inständig. „Bitte lasst auch uns frei. Bitte!“ „Nicht so laut!“ zischte Christian verzweifelt. „Macht nicht so einen Radau!“ Schon liefen oben auf dem Rundgang die Wachen zusammen. „Was ist da unten los?“ brüllte einer der Soldaten. „Hier sind Ratten!“ rief Christian geistesgegenwärtig. „Ganz dicke fette! Die laufen uns über die nackten Füße! Kommt sofort runter und helft uns!“ Lautes Lachen dröhnte zu ihnen herab. „Helft euch selber. Wer kümmert sich schon um Arbeitskinder! Gute Nacht und viel Spaß mit den kleinen Rättchen! Hahahaaa!“ „Jetzt denken die, wir machen Geräusche wegen der Ratten“, flüsterte Christian. „Dann merken sie nicht, wenn wir abhauen.“ Er schaute Ramonika ernst an: „Bitte befrei auch die anderen Kinder liebe Elfe. Ohne sie könnte ich nicht von hier weggehen.“ Die Blumenelfe schaute ihn lange schweigend an. Sie schien nachzudenken. „Ist gut“, sprach sie schließlich. „Wir machen es.“ Zusammen mit ihrem kleinen Bruder machte sie sich daran, die Schlösser an den eisernen Hand und Fußfesseln der Kinder zu öffnen. Es dauerte immer eine Zeitlang, bis die magischen Formeln wirkten, die sie dazu herunter beten mussten. Christian und Saskia saßen wie auf glühenden Kohlen. Sie wussten, dass jeden Moment die vier Soldaten mit den Hakenmännern aus dem Wald kommen konnten. Doch sie wollten ihre Schicksalsgefährten nicht allein lassen. Und welch ein Anblick war es, im düsteren orangefarbenen Schein der Fackeln Reginas Augen aufleuchten zu sehen, als die Blumenelfen ihr nach zwei Jahren des Leidens die Eisenangeln abnahmen. „Danke“, sagte das Mädchen weinend. „Danke! Vielen Dank, dass ich mich befreit.“ Die Eisen hatten Spuren auf ihren Hand- und Fußgelenken hinterlassen; Narben und Abschürfungen. Als sie mit ihren Rettern zu den nächsten angeketteten Kindern lief, konnte sie gar nicht mehr richtig gehen, weil sie seit zwei Jahren dran gewöhnt war, nur kleine Schritte zu machen und sie immer die schwere Kette zwischen ihren Füßen hatte mitschleifen müssen. Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis alle Kinder frei waren. „Die Eule auch noch!“ verlangte Saskia. „Wir können das arme Tierchen nicht im Käfig lassen. Also wurde auch noch die dicke Eule befreit. Leise schlichen sie nach draußen. Ramonika und ihr Bruder saßen auf einem Pilz im Gras. Saskia kniete vor ihnen nieder: „Was ist mit euch?“ „Sie sind vollkommen entkräftet“, sprach die Sumpfohreule. „Das lange Zaubern hat sie kaputt gemacht. Die können keinen Meter mehr fliegen. Sie müssen sich erst erholen.“ „Das tut mir leid“, flüsterte Saskia erschrocken. „Das haben wir doch nicht gewusst.“ Sie streichelte die zwei Elfen vorsichtig mit dem Zeigefinger. „Warum habt ihr nichts gesagt?“ „Ist gegen die Elfenehre“, verkündete die Eule. „Die sterben lieber, als solches zuzugeben. ACHTUNG! ARSCHLOCH-ALARM!!!“ Sie flatterte hastig auf. „Soldaten!“ Aus einer Seitentür kamen zwei Soldaten. „Die Arbeitskinder fliehen!“ schrieen sie. Direkt hinter ihnen kam der Junker van Reep im Nachthemd mit Nachtmütze auf dem Kopf: „Dachte ich es mir doch! Wie gut, dass ich Befehl gab, nachzusehen!“ plärrte er. „Fangt sie ein! Los! Schnell!“ Aufschreiend stoben die Kinder nach allen Richtungen davon. Aber mit Stieben war nicht viel. Weil sie so lange Ketten getragen hatten, konnten sie nicht schnell rennen. Schon grabschten die zwei Soldaten nach Jungen und Mädchen. „Hilfe!“ schrieen die Kinder verzweifelt. „Hilfe. Helft uns!“ Da raste die Eule wie ein angreifender Jabo auf die Soldaten los. Sie trugen wohl schwere Rüstungen, aber es gab durchaus Stellen am Körper, die nicht so gut geschützt waren. „Iiieh!“ Sie hat mir in den Piephahn gezwickt!“ kreischte ein Soldat und fummelte unter seinem Brustharnisch herum. „Mein Piephaaahn!“ „Mein Helm!“ brüllte der andere wütend. „Gib sofort meinen Helm her, du Sauvogel, du!“ Die Eule ließ den Helm ins Gras fallen und hockte sich hinein. Für einen Moment wurden ihre Augen ganz dick. Dann flatterte sie davon. Der Soldat stürmte heran und hob den Helm auf. Im Rennen setzte er ihn sich auf. „Aua!“ heulte sein Kamerad. „Sie hat mir schon wieder in den Piephahn gehackt Auuu!“ „Männer zu mir!“ befahl Junker van Reep und grabschte sich Saskia. „Ha! Hab dich! Helft mir, den Jungen zu fangen! Die anderen Kinder sind unwichtig!“ „Mein Piephahn!“ heulte der eine Soldat. „Aua, mein Piephahn! Auuuu!“ „Ich hab Eulenkacke in den Augen!“ schrie der andere und fuchtelte mit den Armen wie ein Blinder. „Du bleibst da!“ fauchte der Junker und hielt Saskia fest. Seine Hände waren wie Schraubstöcke. „Hilfe! Chris!“ schrie Saskia entsetzt. Da war die Eule heran. „Oh welch hübsches Nachthemdlein“, flötete sie und landete im Rücken des Junker. Sie verkrallte sich im Stoff und ließ ihren Körper nach unten fallen. „Und hack! Und HACK!“ Sie hackte dem Junker herzhaft in die nackigen Arschbacken. Aufkreischend ließ der auf solch perfide Art Angegriffene seine Beute fahren. Sofort rannte Saskia mit Christian davon. „Haha!“ schrie die Eule triumphierend und umkreiste den Junker in sicherer Entfernung. „Wenn dich ein Indianer nach deinem Namen fragt, so antworte ihm: Mein Name ist „DREI ARSCHLÖCHER“! Jiiihah!“ Sie schoss davon und verschwamm mit der Nacht. Saskia hielt mitten im Lauf inne: „Die Elfen!“ Schon rannte sie zurück, Christian hinterher. Die zwei Elfchen saßen noch immer müde auf ihrem Pilz. Sassi und Chris schnappten sich je eins und dann gaben sie Fersengeld. Das Schloss verwandelte sich derweil in ein Wespennest. Aus allen Löchern quollen bis an die Zähne bewaffnete Soldaten heraus. „Fangt sie ein!“ schrie Junker van Reep. „Fangt die zwei besonderen Kinder! Ich zahle dem, der sie fängt einen ganzen Beutel voller Gold!“ Plötzlich kam die Köchin aus dem Schloss. „Meine Eule! Meine schöne dicke Eule ist weg! Diese Diebe! Fangt sie! Fangt sie alle!“ Die Kinder liefen in die Dunkelheit hinaus. „Wir sollten uns in kleine Gruppen aufteilen“, rief ein Junge. „So haben wir bessere Chancen.“ Sofort teilte sich die große Gruppe Kinder. Regina hielt Saskia und Christian fest. „Ich verlasse euch nun“, sagte sie und rang nach Atem. Sie war Rennen nicht mehr gewohnt. „Ich wünsche euch alles Glück der Erde. Ich bin euch so dankbar, dass ihr mich befreit habt, das kann ich euch gar nicht sagen. Nehmt euch vor den Hakenmännern in Acht! Sie suchen euch. Schon lange treiben sie sich nachts beim Schloss herum und manchmal kamen auch Abgesandte von ihnen heimlich während der Dunkelheit zu Junker van Reep. Ich weiß nicht, was die Hakenleute von euch wollen, aber seid auf der Hut. Nochmals vielen Dank.“ Damit rannte das blonde Mädchen davon. Eine Weile hörten sie noch das Patschen ihrer nackten Füße auf dem Boden, dann waren Christian, Saskia und die beiden Elfen allein. Die Eule kreiste über ihnen und hielt Wache. „Wo sollen wir hin?“ fragte Saskia ängstlich. „Wir gehen in den Wald“, bestimmte Christian. Saskias Augen wurden riesengroß: „In den WALD? Aber dort sind Ungeheuer und die Hakenmänner!“ „Sie werden überall nach uns suchen“, sagte Christian. „Bloß nicht im verfluchten Wald. Wir haben ja die Elfenschellen.“ „Oh nein“, jammerte Saskia. „Nicht schon wieder Eisen an Händen und Füßen!“
50. Teil) (für Ramonika)
Im verfluchten Wald
Christian und Saskia rannten zum Waldrand. Bei den ersten Bäumen hielten sie an. „Wir können die beiden Blumenelfen nicht mit rein nehmen“, keuchte Christian. „Sie sind ja nicht durch die magischen Elfenhandschellen geschützt.“ „Aber wir können sie auch nicht einfach hier auf der Wiese lassen“, rief Saskia entsetzt. „Die Armen! Sie sind so erschöpft. Sie können doch nicht fliegen.“ „Ich mach das schon“, rief die Sumpfohreule von oben. Sie legte einen eleganten Sturzflug hin und landete auf dem Boden. „Sie können auf mir reiten. Die zwei Minis spür ich gar nicht.“ Die Eule grinste zufrieden. „Das ist das Mindeste, was ich zum Dank tun kann. Ich werde auf immer in eurer Schuld stehen.“ Die Kinder setzten die beiden Elfchen auf den Rücken der Eule und der Nachtvogel hob ab und flog davon. „Auf Wiedersehen“, rief es noch einmal, dann verschluckte die Dunkelheit die Eule. „Komm Sassi“, sagte Christian und zog Saskia an der Hand hinter sich her. „Wir müssen in den Wald. Dort hinten kommen schon die berittenen Soldaten des Junker van Reep.“ „Ich hab so Angst vor diesem Wald“, sagte Saskia. Sie schaute sich unbehaglich um. „Du hast doch gehört, dass dort Ungeheuer hausen.“ „Nur ein Stückchen Sassi“, tröstete Christian seine Freundin und zog sie ins dichte Unterholz. Hundert Meter vom Waldrand weg fanden sei eine moosige Mulde unter einem umgestürzten Baumriesen. Dort legten sie sich zum Schlafen nieder. „Schon wieder in Ketten“, jammerte Saskia und hielt Christian die Hände hin. „Mir tut noch alles weh!“ Mit äußerster Vorsicht legte Chris ihr die Handschellen an. Dann ließ er ein zweites Paar um Saskias Fußgelenke schnappen. Das Mädchen verschwand. Nachdem Christian sich selber auch Elfenhandschellen angelegt hatte, kuschelte er sich neben Saskia in die weiche Mulde. „Schlaf gut, Sassi. Morgen sieht alles schon viel besser aus.“ „Ich glaube nicht, Chris“, flüsterte Saskia. „Hast du nicht gehört, dass man uns sucht? Es ist wegen unseres Muttermals. Was hat das zu bedeuten?“ „Ich weiß nicht“, wisperte Christian. „Vielleicht finden wir es raus.“ Aneinandergekuschelt schliefen sie ein.
Es war warm und wir pennten doch tatsächlich ein. Es war das unglaublichste Gefühl der Welt, wach zu werden und an Händen und Füßen metallene Handschellen zu tragen. Zuerst dachte ich doch glatt, ich sei echt in Kettingen. Sassi lag nebe mir zusammengerollt. Wenn sie sich bewegte, klirrten ihre Handschellen leise. Ich sperrte meine Handschellen auf, erhob mich und reckte und streckte mich. Saskia kniete am Boden. Sie sah zum Sterben lieb aus, wie sie da kniete mit den Handschellen an Hand- und Fußgelenken. Sie schaute wieder so traurig. „Was ist mit dir Sassi?“ fragte ich. „Ich muss dauernd an Barbara denken“, sagte sie leise. „Wir waren gemein zu ihr. Sie hatte so Angst.“ Ich kniete neben Saskia und legte einen Arm um sie: „Wir waren nicht halb so gemein wie Bärbel es war.“ „Aber sie hatte Angst“, beharrte Saskia. „Die hat sie sich selber gemacht“, hielt ich dagegen. Sie lehnte sich an mich, drückte mir die zusammen gefesselten Hände gegen die Brust. Die Handschellen klirrten leise. Sie schaute mich sehr ernst an: „Trotzdem war es nicht schön, was wir gemacht haben. Ich habe ein so schlechtes Gewissen. Ich möchte mich bei Bärbel entschuldigen.“ Bei jedem anderen wäre ich vor Entrüstung an die Decke gegangen. Aber nicht bei Sassi! „Dann laufen wir mal los. Sicher ist sie noch auf dem Campingplatz.“ „Ja?“ Augenblicklich kehrte das Lächeln in Saskias Gesicht zurück. „Ja“, sagte ich. „Da musst du aber meine Füße losmachen, damit ich schneller gehen kann.“ Sie ließ sich nach hinten fallen und streckte mir ihre nackten Füße entgegen. Ich nahm das Schlüsselchen und schloss ihre Fußfesseln auf. „Die Handfesseln nicht?“ Sie schüttelte den Kopf: „Nein, die behalte ich an, bis zum Campingplatz.“
51. Teil) (für Ramonika)
Abendliche Erzählrunde
Wir sind dann zum Campingplatz gelaufen, ein bisschen schneller als sonst und beinahe hätten wir vergessen, dass Saskia immer noch Handschellen trug. Ich sperrte sie auf und verstaute sie im Rucksack. Dann zog ich Sassi an der Hand hinter die Wohnwagenreihe. „Erst mal sondieren“, sagte ich. Mir wäre es recht gewesen, wenn Rhabarbera weg gewesen wäre. Sie war aber noch da und hockte trübsinnig bei Onkel Trööt, der ihr gerade ins Gewissen redete. „Du hast Mist gebaut, Bärbel“, sagte er. „Meio! Einfach so angerannt zu kommen und das Geblöke mit den Verknallten!“ Trööt schaute Barbara sehr ernst an. „Ich weiß, dass dir dein Körper nicht gefällt Bärbel“, sagte er. „Du schämst dich, weil du dick bist. Ich glaub ja, dass sich das auswächst. Deine Mutter war früher auch ein Pummel und mit sechzehn hat sie sich gestreckt und schau sie heute an! Die Kerle verrenken sich immer noch den Hals nach ihr. Aber du fühlst dich unwohl mit dem Schwabbel auf den Rippen, stimmts?“ Barbara nickte stumm, den Kopf gesenkt. „Wenn nun einer käme, sich neben dich stellte und laut brüllte: Och ist DIE fett! Seht euch mal die dicke Nudel an! Wie würdest du dich fühlen?“ Noch nie habe ich Onkel Trööt so weich und vorsichtig mit einem Menschen reden hören! „Der Kreischer würde das alles wahnsinnig witzig finden“, fuhr Trööt vor. „Aber DU würdest vor Scham im Boden versinken. Und es täte dir schrecklich weh. Es würde dich verletzen.“ „J … ja“, schniefte Bärbel. „Chris ist tierisch sauer. Sogar Sassi hat einen Rochus auf dich, und die ist doch eine ganz Liebe und Sanfte. Vielleicht denkst du nächstes Mal daran, wenn dein Mund mal wieder schneller als dein Gehirn sein will, ja?“ „J … ja“, schniefte Barbara. Onkel Trööt strubbelte ihr durchs Haar: „Trags mit Fassung Bärbel. Löffel die Suppe aus, die du dir eingebrockt hast und dann vertragt euch einfach wieder. Am besten funktioniert das mit Ehrlichkeit.“ Bärbel hockte lautlos weinend am Campingtisch. Saskia ließ meine Hand los und ging zu Barbara. „Hallo Bärbel. Ich möchte mich entschuldigen für das, was wir gemacht haben.“ Barbara starrte sie aus weit aufgerissenen Augen an: „DU entschuldigst dich bei MIR?“ Sie war fassungslos. Jetzt liefen noch mehr Tränen. „ICH bin doch die Gemeine gewesen!“ „Wir waren auch gemein“, sagte Sassi und legte eine Hand auf Barbaras Arm. „Es tut uns leid.“ „I…ich wollte witzig sein“, schniefte Bärbel. „Es schien so lustig zu sein. Ich habe nicht daran gedacht, dass ich euch damit blamiere oder euch wehtue.“ „Komm, vertragen wir uns wieder“, sprach Saskia sanft. Und so vertrugen wir uns wieder. Ich war nicht so ganz froh damit, aber wenn Rhabarbera in Zukunft ihr großes Mundwerk im Zaum halten würde, konnte es mit ihr vielleicht erträglich werden. Bärbel und ihre Eltern blieben noch zum Essen. Es gab Fisch vom Grill. Echt lecker. Als Sassi und ich vom Duschen zurückkamen, waren Bärbel und ihre Leute weg. Ich holte unsere Decke und breitete sie im Gras aus. Die Handschellen legte ich auch parat. Saskia kam aus ihrem Wohnwagen. Sie trug ein dunkelrotes Sommerkleidchen mit winzigen weißen Blüten drauf. Ich glaube, man sagt Callico dazu. Und sie hatte ihr rotes Häkelkäppchen mit dem schmalen grünen Rand auf dem Kopf. Sie setzte sich neben mich und drückte mir was in die Hand: „Da Chris. Ich habe es fertig gemacht.“ Es war das grüne Käppchen für mich. Ich setzte es gleich auf. „Danke Sassi.“ Ich freute mich tierisch und sie lächelte mich mal wieder so total lieb an. Ich hielt ein Paar Handschellen hoch und schaute Saskia fragend an. Sie nickte und streckte mir die Hände hin. In aller Ruhe legte ich ihr die Handschellen an. Dann legte sie mir ihre nackten Füße auf die Beine und ich legte ein weiteres Handschellenpaar um ihre zarten Knöchel. Anschließend „versorgte“ Saskia mich auf die gleiche Weise. „Ach du lieber Gott!“ rief meine Mutter. „Die spielen ja immer noch mit den bekloppten Dingern rum.“ „Sei doch froh“, meinte Onkel Trööt. „Dann hat sich die Ausgabe wenigstens gelohnt.“ Die Wilde Hilde und die Scharfe Anne kamen mit ihren „riesigen Kampfhunden“ vorbei. „Die Chain-Gang ist wieder da“, sagte Anne und zwinkerte uns zu. „Na ihr Turteltäubchen.“ „Ja sie sind echt niedlich“, befand Trööt. „Zwei kleine Seelen in Ketten vereint. Rotkäppchen und Grünkäppchen.“ „Und du bist Glatzkäppchen“, sagte die Scharfe Anne. Alle lachten und Mops kam angekötert und leckte Sassi und mich ab, als wären wir aus Erdbeereis. Onkel Trööt fuhr sich mit der Hand über die blank polierte Billardkugel: „Ich trage mein Haar heute offen.“ Anne wedelte mit der Hand: „Puh! Sag mal Trööt, wie viel Liter Rasierwasser kübelst du an dich?“ „Der Mief kommt von dem da!“ entrüstete sich Trööt und zeigte auf meinen Vater, der nicht weit von ihm im Campingstuhl saß. „Unser Rasierwasserjunkie. Hrch…hrch..hrch.“ Saskia rückte ein Stückchen an mich ran und kuschelte sich an. Mit dem nackten linken Fuß kitzelte sie bei mir an den Knöcheln herum, genau über und unter den Handschellen. Es war ein unglaublich angenehmes Gefühl. „Wenigstens ist er schlauer geworden!“ lachte Trööt. „Alkoholix klatscht sich die Brühe nur noch ins Gesicht. Ärrr-härrr-härrr!“ „Wohin den sonst?“ fragte ich. „Er rasiert sich ja keine Glatze wie du.“ Onkel Trööt begann mit dem Kopf vor und zurück zu wackeln: „Und OB der sich ne Glatze rasiert hat! Aber nicht da oben! Ärrr-härr-härr!“ Sein Kopf würde gleich abbrechen. Gleichzeitig versuchte er seine Oberschenkel mit den Händen zu Brei zu schlagen. Ich fasste nach Sassis gefesselten Händen und streichelte mit den Fingern ihre Handgelenke. Schön zart und sanft. „Damals warst du noch nicht auf der Welt“, erzählte Onkel Trööt. „Du warst nicht mal in Produktion. Hrch…hrch…hrch…“ Saskias Vater schien die Anekdote auch zu kennen. Er hieckte schon mal leise los. Hieck…hieck…hieck… „Damals hatten deine frisch verheirateten Eltern ihren ersten Wohnwagen hier auf dem Platz. In irgendeinem Magazin fand deine herzallerliebste Mama einen Artikel über Intimrasur. Sie redete so lange auf deinen Daddy ein, bis der ihr versprach sich mal für sie den Vogel zu rasieren. Hrch…hrch…hrch…hier aufm Campingplatz…im Wohnwagen. Ärrr-härrr-härrr!“ Ich sah Onkel Trööts Kopf im Geiste schon auf dem Boden rumrollen. Er musste gleich abbrechen. Seine Oberschenkel waren auch schon ziemlich platt geklopft. „Das mit dem Rasieren klappte sogar. Ich meine: alle wichtigen Teile blieben dran und es floss kein Blut. Aber …härrr-härrr-härrr…danach tat dein Papi, was er nach dem Rasieren immer tat: er klatsche sich einen halben Liter Rasierwasser auf die rasierte Stelle. Nur dass die Haut da unten am Vogel VIEL empfindlicher ist als oben an den Wangen! Ärrr-härrr-härrr!“ Jetzt gickerten auch unsere Mütter und der Weinschlauch lief vor lauter Hiecken rot an. Onkel Trööt platzte fast vor Lachen. „Von dem Geschrei deines Vaters lief der ganze Campingplatz zusammen! Er hat gekreischt wie ein Adler! Ärrr-härrr-härr! Er konnte gar nicht mehr mit Schreien aufhören!“ Nun gab es kein Halten mehr. Trööt, Alkoholix, der Weinschlauch, Misses Bailey und Likörika lachten, was das Zeug hielt. Auch die Scharfe Anne und die Wilde Hilde glucksten und truthahnten mit. „Aber das BESTE war“, blökte Trööt, „dass die Leute danach euren Wohnwagen wochenlang mit Werbeartikeln zuklebten, die sie aus Zeitschriften ausschnitten! „Die neue milde Wilkinson-Soft. Rasiercreme für den sensitiven Mann“! Oder „Gilette SENSITIVE. Das neue After-Shave für den gefühlvollen Mann!“ Ärr-härrr-härrr!“ Alle gackerten, hieckten und brüllten durcheinander. Sogar mein Vater lachte mit. Ich liebte solche abendlichen Erzählrunden. Ich hätte es ewig mit Sassi auf der Decke auf gehalten. Ich schaute zu, wie sie mit ihrer großen Zehe an meinen Knöcheln herum streichelte. Ab und zu lächelte ich ihr zu und sie lächelte zurück. Aber es wurde Zeit, pennen zu gehen und wir gingen ohne Murren. „Heute keine Handschellen“, bat Sassi flüsternd und drängte sich im zusammengezippten Schlafsack an mich. „Ich will wieder wie im Schlafzimmer vom Bauernhof. Bitte Chris.“ Ich konnte ihr die Bitte nicht abschlagen und fummelte die Katzenhalsbänder aus dem Rucksack. Mit einem Paar ging ich im Schlafsack auf Tauchstation und tastete im Dunkeln nach ihren nackten Füßen. Es war ganz schön schwierig, die Verschlüsse der Katzenhalsbänder zu zu kriegen, wenn man nichts sah, aber endlich hatte ich Saskias Füße zusammengeschnallt und tauchte wieder auf. „Und jetzt die Hände“, bat Saskia. „Aber diesmal hinten zusammen schnallen.“ Sie drehte sich um und hielt die Arme hinterm Rücken zusammen. Ich schnallte ihre Hände an den Handgelenken mit den dünnen Lederriemchen zusammen. Sassi drehte sich um, so dass sie mit dem Gesicht zu mir lag. „Du musst mich im Arm halten, Chrissie“, flüsterte sie. „Ich bin doch jetzt völlig hilflos. Mit auf den Rücken geschnallten Händen kann ich nichts tun.“ Sie schmiegte sich an mich und ich hielt sie fest. „Ohne dich bin ich verloren, Chrissie.“ Mein Herz machte einen kleinen Hopser vor Glück. „Ich ohne dich auch, Sassi.“ So aneinandergekuschelt schliefen wir ein.
52. Teil) (für Ramonika)
Auf der Insel
Am nächsten Tag konnten Sassi und ich wieder in Ruhe spielen. Gleich nach dem Frühstück verpfiffen wir uns. Weil unsere Eltern schon komisch guckten, wieso wir nie im See schwimmen gingen, holten wir uns mein Schlauchboot und ruderten in Badeklamotten mit Essen und Limo bewaffnet den See entlang in den Wald rein. Weiter hinten ging niemand schwimmen, weil es keinen Badestrand gab. Hier lag mitten im See „meine“ Insel. Einer von der Seeverwaltung hatte mir erlaubt, dort rumzustreifen. Es standen überall Schilder: „Entenbrutinsel. Betreten verboten!“ Aber die Enten brüteten vorne auf der kleineren Insel beim Badestrand. Hier hinten auf der Rieseninsel mit einem Durchmesser von fünfzig Meter gab es nur Bäume, Büsche und Gras. Der Mann von der Verwaltung hatte mich eines Tages dabei erwischt, wie ich auf der Insel rumstreifte. Ich zeigte Sassi alles. „Das ist der versteckte Eingang in die Minibucht. Dort sieht niemand unser Boot.“ Wir ruderten in das Versteck, stiegen aus und zogen das Boot aufs Land. „Das hat mir Herr Kerner gezeigt.“ Ich nahm Sassi an der Hand und zeigte ihr mein kleines privates Reich. Mitten in der Insel gab es eine tiefe, sandige Kuhle, eine Lichtung von Bäumen und Büschen umgeben. „Das ist ja wirklich richtig geheim“, rief Saskia freudig überrascht. Sie schaute mich lange an. „Und MIR zeigst du es!“ „Ja Sassi. Dir“, sagte ich. „Und nur dir! Ich muss dir aber noch was zeigen. Es ist sehr wichtig.“ Ich führte sie zu einem kleinen flachen Strand. Er sah aus wie geschaffen für Verliebte, um allein am Ufer zu liegen. Mehrere Schilder standen an Land und einige draußen im flachen Wasser. Auf allen stand das Gleiche: „ACHTUNG! TREIBSAND! LEBENSGEFAHR! BETRETEN VERBOTEN!“ Saskia schauderte. „Treibsand? Es sieht so normal aus.“ Ich holte einen dicken Steinbrocken herbei: „Herr Kerner hat mir erklärt, dass unter dem Strand unterirdische Quellen liegen. Der See wird nicht nur vom Waldbach gespeist. Das hochdrückende Wasser macht den Sand zur trügerischen Todesfalle. Deswegen will die Seeverwaltung hier niemanden haben. Pass auf.“ Ich warf den Stein auf den Strand. Mit einem schmatzigen Geräusch prallte er auf die Oberfläche und war sofort zur Hälfte eingesunken. Nach wenigen Sekunden war er unterm Sand verschwunden. „Uff!“ rief Saskia und klammerte sich an meine Hand. „Chris, das ist gruselig. Wenn die Schilder nicht wären!“ Ich legte einen Arm um sie. „Wir bleiben hiervon weg, Sassi. Ich habs Herrn Kerner versprochen. Ich habe es dir gezeigt und ab jetzt ist diese Stelle tabu. Von mir aus ist es ein Sumpf mit schrecklichen Krokodilen drin oder sonst was.“ Jedenfalls tabu!“ „Hier will ich auch nicht mehr hin“, sagte Saskia. Man sah ihr an, dass sie sich unbehaglich fühlte. Hand in Hand liefen wir zur Lichtung im Innern der Insel zurück. Ich schaute zu, wie Saskia das Neuland eroberte. Sie lief neugierig überall herum und schaute sich alles genau an. Es machte Spaß, ihr dabei zuzusehen. Sie stieg auf einen oberschenkeldicken umgefallenen Baumstamm und balancierte darauf. Das konnte sie unheimlich gut. Es kam wohl von ihrem Ballett-Training. Ich beobachtete wie sie ihre bloßen Füße hintereinander stellte und die Arme ausbreitete. „Ich bin ein Vogel auf einem Ast“, rief sie und schloss die Augen. Das Sonnenlicht malte goldene Kringel auf ihre Gestalt. Mit geschlossenen Augen balancierte sie den Stamm entlang. Es war ein ziemlich dünner Birkenstamm, aber Saskia fand mit traumwandlerischer Sicherheit ihren Weg. Ihre nackten Füße tasteten den Stamm vor ihr ab. Wie elegant sie sich bewegte! Am Ende des Stamms machte sie die Augen auf und sprang herunter. „Das war toll Sassi“, lobte ich sie. Sie wurde sofort rot. „So toll war es auch wieder nicht“, nuschelte sie und lief zum Rand der Lichtung und tat, als müsse sie den Boden unter den Bäumen ganz genau untersuchen. Sie wollte mich ablenken. Ich merkte das. Und ich hatte sie irre gerne dafür, dass sie so schüchtern war. Am liebsten wäre ich zu ihr gelaufen und hätte sie ganz fest geknuddelt. Aber ich hatte plötzlich einen dicken Klops im Hals und meine Füße waren am Boden festgewachsen. Sassi fand einen rundlichen Steinblock. Mit einiger Mühe rollte sie ihn unter einen waagrechten Ast. Sie stieg auf den Block und reckte die Arme in die Höhe: „Passt!“ Ich wusste gleich, was sie meinte. Hinter dem Ast stieg der Rand der Kuhle steil an. Wenn ich hinter Sassi trat, kam ich bequem an den Ast dran, sie dagegen erreichte ihn nicht ganz, so weit unten wie sie stand. Saskia hopste von dem Steinblock herunter. „Machst du, Chris?“ fragte sie mich und hielt den Kopf schräg. „Mit Schnur. Die Handschellen tun weh. Die sind zu hart.“ Ich holte ein längeres Seil aus unserem Rucksack. Saskia streckte mir ihre Hände entgegen und überkreuzte sie vor ihrem Bauch. Ich umwickelte ihre Gelenke dreimal mit dem Seil, verknotete es einmal und zog es zwischen ihren Händen durch. Noch mal rundherum und noch mal. Wieder verknoten. „Das reicht“, befand ich und verknotete noch mal alles. Es stand noch mindestens drei Meter Seil über. Ich zog Saskia hinter mir her zum Rand der Lichtung. Dort schmiss ich das Seilende über den waagrechten Ast. „Du musst gut festhalten“, sagte Sassi. „Ohne seitlich ausgestreckte Arme kann ich nicht so gut balancieren.“ „Ich halte dich“, versprach ich und zog am Seil. Saskia stieg auf den Steinblock. Ich hielt das Seilende immer unter Spannung, damit sie nicht umkippen konnte. Sie kippelte ein wenig, bis ihre nackten Füße Halt auf dem Steinklotz fanden. Dann stand sie still und reckte die Arme noch höher. „Jetzt mach mich fest. Und dann fessel mir noch die Füße zusammen bitte.“ Ich zog das Seilende stramm und legte es zweimal um den Stamm des Baumes, bevor ich es verknotete. Anschließend holte ich ein kürzeres Seil und kniete vor dem Steinblock nieder, auf dem Saskia stand. Mit dem Strick umschlang ich ihre Knöchel dreimal. Dann zog ich das Seil zweimal zwischen ihren bloßen Füßen hindurch. Ich zog alles sehr fest zusammen und verknotete es hinten einmal. Noch zwei mal um Saskias Fußgelenke rum und dann verknotete ich es hinter ihren Knöcheln doppelt. Nun waren auch Sassis Füße zusammen gefesselt. Ich stand auf und schaute mir meine süße Gefangene an. Saskia stand bloßfüßig auf dem Steinblock, die Füße zusammengebunden und die zusammengebundenen Hände weit über ihren Kopf hochgestreckt. Sie trug nur einen moosgrünen Bikini. Ich konnte sehen, dass ihr Bauch ein bisschen nach innen eingefallen war und ihre Rippen vorstanden, weil ihr schmaler Körper so stark überstreckt war. „Ich lass dich ein bisschen so stehen“, sprach ich leise und lächelte ihr zu. Sie lächelte zurück. „Ja Chris. Und dann rollst du den Stein weg, gell?“
53. Teil) (für Ramonika)
In Graf Schnurs Apfelgarten . Nach einer Weile ging ich zu Saskia: „Ich nehme jetzt den Stein weg, Sassi. Sag aber, wenn du nicht mehr kannst, ja?“ Sie nickte eifrig: „Ja Chris.“ Von Aufhören oder nicht mehr können stand nichts in ihren Augen. Sie lächelte mich an, voller Neugier diese bislang unbekannte Fesselung zu erproben. Ich lächelte zurück und ging in die Knie. Ich hielt ihre zusammengebundenen Füße fest und hob sie leicht an. Dann rollte ich den Stein weg und ließ Saskia frei an ihren Händen hängen. Das Seil knarrte leise und Sassi wurde noch mehr gestreckt. Ich holte mir zwei Paar Handschellen und tappte zu einem der Bäume in der Nähe. Zuerst legte ich mir Handschellen an die Fußgelenke. Dann kniete ich mich hin, mit dem Bauch gegen den Baumstamm und umfasste ihn. Ich kam vorne grade so drum herum. Mit einigen Verrenkungen legte ich mir die Handschellen mit dem „Schlüssel am Schnürchen“ an. Klick-Klick-Krick-Krick! Nun war auch ich „hilflos angekettet“. Um Saskia zu sehen, musste ich ein bisschen um den dicken Baumstamm herum schauen. Die Rinde kratzte an meinem Bauch und an meiner Brust. Ich versuchte mir vorzustellen, dass ich mich nicht selbst befreien konnte. Saskia hing ganz still an ihrem Ast. „Tut es weh?“ fragte ich. Sie schüttelte den Kopf, was nicht leicht war, da ihre nach oben gereckten Arme rechts und links am Kopf anlagen. „Es tut nicht weh. Es zieht nur sehr stark in den Armen und Schultern.“ Sie streckte den Kopf nach hinten und ließ ihr Haar nach unten hängen. „Aber wenn ich lange genug so gefesselt bleibe, tut es bestimmt weh“, sprach sie leise. „Irgendwann kann ich es nicht mehr aushalten.“ Ich warf einen Blick auf ihre nackten, zusammen gebundenen Füße. Sie schwebten rund zwanzig Zentimeter über dem Boden. Sie konnte die Zehen noch so sehr nach unten strecken, sie hatte keine Chance, sich am Boden abzustützen. Ich musste ein wenig lachen. Sie schaute mich fragend an: „Was ist Chris?“ „Du hängst an einem Apfelbaum Sassi. Keine Ahnung, wie ausgerechnet ein Apfelbaum auf diese Insel geraten konnte.“ Alles andere rundherum waren Waldbäume. „Vielleicht hat ihn ein Kind angepflanzt“, vermutete Saskia. „Oder der Zufall wollte, dass wir ihn dieses Jahr entdecken. Im Spätsommer können wir hinaufklettern und Äpfel essen.“ Im Spätsommer! Ich drückte mich fest gegen meinen Baum, umarmte ihn gewissermaßen. Im Spätsommer! Sassi! Sassi und ich! Zusammen! Ich musste daran denken, wie schrecklich ich mich gefühlt hatte, als Winters fortgezogen waren. Und nun lag ich in Handschellen auf Knien und betrachtete meine kleine Freundin Saskia, die an den Händen aufgehängt am Ast eines Apfelbaumes hing. Das hätte ich mir nicht träumen lassen, als ich damals in ihr Zimmer getrampelt kam und ihr Glaspferd kaputt machte. Saskia lächelte mir zu. Ich sah die Furcht in ihren Augen…
…wie lange würde sie das aushalten? Christian hatte schon Probleme, ruhig zu knien, so sehr taten ihm die schweren Eisenbänder weh, mit denen er gewaltsam an den Stamm des alten Apfelbaumes gekettet war. Der Stamm war so dick, dass die Häscher von Graf Schnur seine Arme mit roher Gewalt nach vorne hatten ziehen müssen. Christian war so fest gegen den Stamm gepresst, dass er kaum Luft bekam. Als wäre das nicht genug, hatten ihm Graf Schnurs Leute auch noch Fußangeln angelegt. Als hätte er auch nur im Geringsten eine Chance zur Flucht! Außerdem wäre er nie im Leben ohne Saskia geflohen! Graf Schnurs Diener Schnurbert hatte den Soldaten die Anweisung erteilt, die neuen Fußangeln zu benutzen. Sie waren verstellbar. Man konnte die breiten Eisenbänder sehr eng einstellen. Die Eisen drückten stark auf Christians Knöchel. Aber das war Schnurbert nicht genug. Mithilfe von kleinen Stellschrauben drehte er nun die Hand und Fußfesseln des Jungen immer enger zusammen, bis der vor Schmerzen fast aufschrie. „Das wird deine Zunge lösen, du Dieb“, giftete der Diener. Er schaute zu Saskia hinüber, die an den Händen an einem Apfelbaum aufgehängt war. Die Unmenschen des Grafen hatten ihr ein großes schweres Eisengewicht an die Füße gehängt, so dass sie unnatürlich stark gestreckt war. Sie rang keuchend nach Atem und stöhnte gotterbärmlich, weil es so wehtat. Graf Schnur stapfte unter den Apfelbäumen herum. „Nön? Möchtet öhr nöcht öndlich gestöhen? Wör hat öich gesögt, dass die Öpfel in meiner Plöntöge viel fröher reifen als draußen bei den Bauörn? Nömand könnt den gehöimen Zöuber, möt döm öch dös mache! Rödet öndlich, öhr mössratönön Könder!“ Der Graf stakte wütend umher. Er ließ sich nicht gerne seine Äpfel wegfressen, schon gar nicht von daher gelaufenen Bettelkindern in Lumpen. Allerdings war seinem Diener Schnurbert aufgefallen, dass der Junge und das Mädchen beide das gleiche Muttermal auf der Schulter trugen und der König von Kettingen hatte befohlen, ihm solche Kinder sofort zu melden. Es hieß, der Spinnendämon Hakylos sei hinter den Kindern her. Genaueres wusste niemand. Das der König zufällig in einem nahen Dorf Rast im Gasthof machte, bevor er seine Reise durch sein Reich fortsetzte, hatte der Graf nach ihm schicken lassen. „Lös! Rödet!“ blaffte der Graf die wehrlos festgebundenen Kinder an. „Wös wöst öhr übör eure Muttermale?“ „Wir wissen überhaupt nichts“, jammerte Saskia. „Bitte! Nehmt das schreckliche Gewicht an meinen Füßen ab, bitte! Ich kann bald nicht mehr, und ich habe so Durst. Bitte ein wenig Wasser!“ „Dös könnte dör so pössen“, grollte Graf Schnur. „Örst sögst du mör die Wahrhöit! Und öch wöll wössen, wie öhr in meine geheime Plöntöge reingekömmen söid!“ „Wir sind direkt aus dem Wald hineingestolpert“, rief Christian verzweifelt. Die Schmerzen in seinen Gelenken waren schlicht unerträglich. Die Eisen waren schrecklich fest zugedreht. Er gab sich größte Mühe nicht einfach loszuheulen. Sollte sich der Graf seine Apfelplantage doch an den Hut stecken (oder wie Onkel Trööt sagen würde: in ein gewisses Körperteil weiter hinten…)! Pferdegetrappel näherte sich. Schnurbert kam an gerannt: „Herr Graf! Herr Graf! Der König kommt! Seine Hoheit King Karl von Kettingen!“ Der Reitertross hielt vor dem Grafen. Der Edelmann verbeugte sich tief vor seinem König: „Öch größe Öich durchlauchtögste Höheit. Wie beliebt ös Öich zu göhen wörter King Karl?“ Der König wedelte mit der Hand: „Wos reds denn wieda so gschwolln Graf? Sanns doch ned imma so förmlich, gell?“ King Karl betrachtete die beiden Kinder. Sein Blick ruhte wohlgefällig auf dem in Eisen liegenden Christian. „A schauts! Den Buam habts aber schee in Eisn glegt.“ Er begutachtete die am Apfelbaum hängende Saskia: „Aba des Dirndl des hätts doch auch so einkleidn könn! A elende Schnur! No jo, so seids Ihr halt werter Graf. I denk, i sitz amoi ab. Dominik komm ha! Gschwind du Schnapssüffa du elendiglicha.“ Dominik der Reiterbursche kam heran gewieselt und half King Karl vom Gaul. Der König schaute sich in der Runde um: „Scheen Goartn habts da Graf. S hat doch wohl kona Elefantn hier?“ Graf Schnur verbeugte sich tief. „Nein King Karl. Ös ist völlig öngeöhrlich för Öich Majestöt.“ Es war im ganzen Königreich Kettingen bekannt, dass King Karl eine Vorliebe für eiserne Fesseln hatte und er war völlig furchtlos. Er hatte mit eigenen Händen einen Drachen in Ketten gelegt und ins Verlies geworfen. Aber eines fürchtete er wie sonst nichts auf der Welt: Elefanten! Der König hatte in seinem ganzen Leben noch nie einen Elefanten gesehen, doch hatte man ihm gesagt, der Elefant sei das Tier mit den größten Zähnen der Welt. Und weil König Karl in jungen Jahren einmal böse von einem großen Hund in den Arsch gebissen worden war, was ihm gar schlimmerhaftige Schmerzen arschbackigerseits bescherte, so lebte er in der beständigen Angst, ein Elefant könnte auftauchen und seine riesigen Zähne in seinen hochdurchlauchtigsten Podex graben. Wo immer er saß und stand hielt der König nach Elefanten Ausschau, doch bislang hatte das Reich Kettingen kein solches Tier gesehen, so dass niemand wusste, wie denn ein Elefant wirklich aussah. Was die beständige Angst des Königs eher noch verstärkte. King Karl reichte Graf Schnur huldvoll die behandschuhte Hand. Sein Blick fiel auf seinen Reiterburschen. „Dominik! Du verfluachta Saubua! Heerst auf der Stelle auf, den Dimpel zu saufn! Des Zeigs ist zum Abreibn von die Gäul! Zum Des-in-fi-zieren du damischer Hirsch! Des sauft ma doch ned! Trink a gscheits Bier du Dummschlunz!“ „Ja wenn’s mir aber so schmeckt Herr König bitteschön“, erwiderte der Dominik mit einem seligen Grinsen im Gesicht und hängte sich die Dimpelflasche gleich wieder an den Hals. „Unds desinfiziert innerlich. Das hält gesund Majestät.“ King Karl nahm die beiden Gefangenen in Augenschein. Während der gesamten Unterhaltung hatten Saskia und Christian Höllenqualen gelitten. Saskia hing schon so lange am Apfelbaum, dass sie vor Schmerzen anfing zu weinen. „Bist sicher Graf, dass des die zwoa Kinder san, die wo der elende Dreckhund von einm Spinnendämon ham wui?“ fragte King Karl. „Jawohl Majöstöt“, erwiderte Graf Schnur untertänigst. „Sö tragen alle böide dös Muttermöl auf dör Schultör. Söht doch nör!“
54. Teil) (für Ramonika)
Im Apfelgarten
Graf Schnur präsentierte die Muttermale auf den Schultern der beiden gefesselten Kinder. „Da söhen Sö nör Majöstöt.“ King Karl war entzückt. „Sakra! Des sann d Zeichn. S wird an scheen Haufn Gold vom Spinnendreckbua gebn. Der muss zoin und zwar ned z knapp! Wann i nur wisst, wos des z bdeutn hat! Wieso jagt der dene zwoa Kinder so nach? S muss was z bedeuten ham.“ Er schubste der an den Händen aufgehängten Saskia feste in den Rücken: „Wuist ma des ned sogn Dirndl?“ Saskia schrie vor Schmerz auf. Das große Eisengewicht unter ihren Füßen hatte sie so schlimm gestreckt, dass ihr die kleinste Berührung wehtat. „Ich weiß doch nichts, Herr König“, keuchte sie unter Qualen. „Ich weiß wirklich nichts. Ich bin nur ein einfaches Bettelkind. Bitte lassen Sie mich frei. Ich halte es nicht mehr aus. Meine Arme tun so weh!“ King Karl ging zu Christian hinüber, der mit dem Bauch gegen den Baumstamm gekettet war. „Und du Bua? Bist breit z redn? Dann lass i di aussi.“ „Ich weiß genauso wenig wie Saskia“, presste Christian unter Schmerzen hervor. „Herr Graf“, sprach der König. „Schnörbört!“ rief Graf Schnur. Sein widerlicher Kinderquälerdiener kam freudig angewieselt. „Zu Diensten, Herr Graf!“ Graf Schnur machte mit der Hand eine drehende Bewegung. „Sehr wohl Herr Graf.“ Schnurbert grinste gehässig. Er bückte sich und drehte die Stellschrauben an Christians Handfesseln weiter zu. Der Junge schrie vor Schmerz. „Aufhören! Aufhören! Bitte! Ich weiß doch nichts.“ Tränen schossen ihm in die Augen. „Na des sann vei zwoa Sturschädeln!“ entrüstete sich King Karl. „Lassts die amoi längr hängn und knien. Die wern scho mit uns redn. Der gräfliche Diener soll des Eisngstell an die Fiaß vom Buam noch a Stückl fester zudrehn.“ „Mit dem allergrößten Vergnügen Majestät.“ Schnurbert drehte Christians Fussfesseln enger, bis der Junge aufschrie. King Karl schaute auf seine goldene Taschenuhr. „In a poar Minutn sanns soweit. Dann redns scho von allan. Und wann ma alles wissen, nehm i die Kinder mit und steck sie in mei Verlies. In Eisn glegt wie sich des gheerd!“ Vielleicht hätte der eis(en)kalte Monarch Recht behalten. Christian litt Höllenqualen. Die Eisenfesseln pressten seine Hand und Fußgelenke grausam zusammen. Er hätte nur zu gerne geredet, hätte er gewusst, was er denn sagen sollte. Aber er hatte keine Ahnung, was die Muttermale auf seiner und Saskias Schulter zu bedeuten hatten. Ebenso ging es Saskia. Sie hing weinend am Apfelbaum. Die Fesseln schnitten grausam in ihre Handgelenke und das schwere Eisengewicht unter ihren Füßen streckte sie so furchtbar, dass ihr der ganze Leib schmerzte. Oh wie gerne hätte sie alles, alles, alles gesagt! Aber auch sie wusste nicht, um was es ging. Sie konnte nur weinen und um Gnade betteln. Ein gütiges Schicksal schien Mitleid mit den beiden gequälten Kindern zu haben, denn just in diesem Moment, als sowohl Saskia als auch Christian kurz davor standen, laut loszuheulen, kam ein gar seltsames Wesen herbei gelaufen. Eine Kreatur, wie man sie noch nie zuvor gesehen hatte, trottete in den geheimen Apfelgarten von Graf Schnur. Das unheimliche Tier trug ein langes, gar zottiges Fell. Böse gelb-schwarze Augen musterten misstrauisch die Umgebung. Und es trug lange gebogene Hörner auf dem Kopfe. Wahrhaft ein gefährlich aussehendes Wesen. King Karl zuckte beim Anblick der Kreatur erschrocken zusammen: „Jo mei! Wos iss denn des für a Viech? So aans hab i noch nie gsehn.“ „Öch wöiß nöcht Majöstöt“, stotterte Graf Schnur, der das fremdartige Tier nicht kannte. Christian erkannte die „Bestie“. Sie und ihresgleichen lebten in der Heide, wo sie die Erikabüsche abweideten und Gras fraßen. Es war eine Heidschnucke, eine ziemlich große. Auch Saskia erkannte das Tier. „Wos is des denn nun?“ quakte King Karl misstrauisch. Saskia ergriff die sich bietende Chance. „Oh mein Gott! Ein ELEFANT!“ schrie sie mit sich überschlagender Stimme. „Wos? An Ele…“ Mit King Karl ging eine erstaunliche Wandlung vor. Der eher behäbige Monarch von Kettingen machte vor Schreck einen Luftsprung, welcher ihn in weniger als einer Sekunde auf einen breiten Ast eines Apfelbaumes brachte. Er stieß mit dem hochwohlgeborenen Kopfe gegen einen Ast weiter oben, worauf seine goldene Krone in jenem Aste stecken blieb und der Monarch ein gar dümmliches Gesicht aufzusetzen beliebte. Die Soldaten des Königs rannten schreiend vor Angst von dannen, ebenso Graf Schnur. Nur sein Diener Schnurbert war vor Schrecken ganz und gar erstarrt. Er konnte sich nicht von der Stelle rühren. Stattdessen zog er es vor, sich die Hosen vollzupieseln. „Um Himmls Wuilln! An ELEFANT! Männer! Herbei! Rettets mi!“ kreischte King Karl, außer sich vor Angst. Doch seine tapferen Mannen hatten das Weite gesucht und allem Anschein nach auch gefunden. Verzweifelt schaute sich der Monarch um: „Ein Beutl Gold für den, der wo mia s Lebn rettn duat! Vasprochn! So helfts doch!“ Der „Elefant“ kam näher und schaute neugierig zu dem angstschlotternden König hoch. Anscheinend fand das Ungeheuer etwas Interessantes am linken Schuh des Königs, denn es richtete sich auf die Hinterbeine auf und versuchte, danach zu schnappen. King Karl brüllte wie am Spieß. „Hülfe! So helfts mir doch! Bei meiner Seel! I wui ned sterbn!“ „Kein Mann kann gegen den schrecklichen Elefanten angehen“, rief Christian, einer inneren Eingebung folgend. „Nur unschuldige Kinder können sich ihm gefahrlos nähern. Der Elefant sieht in ihnen keine Feinde. Erwachsene aber wird er erbarmungslos auffressen.“ „Oh du liaba Himmi!“ schrie King Karl. „Helfts ma doch, Kinder. I wui euch freilossn!“ Er nahm Schnurbert aufs Korn: „Du da! Diener!“ Schnurbert stand wie erstarrt. King Karl riss einen dicken Apfel ab und warf ihn Schnurbert an den Kopf: „Aufwochn du Blödmensch!“ Doch der Schnurbert rührte sich nicht vom Fleck, weil er war noch nicht mit Hosenvollpieseln fertig. Stattdessen kam der Reiterbursche Dominik herbei. „Wasn hierlos?“ fragte er mit schwerer Zunge. Er hatte eine Dimpelflasche dabei. „Pass auf Dominik! A Elefant!“ „Ach du Schiete!“ murmelte der Dominik. „Moch auf d Stelln die zwoa Kinder los!“ greinte King Karl. „Der Diener vom Grafen hot die Schlüssln.“ „Na wenn’s sein muss Majestät“, brummte der Dominik. Er holte die Schlüssel aus der Tasche des stocksteif da stehenden Schurbert. „Die da?“ „Jo welche denn sonst Bua!“ rief der König verzweifelt. Wieder schnappte das entsetzliche Untier nach seinen Füßen. „Beim heilign Sankt Johann! Mach hie Dominik! Mein Lebn iss in höchstr Gfahr! I wui dia auch an Lebn lang jedn Tog a Flascherl Dimpel zoin!“ Das machte dem Dominik Beine. Hurtig schloss er Christians Hand- und Fußangeln auf. Dann wetzte er zu Saskia, nahm ihr zuerst das Gewicht ab und knotete sie dann frei. Die zwei Kinder saßen weinend am Boden und rieben sich die schmerzenden Gelenke. Das Monster mit den Hörnern schnappte erneut nach dem Monarchen. „Bittschee Kinder, könnts ned endlich des grauenhafte Viech wegnehma?“ jammerte der König. „Da habts an Beutl voller Gold.“ Er warf den Bettelkindern einen Beutel voller Goldmünzen zu. „Bitte liaba Bua und liabes Dirndl!“ Der König fing an zu heulen. „Schaffts doch bittschee die firchterliche Bestie hinweg. I fleh euch an. Bittee!“ Christian und Saskia zwinkerten sich zu. Sie nahmen den Beutel und dann packten sie die Heidschnucke rechts und links bei den Hörnern. „Schon gut lieber Elefant“, sprach Saskia sanft. „Wir gehen jetzt fein spazieren, gell?“ Von der Kinderstimme beruhigt ließ sich die Heidschnucke willig fortführen. „Schaffts die Bestie zruck in den Wald bittschee!“ kreischte King Karl hinter ihnen her. „Jo mei! Hob i a Angschd!“ „Wir werden das Untier weit fortführen Majestät“, versprach Christian. Er und Saskia mussten sich mit aller Gewalt ein Lachen verbeißen. „Dank euch schee liabe Kinder“, greinte der Monarch hinter ihnen her, während Saskia und Christian unbehelligt von dannen zogen, den schrecklichen „Elefanten“ an den Hörnern führend.
55. Teil) (für Ramonika)
Insel-Indianer
Wir gingen dann erst mal schwimmen, weil Saskia die Arme vom langen Hängen wehtaten. Danach legten wir uns in die Sonne, bis wir trocken gebraten waren. Aber schon bald stand Sassi auf und untersuchte die Bäume rund um die Kuhle. Eine dicke Eiche hatte es ihr angetan. „Hier möchte ich an den Marterpfahl gefesselt werden“, verkündete sie. „Da passen deine Arme nicht drum herum“, hielt ich dagegen. „Das ist ja das Schöne“, fand sie. „Wir haben genug Schnur.“ Nun denn. Ich holte Seil, und Saskia stellte sich mit dem Rücken gegen den Stamm. Sie reckte ihre Arme nach hinten, wobei sie kaum um den halben Stamm herum kam. Ich umwickelte ihre Handgelenke mit je einer kürzeren Schnur. Nach fünf Windungen machte ich einen Doppelknoten. Dann zog ich die Enden der kurzen Stricke hinter dem Baumstamm zusammen, um sie miteinander zu verbinden. „Zieh ruhig fest“, bat Saskia. „Damit ich auch spüre, dass ich festgebunden bin.“ Ich zog also richtig feste zu, bevor ich die Stricke hinter dem dicken Stamm verknotete. Dann kniete ich vor Saskia und fesselte ihre nackten Füße aneinander. Mit den überstehenden Seilenden reichte ich gerade so um den Stamm rum und band sie hinten zusammen. Das war Sassi aber noch nicht genug. Ich musste weitere Seile anschleppen und sie unten beginnend fest gegen den Baumstamm fesseln. Sie wollte die Stricke so stramm, dass sie sich nicht mehr rühren konnte. Ich legte die Seile um ihre Unterschenkel unterm Knie, dann um die Oberschenkel, dann um die Hüften, dann über die Hüften wie einen Gürtel und noch drei Windungen oben rum, immer weiter hochsteigend, bis das Seil ihre schmalen Schultern gegen den Baum presste. Ein letzter Knoten und Saskia war bombenfest an den Baum gefesselt. Sie lachte mich an: „Das ist ein tolles Gefühl. Ich kann mich überhaupt nicht rühren. Schade, dass du nicht auch so angebunden sein kannst. Dann wären wir gemeinsam gefesselt.“ Ich hatte eine Idee. Mit zwei Stricken suchte ich mir einen dünneren Baumstamm neben Saskia aus. Ich hockte mich in den Sand und fesselte meine bloßen Füße aneinander. Drei Windungen um beide Fußgelenke herum, einmal zwischen den Füßen durchziehen, noch zweimal um die Knöchel rum und gut festbinden. Fertig war eine Fußfesselung, aus der ich mich unmöglich von allein befreien konnte. Ohne Hilfe meiner Hände würde ich die Füße da nicht rauskriegen. Ich stand auf und hüpfte zu meinem Baum. Mit dem Rücken lehnte ich mich an und verknotete das andere Stück Seil zu einem kleinen Ring. Ich streckte die Arme nach hinten und schlüpfte mit den Händen in den Seilring. Dann verdrehte ich die rechte Hand, so dass der Seilring zu einer Acht wurde und sich dabei sehr fest zusammenzog. Zwar konnte ich von allein wieder heraus schlüpfen, aber die Illusion war fast perfekt. Ich lächelte Saskia zu. Wir waren nebeneinander an zwei Bäume gefesselt. Sie lächelte zurück. Eine Weile stand sie still. Dann begann sie sich zu winden in dem Versuch, ihren Fesseln zu entkommen. Sie strengte sich mächtig an, sie zog und zerrte und sie zappelte so weit die engen Fesseln das zuließen. Natürlich kam sie nicht aus ihren Stricken raus, aber die kämpfte mit Elan weiter. Es sah schön aus, wie sie sich Mühe gab, ihre Fesseln loszuwerden. Sie geriet ins Schwitzen. „Puh! Ich komme nicht raus!“ stöhnte sie und hörte auf. Ich tat auch so, als wollte ich mich befreien. Wenigstens mit den Füßen konnte ich genauso wild rummachen. Ich dachte, dass ich vielleicht mit einem Fuß aus der Fesselung herausschlüpfen könnte, doch so sehr ich mich auch anstrengte, ich schaffte es nicht. „Wir sind verloren“, sprach ich und tat ganz niedergeschlagen. „Wenn die Indianer zurückkommen, werden sie uns martern. Dann ist es aus.“ Ich schaute zu Saskia hinüber. Wie lieb sie aussah, so hilflos an den Baum gebunden! „Es sei denn, du singst uns frei.“ Sie schaute mich an. „Weil, wenn du singst, lösen sich die Knoten von selber“, sprach ich todernst. Ich schaute Saskia bittend an: „Sing Sassi. Bitte sing.“ Und bevor mich der Mut verlassen konnte, hauchte ich noch schnell ein „Ich hab dich lieb Sassi“ zu ihr hinüber. Sie wurde knallrot und schaute zu Boden. „Ist das wahr?“ fragte sie leise. Ich nickte heftig: „Ja Sassi. Ich hab dich echt lieb.“ Sie schaute mich so ernst und liebevoll an, dass mir richtig schwummerig wurde. „Ich dich auch Chrissie!“ Dann hob sie den Kopf und begann mit ihrer glockenhellen Stimme zu singen: „Under der linden an der heide da unser zweier bette was da muget ihr finden schone beide gebrochen bluomen unde gras vor dem wald in einem tal tandaradei schone sanc die nahtegal“ Es war eins von den Liedern von Onkel Trööts Mittelalter-CD und wie Saskia es sang, war es so schön, dass es mir fast die Kehle zuschnürte. Schade, dass keiner sie auf einer Flöte dazu begleitete. Aber auch so war es sehr anrührend. Ich kriegte von oben bis unten eine Gänsehaut. Die sang das ganze Lied. Danach standen wir eine Weile still an unseren Bäumen und lauschten dem Plätschern der Wellen an den Strand unserer Insel und dem sanften Rauschen des Windes in den Baumkronen über uns. Gerne wäre ich noch länger gefangen gewesen, aber der „Zauber“ wirkte und ich musste meine Handfesseln lösen. Mit dem Aufknoten meiner Fußfesselung ließ ich mir Zeit. Immer wieder schaute ich zu Saskia hinüber, wie sie im Bikini an den Baum gebunden stand, von den festen Stricken an den Stamm gepresst, den Blick in weite Fernen gerichtet, unserer hiesigen Welt völlig entrückt. Am liebsten hätte ich sie so stehen lassen!
56. Teil) (für Ramonika)
Saskia wird gemartert
Mir kam eine wunderbare Idee. ICH hatte es geschafft, mich zu befreien, aber just als ich meine Stricke los war, kamen die verdammten Rothäute zurück. Ich konnte nur Hals über Kopf fliehen. „Ich rette dich Saskia!“ rief ich. „Ich muss nur mein Gewehr holen.“ „Ich hab so Angst, Chris!“ rief Sassi verzweifelt. „Sie werden mir schreckliches antun! Man wird meine Schreie über die ganze Prärie hören! Rette mich! Bitte!“ Schreie über die ganze Prärie? Ja ich wollte sie schon ein bisschen „martern“. Laute Schreie würden aber möglicherweise unerwünschten Besuch herbei locken. Drum wühlte einer der Indianer, ein fetter Koloss mit dem Namen „Drei Bäuche“ in unserem Rucksack. Neben Futter, Gluck-Gluck und Seilen befand sich dort mein Pfadfinderhalstuch und ein Taschentuch von Saskia. Sie schaute mich mit großen Augen an, als ich damit auf sie zukam. „Wirst du mir wehtun?“ fragte sie ängstlich. Ich schüttelte den Kopf: „Nein Sassi. Nur ein bisschen piesacken. Es tut nicht weh, aber Kitzeln bring dich zum Lachen und du könntest zu laut quietschen.“ Ihre Augen weiteten sich vor Schreck: „Kitzeln? So wie Börbele?“ Sie schluckte hart. „Das halte ich nicht aus.“ „Doch du hältst es aus“, sagte ich leise. „Mund auf!“ Sie öffnete brav den Mund und ich stopfte ihr das zusammen geknüllte Taschentuch hinein. Dann legte ich das Dreieckstuch zusammen, umwickelte ihren Kopf und band es vorne über ihrem leicht geöffneten Mund zusammen. Ihre Augen wurden gleich noch größer. „Schrei mal!“ verlangte ich. „Mmpf!“ machte Saskia. „Richtig laut!“ bat ich. „Mmmmmh!“ Mehr als ein Stöhnen und Fiepen brachte sie nicht heraus. Perfekt! Nun konnten die gemeinen Indianer ihre Gefangene nach Lust und Laune martern! Es waren echte Schurken: Drei-Bäuche, Wanst-wie-ein-Bisonbulle und Rasende-Wampe. Wanst-wie-ein-Bisonbulle war zu faul zum Stehen. Er legte sich Saskia zu Füßen – im wahrsten Sinne des Wortes. Er zupfte einen Grashalm aus und begann in aller Seelenruhe, in ihren Zehenzwischenräumen herum zu stochern. Saskia quiekte laut auf und versuchte, ihre bloßen Füße vor dem Grashalm in Sicherheit zu bringen, aber sie war dermaßen fest an den Baum gefesselt, dass sie absolut nichts tun konnte. Sie konnte nur ein bisschen mit den Zehen wackeln oder die Zehen im Sand verkrallen. Sie warf den Kopf hin und her, und sie fiepte gotterbärmlich, doch Wanst-wie-ein-Bisonbulle kannte keine Gnade. „Mmmh! Mmmh! Gmminng!“ machte Sassi und zerrte an ihren Fesseln. Da ich selber auch kitzelig war, konnte ich mir gut vorstellen, was sie fühlte. Es tat nicht weh, aber es tat auch nicht gut. Es war schlicht zum Aus-der-Haut-fahren! Abwechselnd kitzelte ich beide Füße und ließ meine süße Gefangene ordentlich quieken und mmpfen. Sie kriegte vom unterdrückten Lachen einen roten Kopf, ähnlich wie Börbele am Tag zuvor. Das brachte mich auf eine Idee. Wanst-wie-ein-Bisonbulle war von der Marter dermaßen überanstrengt, dass ihm der schwere Grashalm aus der Hand fiel und er beinahe in Ohnmacht fiel. Dafür übernahm nun Drei-Bäuche die weitere Folter der kleinen weißen Squaw. Ich stand auf und schaute Saskia an. Sie war immer noch rot im Gesicht und ganz verschwitzt vom Zappeln und sich Winden. Sie fiepte ängstlich und schüttelte den Kopf. „Drei-Bäuche wird dich nun martern“, sprach ich und schaute möglichst böse drein. „Nn-nn!“ schrie Sassi in ihren Knebel. Sie schaute mich flehend an. „Mmmpf! Gmmf! Gnnn!“ Ich fasste mit den Fingern nach ihren Rippen. Sie quiekte ganz laut und schüttelte den Kopf. „Gmm! Gmm! Nn-nn!!! Mmmmmpf!“ Ein bisschen tat sie mir leid, aber sie hatte es ja so gewollt, oder? Ich begann sie zu kitzeln. Saskia bäumte sich in ihren Fesseln auf. Obwohl sie bombenfest an den Baum gebunden war, wand sie sich wie ein Aal. Sie zuckte und ruckte. Sie versuchte sich zu drehen, um meinen kitzelnden Fingern zu entkommen. Die ganze Zeit schrie und quietschte sie laut in ihren Knebel. „Mmmh! Mmh! Mmmmmmh!“ Sie wand sich aus Leibeskräften. Schweiß rann ihr aus dem Stirnpony. „Mmmpf! Gmmm! Gnnimmm!“ Ich hörte erst auf, als sie dunkelrot im Gesicht war. Schnell nahm ich ihr den Knebel ab, damit sie mir nicht erstickte. „Nichtmehrnichtmehrnichtmehr!“ flehte sie keuchend. „Nicht mehr kitzeln Chris! Bitte!“ „Ist gut. Deine Marter ist vorbei. Ich habe die Rothäute abgeknallt“, sagte ich gutmütig. Ich lächelte sie an. „Du wolltest ja.“ „Gott! War das furchtbar“, stöhnte sie. „Es ist entsetzlich, gekitzelt zu werden, wenn man sich nicht rühren kann. Ich dachte, die Stricke würden mich zerreißen. Uff! Jetzt bin ich aber platt!“ Ich griff nach ihr. Augenblicklich schrie sie auf: „Nein! Nicht mehr kitzeln Chris!“ „Ich kitzel doch nicht“, beruhigte ich sie. „Ich mache nur deine Fesseln los. Du hast so gezappelt, du schnürst dir sonst noch das Blut ab.“ Ich begann sie loszubinden. Als ich unten bei ihren Füßen war, zuckte sie zusammen. „Nicht kitzeln“, quietschte sie. „Du hast es versprochen!“ Ich gebe zu, ein bisschen reizte es mich, sie grad extra zu kitzeln. Grashalme waren genug da. Aber sie hätte den ganzen See zusammen geschrieen. Ich band sie los. „Oh!“ machte Sassi und ließ sich gegen mich fallen. Wollte ich nicht umkippen, musste ich wohl oder übel die Arme um sie legen. Was mir natürlich sehr gut gefiel. Sie lehnte sich an mich. „Manno! War das ein Durchgang!“ „Schlimm?“ fragte ich. „Ja“, antwortete sie. „Aber irgendwo hat es mir auch gefallen. Kitzeln ist eine geniale Folter. Aber heute nicht mehr!!!“ Ich musste lachen. „Lach nicht, sonst wirst du ausgepeitscht!“ sagte sie und schaute möglichst grimmig. „Die Piraten kennen keine Gnade mit Kerlen, die sie ausgelacht haben!“ Die Idee war gar nicht mal so übel, fand ich. Im Rucksack steckte Saskias dünner Ledergürtel. Damit sollte es gehen.
57. Teil) (für Ramonika)
Ausgepeitscht
Probeweise lehnte ich mich mit dem Bauch gegen Sassis dicke Eiche. „Das müsste klappen.“ „Ist gut“, sagte Saskia. Sie wickelte vier Windungen Schnur um mein linkes Handgelenk und machte einen Knoten. Das gleiche tat sie dann an meiner rechten Hand. „Jetzt musst du dich mit dem Bauch gegen den Baumstamm drücken, Chrissie.“ Ich tat wie sie sagte. Ich stellte mich auf die Zehen und streckte die Arme um den Baum herum, schaffte es aber nicht, ihn ganz zu umarmen. Saskia trat hinter den Stamm. Sie nahm die Seilenden und zog die hinterm Stamm ordentlich zusammen. Sie machte einen Knoten und zog zu. Nun war ich sehr fest gegen den Baumstamm gepresst. Ich musste den Kopf zur Seite drehen. Die raue Rinde kratze an meinem Brustkorb. Ich ließ mich in die Fesselung sinken, bis ich auf meinen Fußsohlen stand. Dadurch wurde der Zug auf meine Arme noch verstärkt, was mir sehr gut gefiel. Saskia kümmerte sich derweil um meine Füße. Sie hatte sich eine neue Fesselung ausgedacht: Sie legte ein Seil unten um dem Baumstamm herum – ungefähr in Höhe meiner Knöchel – und machte es fest. An diesem Seilring befestigte sie meine Füße. Sie nahm sich erst den rechten vor. Sie wand ein Seil einmal um mein Fußgelenk, führte es hinter dem Seilring am Stamm durch und wand es wieder um meinen Knöchel. Das tat sie fünf oder sechs Mal, bis der Fuß fest verschnürt war. Meinen linken Fuß band sie auf die gleiche Art an. Ich linste an meinem Körper runter. Wenn ich den Kopf weit nach hinten drehte, konnte ich den linken Fuß erkennen. Ein ordentlicher Batzen Seil war ums Gelenk gewickelt und fest zugezogen worden. Ich war ziemlich feste angebunden, was mir aber gut gefiel. Es verstärkte das Gefühl des Ausgeliefertseins. Als Saskia den schmalen Gürtel aus dem Rucksack nestelte, bekam ich gewaltiges Herzklopfen. Ein bisschen fürchtete ich mich, aber ich wollte das unbedingt mal ausprobieren. Ich WOLLTE, dass es ein kleines bisschen wehtat. Mit belegter Stimme teilte ich dies Saskia mit. „Ich probier dann mal“, sagte sie. „Aber nicht zu feste.“ Sie holte aus. Ohne es zu wollen, versteifte ich mich. Der Gürtel platschte müde auf meinen Rücken. „Fester Sassi! Das habe ich überhaupt nicht gespürt. Es hat eher gekitzelt.“ „Ja ich weiß doch Chris“, sagte sie sanft. „Ich kann aber nicht gleich volle Pulle hauen. Ich muss mich eingewöhnen. Sonst hau ich zu hart zu und verletze dich.“ Sie schlug mich ein paar Mal. Anfangs war nur ein sachtes Klatschen zu hören und es patschte leicht auf meinen Rücken. Ich trieb Sassi vorsichtig an. Sie schlug fester. Jetzt knallte der Lederriemen richtig auf meinen Rücken. Jedes Mal, wenn er traf, zuckte ich zusammen. Es fühlte sich an wie ein Biss. „Au!“ schrie ich leise. „Wars zu feste?“ fragte Saskia besorgt. Sie kam zu mir und schaute mich aus großen Augen an. „Tut mir leid, Chris.“ „Nicht schlimm“, sagte ich. „Ich war mehr erschrocken, als dass es wehtat. Es ist meistens dann, wenn der Riemen um meinen Brustkorb rumsaust. Dann knallt die Spitze besonders hart gegen die Rippen. Mach ruhig weiter. Ich kann noch ein bisschen aushalten.“ Sie schaute mich an: „Wirklich?“ „Ja Sassi“, sagte ich und lächelte sie an. Sie trat wieder hinter mich und „peitschte“ mich weiter aus. Nun hatte sie es drauf. Meistens lenkte sie die „Peitsche“ so, dass die Spitze mehr auf den Rücken klatschte statt sich um den Brustkorb zu wickeln. Das war auszuhalten. Ich trieb Saskia vorsichtig an. Und versank ein bisschen in meiner Phantasie. War ich auf einem Piratenschiff? Eher nicht. Die strenge Schule von Mister Brockenkotz gefiel mir besser. Man hatte mich bei irgendeiner Schandtat erwischt und nun wurde ich vor aller Augen öffentlich ausgepeitscht. Ich wand mich zuckend unter dem klatschenden Riemen. Ich schrie (natürlich nur in Gedanken, aber das machte SPASS!). Ich zog an den Fesseln. Bei jedem neuen Schlag nahm ich mir vor, nicht laut zu schreien, aber Mr. Brockenkot war ein erfahrener Zuchtmeister und er schlug so hart zu, dass ich jedes Mal heftig zusammen zuckte und ich schreien MUSSTE. Ich sah vor meinem inneren Auge Sassi bei den anderen Kindern stehen, mit großen ängstlich geweiteten Augen und ich betete, dass Mr. Brockenkotz mich nur auspeitschen würde. Denn wenn der brutale Mensch mich gezwungen hätte, zu verraten, dass Saskia mit mir zusammen die Kartoffeln geklaut hatte, unter der Peitsche hätte ich es gestanden. Aber Brockenkotz wollte nur schlagen. „Woah! Du kriegst ja Striemen!“ rief es von hinten und die Schläge hörten auf. Ich ließ mich in die Fesseln sinken. Es tat gut, die angespannte Haltung lockern zu können. Im Verlauf der Auspeitschung hatte ich mich in den Fesseln verkrampft. Da wo mich die „Peitsche“ getroffen hatte, brannte der Rücken. Die Haut schien auf eine komische Art zu „brummen“. Ich spürte Sassis Hand federleicht über meinen Rücken streicheln. „Ich höre jetzt lieber auf, Chris“, sagte sie. „Mehr trau ich mich nicht. Du hast wirklich Striemen gekriegt.“ „Grün und blau?“ fragte ich neugierig. „Nein, bloß ein bisschen rot. Die meisten gehen schon weg, aber ich höre trotzdem auf.“ Allmählich breitete sich das Brennen über meinen ganzen Rücken aus und wurde zu einem „brummenden“ Glühen. Es war unheimlich warm. „Ist gut“, sagte ich. „Aber lass mich noch ein bisschen am Baum stehen, ja?“ Ich erzählte von meiner Phantasie. „Ja Chris. Ich geh mal nach unserem Boot gucken, ob das noch da ist.“ Sie lief weg. Ich hörte das leise Tapsen ihrer nackten Füße auf dem Sand, dann war ich allein. Genüsslich hing ich am Baumstamm. Die Handfesseln schnitten tief ein. Das wurde allmählich echt unangenehm. Auch die feste Fesselung an meinen Fußgelenken tat mir weh, aber ich liebte das. Ich lehnte mein Gesicht an die rissige Borke des Stammes und ruhte mich aus, hilflos gefesselt im Wald. Ein herrliches Gefühl, nicht loskommen zu können. Ich mochte dieses Ausgeliefertsein. Mit einem Mal war ich so was von glücklich, dass ich Sassis Glaspferd kaputt getrampelt hatte. Ich hatte eine liebe Freundin gefunden, die ich mehr als alles andere auf der Welt mochte und wir hatten unsere coolen Spiele. Nie hätte ich mir träumen lassen, all diese Vorstellungen einmal in der Wirklichkeit zu erleben!
58. Teil) (für Ramonika)
Saskias Wunsch
Es dauerte eine Weile, bis Sassi zurück kam und zum Schluss begann ich, ungeduldig zu werden. Die Handfesseln zogen doch ziemlich streng an meinen Armen und drückten mir den Brustkorb ab. Es war eine Sache, sich was vorzustellen und eine andere, es zu „erleiden“. Übertreiben wollte ich es ja nicht. Aber Sassi! Die wollte! Als sie mich losband guckte sie die ganze Zeit so komisch. Ich kann es nicht beschreiben. Sie hatte so einen Blick drauf, der mir durch und durch ging. Ich wusste sofort, dass sie innerlich an was knabberte. Ich reckte und streckte mich wohlig und rieb meine Hand- und Fußgelenke, an denen die Stricke atemberaubende Spuren hinterlassen hatten. Auch Saskia bewunderte die Abdrücke von den Seilen. Sie sagte aber nichts. „Du hast doch was Sassi“, begann ich vorsichtig. Sie guckte mich an; ein bisschen erschrocken, als hätte ich sie bei was Bösem erwischt. „Sag doch!“ ermunterte ich sie. Da wurde sie rot und schüttelte den Kopf. Ich setzte mich auf den Boden, um bequemer an meinem Knöcheln reiben zu können. Saskia trat hinter mich. Ich spürte ihre Fingerspitzen über meinen Rücken streicheln. „Da sind immer noch ein paar Striemen“, sagte sie. „Tut es weh?“ „Nein“, antwortete ich. „Es glüht und brummt.“ „Es brummt?“ Sie setzte sich neben mich und lehnte sich an mich: „Erzähl mal!“ Also verklickerte ich ihr haargenau, wie sich die „Peitschenschläge“ angefühlt hatten, von sanftem müdem Klatschen bis zum scharfen Biss, wenn der Riemen sehr hart auftraf und man beinahe einen leisen Schrei losgelassen hätte. Vom Gefühl, wenn sich die Gürtelspitze um den Brustkorb legte und der Schlag dann besonders zog. „Da bleibt einem ein bisschen die Luft weg“, versuchte ich es zu beschreiben. Saskia schaute mich mit großen Augen an: „Tut es SO weh?“ Ich überlegte. „Eigentlich nicht. Es ist mehr der Schreck. Man weiß ja nicht genau, wann der nächste Schlag kommt. So weh, dass ich schreien oder heulen musste, tat es nicht. Das hätte ich dir schon gesagt. Aber es war irgendwie aufregend. Es war so … so ECHT!“ „Man weiß nie genau, wann der nächste Schlag kommt“, sprach sie leise und schaute mich wieder so seltsam an. Ich wurde nicht schlau aus ihr. „Was ist mit dir, Sassi?“ fragte ich. „Du hast doch was.“ Sie krabbelte auf meine ausgestreckten Beine, kniete sich über sie und legte mir ihre kleinen Hände auf die Brust: „Schwörst du, dass du nichts verrätst?“ Sie schaute mich forschend an. „Ich schwöre“, antwortete ich. „Wir halten doch immer zusammen, Sassi.“ Sie wurde wieder rot. „Ich … ich …“ Sie rang nach Worten. „Ich will auch mal gepeitscht werden.“ Ich lächelte sie an: „Ist das alles? Ist doch kein Problem. Klar, mach ich Sassi.“ Sie drückte mir ihre Hände fest auf die Brust und sah mich drängend an: „Wehe du sagst jemand was!“ „Ich doch nicht“, entgegnete ich verblüfft. „Wieso sagst du so was? Die ganze Zeit habe ich doch auch nichts gesagt.“ Sie senkte den Blick und wurde noch mehr rot. „Ich will wie bei Tante Tanja!“ Sie schluckte. Ich merkte, dass sie all ihren Mut zusammen kratzen musste und ließ ihr Zeit. Mit gesenktem Blick erzählte Saskia: „Ich war an Ostern dort für drei Tage. Irgendwann wurde ich unausstehlich. Es hat nur geregnet und ich war den ganzen Tag eingesperrt. Da bin ich eben frech geworden.“ Sie redete jetzt hastig, holte kaum Luft. „Ich habs übertrieben und Tante Tanja hat mich gehauen. Mit dem Gürtel. Auf den Po und den Rücken. Nicht viel. Nur vier oder fünfmal. Ich habe natürlich gebrüllt.“ Saskia machte eine Pause. Sie war feuerrot im Gesicht. Ich fasste ganz zart nach ihren kleinen Händen, die noch immer gegen meine Brust drückten. Plötzlich wurde mir klar, was sie wollte. „Und Sassi?“ fragte ich leise. „Mir kannst du es ruhig sagen. Ich erzähle es niemandem.“ „Es hat mir gefallen“, flüsterte sie hastig und dann vergrub sie ihr Gesicht in meiner Halsbeuge. Es war sehr heiß, ihr Gesicht. Sie atmete heftig. „Ich war wütend“, flüsterte sie. „Und empört. Kinder hauen ist verboten. Was bildete die sich eigentlich ein, mich zu vertrimmen? Und ich hab geplärrt. So weh hat es nicht getan, ich habe mehr aus Wut gebrüllt.“ Ihr Gesicht lastete schwer auf meiner Schulter und ihre kleinen Hände versuchten, sich an meiner Brust festzukrallen. Sie holte tief Luft. Dann richtete sie sich auf und sie blickte mir freimütig in die Augen. Sie war noch immer knallrot. „Du kannst jetzt sagen, ich bin verrückt, aber hinterher hat es mir gefallen und ich muss seitdem immer wieder dran denken.“ Ihr Blick wurde trotzig: „So, jetzt habe ich es gesagt und du kannst allen sagen, dass ich bekloppt bin!“ Unter ihrem Trotz entdeckte ich eine Verletzlichkeit, die mir fast Tränen in die Augen trieb. „Du bist nicht bekloppt Sassi“, flüsterte ich und streichelte ihre Hände. „Ich habs ja auch ausprobieren wollen. Wenn du willst, dann haue ich dich ein bisschen.“ „Ich will aber ein bisschen fester“, sagte sie. „So fest, dass ich anfange zu heulen. Wenigstens ein bisschen. Ich will das ausprobieren. Ich denke immer daran, wie Tante Tanja mich vertrimmt hat.“ Ich musste schlucken. Was, wenn ich sie verletzte? In Büchern war davon die Rede, dass bei Auspeitschungen die Haut aufplatzte. Vor meinem geistigen Auge sah ich Saskia mit blutigem Rücken. Eine entsetzliche Vorstellung! Es in der Phantasie spielen war okay, aber in echt? „Wenn du mir den Mund zubindest, hört mich keiner schreien“, sagte sie hastig. Mir wurde ganz anders. Das konnte ich nicht! Saskia sah es mir an. „Nur ein bisschen Chrissie!“ bettelte sie. „Nicht wirklich brutal! Nicht so, dass ich grün und blau werde. Das will ich ja gar nicht. Davor habe ich Angst. Aber ein bisschen fester als bei dir.“ Sie schaute mich bittend an. „Du musst langsam anfangen, bis rote Striemen zu sehen sind. Wenn sie sofort wieder verschwinden, ist es zu sachte. Wenn man sie länger sieht, ist es richtig. Dann ist es so wie bei dir.“ Sie holte tief Luft. „Und dann schlägst du fünf oder sechsmal fester! Richtig feste! Dass es auf meinem Rücken knallt! Und nicht in gleichmäßigem Takt. So weiß ich nie, wann der nächste Schlag kommt.“ Sie fiel mir um den Hals. „Bitte Chrissie! Nur dieses eine Mal! Bitte!“ Mir schlug das Herz bis zum Hals. Eilig ging ich mein Erlebnis an der Eiche in Gedanken durch. Ja die festeren Schläge hatte ich schon deutlich gespürt. Ein wenig härter, überlegte ich, und ich hätte womöglich kurz aufgeschrieen oder mir hätte es eine Träne ins Auge getrieben. Wenn ich es schaffte, genau ein klitzekleines bisschen fester zu hauen, nur ein winziges bisschen… „Du machst es, gell?“ flüsterte mir Saskia ins Ohr. „Ja“, antwortete ich. „Und die Augen musst du mir auch zubinden“, verlangte sie und drückte sich fest an mich. „Damit ich nicht sehe, wann der nächste Schlag kommt.“ „Okay Sassi“, flüsterte ich. Meine Kehle war staubtrocken. Saskia sprang auf: „Bind mich an, bevor mich der Mut verlässt!“ Ich erhob mich steif. „Nicht an den Baum“, sagte sie. Sie deutete an den Rand der Kuhle: „An den Ast dort. Die Hände über den Kopf gestreckt und an den Ast gebunden.“ Sie lief hin. „Und die Füße zusammen gefesselt!“ Ich holte Seile. Es ist nicht so schlimm, wie du befürchtest, sagte ich mir in Gedanken immer wieder. Es kann nichts passieren, wenn du scharf aufpasst. Das Schlimmste, was es geben kann, sind ein oder zwei blaue Striemen. Du musst eben ganz genau aufpassen! Nicht zu feste! Nicht zu feste!!! Saskia stellte sich unter den Ast und reckte die Arme hoch. Sie schaute mich lieb an: „Bind mich fest, Chrissie. Bitte.“ Sie packte den armdicken Ast. Die Hände hielt sie in Schulterbreite voneinander. „Okay!“ Ich wurde ruhiger. Es konnte nichts passieren, wenn ich gut aufpasste. Ich legte mehrere Seilwindungen um ihre rechte Hand, dann um den waagrechten Ast. Ich ließ mir Zeit, achtete darauf, dass sie Fesselung straff genug war, um Saskia auch dann zu halten, wenn sie wie wild an den Stricken zerrte. Gleichzeitig sollte ihr Handgelenk ein wenig Bewegungsspielraum haben. Ich umwickelte ihr Handgelenk und den Ast in Achterwindungen. Ja so ging das! Und zuknoten. Fertig. Nun die andere Hand. Dann kniete ich vor ihr und fesselte ihre bloßen Füße zusammen. Ich stand auf. Jetzt musste ich Sassi noch knebeln und ihr die Augen verbinden. „Ich kann nicht mehr los“, sagte sie leise und hatte wieder diesen seltsamen Blick drauf. „Jetzt ist es zu spät. Es passiert! Ob ich will oder nicht!“ Ich hätte ihr sagen können, dass das nicht stimmte. Ein Wort und ich hätte sie losgebunden. Doch ich spürte, dass sie es so wollte. Darum nickte ich nur stumm und ging zum Rucksack, um weitere Utensilien zu holen. Die ganze Zeit über schlug mir das Herz bis zum Hals.
59. Teil) (für Ramonika)
Saskia bekommt die Peitsche zu kosten
„Halt!“ rief Sassi plötzlich. Aha! Sie hatte es sich anders überlegt. Ich atmete innerlich auf. „Du musst mein Bikinioberteil ausziehen. Sonst ist mein Rücken ja nicht frei.“ Mist! Und ich hatte schon gedacht … Ergeben fummelte ich den Knoten hinter ihrem Hals auf. Danach konnte ich ihr das Teil nach unten ziehen und es über ihre Füße abstreifen. Sassi trug nun nur noch ihre Bikinihose. Sie schaute mich aus riesigen blanken Augen an: „Ich vertraue dir, Chrissie!“ Ich bekam einen Kloß in den Hals. Ich nahm Saskias Taschentuch und das Pfadfinderhalstuch. „Willst du wirklich?“ fragte ich sie. Als Antwort öffnete sie stumm den Mund. Ich stopfte ihr das zusammengeknüllte Taschentuch hinein und fixierte es mit dem Dreieckstuch. Sie schaute mir die ganze Zeit über tief in die Augen. Neugier stand darin und ein bisschen Angst. „Wie bind ich dir denn jetzt die Augen zu?“ murmelte ich. „Ein weiteres Dreieckstuch habe ich keins. Hmmm … vielleicht lasse ich dich so, wie du bist.“ „Mmmh!“ machte Saskia energisch. „Schon gut“, sagte ich und fischte ein kleines Handtuch aus unserem Rucksack. Das legte ich dreimal zusammen, schlang es um ihren Kopf und legte außen einen Strick drum, den ich hinter Sassis Kopf verknotete. Es war soweit. Saskia war hilflos gefesselt, stumm und blind. Ich holte den Gürtel und trat hinter sie, betrachtete einen Moment ihre schmale aufgerichtete Gestalt. An was sie wohl in diesem Augenblick dachte? Hatte sie Angst? Wollte sie, dass es nicht geschah? Oder konnte sie es kaum erwarten? Wollte sie Saskia Winter aus dem Hier und Jetzt sein oder die Saskia, die mit ihrem Freund das Königreich Kettingen durchstreifte? Sollte ich ihr mit einer Phantasie helfen? Ich umkreiste Saskia, reckte den Kopf in die Höhe und wurde… …Mister Brockenkotz! „So Kinder, seht sie euch an“, rief ich. „Das ist Saskia Winter! Ein durch und durch verdorbenes Mädchen! Man hat sie erwischt! Zuerst beim verbotenen Tanzen und dann fand man in ihren Taschen mehrere Silberlöffel, gestohlen von der Tafel des Baron von Seil! Seht sie euch an! So sieht eine Diebin aus!“ Saskia legte den Kopf schief. Dann erkannte ich trotz ihres Knebels, dass sie lächelte. Es gefiel ihr. „Seht nun Zöglinge, was mit einem ungezogenen, diebischen Mädchen geschieht!“ donnerte Mr. Brockenkotz. „Seht genau zu! Damit ihr nie auf die Idee kommt, ähnliche Verbrechen zu begehen! Saskia Winter wird die Peitsche bekommen! Sie hat es herausgefordert! Sie wusste, welche Strafe auf ihre Freveltaten stand. Trotzdem hat sie es getan. Nun wird sie für ihre Sünden büßen!“ Ich trat hinter Sassi und holte aus. Vorsichtig, sehr vorsichtig ließ ich den schmalen Ledergürtel auf ihren Rücken klatschen. Nur zu gut erinnerte ich mich an den kräftigen Biss der „Peitsche“. Nicht gleich so wild! Ich schlug drei oder viermal locker. Saskia gab ein Geräusch von sich. Es klang, als sagte sie: „Fester! Mach schon!“ Ich schlug härter. Nun war beim Auftreffen auf Sassis Haut ein deutliches Klatschen zu hören. Sie zuckte zusammen. Ich nahm Maß und schlug noch mal. Fester diesmal. Der Gürtel gab im Flug ein zischendes Geräusch von sich. Der Schlag war schlecht gezielt. Das Gürtelende schlang sich ein Stück um Saskias Brustkorb herum und schlug mit einem leisen Knall auf. Sie zuckte zusammen und gab einen leisen Schrei von sich. Auf ihrem Rücken blieb eine rosige Strieme zurück, die rasch verblasste. Jetzt fand ich zu einem Rhythmus. Ich schlug mal schneller, mal langsamer. Nach zwei oder drei festeren Schlägen, ließ ich meistens einen lockeren folgen. So konnte Saskia nie wissen, wie der nächste Hieb ausfallen würde. Jedes Mal zuckte sie zusammen. Manchmal bäumte sie sich richtig auf, und sie gab einen leisen Laut von sich. Es klang aber eher nach Schreck als nach Schmerz. Mein Herz klopfte wie wild. Ich hatte Angst, eine solche Angst. Wenn ich es nur nicht übertrieb! Ich peitschte Saskia weiter aus, wechselte die Stellung und schlug mal höher mal tiefer. Sassis schmaler Rücken überzog sich mit roten Striemen, die nicht sofort verblassten. Es war soweit. Zu sagen traute ich mich nichts. Sie hatte es so gewollt. Ich holte weiter aus und gab dem Gürtel ordentlich Drive. Das Klatschen beim Aufprall war viel lauter als vorher. Es klang wie ein Pistolenschuss. Sassi bäumte sich auf und sie schrie in ihren Knebel. Es war ein kurzer Aufschrei. Ihr Körper versteifte sich. Du willst es so!, dachte ich und schlug noch mal. Sie schrie wieder auf, lauter diesmal und wilder. Ich raffte allen Mut zusammen und schlug los. Vier oder fünfmal hintereinander, nie im gleichen Rhythmus und immer verdammt fest. Jeder neue Schlag schien mir noch härter, noch grausamer zu sein. Saskia schrie jedes Mal laut in ihren Knebel. Sie stand die ganze Zeit verkrampft auf den Zehen aufgerichtet und bei jedem Schlag, der ihren schmalen Körper erschütterte, bäumte sie sich in ihren Fesseln auf. Ich hörte auf! Sah, wie sie sich versteifte in Erwartung des nächsten furchtbaren Schlages. Hörte ihren hastigen Atem. Sie hing in ihren Fesseln, aufgerichtet, wehrlos, hilflos. Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis sie kapierte, dass keine neuen Schläge mehr kommen würden, und sie sich entspannte. Sie sackte regelrecht in den Seilen zusammen. Einen schrecklichen Augenblick lang dachte ich daran, den Gürtel noch einmal auf ihren Rücken knallen zu lassen. Aber das konnte ich unmöglich tun. Meine Hände zitterten und ich war kurz davor, zu weinen. Ich sah die Striemen auf Saskias Rücken. Einige verblassten bereits, andere waren noch leuchtend rot. „Sassi!“ flüsterte ich und griff nach dem Seil, das ihre Augenbinde festhielt. Bei meiner Berührung zuckte sie zusammen und gab einen erschrockenen Ton von sich. Ich fühlte mich, als hätte man mir ins Gesicht geschlagen. Schnell knotete ich ihre Augenbinde auf und nahm ihr den Knebel ab. „Sassi! Alles in Ordnung mit dir?“ fragte ich voller Sorge, als ich die Tränen in ihren Augen sah. „Das hat wehgetan!“ schniefte sie. Ihre Augen waren riesengroß. Mir wurde sterbenselend. Ich hatte sie zu fest geschlagen! „Bitte schlagen Sie mich nicht mehr, Mister Brockenkotz!“ flehte sie. „Bitte nicht mehr! Ich bereue so sehr, was ich getan habe! Ich verspreche, ich will in Zukunft ein ordentlicher und braver Zögling sein!“ Das brach den Bann. Ich atmete dreimal tief durch. Danach ging es mir besser. Mit vorgereckten Bart stolzierte Mr. Brockenkotz um die schluchzende Saskia Winter herum. Das Mädchen hing völlig zerschlagen in den Fesseln. Es war nur noch ein heulendes Häufchen Elend, bereit alle Forderungen zu erfüllen, die man ihm stellen würde. „Das geschieht mit ungezogenen Mädchen!“ belferte der gemeine Schulleiter. „Seht sie euch an, die räudige Diebin! Seht wie sie flennt! Sie hat ihre verdiente Strafe erhalten! Bis zum Abendessen bleibt sie gefesselt hier in der Vorhalle hängen, damit jeder Zögling sich anschauen kann, was mit ungehorsamen Kindern passiert.“ Brockenkotz stolzierte erhobenen Hauptes davon. Saskia Winter blieb hilflos gefesselt zurück. Ihr Rücken war mit blauschwarzen Striemen bedeckt. Beim Gebrauch der Nilpferdpeitsche hatte sich der brutale Schulleiter nicht zurück gehalten. „Am Schluss war es echt zu bösartig!“ sagte Sassi zu mir. Sie hing in ihren Handfesseln, als handle es sich um eine bequeme Hängematte. Ihre Augen strahlten eine träge Zufriedenheit aus. „Ich will das nie wieder.“ Sie runzelte die Stirn. „Jedenfalls so schnell nicht mehr. Nachdem mich Tante Tanja gedengelt hatte, fühlte ich mich genauso.“ Ich untersuchte ihren Rücken. Ein paar rote Striemen waren noch da. Sie würden aber bald verschwinden. Vorsichtig streichelte ich mit den Fingern über Sassis Rücken. Sie hielt andächtig still. Und da passierte es. In meinem Mund explodierte einen Stange Dynamit. „AU! SCHEISSE!“ Stöhnend hielt ich mir die Backe. „Was ist, Chris?“ fragte Saskia besorgt. „Oh es geht wieder los! Wie vor vier Wochen! Der Zahn!“ Ich begann Sassi freizuknoten. Dabei legte das Hammerwerk in meinem Oberkiefer los. „Oh! Verflucht! Der Zahnarzt hat gesagt, es wäre verheilt!“ Wir sammelten unsere Sachen ein. Saskia zog sich rasch ihr Bikinioberteil an. „Was hast du denn, Chrissie? Du bist ganz bleich.“ „Da ist irgendeine Entzündung an einem Backenzahn“, nuschelte ich. „Die war angeblich weg. Aber jetzt tut es schlagartig wieder weh. Ich habe es heute Morgen schon gespürt, mir aber nichts dabei gedacht. Mist! Ausgerechnet in den Ferien!“ Aber Lamentieren half nichts. Wir sahen zu, dass wir auf dem schnellsten Weg zum Campingplatz kamen. Meine Mamusch fragte nicht lange. Sie packte mich ins Auto und raste mit mir zu Doktor Presslufthammer. Der schaute hinter seinen Brillengläsern hervor wie ein erschrockener Uhu, murmelte was von Rückfall und lud eine riesige Spritze auf. Alles was danach passierte nahm ich nur durch einen wabernden Nebel wahr. Zurück auf dem Campingplatz wollte ich nur in die Klappe und pennen.
60. Teil) (für Ramonika)
Die ausgesprochen seltsame Art erwachsener Leute, auf einem Campingplatz ihren Mittagsschlaf zu halten
Ich lag eine Stunde lang flach. Als ich aufwachte, war alles Zahnweh wie weggeblasen. Schon wollte ich Gott und allen Heiligen dafür auf Knien danken, da fand ich den Zettel: „Hallo Chris. Wir sind einkaufen. Saskia begleitet uns. Die Winters halten ein Mittagsschläfchen. Bitte störe sie nicht. Mutti.“ So ein Kack! Klauten die mir einfach meine Sassi weg! Zum Einkaufen! Pfui Spinne! Das war doch eine Strafe! Obwohl … Saskia war ein Mädchen und Mädchen waren ein bisschen wie Frauen und Frauen waren tierisch geil aufs Einkaufen. Die drehten bei der Vorstellung, fünf Stunden lang hunderttausend verschiedene Schuhe anzuprobieren, voll durch. Aber ich war allein! Gemein das! Mürrisch ging ich nach draußen. „Christian!“ rief es leise. Ich guckte mich um, sah aber keinen. „Chris!“ rief es erneut. „Hier! Im Wohnwagen!“ Es war Saskias Vater. Er lugte mit einem Auge aus einem Spalt des Wohnwagenfensters. „Komm mal schnell Christian!“ Ich lief hin. Das Fenster war dunkelbraun, so dass man von außen normal nicht rein sehen konnte. Man musste das Gesicht schon ganz nah ran an die Plexiglasscheibe halten. Drinnen lagen der Weinschlauch und Misses Baileys auf der zum Bett umgebauten hinteren Sitzecke. „Ihr seid ja nackig!“ rief ich verdutzt. „Pssst! Nicht so laut!“ wisperte der Weinschlauch. „Und ihr habt unsere Handschellen an!“ rief ich. Jetzt war ich aber baff. „Was macht ihr denn mit unseren Handschellen?“ „Nicht so lauuut Chris!“ flüsterte der Weinschlauch drängend. „Wir haben bloß ein bisschen gespielt. Sonst nichts.“ „Aha, aber mit Sassi und mir maulen, wenn wir damit spielen“, rief ich. Ich dachte nicht im Traum dran, leise zu sprechen. Warum auch? Die Mittagsruhe war längst rum. Weiter hinten mähte sogar einer den Rasen. „Schrei doch nicht so“, fiepte Saskias Vater. Er klang echt verzweifelt. „Du musst uns helfen Christian. Wir haben den Schlüssel vergessen. Der Ersatzschlüssel hängt bei euch im Wohnwagen. Bitte hol ihn, ja?“ „Aber es ist doch ein Schlüssel an eins der Handschellenpaare gebunden“, krakeelte ich. Die Sache erschien mir immer seltsamer. „Wir haben aber zwei Paar erwischt, an denen leider keiner dranhängt“, sagte der Weinschlauch. „Bitte hol den Schlüssel.“ „Na wegen mir“, brummte ich. „Aber mit UNS meckern!“ Das hatte ich noch loswerden müssen. Ich holte das Schlüsselchen und gab es Herrn Winter. Neugierig schaute ich ins Fenster. Er war mit seiner Frau mit einem Handschellenpaar an den Händen und mit dem anderen an den Füßen zusammen gekettet. Misses Baileys hatte eine feuerrote Birne. „Warum seid ihr denn nackig?“ fragte ich neugierig. „Weil … weil … es war so heiß im Wohnwagen“, antwortete der Weinschlauch hastig und schloss die Handschellen auf. „Gib mir den Schlüssel. Ich hänge ihn zurück“, verlangte ich. „Ja gut. Da hast du ihn. Und brüll doch nicht so laut rum.“ „Die Mittagsruhe ist längst rum“, entgegnete ich und brachte den Schlüssel zurück. Angestrengt nachdenkend lief ich von dannen. Das war ja ein Ding! Mit uns Kindern maulen, wir seien kindisch! Aber dann selber mit den Handschellen spielen! Mit UNSEREN Handschellen! Ha! Und dann auch noch so doof sein und den Schlüssel vergessen! Doppel-Ha! Was, wenn ich nicht aufgewacht wäre? Was mir am meisten zu denken gab war die Tatsache, dass die beiden total nackig gewesen waren. So warm war es nun auch wieder nicht! Badehose und Bikini hätten sie doch anbehalten können. Aber ich hatte deutlich dem Weinschlauch seinen dicken Piephahn gesehen und das Wollgebüsch von Misses Baileys. Ich war so ins Nachdenken versunken, dass ich in jemanden hineinrannte. „Nanu?“ fragte eine Stimme. „Sind dir beim Husten die Augen in den Dickdarm gefallen?“ Es war Onkel Trööt. Er stand neben einer Bank am Seeufer und schaute den Enten zu. Ich dachte nach. Onkel Trööt konnte ich vertrauen. Er würde mir sicher sagen, was da eben los gewesen war. „Kann ich dich was fragen, Onkel Trööt?“ Trööts Augen wurden ernst: „Klar Christian. Ist was passiert?“ Er wirkte besorgt. „Nichts Schlimmes“, sagte ich schnell. „Aber ich kapiere es einfach nicht. Mit uns maulen und dann selber machen und auch noch saudoof sein. Und ich kapier nicht, warum die nackig waren.“ Onkel Trööt bugsierte mich neben sich auf die Bank: „Schieß los Kamerad!“ Ich begann zu erzählen. Trööt bekam dicke Kugelaugen. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse wie bei einem, der gleich laut niesen musste. Er gab ein seltsam schnarchendes Geräusch von sich. Als ich weitererzählte, begann er komische Würgelaute auszustoßen. Er klang wie ein schlechtgelaunter Traktor, der nicht anspringen will. Wie ich erzählte, dass ich laut gefragt hatte, warum die nackig seien, drehte der Traktormotor immer schneller. Schließlich gab Onkel Trööt ein langes heulendes Quietschen von sich und dann lachte er laut los. „Ääääärrr-härrr-härrrr-härrrrr!“ bärte er. Er wackelte wie blöde mit dem Kopf vor und zurück und versuchte seine Oberschenkel zu Brei zu prügeln. Sein Gesicht lief lila an. Er konnte überhaupt nicht mehr mit Lachen aufhören. „Ärrr-härrrr-härrrr-härrrr!!!“ Ich kapierte seine Heiterkeit nicht so ganz. Als er mein blödes Gesicht sah, lachte er noch lauter! Ich bekam Angst, dass sein Kopf abbrechen würde. Wenn nicht, würde er vor Lachen ersticken. Er war schon dunkelviolett im Gesicht. „Das iss geiiil!“ heulte er zwischen etlichen Ärr-härrr-härrrs und verprügelte seine armen Oberschenkel. „Oh Mann iss das geeiiiilll! So ne Scheiße, dass ich das nicht sehen durfte! Ärrr-härrr-härrr! Das Gesicht vom Weinschlauch hätte ich zu gerne gesehen! Knallrot und die Bumspumpe voll hochgefahren! Ärrr-härrr-härrr!“ Er wickelte die Arme um mich, gab mir einen Kuss auf die Backe und zerquetschte mich ein bisschen. „Christian, du bist schon ne Nummer!“ „Aber warum waren die beiden nackig?“ bohrte ich. „Herr Winter hat gesagt, es sei so heiß im Wohnwagen.“ Trööt lachte gleich wieder los und wurde wieder lila. „Oh Mann!“ röchelte er zwischen zwei Lachsalven. „Es war nicht heiß im Wohnwagen, aber es ging heiß her im Wohnwagen! Ärr-härr-härrr!“ Nur langsam beruhigte er sich. „So ein Kack, das ich das nicht sehen durfte!“ sagte er und machte ein beleidigtes Gesicht. „DAS wäre eine wundervolle Geschichte für heute Abend gewesen.“ Er schaute mich freundlich an. „Du kapierst das noch nicht so, Kamerad. Dazu müssen dir erst mal Haare unter den Armen wachsen.“ Er stieß mir freundschaftlich in die Rippen. „Bewahr dein Wissen für dich. Und dann eines schönen Tages wenn du siebzehn oder achtzehn bist, lässt du die Bombe abends am Grill platzen.“ Er schaute flehentlich zum Himmel auf: „Oh himmlischer Vater! Bitte lass mich das noch erleben!“ Er fing schon wieder an zu lachen. Er konnte überhaupt nicht mehr aufhören. Danach versuchte er mir zu erklären, dass die Winters „heiße Sexspielchen“ gemacht hätten. Ich wusste ungefähr was Sex war. Ich hatte schon Hunden und Meerschweinchen und Hamstern dabei zugesehen und wusste, dass erwachsene Menschen so was auch taten. Dabei entstanden manchmal Kinder. Aber was zum Teufel wollte man dabei mit Handschellen? Sowieso war es eine arg schräge Vorstellung, dass meine Eltern manchmal ihre Stritzer ineinander steckten. Ich versuchte mir vorzustellen, dass Sassi und ich das auch taten. Eine ungeheuerliche Vorstellung! Bääh! Onkel Trööt nahm mir das Versprechen ab, nicht vor meinem sechzehnten Geburtstag über das Erlebte zu sprechen, nicht einmal mit Saskia und ich versprach es ihm. So besonders war es nun auch wieder nicht gewesen! Ich verstand immer noch nicht, warum er sich darüber kaputtlachte. Vielleicht musste ich warten, bis mir Haare unter den Armen wuchsen, auch wenn ich nicht schnallte, was kräuselige Haare mit Verstehen zu tun hatten. Ich zog davon und als ich bei unserem Wohnwagen ankam, waren meine Eltern gerade mit Saskia zurückgekommen und die Winters saßen vorm Wohnwagen, als sei nichts gewesen. Sassi war barfuss und trug ein neues blauweißes Dirndlkleid, in dem sie absolut supersüß aussah. „Hallo Chrissie!“ rief sie. „Wie geht es deinem Zahn?“ „Der ist wieder in Ordnung“, antwortete ich. Sie freute sich. „Das ist gut. Dann können wir ja wieder spielen.“ Sie drehte sich vor mir im Kreis: „Gefall ich dir?“ „Mm! Sieht schön aus das Kleid.“ „Das ist ein Kleid, wie es 1850 Mode war“, berichtete Saskia. „Damals trugen alle kleinen Mädchen solche blau gefärbten Dirndlkleider. Das ist handgemacht mit echtem Indigo! Ich habe es vor ein paar Tagen im Kleidergeschäft auf einer Internetseite gesehen. Sie heißt www.sommerdirndl.com und dort steht, das sind Kleider für fesche Mädeln von vier bis zehn und dass man das Sommerdirndl wegen dem zeitlosen romantischen Eindruck barfuss tragen soll.“ Sie umarmte mich. „Jetzt bin ich ein armes holländisches Fischermädchen von 1872! Oder ein Bauernmädchen von damals. Oder ein armes Kind in der Stadt. Ist das nicht toll? Deine Mutter hats mir geschenkt. Sie ist so lieb.“ Sie wandte sich an ihre Eltern: „Grillen wir schon, oder ist noch Zeit?“ „Es ist noch lange Zeit“, antwortete ihre Mutter. „Ihr könnt ruhig losziehen, ihr zwei Amseln.“ Das ließen wir uns nicht zweimal sagen. Wir schnappten den Rucksack und sausten los. Vorher vergewisserte ich mich, ob die Handschellen wieder drin waren. Sie waren. Und als der Weinschlauch mich nachsehen sah, wurde er knallrot.
61. Teil) (für Ramonika)
Verraten und verkauft!
Wir sausten los. Ich hatte den Rucksack dabei. Sassi hopste voraus und drehte sich immer wieder im Kreis, dass sich der Rock ihres Dirndls in ein blauweißes UFO verwandelte. Es sah schön aus, wie sie sich freute. „Du bist schön in deinem neuen Kleid“, sagte ich. Sie blieb stehen, legte den Kopf schief und schaute mich an: „Ja?“ Ich nickte: „Ja Saskia. Du siehst wirklich aus wie ein armes Fischermädchen von 1870 mit deinen bloßen Füßen, dem blauen Dirndl, deinen schulterlangen braunen Haaren und deinen schönen hellbraunen Augen. Du gefällst mir sehr.“ Manno! Hatte mich DAS Mut gekostet! Ihre Augen wurden ganz weich. Sie blieb stehen, bis ich bei ihr war. Mit hochgezogenen Armen lehnte sie sich gegen mich und schaute mich an: „Ehrlich?“ Sie kreuzte die Hände hinter meinem Genick. „Ja Sassi“, sagte ich. Meine Stimme war rau vor Verlegenheit. Ich musste dran denken, wie traurig sie mich früher angeschaut hatte, als sie Angst davor hatte, wegzuziehen. Sie schaute mir ewig lange in die Augen. Richtig ängstlich sah sie aus. „Meinst du das wirklich ehrlich?“ fiepte sie. „Ja Saskia.“ Sie holte tief Luft: „Wirst du immer mein Freund sein Chrissie?“ „Ja Saskia“, sagte ich ruhig und umarmte sie ganz fest. Sie ließ die Arme sinken, lehnte sich an mich und gab ein leises Seufzen von sich. Es war so unwirklich! Ich wusste nicht, was plötzlich mit ihr los war. Ich hielt sie einfach fest. „Morgen fahren wir nach Hause“, sagte sie leise, den Kopf an meine Schulter gelehnt. „Ja ich weiß“, antwortete ich. „Dann sehen wir uns oft nur am Wochenende, aber Mutti hat gesagt, in Zukunft würden wir euch öfter besuchen und ihr uns.“ „Ich habe jetzt schon Angst davor“, sagte Saskia. „Ich muss immer dran denken, wie wir weggezogen waren. Ich war so allein! Ich habe immer nur geweint, Chrissie! Bitte geh nie von mir weg! Bitte!“ Ich kriegte einen Kloß in den Hals. „Ich geh nicht weg, Sassi! Nie!“ sagte ich mit heiserer Stimme. Sie hielt sich ewig lange an mir fest. Ich hielt sie umarmt und drückte mein Gesicht in ihr weiches Haar. Ich habe keine Ahnung, wie lange wir so auf dem Waldweg standen, alles um uns herum vergessend. Es war wie in einem Traum und wie aus einem Traum erwachten wir auch. Sassi schaute mich an und lächelte schüchtern. Ich lächelte zurück. „Ich habe dich so gerne Chrissie“, sagte Saskia leise. „So lieb hatte ich noch nie einen Menschen! Nicht mal meine Mama und meinen Papa.“ „Hab dich auch lieb!“ Mehr brachte ich nicht heraus. Wir fassten uns an den Händen und gingen schweigend weiter. Es war, als hätten wir einen geheimen Vertrag geschlossen. Alles hätte so schön sein können. Alles, einfach alles hätten wir zusammen durchgestanden! Doch es kam ganz schlimm! Mister Brockenkotz und seine Frau kamen in das Zimmer gerannt, in dem die Zöglinge für eine Manufaktur Kleider nähen mussten. „Saskia Winter!“ brüllte Mr. Brockenkotz. „Und Christian List!“ gellte der Komodowaran. Mit kaltem Reptilblick schaute sich Misses Brockenkotz um. „Hier!“ meldeten sich die beiden Kinder ängstlich. Der Gesichtsausdruck des Schulleiters und seiner Frau ließen sie nichts Gutes ahnen. „Hände vorhalten!“ bellte Mr. Brockenkotz. Christian und Saskia streckten die Hände vor. Mr und Mrs Brockenkotz ließen Handschellen um ihre Handgelenke schnappen, an deren Verbindungsring eine Zugkette befestigt war. Mit den Ketten zogen sie die erschrockenen Kinder hinter sich her. „Was ist denn?“ rief Saskia voller Furcht. „Was haben wir denn getan? Bitte tun sie mir nichts! Ich bin doch gerade erst ausgepeitscht worden!“ „Mund halten!“ blaffte der Komodowaran. Christian schaute die hagere Frau mit den kalten Reptilaugen an. Seiner Meinung nach war die Frau von Mister Brockenkotz noch gemeiner und bösartiger als ihr Mann. Die beiden zerrten die Kinder unsanft in die Vorhalle der Schule. Saskia schrie vor Schrecken. Auch Christian erstarrte. In der Halle standen ein Dutzend Hakenmänner! Ihre rotglühenden Augen musterten die Kinder. „Ssirnd siii dass?“ knarrte einer der Hakenmänner. Frau Brockenkotz zerrte Saskia zu ihm und zeigte ihm die entblößte Schulter des Mädchens: „Da ist das Muttermal, dass ihr sucht!“ Ihr Mann tat das Gleiche mit Christian. „Jaarr! Dars sssint sssie!“ schnarrte der Anführer der Hakenmänner. Er lachte das schreckliche Lachen, das seiner Art eigen war. Saskia und Christian sträubten sich die Haare vor Angst. „Sssschööönnn!“ gurgelte er. Er holte einen großen Lederbeutel aus seinem Gewand und reichte ihn Mister Brockenkotz: „Hiiirr! Euerrr Lhhohhhnn! Sssswei Pfunnt Gollld fürrr jedesss Kinnnndt!“ Brockenkotz nahm das Gold. „Darmittt issst unsssserrrr Gesssschäffft gemachtttt!“ knarrte der Anführer der dämonischen Leute. „Diiee Kinndddter sssindd unnnssserrrr!“ Er gab seinen Leuten einen Wink. Zwei Hakenmänner traten vor und packten die Führketten von Saskias und Christians Handschellen. „Nein!“ schrie Saskia und brach in Tränen aus. Sie stemmte sich mit bloßen Füßen gegen den Zug an der Führkette. „Nicht! Sie können uns doch nicht an die Hakenleute ausliefern! Mister Brockenkotz! Misses Brockenkotz! Bitte nicht!“ Sie begann laut zu weinen. „Sie wissen doch, was die mit uns machen werden“, rief Christian verzweifelt. „Die ermorden uns! Bitte liefern sie uns nicht aus!“ Mr. Brockenkotz drehte verschämt den Kopf zur Seite. Selbst dem Komodowaran stand die Scham ins Gesicht geschrieben. „Gehnnnn wirrr!“ gurgelte der Anführer der Hakenmänner und schritt zum Schultor. Seine Leute folgten ihnen und zogen die angeketteten Kinder erbarmungslos hinter sich her. „Bitte helfen sie uns!“ schrieen die Kinder. Sie waren außer sich vor Angst. „Helft uns doch!“ Doch die Hakenmänner zogen sie zur Schule hinaus in die aufkommende Dunkelheit. Draußen standen ihre gräulichen Reittiere und ein Wagen. Es war ein niedriger Käfig auf Rädern, mit zwei Gorns bespannt. In diesen Käfig sperrten die Hakenmänner die beiden Kinder. Obwohl sich Christian und Saskia aus Leibeskräften wehrten, steckten sie die Kinder hinein. Nicht genug damit! Sie ketteten die beiden auch noch an. Sie drückten Saskia und Christian einander gegenübersitzend mit den Rücken gegen die Gitterstäbe. Sie rissen die Hände der Kinder hoch und legten ihnen von oben herab baumelnde Handeisen an. Auch die Füße der beiden Kinder wurden in schwere eiserne Fußangeln gelegt. Als wäre das noch nicht genug, presste der gemeine Anführer der Hakenleute die nackten Fußsohlen der Kinder gegeneinander und wickelte ein Stück Draht um die großen Zehen von Saskia und Christian, so dass ihre Füße fest miteinander verbunden waren. Danach gab er Befehl aufzusitzen und los zu reiten. Mit einem Ruck setzte sich der Wagen mit dem Eisenkäfig in Bewegung. „Zum unterirdischen Schlosssss unnnssseresss Herrrrrn!“ befahl der Anführer. Saskia und Christian sahen sich aus tränennassen Augen an. Sie wurden zu Hakylos in die Unterwelt gebracht! Es war aus! Von dort war noch nie jemand lebend zurückgekommen! Sie wussten, dass sie einen schrecklichen Tod sterben würden. Die beiden Kinder weinten bitterlich.
62. Teil) (für Ramonika)
In der Unterwelt
Die Gorns zogen den Käfigwagen in gleich bleibendem Trott. Saskia und Christian wurde der Weg ewig lang. Die schweren Eisen, die ihre Hände über den Kopf nach oben zogen, begannen von dem Geschaukel weh zu tun. Auch die Fußeisen waren schmerzhaft fest geschlossen und ihre zusammen gebundenen Zehen taten weh, weil der Eisendraht tief in die Haut einschnitt. Trotzdem klapperten sie vor Angst mit den Zähnen bei dem Gedanken an das Ende der Fahrt. „Wir werden sterben Christian“, sagte Saskia. „Ja“, entgegnete Christian. Er spürte Saskias nackte Fußsohlen an seinen eigenen; eine tröstliche Berührung trotz der schmerzhaften Drahtfesselung ihrer großen Zehen. Er hatte Angst, aber gleichzeitig schaute er seine Freundin still und gefasst an. Sein Herz war angefüllt mit Liebe für Saskia. So furchtbar ihr Schicksal auch war, sie würden es gemeinsam teilen. Sie würden zusammen sterben. Die Hakenmänner trieben ihre Gorns in den wilden Urwald. Nach mehr als einer Stunde öffnete sich vor ihnen ein riesiges Loch im Boden. Eine schräge Rampe aus Kopfsteinpflaster führte in den Bauch der Erde hinab. Die eisenbereiften Räder des Käfigwagens klapperten laut auf dem Weg in den Abgrund. Es wurde finster. Nur hier und da beleuchtete eine Fackel am Wegesrand die abwärts reitende Kolonne. Schließlich hielt der Wagen vor einem riesigen unterirdischen Bau. Es war das Schloss von Hakylos dem Spinnendämonen, erbaut aus gigantischen schwarzen Granitquadern. „Geh unnnd mellde demm Herrrrn, waasss wirrr mitgebrrrraacht habbben“, schnarrte der Anführer der Hakenmänner einen Untergebenen an. Der lief ins Schloss. Die anderen Hakenmänner öffneten den Käfig und machten Saskia und Christian los. Dabei gingen sie nicht gerade zimperlich vor. Kaum befreit, wurden die beiden Kinder schon wieder in Eisen gelegt. Ihre Hände und Füße landeten in riesigen Eisenangeln, die mit kurzen schweren Ketten verbunden waren. So schwer waren die eisernen Fesseln, dass Christian und Saskia kaum gehen konnten. Die Hakenmänner trieben sie erbarmungslos vorwärts. Auf dem Weg ins Schloss weinten die Kinder ohne Unterlass. Man trieb sie durch lange hohe Gänge, deren unheimliche Düsternis von Fackeln in Wandhaltern kaum vertrieben wurde. Endlich landeten sie in einer großen düsteren Halle, die ganz aus schwarzem Granit bestand. Man schleppte die Kinder zu zwei eisernen Säulen vor einem riesigen Kamin. In dem Kamin loderte ein großes Feuer. Die Hakenmänner stießen Saskia und Christian zu den beiden Eisensäulen und nahmen ihnen ihre eisernen Fesseln ab. Doch die Kinder blieben nicht lange frei. Man führte sie zu den Säulen und drückte sie mit dem Rücken dagegen. Sie reichten ihnen bis zu den Schultern. Die Hakenmänner bogen die Arme der Kinder nach hinten und schlossen ihre Hände hinter den Säulen mit großen, schweren Handschellen zusammen. Für die Füße der beiden Kinder gab es unten an den Säulen passende Fußangeln, die fest mit den Metallsäulen verschweißt waren. Mit roher Gewalt drückten die Hakenmänner die nackten Füße Christians und Saskias in die offenen Fußfesseln und schlossen die Eisenbänder und sicherten sie mit Vorhängeschlössern. Als wäre das noch nicht genug nahmen sie lange schwere Ketten und wickelten sie ungemein stramm um die aufrecht stehenden Kinder und pressten ihre schmalen Körper damit fest gegen die Eisensäulen. Christian und Saskia konnten sich nicht mehr rühren und sie bekamen kaum noch Luft, so sehr schnürten die Ketten sie ein. Kaum einen Meter voneinander entfernt standen sie mit dem Gesicht zum Kamin angekettet. Trotz seiner Angst betrachtete Christian den riesigen Kamin. Er war ganz aus schwarzem Stein gehauen und mit Dämonenfratzen verziert. Rechts und links gab es riesige Halterungen für Bratspieße. Die Halterungen standen weit vor und sie hatten scharfe Spitzen, die in den Raum hinein ragten. Von rechts näherte sich eine große schwarze Gestalt. Die Hakenmänner fielen alle auf die Knie. Ihr Herr kam! Beim Anblick von Hakylos gefror den angeketteten Kindern das Blut in den Adern. Er sah aus wie ein riesiger Hakenmann, aber seine Augen waren nicht rot sondern sie waren gelbgrün. Wie große bösartige Laternen leuchteten sie aus dem kantigen Gesicht des Dämonen mit dem Adlerschnabel. Der Spinnenherr umkreiste Saskia und Christian. Er begutachtete die Schultern der Kinder. „Sie sind es!“ brüllte er. „Die beiden unbekannten Königskinder, deren Tod mir die Macht über die gesamte Erde in die Hände legen wird!“ Er stellte sich vor Christian und Saskia mit dem Rücken zum Kamin und zog ein Schwert aus einer Rückenscheide. Es war ein gigantischer Bihänder. Der scharf geschliffene Stahl schimmerte im Licht der vielen Fackeln im Raum. Noch immer knieten die Hakenmänner am Boden. „Dies ist das Schwert der Finsternis“, erklärte Hakylos den beiden weinenden Kindern. „Damit schlage ich eure Köpfe ab. Ich werfe sie in das Feuer im Kamin und damit wird der Zauber in Gang gesetzt, der mir die gesamte Erde untertan machen wird. Euer Blut wird euch um die Füße fließen. Die Dunkelheit wird in die Welt ziehen und sie in wenigen Wochen vollständig bedecken. Ewige Finsternis wird über alle Länder kommen und ich bin nicht länger in die Unterwelt verbannt. Ich werde hinausgehen mit all meinen treuen Dienern und die Herrschaft über die Menschen antreten.“ Der Dämon lachte grausam. „Was heult ihr eure erbärmlichen Tränen?“ fragte er und lächelte bösartig dazu. „Eure Tränen können euch nicht helfen. Ihr werdet nun sterben, Kinder!“ Das wars, dachte Christian verbittert. Von wegen, Hakylos wird umkommen, sobald er die beiden Kinder tötet! Ha! Was für eine dumme, kindische Legende! Wir werden sterben! Alle beide! Er schaute zu Saskia hinüber. „Ich liebe dich Saskia!“ rief er ihr zu. „Ich liebe dich Christian!“ rief das Mädchen unter Tränen. „Ich werde dich immer lieben!“ Hakylos lachte brüllend auf. „Eure Liebe ist hiermit zu Ende Kinder! Jetzt werdet ihr sterben!“ Er trat einen Schritt nach hinten auf den Kamin zu und holte mit dem riesigen Bihänder aus. Die beiden Kinder schlossen die Augen in Erwartung des Unaussprechlichen.
63. Teil) (für Ramonika)
Das Ende
Die hilflos angeketteten Kinder erwarteten das Niedersausen des großen Schwertes, dass ihnen die Köpfe abschlagen würde. Doch es blieb still. Sie öffneten die Augen. Hakylos stand still vorm Kamin, die Hände mit der stählernen Waffe zum Schlag erhoben. Er war erstarrt. Aus seiner Kehle kam ein erstaunter Laut. Absoluter Unglaube stand in den Augen des Dämons. Er versuchte zu sprechen, aber es kam nur ein leises Gurgeln dabei heraus. Seine Arme knickten ein. Mit lautem Scheppern fiel das große Schwert zu Boden. Hakylos riss den Mund zu einem stummen Schrei auf. Ein fingerdicker Strahl schwarzroten Blutes spritzte aus seiner Kehle. Wieder versuchte der Herr der Hakenmänner zu schreien, doch es wurde nur ein jämmerliches Quieken daraus. Die Beine gaben unter ihm nach und er sackte zusammen. Einen Moment lang schien er bewegungslos in der Luft zu hängen. Dann war hinter seinem Rücken ein ratschendes Geräusch zu vernehmen. Es klang irgendwie nass und schmatzend. Hakylos fiel nach vorne. Er schlug mit dem Gesicht auf dem Boden auf. In seinem Rücken klaffte eine riesige Wunde, aus der schäumendes schwarzrotes Blut spritzte. Christian starrte ungläubig auf die Verletzung. Dann begriff er: als Hakylos beim Ausholen mit dem schweren Bihänder nach hinten geschwungen war, hatte er seinen Oberkörper mit dem eigenen Schwung in eine der spitzen vorstehenden Halterungen des Kamins getrieben. Die eiserne Spitze war tief in seine Lunge eingedrungen und hatte das Monster durchbohrt. Ein schauriges Gurgeln kam aus der Kehle des am Boden liegenden Dämonen. Er richtete sich auf. Seine Krallenhand streckte sich nach den Kindern aus. „Ihr!“ röchelte er, während das Blut in Bächen aus seinem Mund strömte. „Ihr…! Ihr PACK! Töte euch! Ich … töt…verfl…fluchte Legende! Ich töööte euch!“ Er richtete sich weiter auf und wollte Saskia packen. Das Mädchen schrie wie am Spieß. Hakylos brach erneut zusammen. Diesmal blieb er still liegen. Ein See aus schwarzem Blut breitete sich um den Körper am Boden aus. Der Spinnendämon war tot! Als die Hakenmänner sahen, dass ihr Herr tot war, brachen sie in lautes Geschrei aus. Sie heulten und schrieen wie Wölfe. Sie zuckten und ihre Körper verrenkten sich. Dann fielen sie der Reihe nach aufs Gesicht. Ihre Körper platzten auf. Fauliger Gestank machte sich breit. Aus dem faulenden Fleisch krochen riesige Spinnen mit fetten haarigen Beinen. Quiekend krochen sie zum dem toten Hakylos und leckten von dem Blut des Dämonen. Alle Spinnen kamen herbei und labten sich am Lebenssaft ihres dämonischen Herren. Plötzlich surrte eine dicke Eule vor Saskia und Christian entlang. „Uhuu! Ich bins Kinder. Ich habe die Elfenprinzessin Ramonika dabei.“ Die Eule landete vor den Füßen der angeketteten Kinder. Die winzige Blumenelfe stieg von ihrem Rücken und flog hinter die Kinder. Mit ihren Zauberkräften öffnete sie die Schlösser der eisernen Fesseln an Händen und Füßen von Saskia und Christian. Die dicke Sumpfohreule half ihr dabei, die Ketten herunter zu reißen. Endlich waren die zwei Kinder frei. „Kommt schnell!“ rief die Eule drängend. „Sobald die Spinnen das Blut ihres Herrn getrunken haben, wird das darin enthaltene Gift sie töten, und das unterirdische Schloss wird einstürzen. Mit Ramonika auf dem Rücken flog die Eule voraus. Christian und Saskia stolperten auf bloßen Füßen hinterher. Die Unterwelt begann zu grollen und zu donnern. Krachend stürzten Höhlenteile ein. Die Kinder rannten um ihr Leben, während hinter ihnen alles zusammen fiel. Endlich kamen sie draußen an. „Wir müssen aus dem Wald raus!“ schrie Christian alarmiert. „Hier gibt es Ungeheuer!“ Die kleine Blumenelfe flatterte vor ihren Gesichtern auf und ab. „Seid ganz außer Sorge liebe Menschenkinder“, rief sie. „Der Urwald war mit dämonischem Leben erfüllt, weil Hakylos seine Unterwelt unter den Wurzeln der Bäume hatte. Mit dem Tod des Spinnendämons werden auch die oberirdischen Dämonenkreaturen sterben. Euch droht keine Gefahr.“ Und so zogen Saskia und Christian im Triumphzug in die nächste Stadt ein und alle Leute feierten die beiden Kinder, die das Land vom Fluch des Spinnendämons befreit hatten. Auch Regina und die anderen Arbeitskinder, die befreit worden waren, fanden sich zum Fest ein. Regina erzählte Saskia, dass die Kinder im Wald ein verlassenes Haus gefunden hatten, in dem sie alle zusammen wohnten. Alle waren vor Freude aus dem Häuschen, weil Chris und Sassi die Welt vom drohenden Fluch des Hakylos befreit hatten. Christian und Saskia war all das Feiern egal. Sie hielten sich umarmt und sie waren glücklich, noch immer beieinander zu sein. Zufrieden mit dem guten Ende unseres Phantasiespiels zogen Sassi und ich heimwärts zum Campingplatz. Weils so schön war, hatten wir unsere Hände vorm Bauch mit je einem Paar Handschellen zusammen gebunden. „Das war klasse“, rief Sassi begeistert. „So eine schöne Phantasie hatte ich allein noch nie. Du hast so tolle Ideen, Chrissie!“ Mir wurde ganz warm ums Herz, wenn sie sich so freute. Es war einfach schön, Sassi glücklich zu sehen. Sie hopste ein Stück voraus und drehte sich auf bloßen Füßen im Kreis. Ihr Dirndl flog. „Ich kann dir auch so was nähen“, meinte sie. Ich schaute skeptisch: „Du willst mich in Mädchenkleider stecken?“ Bei aller Liebe, da machte ich nicht mit! Saskia lachte lauthals. „Doch nicht in ein Kleid, Chris! Deine Mutti hat mir versprochen, Schnittmuster zu besorgen und danach nähe ich dir Leinenhosen und ein Hemdchen im alten Stil. Dann passen wir zueinander. Nun, das klang richtig gut. Zufrieden folgte ich ihr zum Campingplatz. Am Waldrand zogen wir die Handschellen aus Wir gingen noch schnell schwimmen und dann duschen, während Alkoholix und der Weinschlauch den Grill anschmissen und Misses Baileys und Likörika Fressi-Fressi vorbereiteten. Onkel Trööt traf auch bald ein. Er hatte eine ganze Tüte superleckerer grober Bauernbratwürste dabei, die ich so sehr liebte. Und seine Flöte. Ich holte unsere Decke und breitete sie auf der Wiese aus. Sassi und ich zogen unsere Käppchen an und dann hockten wir uns auf die Decke. Natürlich durften die Handschellen nicht fehlen. Ich fesselte Sassi die Hände und Füße und legte mir dann selber Handschellen an. Angekettet hockten wir auf der Decke, eng aneinander gekuschelt. Onkel Trööt holte seine Kamera. „Ein Bild von der Chain-Gang“, meinte er grinsend und knipste uns. Wir grinsten dümmlich ins Objektiv.
64. Teil) (für Ramonika)
Am letzten Abend
Wir hockten gemütlich auf unserer Decke und kuschelten uns aneinander. Auf dem Grill brutzelte Fressi-Fressi. Weil noch massig Zeit war, holte ich meine Mundharmonika raus und ließ sie schön traurig jammern. Ich spielte einige bekannte Lieder, dann das Intro zu Sassis Lied. Sie sang auch gleich dazu:
Siehst du den Tanz der kleinen Feen? Sommer wird ewig sein. Dort wo die Heideblumen stehn, fand ich die Liebe mein. Wir wandern, wir singen, ich spür süßen Schmerz. In deinen blauen Augen, dort glüht mein kleines Herz.
Ich möchte immer bei dir sein, wünsch dass das Glück uns leite. In weiter Ferne und daheim, immer an deiner Seite. Die Blumen sie blühen, ganz früh schon im März. Wo sie erblühen, tanze ich. Dort glüht mein kleines Herz.
Onkel Trööt grinste selbstzufrieden. „Ätscht!“ sagte er und zeigte einen kleinen Kassettenrekorder vor, der hinter seinem Stuhl versteckt gewesen war. „Ich habs aufgenommen. Ätsch! Da ist das Mikro.“ Er zeigte auf ein kleines schwarzes Ding, das oben an die Stuhllehne geclipst war. „Und alles in 1 A- Tonqualität!“ Er spulte das Band zurück und ließ es auf Winters großem Radio-CD-Rekorder laufen. „Davon will ich eine Kopie!“ verlangte meine Mutter. „Das wird eine schöne Erinnerung.“ „Ich auch!“ forderte Saskias Mutter. „Kein Problem Leute“, sprach Trööt. „Ich jage zuhause alles durch den Computer und verbessere den Ton noch ein bisschen. Dann kriegt ihr CDs. Das Coverfoto mit den Kindern in Ketten habe ich ja schon geschossen.“ Er machte uns ein Zwickauge. „Aber ein Liedchen muss noch mit auf die CD“, verlangte er und holte seine Flöte. „Saskia?“ „Okay“, sagte Saskia. Onkel Trööt startete den kleinen Rekorder und begann auf seiner kleinen Flöte zu spielen. Saskia sang den mittelalterlichen Text dazu:
Under der linden an der heide da unser zweier bette was da muget ir vinden schone beide gebrochen bluomen unde gras vor dem wald in einem tal tanderadei schone sanc die nahtegal
Ich kam gegangen zuo der ouwe do was min friedel komen e da wart ich enpfangen here frouwe daz ich bin saelic iemer me kust er mich wol tusentstund tanderadei seht wie rot mir ist der mund
Do het er gmachet also riche von bluomen eine bettestat des wirt noch glachet innecliche kumt iemen an daz selbe pfat bi den rosen er wol mac tanderadei merken wa mirs houbet lac
Daz er bi mir laege wessez iemen nu enwelle got so schamt ich mich wes er mit mir pfaege niemer niemem bevinde daz wann er und ich und ein kleines vogellin tanderadei daz mac wol getriuwe sin
Als er fertig war, verbeugte sich Onkel Trööt: „Danke sehr, liebreizende kleine Sängersmaid für die schöne Aufnahme.“ „Das Lied ist ja ganz schön“, meinte mein Dad. „Aber ich habe kaum die Hälfte verstanden.“ „Es wird in Hochmittelalterlichem Deutsch gesungen“, erklärte Trööt. „Geschrieben hat den Song Walther von der Vogelweide, und der lebte von 1170 bis1230. Damals sprach man ein anderes Deutsch als heute. Es ist ein Liebeslied für weibliche Singstimme. Und es ist nicht mal sicher, ob die Melodie stimmt. Die stammt nämlich von dem französischen „En mai“. Die Originalnoten sind verschollen. Doch die Verse passen auf das französische Lied.“ „Was du alles weißt“, meinte mein Vater kopfschüttelnd. „Das einzige was ich weiß ist, dass unser Futter gleich verbrannt ist“, rief der Weinschlauch. „Fertigmachen zum Essenfassen!“ Ich sperrte Saskia und mich los und wir rückten in die Freilandkantine ein, um uns fressenderweise an der Schlacht am heißen Buffet zu beteiligen. Kaum hatten wir uns mit all den gegrillten Köstlichkeiten voll gestopft, hockten Sassi und ich uns wieder auf unsere Decke. Es machte mir einen Heidenspaß, Saskia die Handschellen anzulegen. Wie meistens streckte sie mir zuerst die Hände hin und ich ließ die Dinger um ihre Gelenke schnappen. Das Ratschen und Klickern war einfach ein supercooles Geräusch. Danach wandte ich mich Sassis nackten Füßen zu und legte das zweite Paar Handschellen um ihre Knöchel. Bei mir selber fing ich immer mit den Füßen an. Dort landeten die Handschellen, an denen der Schlüssel baumelte. So konnte ich an den Händen ein Paar OHNE Rettungsschlüssel tragen, was den Eindruck des hilflos Gefesseltseins verstärkte. Onkel Trööt legte eine CD in Winters „Campingplatz-Hifi-Anlage“ und drehte ein bisschen auf. „The Percy Faith Orchestra“ spielte das Lied „A Summer Place“, einen wunderschönen Instrumentaltitel, in den ich total vernarrt war. Solange das Lied lief, schaute ich Saskia unverwandt an. Es war für mich DAS Liebeslied schlechthin. Wenn ich das hörte, konnte ich mir mühelos vorstellen, für immer mit Sassi in einem Land des ewigen Sommers zu leben. Mein Herz schlug schneller, als Saskia mir lieb zulächelte. Im Augenwinkel sah ich, wie meine Mutter Misses Baileys anstieß und die zwei gerührt zu uns rüberschauten. Meine Mutsch machte eine Bewegung am Handgelenk. Das sollte wohl heißen: Die habe die Dinger ja schon wieder an! Für einen Moment war ich in großer Sorge, dass man mir und Saskia die Handschellen verbieten könnte. Aber dann fiel mir ein, bei was ich Misses Baileys und den Weinschlauch erwischt hatte und ich war mir plötzlich ganz sicher, dass Saskias Eltern bestimmt nichts gegen unsere harmlosen Spielereien hatten. Nach Percy Faith kamen die Champs mit „Tequila“ und bei jeder Runde soff die „Alkoholiker-Quadriga“ an ihrem Wein, Bier, Likör und sonst was und sie brüllten laut: „Tequila!“ Erwachsene! Schlimmer als kleine Kinder! So ließ es sich aushalten. „Erzähl doch mal einer eine Anekdote aus seinem Leben!“ verlangte die Scharfe Anne, die gerade mit der Wilden Hilde vorbeikam und sich frech dazusetzte, um den Säufern das Bier wegzugluckern. Onkel Trööt zeigte auf Saskias Vater: „Der Weinschlauch ist heute an der Reihe. Erzähl doch mal vom teuersten Klohpapier der Welt lieber Hartmut.“ Misses Baileys wurde hellhörig: „Wie bitte? Davon weiß ich ja gar nichts!“ „Frauen wissen eben nicht immer alles über ihre Männer“, lästerte Onkel Trööt. Mein Vater grinste breit. Er schien die Geschichte zu kennen. Saskias Vater begann zu erzählen: „Das ist schon eine Weile her. Ihr wisst sicher noch, wie ich mir das teure Mountainbike gekauft habe und am Wochenende immer damit in die Wälder gefahren bin. Nun, eines schönen Sonntagmorgens ging es mir nicht so doll.“ Er schaute sein holdes Eheweib an. „Das war, als wir Samstagabends bei den Jungheinrichs waren. Weißt du noch? Es gab Eisbein mit Sauerkraut und Specksoße und ich habe vier Riesenportionen Sauerkraut gemampft.“ Der Weinschlauch begann leise zu hiecken. Auch Onkel Trööt machte seine bekannten Traktor-springt-nicht-an-Geräusche. Mein Vater soff seine Bierflasche in einem Zug leer und grinste dabei wie ein Honigkuchenpferd. „Ich bin also unterwegs im schönen Walde und es hat massig Spaziergänger, weil es ein wundervoller Frühlingssonntagmorgen war. Da bekam ich absolut unsonntägliche Gefühle im Gedärme. Richtige Presswehen waren das! Ich überschlug im Geiste, wie schnell ich nach Hause rasen könnte, um auf den Lokus zu kommen. Mein Dickdarm teilte mir gnadenlos mit, dass er keine Lust verspürte, bis zuhause zu warten. Ich musste! Und zwar auf der Stelle! Ich stieg ab und schob mein Rad durchs verfilzte Unterholz in eine Fichtenschonung rein, damit ich nur ja weit weg vom nächsten Waldweg war. Beim Schliefen durchs Unterholz fing ich mir mindestens zwei Dutzend Zecken ein, doch das war mir egal. Ich hockte mich mitten in den Wald und das Sauerkraut kam mit Hochgeschwindigkeit zur hinteren Pforte raus. Es hörte gar nicht mehr auf. Ich musste zweimal vorrücken. Auf den Haufen wäre ein Elefant neidisch geworden, sag ich euch!“ Misses Baileys und Likörika klammerten sich schon mal aneinander und sie truthahnten ein bisschen: „Ruddu-ruddu-ruddu.“ Ihre Köpfe wurden rot vom Lachen. „Ja und wie ich endlich fertig bin und so richtig erleichtert, fällt mir ein: ich hab kein Kackpapier mit!“ berichtete der Weinschlauch. „Au weia!“ Seine Frau lachte laut los. „Jetzt weiß ich, warum du seitdem immer eine Ladung Klohpapier dabei hast.“ „Tja eben“, sagte Herr Winter. „Ich musste mich natürlich abwischen und so musste die nagelneue Topografische Landkarte dran glauben. 7 Euro 20 für einmal Arschwischen. Ganz schön kostspielig. Und unangenehm wars auch noch. Das Papier topografischer Landkarten ist ziemlich hart!“ Reihum brüllte alles vor Lachen. „Aber das war noch nicht alles“, sagte Saskias Vater, als alle fertig gelacht hatten. „Noch nicht?“ fragte meine Mum. „Hast du NOCHMAL gemusst?“ „Nein“, erwiderte der Weinschlauch und nahm einen großen Schluck aus seinem Rotweinglas. „Aber plötzlich hörte ich eine Stimme direkt aus dem Himmel: „Mensch du alte Sau!“ Ich bin vielleicht erschrocken. Das kann ich euch sagen. Eine zweite Stimme brummte: „Was ist denn?“ Darauf die erste Stimme: „Hier einfach einen abzukoffern! Du Skunk! Hast du heute Morgen im Leichenhaus gefrühstückt? Du musst doch innerlich total verwest sein!“ „Aber ich hab nicht gefurzt“, sagte die zweite Stimme verdutzt. „Ach komm du Methanbomber!“ maulte Stimme Nummer eins. Ich schaute vorsichtig nach oben und was sehe ich? Da war ich extra ganz tief in die Schonung reingekrochen und hatte mich zum Abkacken ausgerechnet genau unter einen Hochsitz gehockt!“ Jetzt gab es kein Halten mehr. Alles lachte und schrie durcheinander. „AAAA-AAA-AA-A-A-A-AAAAA!“ bärte mein Vater. “Hieck-hieck-hiiieck”, machte der Weinschlauch. „Ärrr-härrr-härrr!“ brüllte Onkel Trööt und er prügelte seine Oberschenkel zu Brei und wackelte mit dem Kopf vor und zurück. Meine Mutter und die von Saskia lagen sich in den Armen und sie heulten wie Seehunde: „Hjouk! Hjouuuuk! Hjouuk!“ Die Wilde Hilde wieherte wie eine Stute und die Scharfe Anne auch. „Mann! Das war mir vielleicht peinlich“, rief der Weinschlauch lachend. „Ich bin dann sehr, sehr vorsichtig davon geschlichen, während oben auf dem Hochsitz Stimme 1 mit Stimme 2 schimpfte und ihn einen Skunk, einen stinkenden Pavian und einen Methangasboiler nannte.“ Wir lachten uns alle kaputt. Später wurde es dann Zeit für mich und Sassi. Ohne Murren zogen wir uns die Fußschellen aus. Die Handschellen an den Handgelenken ließen wir an, als wir in unser Zelt krochen. Ich sah aber, wie meine Mutter Misses Baileys anstubste. Kaum lagen Sassi und ich zusammen im Schlafsack, wurde der Zelteingang geöffnet. Es waren unsere Mütter. „Ihr werdet die blöden Dinger doch nicht im Schlaf tragen oder?“ fragte meine Mutti. „Nö“, sagte ich. „Zeigt mal her!“ verlangte sie. „Wir haben sie nicht an“, brummte ich und kuschelte mich an Saskia. „Vorzeigen! Hände hoch!“ rief Mamschi befehlend. „Manno! Sind wir hier in einem Westernfilm?“ maulte ich. „Eure Hände!“ beharrte mein Muttertier. Sassi und ich schauten uns an. Dann nahmen wir ergeben die Hände aus dem Schlafsack. An unseren Handgelenken befand sich nichts außer zarter Haut. „Seid ihr jetzt zufrieden!“ brummte ich möglichst schlechtgelaunt. Unten im Schlafsack spielten Saskia und ich mit unseren nackten Füßen aneinander rum. Wir trugen dort Handschellen und die Ketten waren überkreuz gelegt, so dass unsre Füße zusammen gefesselt waren. „Na dann gute Nacht ihr zwei Turteltäubchen“, sagte meine Mutter und verschloss das Zelt. Von draußen drang der Schein des Grillfeuers herein. Ich schaute Sassi in die Augen und lächelte: „Die haben wir schön drangekriegt, was?“ Sie gab umarmte mich und gab mir einen Kuss. Dann holte sie ein Paar „Handschellen“ aus Katzenhalsbändern hervor und hielt sie mir hin: „Leg mir die noch an Chrissie. Bitte. Schnall meine Handgelenke auf dem Rücken zusammen und dann halt mich im Arm, während wir einschlafen.“ „Geht klar“, flüsterte ich. Mit einigen Verrenkungen schaffte ich es, ihr die Hände auf den Rücken zu fesseln. Sie lag still in meinem Armen. Ihr Atem kitzelte mich am Hals. „Mir tut immer noch der Rücken weh“, wisperte Sassi. „Das mach ich nicht mehr. Das mit dem Gürtel war zu feste.“ „Es tut mir leid Sassi“, sagte ich zerknirscht. „Es muss dir nicht leidtun, Chrissie. Ich wollte es ja. Ich wollte unbedingt wissen, wie es sich anfühlt. Aber ich mag das nicht mehr. Es war zu feste.“ Eine Weile lagen wir still. „Morgen fahren wir nach Hause“, flüsterte Saskia. „Wir sehen uns ja bald wieder“, beruhigte ich sie. „Spätestens am nächsten Wochenende. Vielleicht geh ich meiner Mamschi auch schon vorher so auf die Nüsse, dass wir mitten in der Woche zu euch auf Besuch fahren. Ich kann das. Ich bin der König der Quengler.“ „Ja?“ fragte sie leise und schmiegte sich noch enger an mich. „Ja“, antwortete ich ebenso leise und dann pennten wir ein.
65. Teil) (für Ramonika)
Der Kuchen-Junkie
Am nächsten Tag war dann Schluss. Es war schon ein komisches Gefühl, als ich morgens aufwachte. Sassi pennte noch. Sie lag immer noch in meinem Armen. Eine Weile betrachtete ich ihr Gesicht. Im Schlaf war es ganz weich und sanft. Schwer zu beschreiben. Schön fand ich es. Ich zappelte sehr vorsichtig mit den Füßen. Unsere überkreuz angezogenen Handschellen fesselten uns dort unten immer noch zusammen. Heute Abend würde ich zuhause zum ersten Mal seit vielen Tagen allein zu Bett gehen. Ich hatte mich so dran gewöhnt, Sassis warmen Körper nahe bei mir zu spüren. Sie erwachte mit einem leisen Seufzen. Als sie sah, dass ich sie anschaute, wurde sie rot und lächelte mich an. Ich umarmte sie noch fester und drückte sie an mich. Erst dann begann ich, uns zu befreien. Wieder hatten die stählernen Handschellen Abdrücke an unseren Fußgelenken hinterlassen. Als ich mit Saskia zum Waschhäuschen lief, glaubte ich noch immer, die schweren Metalldinger an den Knöcheln zu spüren. Nach dem Frühstück kamen die Erwachsenen auf die Idee, einen „Abschiedsspaziergang“ rund um den See zu machen. Darauf hatten weder Saskia noch ich Lust. Es war langweilig, in der Herde einen Waldweg entlang zu rennen, vor allem, wenn die Alten alle naslang stehen blieben, um mit entgegenkommenden Bekannten endlos zu quasseln. Nix da! Wir blieben lieber auf dem Campingplatz. Eine Weile spielten wir Mühle. Zu meiner Verblüffung zog Sassi mich von fünf Spielen viermal ab. Dann musste ich auf den Lokus. Als ich zurückkam, kam Saskia von dem kleinen Geschäft her zurückmarschiert, in dem die Camper ihre Fressalien kauften. Sie balancierte ein Papierpaket vor sich. „Was ist das?“ fragte ich neugierig. „Nix für dich!“ entgegnete Fräulein Winter schnippisch und grinste. Ich blähte die Nüstern: „Käsekuchen!!!“ Mein Magen begann zu knurren wie ein Löwe – ach was! – wie ein hungriger Smilodon! „Ich hab Hunger“, fiepte ich und probierte meinen allerbesten Hundeblick. „Der ist für später, du Fresser!“ bestimmte Saskia. Ich begann vor Entsetzen zu quieken wie ein Meerschweinchen. „So lange kann ich aber nicht warten! Sassi!!! Bitteeeee!!! Nur ein Stück!!! Sonst sterbe ich!“ Sie lief zu ihrem Wohnwagen und sperrte den Kuchen in den Kühlschrank. Ich schluckte hart. Das war nicht zum Aushalten! Ich konnte nicht weiterleben, wenn ich nicht AUF DER STELLE ein Stück von dem Käsekuchen bekam! Ich war schon halbtot vor lauter Sterben. Ich bequiekte und befiepte Saskia aufs liebste, doch sie blieb hart. „Du kriegst davon“, sagte sie schließlich. „Aber nur, wenn ich dich füttern darf.“ „Okay, von mir aus“, stimmte ich sofort zu. Ich hätte auch zugestimmt, wenn sie von mir verlangt hätte, dass ich einem wilden Grizzlybären den Kopf rasieren sollte. Es ist schon hart, wenn man käsekuchensüchtig ist! Brav sperrte ich den Schnabel auf. „So doch nicht!“ krähte Saskia lachend. „Auf den Stuhl setzen!“ Ich setzte mich auf den Campingstuhl. Sassi holte unseren Rucksack. Ach DAHER wehte der Wind! „Beeil dich aber mit Anbinden“, flehte ich, „sonst bin ich verhungert, bis du fertig bist.“ Ich musste die Arme auf die Stuhllehnen legen und Saskia wickelte auf jeder Seite Schnur um Arm und Armlehne. Vom Handgelenk bis hinten zum Ellbogen. Sie achtete darauf, dass ich mich nur ja nicht mehr rühren konnte und machte feste Knoten. Weil ihr das nicht reichte, legte sie ein längeres Seil um meinen Oberkörper und verschnürte ihn sehr fest mit der Rückenlehne. Mein Magen machte inzwischen Geräusche, die einer hungrigen Urzeitechse gut zu Gesicht gestanden hätten. Nicht mehr lange, und mir würde der Sabber die Backen runter laufen. Doch Saskia kannte keine Gnade. Aus irgendeinem Grund war sie der Meinung, dass ich diesmal wirklich super-mega-feste angebunden werden musste. Ich konnte betteln wie ich wollte, sie fesselte in aller Ruhe meine Füße an die Stuhlbeine. Weil ich soweit hinten gegen die Lehne gepresst war, erreichten meine Füße den Boden nicht. Sie hingen gefesselt in der Luft. Das wunderte mich nicht, aber als Saskia mit einem seltsamen Lächeln raus ging, wurde ich stutzig. Sie kam mit einem Grashalm zurück. Ich schluckte. Weia! Bloß nicht! „Jetzt kommt meine Rache für letztes Mal, als ich im Wald von den „Indianern“ gefoltert wurde“, sagte Saskia leise. Ich wurde ganz zittrig. Ich war saukitzelig an den Füßen. „Das ist noch nicht alles“, fuhr Sassi fort. „Deine Folter wird schlimmer sein!“ Ich machte Glotzaugen: „Schlimmer?!“ Saskia nickte. „Du wirst nicht geknebelt. Aber du darfst nicht lachen und schon gar nicht schreien. Gibst du auch nur einen Ton von dir, gibt’s keinen Käsekuchen!“ Mir rutschte das Herz in die Hose. Das würde ich nicht schaffen. Unmöglich! „Sassi, das geht nicht“, quiekte ich. „Ich MUSS lachen, wenn du mich kitzelst. Und ich werde STERBEN, wenn ich keinen Käsekuchen kriege.“ „Pech für dich!“ meinte sie und lächelte wie ein ganz fürchterlich braves Mädchen. Sie ließ sich auf die Knie sinken und strich mit den Fingerkuppen über meine Fußrücken, als suche sie die passende Stelle. Dann fing sie an, mit dem Halm zwischen meinen Zehen rumzustochern. Ich ging augenblicklich hoch wie eine Rakete. Im letzten Moment biss ich die Zähne aufeinander, um keinen Laut von mir zu geben. Ich spannte mich in meinem Fesseln an wie blöde und zerrte und zappelte wie ein Fisch auf dem Trockenen. Ich zuckte mit den Füßen, konnte aber dem entsetzlichen Grashalm nicht entkommen. Saskia wussten ganz genau, wo sie kitzeln musste. Ich keuchte und stöhnte. Ich wand mich aus Leibeskräften. Ich zog Grimassen. Ich fing an zu schwitzen. „Nein! Sassi nein!“ zischte ich, im Versuch, nicht zu laut zu werden. „Aufhören Sassi! Ich platze! Sassiiiii!!!“ Aber sie kitzelte in aller Seelenruhe weiter. Ich riss an meinen Fesseln und wand mich wie ein Aal. Ich hatte das Gefühl, jeden Moment aus meiner Haut herausfahren zu müssen. Der Campingstuhl knarrte wie ein Segelschiff bei Starkwind. Ich merkte, wie ich langsam aber sicher wahnsinnig wurde. Ich weiß nicht, wie lange Saskia das machte, aber als sie endlich aufhörte, war ich verschwitzt und keuchte wie ein Rennpferd. Aber ich hatte nicht gebrüllt! Irgendwie war ich schon ein bisschen stolz auf mich. Saskia stand auf: „Du hast die Folterprüfung erfolgreich bestanden Christian List.“ Sie schaute mich fragend an: „War da auch keine List im Spiel?“ Ich schüttelte den Kopf. „Hinter-List vielleicht? Oder gar Arg-List?“ Wieder schüttelte ich den Kopf. „Du grinst nämlich so listig!“ „Ich grinse nicht, das ist eine Hungergrimasse“, röchelte ich. „Sassi, wenn ich nicht SOFORT ein Stück Käsekuchen kriege, STERBE ich!“ Da endlich zeigte sie Mitgefühl mit der leidenden Kreatur und holte den im Kühlschrank internierten Traum des Bäckerhandwerks hervor. Aber nicht, dass sie sich damit beeilte! Sie holte in aller Ruhe ein großes Messer aus der Schublade. Unterwegs blieb sie stehen und kratzte sich mit dem nackten linken Fuß hinter der rechten Wade. Dann vorne. Ich wurde in meinen Fesseln halb wahnsinnig. Danach schnitt sie in aller Ruhe den halben Käsekuchen in Stücke. Und als sie endlich, ENDLICH ein Stück hochhob, um es mir in den Gierschlund zu stopfen, riss einer die Tür auf und sie zuckte erschrocken zusammen. Mist! Für einen Moment waren wir beide erstarrt. Der Käsekuchen schwebte keine fünf Zentimeter vor meinem sperrangelweit aufgerissenen Mund. „Was?“ machte es draußen. „Ja was ist denn das?“ Eine Sekunde lang war es totenstill. Dann schrie eine Stute, die gerade vom Metzger abgestochen wurde. Es war die Scharfe Anne. Sie wieherte lauter als ein Trompetenorchester. „Ja die hat ihren kleinen Freund aber im Griff, Sylvia!“ schrie sie und lachte Tränen. „Guck mal, wie der den Schnabel aufsperrt! Wie ein junger Kanarienvogel, der gefüttert werden will!“ Draußen vor der Tür stand die ganze verdammte Bande und lachte sich einen Ast. Jetzt war es mir egal. Ich musste fressen! Ich bog den Hals vor und grub die Zähne in den Käsekuchen. Ich erwischte das halbe Stück, riss es ab und würgte es hastig hinunter. Worauf die Heiterkeit vorm Wohnwagen ihren Höhepunkt erreichte. Alles schrie und kreischte durcheinander: „Hieck-hieck! AAA-AA-A-A-AAAA! Ärr-härrr-härrr! Ruddu-ruddu! Hjouck! Hjouuuk! Wieher-wieher! Prust!“ Als sie sich weit genug beruhigt hatten, rannten alle davon, um Fotoapparate oder E-Cams zu holen und ich wurde in Fesseln geknipst, wie ich Sassi aus der Hand fraß. Mir egal! Hauptsache, ich kriege vier Stück Käsekuchen ab! Mjamm!
Danach hockten wir draußen – Sassi und ich ausnahmsweise mal ohne Handschellen- und quakten rum. Saskia kuschelte sich auf unserer Decke an mich. Ich drückte sie und innen drin wurde mir ganz flau. Jetzt würden wir gleich heimfahren. Sie griff nach meiner Hand. „Warum bleiben wir nicht noch länger?“ quengelte ich. „Es sind doch noch Ferien!“ „Aber nicht für mich, junger Mann“, sprach mein Vater. „Ich muss morgen wieder zur Arbeit.“ „Da muss ich doch nicht mit!“ konterte ich schlagfertig. Ich spürte, wie Saskia meine Hand drückte; ganz fest. „Ich kann doch hier bleiben.“ „Allein? Kommt nicht in Frage!“ bestimmte mein Daddy. „Onkel Trööt ist ja da“, gab ich zurück. „Und Sassi kann auf mich aufpassen.“ Augenblicklich lachten sie wieder los. Ich blickte Sassi an. Jetzt oder nie! „Und überhaupt! So weit ist das doch nicht von daheim weg! Du und der Winterich könnt ja abends mit dem Auto von der Arbeit kommen. Die Mütter bleiben hier. Sie können sich am See ins Gras legen oder im Dorf einkaufen gehen. Und abends ist der Grill schon gerichtet. Ihr macht schnell ein schönes kühlendes Schwimmchen, dann duscht ihr und dann gibt’s Fressi-Fressi.“ „Klingt gar nicht mal so übel“, sagte der Weinschlauch. „Aber ich muss in die Wohnung zurück Schatz. Wer weiß, wie viel Staub sich im Urlaub angesammelt hat“, hielt seine Frau dagegen. „Und die Wäsche muss ja mal in der Maschine gewaschen werden. So von Hand, das wird ja nicht wirklich sauber.“ Weiber! „Dann fahrt doch“, mischte sich Onkel Trööt ein. „Fahrt alle zusammen nach Hause. Dann können die putzsüchtigen Weibsen morgen die Wohnungen auf den Kopf stellen, zehn Ladungen voll Wäsche waschen und des Abends mit ihren Göttergatten und einem Schrankkoffer neuer frischer Kleider zurückkehren. Einen Abend werde ich schon mit den zwei Jungfüchsen fertig. „Ja, ja! Bitte, bitte!“ bettelten Saskia und ich im Duett. Dabei machten wir Gesichter, als hätten wir soeben erfahren, dass wir bei lebendigem Leibe an eine Horde Löwen verfüttert werden sollten. Es war mein Dad, der den Ausschlag gab: „Hartmut weißt du was? Das klingt nicht schlecht. Ich sag dir aber was: Unter der Woche lassen wir unsere Götter-Gattinnen mal hier und wir zwei haben dann Herrenabend. Dann können wir mit den Mountainbikes losschwirren und danach gemütlich vorm Fernseher rumhängen und uns ein Fußballspiel anschauen.“ Eine Weile ging es noch hin und her, dann war es beschlossene Sache: Wir durften noch eine Woche bleiben! Sassi stieß einen lauten Seufzer aus und fiel mir um den Hals. „Mensch Chrissie! Ich bin ja sooo froh!“ hauchte sie mir ins Ohr. „Ich auch Sassi“, flüsterte ich glücklich zurück.
ENDE
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