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Erlebnisse mit Saskia
by Sumpfohreule
Krach mit Saskia (eine Gutenachtgeschichte für Prinzessin Ramona)
Meine erste Fesselung erlebte ich mit neun Jahren. Wir waren zu Besuch bei Saskias Familie. Saskia war über sieben Ecken mit mir verwandt – eine Art Urururgroßcousine oder so. Bisher hatte ich nicht viel mit ihr zu tun gehabt. Sie war ein Mädchen. Das erklärt wohl alles. Sie wollte Vater, Mutter, Kind spielen oder mit Puppen. Sie fürchtete sich vor Spinnen, Eidechsen und Fröschen. Was will man mit so einer schon anfangen? Doch an jenem Tag wurde alles anders. Ich muss dazu sagen, dass Saskias Leute in einem Altbau wohnten und der Speicher ausgebaut war. Dort lag Saskias Zimmer. Daher hatte sie mitten im Zimmer einen Dachständer; so nannte ich den senkrechten Holzbalken, den ihr Vater von viereckig auf rund getrimmt hatte, damit man sich an den Kanten nicht den Kopf stieß. Das hatte mich schon immer zum Lachen gereizt und ich zog Saskia damit auf, dass sie ständig mit ihrem Dickkopf gegen ihren Dachständer knallte. An jenem Tag sollte ich diesen Dachständer auf ganz spezielle Art kennenlernen. Wir waren zu Besuch und wie üblich konnte meine Mutter es nicht ertragen, dass ich bei den Erwachsenen saß und zuhörte, was sie über andere Verwandte tratschten. Wie üblich schickte mich meine Mutter nach einer Weile fort: „Geh doch rauf zu Saskia. Da könnt ihr schön spielen.“ Ich zog eine Fresse. Was sollte ich mit der lieben Saskia schon spielen. Aber dann fiel mir ein, dass sie zu Weihnachten ein Mikroskop bekommen hatte. Das interessierte mich. Schnell trampelte ich die Treppen hinauf und riss die Tür zu Saskias Zimmer auf. Vor lauter Mikroskop sah ich nicht, wohin ich trat und latschte prompt in einer Herde kleiner Plastiktiere, die Saskia mitten im Zimmer aufgestellt hatte. Es knackte unter meinen Schuhen. „Oh! Entschuldigung, das wollte ich nicht.“ Drei der Tierchen waren futsch. „Du Esel!“ rief Saskia. „Kannst du nicht aufpassen?“ „Stell dein Zeugs halt nicht mitten in den Durchgang!“ raunzte ich zurück. Von einem Mädchen würde ich mir nichts gefallen lassen! „Das Glaspferd ist kaputt! Das hat mir Tante Sonja aus Venedig mitgebracht. Das hat ein Heidengeld gekostet! Wenn ich das Mutti sage!“ Ich schluckte. Meine Eltern reagierten ziemlich allergisch auf Zerstörungsorgien meinerseits, vor allem wenn es richtig ins Geld ging. Und ich hatte die Woche zuvor schon Geld gekostet, weil das Wohnzimmerfenster der Nachbarn blöd genug war, sich mitten in die Flugbahn meines neuen Lederfußballs zu begeben. Ich hockte in der Tinte! Wenn Saskia mich verpetzte, war ich am Arsch. „Tut mir leid“, nuschelte ich und probierte möglichst niedergeschlagen auszusehen. „Bitte verrate mich nicht.“ „Das würde dir so passen du Trampeltier!“ schimpfte sie. „Und ob ich es Mutti sage!“ Ein hinterhältiges Grinsen erschien auf ihrem Gesicht: „Außer du spielst freiwillig mit.“ Ich war bereit, mich ihren dämlichen Puppen zu opfern. Alles war besser als Knies mit meinen Eltern: „Okay Sassi. Ich spiele mir dir.“ Ich benutzte extra den Kosenamen, den ihre Mutti immer benutzte. Ich wusste, dass Saskia den mochte. Prompt schaute sie mich ganz verdutzt an: „So hast du mich noch nie genannt.“ Ihre Augen veränderten sich. Irgendwie wurden sie „weicher“. Zum ersten Mal fiel mir auf, dass sie hellbraun waren. „Strafe muss aber sein“, beharrte sie. Sie lächelte triumphierend. „Und du hast gesagt, du spielst mit!“ „Ja habe ich“, antwortete ich. „Fein!“ Sie lief zu ihrem Kleiderschrank. Was sollte das? Wollte sie mich etwa in Mädchenkleider stecken? Dann lieber meinen Eltern die Missetat beichten! Saskia holte ihren Bademantel und fummelte dran rum. Grinsend kam sie zu mir zurück. In ihrer rechten Hand trug sie den Frotteegürtel des Bademantels. Was sollte das? „Mitkommen!“ befahl sie und schubste mich in die Zimmermitte zu ihrem Dachständer. „Hände nach vorne!“ Sie half nach. Als ich mit dem Bauch gegen den Dachständer stand, zog sie meine Arme nach vorn. „Und jetzt die Hände zusammen! Übereinander!“ Ich legte die Handgelenke übereinander. Ehe ich michs versah, hatte Saskia sie mit den Bademantelgürtel umwickelt. Drei Schlingen legte sie drumherum und machte oben einen doppelten Knoten. Sie grinste spitzbübisch: „Du bist mein Gefangener! Du kommst nie wieder los!“ „Von wegen!“ gab ich zurück. Ich war erstaunt. Das Spiel gefiel mir. „Probier doch“, verlangte Saskia. Ich zog und zerrte an meinen Handfesseln Sie waren so fest, dass ich es auch unter Aufbietung all meiner Kräfte nicht schaffte, eine Hand heraus zu ziehen. Ich war gefangen! „Willst du mich hier verhungern lassen?“ witzelte ich. Angst hatte ich aber keine. Im Gegenteil. Ich fand unser Spiel mächtig aufregend. Das war mal was ganz und gar Anderes als mit Puppen rumzumachen. Das Mikroskop hatte ich längst vergessen. „Ich lasse dich elendiglich verschmachten“, drohte Saskia. Dabei grinste sie. „Es sei denn, du kniest vor mir nieder.“ „Warum?“ fragte ich blöd. „Weil du mich um Essen anbetteln sollst!“ „Nöö! Mach ich nicht!“ „Dann verhungere halt!“ Sassi ging zu ihrem Tisch und öffnete ein Plastikgefäß. Der verführerische Duft von frischgebackenem Käsekuchen stieg mir in die Nase. Ich war süchtig nach Käsekuchen, vor allem nach dem Käsekuchen, den Saskias Mutter machte. Er schmeckte himmlisch. „Auf die Knie mit dir!“ befahl Saskia. „Sonst erhältst du keinen Kuchen.“ Oh so ein Pech! Ich MUSSTE ein Stück Kuchen haben! Sofort! Also machte ich gute Miene zum bösen Spiel und ließ mich auf die Knie nieder. „Brav“, lobte Sassi und brachte mir Kuchen. Sie fütterte mich damit. Aber sie ließ mich immer nur ein Stückchen abbeißen. Das reichte mir in meiner Gier nicht und ich wollte den Kuchen mit den zusammengefesselten Händen greifen. Ging leider nicht, weil meine Handgelenke überkreuz lagen und zusammengeknotet waren. Mist! Aber es brachte mich auf eine Idee. Mit scheinheiliger Bravheit ließ ich mich von Saskia füttern. Dann zog ich meine Hände in die Höhe, bog den Kopf um den Dachständer herum und packte den Knoten oben auf meinen Handgelenken mit den Zähnen. Mit ein bisschen Verrenken schaffte ich es, ihn zu öffnen. Peng, ich war frei! „Tadaa!“ rief ich und sprang auf. Sassi schaute mich bewundernd an: „Toll wie du das geschafft hast.“ Sie schaute so komisch. „Ich trau mich nie, mich richtig fest selber zu fesseln vor lauter Angst, dass ich den Knoten nicht mehr aufbringe.“ Sie schaute mir direkt in die Augen. Ich überlegte nicht lange: „Soll ich dich mal fesseln?“ „Ja“, sagte sie sofort, als hätte sie nur auf dieses Angebot gewartet. Ich grinste sie an: „Aber vorne ist nicht. Da machst du mir den Trick mit den Zähnen nach. Ich binde dir die Hände auf den Rücken. Da kommst du mit den Zähnen nicht dran.“ Saskia nickte: „Und die Füße auch anbinden!“ Sie schaute sich um. „Hmmm.“ Im Schrank fand sie keinen weiteren Gürtel, der mir dieselben Dienste leisten konnte wie der Bademantelgürtel. Da hatte sie eine Idee. Sie zog ihre Hausschuhe aus und dann ihre Leggins. Drunter kam ihr Höschen zum Vorschein. Auf dem Höschen waren fette rosane Dinosaurier aufgedruckt mit Glubschaugen. Ich musste alle Kraft aufbringen, um nicht laut los zu lachen. Wenn ich Sassi sauer machte, würde sie nicht mehr mitspielen und das Spiel gefiel mir zu gut. „Du kannst meine Füße mit den Leggins zusammenbinden“, sagte sie. „Auch hinten um den Balken rum!“ Sie stellte sich mit dem Rücken gegen den Dachständer und streckte die Armen nach hinten. Dort überkreuzte sie die Handgelenke. Ich umschlang sie mit dem Bademantelgürtel. Damit es auch hielt, zog ich den Gürtel einmal zwischen ihren Händen hindurch, bevor ich ihn zu knotete. Dann holte ich ihre Leggins und verschnürte ihre Füße damit. Einmal legte ich die „Hosenfessel“ auch um den Dachständer. Schließlich stand Saskia aufrecht am Dachständer, gefesselt wie ein Indianermädchen am Marterpfahl. Unter der Fessel aus violetten Leggins lugten ihre bloßen Füße hervor. Sie zappelte ein bisschen und versuchte, mit Händen und Füßen aus der Fesselung heraus zu schlüpfen. Es gelang ihr nicht. „Ich komme nicht von allein frei“, sagte sie. Richtig begeistert klang das. „Lässt du mich lange gefesselt?“ „Ja freilich!“ sagte ich. „Dich lass ich so schnell nicht mehr frei.“ Ich holte Käsekuchen. Abwechselnd fütterte ich sie und biss selber ab. Wir mussten beide lachen. Als ich Sassi nach dem Essen losbinden wollte, bat sie mich, sie noch ein wenig gefesselt am Dachständer stehen zu lassen. Ich tat ihr den Gefallen, denn ich wollte die gleiche Fesselung auch ausprobieren. Daraus wurde leider nichts, denn kaum hatte ich Saskia von ihren Fesseln befreit, rief meine Mutter mich. Wir fuhren nach Hause. Die Zeit war wie im Flug vergangen. Zum ersten Mal hatte ich Spaß daran gehabt, mit Saskia zu spielen und den ganzen Nachhauseweg im Auto musste ich daran denken, dass Sassi hellbraune Augen hatte und wie sie mich angeschaut hatte, als ich sie an den Dachständer festband. „Fahren wir bald wieder zu Saskia?“ fragte ich. „Nanu!“ rief meine Mutter. „Sonst willst du doch nie!“ Sie schüttelte den Kopf. „Ts. Ts.“ Wenn sie gewusst hätte!
2.Teil) Für Ramona
Von Sassi an den Marterpfahl gefesselt
Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, bis wir wieder zu Saskia zu Besuch fuhren. Anfangs erschien mir die Zeit ewig lang; dann vergaß ich die Sache allmählich. Mit neun Jahren hat man auch jede Menge anderer Dinge im Kopf. Aber schließlich fuhren wir doch hin und als meine Mutter wieder flötete: „Willst du nicht rauf gehen zu Saskia und ein bisschen mit ihr spielen, zog ich zum ersten Mal keine Fresse, sondern ging folgsam hoch auf den Speicher. Es war nämlich so, dass Saskia immer runter gerannt kam, wenn Besuch erschien, sich aber nach kurzer Zeit wieder nach oben aufmachte. Diesmal hatte sie mich lange angeschaut. Sie hatte mir mit den Augen Zeichen gemacht, und ich wusste sofort, dass es wieder Interessantes geben würde. Ich sollte nicht enttäuscht werden! Ich tappte also zu Sassis Zimmer hoch und dort erwartete sie mich schon. Sie tat allerdings, als hätte sie nicht mit mir gerechnet. Sie trug eine Bluse und einen knielangen Faltenrock und sonst nichts. Sie sah auf unglaubliche Art „altmodisch“ aus – wie eins von den Mädchen, die in den alten SchwarzWeißFilmen in Heimen lebten und von den bösen Heimleiterinnen niedergemacht und unterdrückt wurden. Dass sie barfuss war, verstärkte diesen Eindruck noch. Dadurch sah sie so richtig ärmlich aus. Fast Mitleid erregend. Mir gefiel dieses Gefühl, dass ihr Anblick in mir auslöste. Ich wünschte mir brennend, sie aus dem schrecklichen Waisenhaus zu befreien und mit ihr durchzubrennen. Draußen im Wald konnten wir uns ein geheimes Versteck bauen und für immer dort leben. Sie tanzte! Als ich eintrat, meine ich. Sie tanzte Pirouetten, wirbelte auf bloßen Füßen im Kreis herum und manchmal machte sie einen eleganten Sprung. Das konnte sie, weil sie Ballettunterricht hatte. Aber ich hatte sie noch nie beim Training gesehen. Saskia tat, als hätte sie mich nicht bemerkt und tanzte unbeeindruckt weiter. Dann „erschrak“ sie und fiel beinahe auf den Hintern. „Wo kommst du denn auf einmal her?“ fragte sie. Ich deutete auf den Fußboden: „Von da unten.“ Ich erwartete, dass sie schnippisch reagieren würde. Stattdessen lachte sie. „Hast du Kuchen?“ versuchte ich die Unterhaltung fortzuführen. „Vielleicht“, sagte sie. Sie schwieg eine Weile. Ich merkte, dass sie erst Mut fassen musste. Was sollte ich tun? Ich traute mich ja selber nicht, vom Fesseln anzufangen. „Diesmal bin ich ja nicht auf dein Glaspferd getrampelt“, sagte ich. Ihre Augen blitzten: „Trotzdem musst du zuerst angebunden werden. Sonst frisst du mir alles weg!“ „Oooch ich doch nicht“, tat ich scheinheilig, während mein Herz zu klopfen begann. Sie hatte angebissen. Oder hatte ich angebissen? Egal! Hauptsache, wir spielten das Spiel wieder. „Aber knien mag ich nicht.“ „Du sollst ja auch stehen“, gab Sassi zurück. „Ich fessele dich an den Marterpfahl!“ Ich deutete auf ihre nackten Beine: „Hast aber keine Leggins und nur der Bademantelgürtel reicht nicht.“ „Hah!“ Sie warf den Kopf zurück, dass ihre schulterlangen dunklen Haare nur so flogen. „Ich habe mehr als genug Schnur!“ Ich wurde neugierig, verbarg meine Neugier aber gut. „So?“ Sie flitzte zum Schrank und kam mit einer Rolle dicker Schnur zurück. „Woah!“ entfuhr es mir. „Wo hast du die her?“ „Aus dem Keller.“ „Ihr habt so lange Seile? Wozu?“ „Aus Herrn Krämers Keller. Der merkt es nicht. Da sind so viele Rollen, das kriegt er nicht mit.“ Lukas Krämer war Bergsteiger. Er fuhr an seinen freien Wochenenden und im Urlaub in die Berge und kroch hinauf und wieder hinunter. Ich fand das als Bub blöd, aber in diesem Augenblick dankte ich dem lieben Herrn Krämer in Gedanken. Ein Hoch auf alle Bergsteiger! Saskia holte ihre Bastelschere und schnippelte unter großer Mühe zwei kurze Stücke Schnur ab. Den Rest des Seils ließ sie heil. Es mussten über zehn Meter sein! „Jetzt kommst du an den Marterpfahl“, sagte Saskia siegesgewiss. „Na geh schon!“ Als ich zum Dachständer schritt, rief sie mich zurück: „Schuhe runter!“ „Hä?“ Ich glotzte sie blöde an. „Dann kann ich dich besser fesseln“, befand sie. Ich blickte zu meinen Turnschuhen hinunter. Sie waren halbhoch. Stimmt! Man kam nicht gut an die Gelenke heran, um sie zu verschnüren. Ich zog die Schuhe aus. „Die Strümpfe auch!“ verlangte Saskia. „Warum?“ fragte ich zurück. So leicht wollte ich mich nicht geschlagen geben. „Ich ja auch!“ beharrte sie und zeigte auf ihre bloßen Füße. „Stell dich nicht an. Es ist warm genug, und außerdem“, sie schaute mich frech an, „kriegst du sonst keinen Kuchen!“ Das zog. Schnell weg mit den Socken. Wenn sie es so wollte! Ich wollte Fesseln spielen, und ich wollte Kuchen! Auf Saskias Geheiß stellte ich mich mit dem Rücken an den Dachständer. Ich streckte die Armen nach hinten und überkreuzte die Handgelenke. Sofort machte sich Sassi an die Arbeit. Sie umwickelte meine Handgelenke zweimal. Dann zog sie das Seil zwischen den Händen hindurch und umwickelte die Gelenke noch zweimal, bevor sie einen Knoten in die Schnur machte. Ich spürte deutlich, dass ich diese Fesselung nicht von alleine aufbekommen würde. Himmel! Wo hatte Sassi das gelernt? Vielleicht von Herrn Kramer? Der kannte zig Knoten. Saskia verschnürte nun meine Füße. Sie ging genauso vor wie bei den Handgelenken und bald stand ich wehrlos gefesselt am Dachständer. Das war Saskia aber noch nicht genug. Sie band das Zehnmeiterseil unten an den Dachständer. Dann umkreiste sie mich damit und legte von unten an den Füßen beginnend eine Windung um die nächste um meinen Körper. Sie zog das Seil so stramm, dass ich kein Glied mehr rühren konnte. Ich muss zugeben, dass ich das Spiel mächtig aufregend fand. Als sie oben bei meiner Brust angekommen war, machte sie hinten einen festen Knoten. Nun war ich reglos gegen den Pfahl in meinem Rücken gepresst. Ich zog und zerrte an meinen Fesseln. Alles was mir blieb war mit den Händen zu wackeln oder mit den Zehen. Und ich konnte den Kopf drehen. Das wars schon! SO fühlte sich also der Marterpfahl an. Wie oft hatte ich das im Fernsehen in den Spielfilmen gesehen und mir gewünscht, es auch mal probieren zu können! „Bekomme ich jetzt Kuchen?“ fragte ich. „Nein. Zuerst musst du eine Weile gefesselt bleiben“, bestimmte sie. Ich tat grummelig, freute mich aber innerlich total. Von mir aus konnte das Spielchen noch eine Weile dauern. Ich guckte Saskia an, hielt ihren Blick fest. Sie schaute zurück. Nach einer Weile wurde sie nervös. „Was guckst du so?“ fragte sie verunsichert. „Einem Gefangenen muss immer ein letzter Wunsch erfüllt werden“, sagte ich leise. „So ist es Brauch.“ „Ja aber nur, wenn er sterben muss!“ „Muss ich denn nicht sterben?“ Sie biss auf ihre Unterlippe. „Nein“, sagte sie dann. „Aber im Film ist es immer so.“ „Wie ist denn dein letzter Wunsch?“ fragte sie. „Ach ja!“ Sie zog eine Schnippe: „Du willst Kuchen fressen!“ „Nein!“ gab ich zurück. „Nein?“ Ich schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. „Was denn sonst?“ fragte sie. „Tanz für mich!“ bat ich sie. „So wie eben, als ich rein kam.“ Saskia war ganz Verblüffung: „Was?“ „Das war schön“, sagte ich schnell, bevor ich zu schüchtern dazu wurde. Saskia wurde rot: „In echt?“ Ich nickte heftig: „Ja Sassi. Bitte tanz für mich.“
3.Teil) Für Ramona
Sassi tanzt
Ich stand noch immer wehrlos gefesselt am Dachständer, zur Bewegungslosigkeit verurteilt. Meine Nase kitzelte und ich hätte mich sehr gerne gekratzt. Ging aber nicht, also musste ich es aushalten. Saskia stellte sich vor mich. Dann begann sie zu tanzen. Sie wirbelte über den Parkettboden. Sie drehte sich im Kreis, sie sprang hoch und duckte sich so komisch. Es war fast wie echtes Ballett, aber sie hatte noch nicht diese Perfektion der erwachsenen Ballerinas drauf. Gerade das fand ich total Klasse. Ich lauschte dem Stampfen ihren nackten Füße auf dem Holzboden und schaute ihr fasziniert zu. Am Anfang war Sassi nervös. Ich konnte es genau fühlen. Aber dann versank sie ganz und gar in ihrem Tanz. Es war faszinierend! So hatte ich Saskia noch nie erlebt. Ein seltsames Gefühl machte sich in meiner Brust breit, als sie so wunderbar tanzte. Ich weiß nicht, wie lange ich am Dachständer stand, von oben bis unten straff eingeschnürt. Von mir aus konnte es eine Ewigkeit dauern! Saskia beendete ihren Tanz mit einem Sprung in die Luft, aus dem sie im Spagat landete. „Super Sassi!“ rief ich. Ich konnte nicht anders. Sie stand auf und lächelte mich linkisch an. Sie war vom Tanzen erhitzt. Ihre Backen waren ganz rot und ein paar Haare klebten ihr in der Stirn. Wie hübsch sie in diesem Moment aussah! Noch nie hatte ein Mädchen so auf mich gewirkt. Sie sah aus wie eine kleine Fee aus dem Wald. Ehe ich michs versah, sagte ich das laut. Sassi wurde feuerrot: „Ist nicht wahr!“ „Doch!“ beeilte ich mich zu sagen. „Wie eine Fee. Ich habe vor zwei Jahren mal so was geträumt. Da hat eine Fee auf der Heide so getanzt wie du. Es war ein unheimlich schöner Traum.“ „Willst du jetzt Kuchen?“ lenkte sie schnell ab. Ich nickte. Tanzen war eine Sache; Kuchen mampfen eine andere. Vom Tanzen wird man nicht satt! Ich blieb so lange an den Dachständer gebunden, wie sie mir ein Stück Käsekuchen fütterte. Diesmal waren kleine Ananasstücke im Kuchen. Hmmm! Himmlisch! Endlich band Saskia mich los. Ich rieb meine Handgelenke. Der Strick hatte ganz schön eingeschnitten und Abdrücke hinterlassen. Meine Finger pochten. Trotzdem hatte es mir gefallen. „Jetzt bin ich an der Reihe“, sagte Saskia. „Ich will aber nicht so wie du! Denk dir was Andres aus!“ Ich überlegte angestrengt. Plötzlich kam mir eine super Idee. „Ich weiß was“, sagte ich. Sie konnte so gut tanzen. Da musste sie auch gut balancieren können. Ich grinste. Sassi schaute mich neugierig an: „Was hast du vor?“ „Zuerst binde ich deine Hände hinterm Rücken zusammen.“ Ich hob eins der kurzen Schnurstücke auf. Saskia drehte mir den Rücken zu und kreuzte die Handgelenke. Dass sie das freiwillig machte, gefiel mir unheimlich gut. Das machte sie Sache noch schöner für mich. Ich bemühte mich, es ihr gleichzutun; wickelte die Schnur zweimal um ihre Handgelenke. Dann zog ich sie zwischen den Händen durch und wickelte sie noch zweimal um Saskias Gelenke. Dann ein fester Knoten – fertig! „Probier mal!“ Sie versuchte sich zu befreien. „Geht nicht. Du hast mich zu fest gefesselt“, sagte sie und drehte sich zu mir um. Sie war ein Stückchen kleine als ich und musste zu mir hochschauen. Es sah hübsch aus, wie sie so zu mir hoch guckte, die Arme auf den Rücken gebunden. Ich holte das lange Seil und kniete mich vor sie. Rechst oder links? Ich entschied mich für links. Ich umwickelte ihr linkes Fußgelenk viermal mit dem Seil und knotete es dann vorne fest zusammen. Das andere Ende warf ich in die Höhe. Saskia war verdutzt: „Was machst du?“ „Wart nur!“ sagte ich und warf erneut. Oben unter der Decke hatte der Dachständer einen Querbalken, der das Dach zusätzlich abstützte. Beim zweiten Wurf glückte es. Das Seil fiel darüber und kam auf der anderen Seite wieder runter. Ich begann sofort, daran zu ziehen. „Was?“ Saskia lächelte komisch. „Was wird nun?“ Ich zog weiter. Das Seil straffte sich und dann konnte ich Saskias linken Fuß in die Höhe ziehen. „Heh!“ rief sie überrascht und gab sich Mühe, die Balance zu halten. „Ich kippe um!“ „Nöö“, meinte ich locker. „Du kannst Ballett. Ballerinas können unheimlich gut balancieren.“ Ich zog das Seil weiter hoch. Ihr linkes Bein befand sich jetzt genau in der Waagrechten. „Siehst du. Du kannst es Sassi.“ Sie hüpfte ein bisschen auf ihrem rechten Bein herum, hielt aber die Balance. „Du kannst Spagat?“ fragte ich, obwohl ich es gesehen hatte, dass sie es konnte. „Ja“, antwortete Saskia. Sie hüpfte ein wenig. Ihr nackter Fuß machte dabei patschende Geräusche auf dem Holzparkettboden. „Aber so angebunden schaffe ich das nicht.“ „Nur noch ein Stückchen“, sagte ich und zog am Seil. Saskia gab einen erschrockenen Quietscher von sich. Ich zog weiter. Immer höher wanderte ihr gefesselter linker Fuß in die Höhe, bis er in einem 45-Grad-Winkel hochstand. Sie behielt tatsächlich die Balance! Ich war verblüfft. Sie wackelte ein bisschen hin und her und manchmal hüpfte sie. Das war alles. „Du sollst nicht verhungern.“ Ich band das Seilende am Dachständer fest, holte ein Stück Kuchen und kam zu ihr zurück. Sie sah schön aus, wie sie da auf einem Bein stand, das andre Bein hochgezogen und die Hände auf den Rücken gebunden. Als ich sie füttern wollte, bat sie mich: „Halt mich fest, sonst falle ich. Stell dich hinter mich. So kann ich mich ein bisschen anlehnen.“ Ich stellte mich hinter sie und sie lehnte sich gegen mich, was mir durchaus gefiel. Ich hielt meine Gefangene im Arm! Ich fütterte sie mit Käsekuchen und danach ließ ich sie noch ein Weilchen stehen. Dann band ich das Seil los. Ich zog es ganz kurz noch höher. Sassi schrie erschocken, aber sie behielt die Balance. Endlich ließ ich den Strick los und sie stand auf zwei Beinen. Ich schaute sie eine Weile an, bevor ich sie losband. Wir aßen noch den restlichen Kuchen. Dann riefen meine Eltern. Die ganze Heimfahrt über wünschte ich, wir würden bald wieder zu Saskia fahren.
4.Teil): (für Ramona)
Sassi tanzt noch einmal
Wir sahen uns eine ganze Weile nicht und ich war schon fast soweit, meine Eltern zu fragen, wann wir wieder einmal zu Saskia fahren würden. Dann war es endlich soweit. Wie üblich kam Sassi runtergeflitzt, als es klingelte. Sie trug eine Hose und ein rosa T-Shirt und Turnschuhe. „Hallo“, sagte sie zu mir und lächelte mich vielsagend an. Ich freute mich. Sie hatte anscheinend genauso sehnsüchtig auf mich gewartet wie ich auf sie. Na prima. Wie üblich verzog sich Saskia bald nach oben und wie ebenfalls üblich – und nicht mehr im mindesten nervend - flötete meine allerliebste Mutter bald: „Willst du nicht rauf gehen zu Saskia und ein bisschen mit ihr spielen?“ Ich gab mir Mühe, nicht allzu begeistert zu wirken und machte mich auf den Weg. Oben in Saskias Zimmer erwartete mich eine kleine Überraschung. Sie hatte sich umgezogen! Keine Hose und keine Turnschuhe mehr und kein rosa T-Shirt. Stattdessen trug sie eine einfache weiße Bluse und wieder den altmodischen Faltenrock und hatte keine Schuhe an. Ich musste gleich wieder an meine Phantasie denken, in der sie ein armes verlassenes Heimkind war, das ärmlich und schuhlos in ein Waisenhaus eingesperrt war und von der bösartigen Heimleiterin schikaniert und gequält wurde. Wie sie stumm vor mir stand und mich so seltsam anschaute, verstärkte sich diese Phantasie noch. Ich kriegte so richtig Mitleid mit Sassi dem armen Heimmädchen. Am liebsten hätte ich sie tröstend in die Arme genommen. Unglaublich! ICH! Wo ich doch Geknutsche nicht ausstehen konnte. Immer wenn meine Omas und Tanten mich abknutschen wollten, suchte ich das Weite! Aber Sassi sah so erbarmungswürdig aus, so – ach ich weiß nicht! Ich lächelte sie vorsichtig an. Sie lächelte zurück. Plötzlich mussten wir beide lachen. Mittendrin schaute sie mich plötzlich streng an: „Du hast mich letztes Mal zu lange auf einem Bein hüpfen lassen. Dafür hast du eine Strafe verdient!“ „Muss das sein?“ tat ich möglichst widerspenstig. „Na klar! Strafe muss sein!“ bekräftigte sie. Mir kam eine Idee: „Nur wenn du wieder für mich tanzt!“ Wieder sah sie mich so komisch an: „So? Willst du?“ Ich nickte heftig: „Ja. Du musst immer für mich tanzen, wenn ich gefesselt bin. Das ist so Sitte.“ „Ja?“ Sie tat erstaunt, aber ich sah, dass sie sich freute. „Na gut. Jetzt bist du reif!“ Sie holte das superlange Seil unter ihrem Bett hervor und eins von den kürzeren Stücken. Sie blieb vor mir stehen und zeigte nach unten: „Deine Schuhe!“ „Wozu?“ fragte ich. Sie grinste. „Das ist so Sitte!“ sagte sie schnippisch. Ich sah zwei Stücke Marmorkuchen auf einem Teller auf ihrem Tischchen stehen. Gehorchte ich nicht, würde ich keinen Kuchen kriegen. Schon Mist, wenn man ein Kuchenjunkie ist! Ich bückte mich und zog Schuhe und Socken aus. Saskia hatte ja Recht: So konnte man besser an den Fußgelenken zusammen gebunden werden. Aber das tat sie gar nicht! Sie befahl mir, die Hände hinterm Rücken zu kreuzen. Ich gehorchte und sie fesselte meine Hände gekonnt zusammen. Ich versuchte, heraus zu schlüpfen. Es ging nicht. „Viel zu gut zusammen gefesselt“, bescheinigte mir Saskia. Sie nahm das lange Seil und knotete es an meinen Handfesseln fest. Dann warf sie das andere Ende hoch. Sie musste dreimal versuchen, bis das Seilende oben über den Querbalken flog und das Ende auf der andren Seite herunter kam. Ohne Vorankündigung begann Saskia daran zu ziehen. „Heh!“ rief ich verdutzt und machte rasch ein paar Schritte rückwärts, bis ich unter dem Balken stand. „Jetzt kommt deine Strafe, weil du mich letztes Mal so lange hast leiden lassen!“ verkündete Saskia. Leiden lassen! Was für ein Ausdruck! Richtig echt! Wie im Film! Ich fand es super. „Das habe ich mir extra für dich ausgedacht!“ Sagte Saskia und zog weiter am Seil. Meine zusammengebundenen Hände wurden hinter mir in die Höhe gezogen. Notgedrungen musste ich mich ein wenig nach vorne bücken, um dem Zug auszuweichen. Schließlich band Sassi das Seilende am Dachständer fest. Ich stand ein bisschen vornüber gebeugt und mit leicht gegrätschten Beinen da, um die Balance zu halten. Hilfloser konnte man kaum sein! Nun war ich froh, barfuss zu sein, denn die bloßen Sohlen hafteten besser auf dem Holzparkettboden als meine glatten Turnschuhsohlen. Es war ein bisschen unbequem aber es ließ sich aushalten, vor allem weil Sassi tatsächlich wieder tanzte. Es war wie beim letzten Mal: zuerst war sie linkisch und schüchtern, aber allmählich steigerte sie sich ganz in ihren Tanz hinein und vergaß alles um sich herum. Es sah wunderbar aus! Ich lauschte dem rhythmischen Patschen ihrer nackten Füße auf dem Holzparkett. Manchmal sprang Sassi in die Höhe und wirbelte einmal um sich selbst. Dazu reckte die die Arme hoch nach oben, die Hände zusammengelegt und überkreuzte die Füße. Es sah ein bisschen aus wie die Pirouetten der Eiskunstläuferinnen. Es war einfach nur schön! Wieder überließ ich mich einer Phantasie. Diesmal war sie keine Waldelfe sondern eben das arme, unterdrückte Heimmädchen. Es tanzte heimlich, um an einem großen Tanzwettbewerb teilzunehmen und gewann ihn auch. Von da an hatte sie viel Geld und durfte allein in einem kleinen Haus wohnen und die widerliche Heimleiterin konnte ihr nichts mehr anhaben. Aber vorher wurde sie oft beim heimlichen Tanzen erwischt und jedes Mal streng bestraft. Sie wurde ans Bett gekettet oder im Keller gefesselt und allein gelassen. Vor lauter Phantasieren merkte ich nicht, dass Saskia mit Tanzen fertig war. „Was hast du?“ wollte sie wissen. „Ist was mit dir? Du schaust so seltsam.“ Ich schüttelte den Kopf. „Ich habe bloß einen Tagtraum geträumt.“ Sie hockte sich mit überkreuzten Beinen vor mir auf den Boden wie eine kleine Indianerin: „So? Was hast du denn geträumt?“ Sie schaute neugierig zu mir hoch. Ich dachte nach. Wenn ich keine Antwort gab, würde sie mich vielleicht noch länger angebunden lassen. Diese Vorstellung hatte was, aber um ehrlich zu sein: mir taten die Schultern weh und meine Finger fühlten sich wegen der engen Fesseln an wie abgebundene Leberwürste. Ich wollte erst mal wieder frei sein. Sollte ich Sassi irgendeinen Käse erzählen? Warum eigentlich nicht die Wahrheit?! Ich erzählte ihr von meinem privaten kleinen Spielfilm in meinem Kopf. Sie bekam ganz große Augen und hörte mit offenem Mund zu. „Das ist klasse!“ sagte sie, als ich fertig erzählt hatte. „Das spielen wir! Ja? Das mit der Spinne im Keller! Bitte, ja?!“ „Einverstanden“, erklärte ich. Erstens wollte ich losgebunden werden und zweitens hatte ich große Lust, Sassi zu fesseln. Wenn wir uns immer abwechselten, wurde es nicht zu unbequem, gefesselt zu sein. „Mach mich los Sassi. Dann fessele ich dich genau wie in meiner Phantasie.“ „Ich … ich … darf ich dich was fragen?“ druckste sie. Wieder sah sie mich mit diesem unerklärlichen Ausdruck in den Augen an. Ich schaute auf sie hinunter, wie sie klein und ruhig vor mir auf dem Boden saß. „Frag doch!“ „Hast du eine Freundin?“ Ich und eine Freundin? Ein Mädchen?!? Brrrr! Nie im Leben! „Nein“, sagte ich wahrheitsgemäß. Sie schaute mich unheimlich lange an, ohne was zu sagen. Ich merkte, dass etwas ihr beinahe das Herz abdrückte. Sie traute sich nicht, zu fragen. „Was hast du?“ fragte ich sie. Wieder blickte sie mich lange an. Noch nie hatte ich die Augen eines Mädchens auf diese Art gesehen! „Darf ich deine Freundin sein?“ fragte sie endlich und ihre Stimme war so leise, dass ich es kaum verstand. Ihre Augen blickten so flehend, als ginge es für sie um Leben und Tod. Wie traurig und verletzlich sie aussah! Ich durfte jetzt auf keinen Fall einen blöden Witz machen! Ich wollte ihr nicht wehtun. „Ja“, sagte ich einfach nur. Ihre Augen leuchteten auf: „Ehrlich?“ „Ja“, antwortete ich schlicht. Und ich wollte es tatsächlich. Es machte so Spaß, mit Sassi zu spielen, jetzt auf einmal, wo wir diese neue Vertrautheit empfanden, die unsere verbotenen Spiele mit Fesseln uns gebracht hatte. Sie richtete sich auf die Knie auf und umarmte meine Mitte. Sie drückte die linke Wange fest gegen meinen Bauch: „Ich habe nämlich noch nie einen Freund gehabt!“ Das sagte sie so inbrünstig, dass ich nicht wusste, ob ich lachen sollte oder nicht. Stattdessen spürte ich ein leises Würgen im Hals. Ich kannte das: so fühlte es sich an, wenn ich gleich heulen musste. Sassi richtete sich auf. Sie band mich los. „Hast du noch mehr so Ideen?“ „Klar“, antwortete ich. „Aber dir fällt bestimmt auch noch was ein.“ Sie nickte: „Hmm! Ich weiß schon was.“ Sie lächelte mich an. Ich lächelte zurück. Plötzlich umarmte sie mich und gab mir schnell einen Kuss auf die Wange. Das kam so schnell, dass ich mich nicht wehren konnte und ich wollte es auch nicht. Stattdessen umarmte ich sie auch linkisch. Schließlich ließen wir uns los. „Mach mal!“ verlangte sie. „Fessle mich so wie in deiner Phantasie! Unten im finsteren Keller bei den Spinnen.“
5.Teil) (für Ramona)
Saskia im „Spinnenkeller“ gefangen
„Ich kann sogar Spinnen über deinen Rücken kriechen lassen“, sagte ich. „Das hat mir Onkel Eberhard gezeigt. Man krabbelt gaaanz sachte mit den Fingerkuppen den Rücken hoch und runter.“ Ich zeigte auf ihre Bluse: „Aber durch Stoff geht es nicht so gut.“ Sofort zog sie die Bluse aus: „Es ist warm genug.“ Sie lächelte mich an: „Und jetzt binde mich an! Genauso wie du es erzählt hast!“ Nur in ihrem altmodischen Faltenrock stand sie vor mir und lächelte mich an, die Hände ausgestreckt. Ich nahm das kürzere Seilstück und wickelte es um ihre Handgelenke. Sie hielt dazu die Hände überkreuzt. Ich machte zum Schluss einen Knoten auf ihrem Handrücken. Dann verknüpfte ich das überstehende Seil mit dem langen Seil und schmiss das Ende über den Balken. Im Gegensatz zu Saskia brauchte ich dazu keine drei Anläufe. Es klappte sofort. Ich verbiss mir ein Grinsen. Normalerweise hätte ich sie damit aufgezogen, doch es war alles anders geworden. Ich mochte ihr nicht mehr wehtun. Ich mochte sie nicht mal ärgern. Es machte solchen Spaß, sich mit ihr zu vertragen und mit ihr zu spielen. Ich zog am Seil, bis sie aufgerichtet unter dem Balken stand, schön lang gestreckt. „Die Füße auch noch!“ verlangte sie. „Ja sofort“, brummte ich und fischte das andere kurze Seilstück unter ihrem Bett hervor. Damit schnürte ich ihre Fußgelenke feste zusammen und ich vergaß nicht, das Seil einmal zwischen den Füßen hindurch zu ziehen. Als Endknoten machte ich vorne auf ihren Fesseln eine normale Schuhbindeschleife. So sahen ihre nackten Füße aus wie ein eingepacktes Geschenk. Irgendwie toll! Saskia probierte sofort energisch, mit den Füßen aus den Fesseln heraus zu schlüpfen. Sie wand sich und zog und zerrte. Aber sie kam nicht los. Ich stand auf und stand dann vor ihr. Sie lächelte mich freundlich an: „Kommt jetzt die Spinne?“ Ich nickte: „Ja. Du bist im Keller des Heims in einer finsteren Ecke allein. Die böse Heimleiterin hat dich an den Händen an einem Haken an der Decke aufgehängt. Sie hat das Licht ausgemacht und lässt dich mutterseelenallein zurück. Das ist die Strafe, weil du heimlich getanzt hast, obwohl es dir verboten war. Es tut mir leid, Sassi, ich kann dir nicht helfen. Du weist, was mit Kindern passiert, die anderen Kindern helfen, wenn sie bestraft werden! Es tut mir leid. Ich muss nun gehen.“ „Nein! Nicht!“ flehte Saskia und deutete ein Schluchzen an. „Lass mich bitte nicht allein. Bitte bitte! Ich habe doch so eine Angst im Keller!“ Ich tat so, als ob ich weggehen würde. „Nein!“ rief Sassi entsetzt. Sie wand sich in ihren Fesseln. „Geht nicht weg! Lasst mich nicht allein! Bitte nicht! Bleibt bei mir!“ Sie tat, als weine sie. Langsam trat ich hinter sie und betrachtete ihren nackten Rücken. Saskia war ziemlich dünn. Ihre Wirbelsäule drückte kleine runde Gnubbel durch die Haut. Ich hob die rechte Hand und setzte sie ganz sachte unterhalb der Schulterblätter auf die Wirbelsäule. Saskia gab ein zischendes Geräusch von sich und streckte sich. Ich ließ die Finger wie die Beine einer Spinne langsam an ihrer Wirbelsäule hochkrabbeln. „Uuh!“ machte Saskia. Sie bog den Rücken von mir weg, aber meine „Spinnenhand“ folgte ihrer Bewegung und kroch weiter. Plötzlich überlief eine Gänsehaut ihren Rücken. „Huh!“ rief Saskia. „Das ist ja gruselig! Wie echt!“ Ich ließ meine Hand lange auf ihrem Rücken und ihren Schultern herum krabbeln. Zum Schluss kroch die „Spinne“ hinten an Saskias Haaren hoch auf ihren Kopf. Ihre Gänsehaut wollte überhaupt nicht mehr weggehen. Ich spielte mit dem Gedanken, sie zu kitzeln. Ihre Rippen stachen verführerisch vor. Aber ich ließ es. Stattdessen pustete ich über ihren Rücken: „Ich bins. Ich habe die Spinne fort geblasen Sassi.“ Saskia atmete auf: „Gott sei Dank!“ schnaufte sie. „Und Gott sei Dank bin ich nicht mehr allein in diesem dunklen Keller. Ich hatte so Angst.“ Wieder hatte sie diese weinerliche Stimme. „Arme Saskia“, sagte ich leise und tat, als sei ich ein Kamerad aus dem Kinderheim. „Es tut mir so leid, dass ich dir nicht helfen darf. Ich würde dich so gerne befreien. Aber du weist, was passiert, wenn ich das tue.“ Sanft streichelte ich mit der Hand über ihren Rücken. Sassi hielt andächtig still. „Arme, arme Sassi“, sagte ich immer wieder und streichelte weiter. Saskia gab einen leisen Ton von sich. Es behagte ihr, das merkte ich. Aber irgendwann musste ich sie dann doch befreien. Ich hatte Angst, dass die Handfesseln ihr das Blut abstellten. Zuerst knotete ich die Schleife an ihren Füßen auf und löste die Fesseln. Für einen Moment kniete ich vor ihr und betrachtete bewundernd die schönen Abdrücke, die die Schnur an ihren zarten Fußgelenken verursacht hatte. Dann erhob ich mich und machte ihre Hände los. Während ich vor ihr stand und mit den Knoten kämpfte, schaute Saskia mich unverwandt an, ohne ein Wort zu sagen. Ihre Augen saugten sich regelrecht an mir fest. „Wenn du zuerst das lange Seil abgeknotet hättest, wäre es einfacher gegangen“, sagte sie, als ihre Hände frei waren. „Dann hätte ich die Arme runter nehmen können und du hättest meine Handfessel in Ruhe vor meinem Bauch aufknoten können.“ Sie lächelte mich an. „Stimmt!“ sagte ich. „Doof, dass mir das erst jetzt einfällt.“ Ich lächelte zurück. Sie packte meine Hände und hielt sie für einen Augenblick fest. „Das bleibt auf immer unser Geheimnis, dass wir uns fesseln, ja?“ fragte sie drängend. „Ja Sassi“, antwortete ich ernst. Plötzlich knurrte mein Magen. „Emm – ich glaube, ich habe Hunger.“ Verfressen schielte ich zum Marmorkuchen hinüber. Saskia stieß mich an: „Immer willst du Kuchen in dich hinein stopfen!“ Sie holte ihre Bluse und zog sie wieder an. Dann drehte sie sich zu mir um und grinste spitzbübisch: „Ich füttere dich. Du kannst nämlich nicht selber essen. Du wirst nämlich zum Futtern gefesselt!“ Ich grinste zurück. Na prima!
6.Teil) (für Ramona)
Fütterung am Marterpfahl
„Komm mit!“ befahl Saskia. Ich folgte ihr gehorsam. Wenn ich einen Kuchenanfall habe, tue ich ALLES für Kuchen! Und ich wollte ja gerne gefesselt werden. Ich war gespannt, was sie sich ausgedacht hatte. Etwas aus meiner Phantasie vom ekelhaften Kinderheim vielleicht? Doch sie hatte einen anderen Einfall. Ich musste mich mit dem Rücken gegen den Dachständer auf dem Boden setzen. Dann verlangte sie, dass ich die Arme nach hinten streckte. Aha, gefesselt im Sitzen. Auch nicht schlecht! Mucho bequem. Mit mittlerweile geübten Griffen, fesselte Sassi mir die Hände hinterm Pfahl zusammen. Ich mochte die Berührung ihrer kleinen Hände. Sie ging so vorsichtig und zart vor. Allerdings zog sie die Knoten der Schnur feste zu. Es gab kein Entrinnen. Da konnte ich noch so zerren. Sie stellte sich vor mich: „Noch die Füße“, entschied sie und kniete nieder. In gekonnter Manier verschnürte sie meine Fußgelenke. Sie machte ihre Arbeit gut. Trotz aller Verrenkungen kam ich nicht heraus. Es machte irre Spaß die Füße gegeneinander zu reiben und abwechselnd mit einem Bein zu ziehen, um aus der Verschnürung heraus zu schlüpfen, nur um festzustellen, dass es mir nicht gelang. „So! Fertig eingeschnürt“, befand Sassi. Sie stand auf und holte den ersehnten Marmorkuchen. Neben mir kniend fütterte sie mich damit. Dabei schaute sie sich ständig gehetzt um. „Mach schnell!“ flüsterte sie. „Ich kann nicht lange bleiben! Wenn die Heimleiterin rauskriegt, dass ich dir zu essen bringe, bin ich reif!“ Aha, daher wehte der Wind. „Danke Sassi“, hauchte ich wie ein Verhungernder. „Ich habe schon zwei Tage nichts zu essen bekommen. Ohne dich wäre ich verhungert.“ Wir spielten unser Spielchen bis zum Ende, das heißt, bis ich meinen Kuchen geschluckt hatte. Danach hockte sich Saskia auf meine Oberschenkel, die Füße nach hinten weggestreckt. Sie lächelte mich wieder so komisch an. Ich konnte nicht anders, ich musste zurück lächeln. „Du darfst unser Geheimnis aber wirklich niemandem verraten“, verlangte sie. „Mach ich nicht“, sagte ich. „Ich bin doch nicht blöd. Wenn unsere Eltern es raus bekämen, dürften wir nicht mehr so mit Schnüren spielen.“ „Macht es dir Spaß?“ wollte sie wissen. Ich nickte. „Ja. Und dir?“ Sie nickte ebenfalls: „Mm!“ Dann schaute sie mich lange, lange an. „Bist du wirklich mein Freund?“ fragte sie dann. Dabei sah sie so traurig aus, dass ich einen Kloß im Hals verspürte. „Ja Sassi“, antwortete ich leise. „Für immer?“ bohrte sie. „Ja für immer“, versprach ich ihr. Da lehnte sie sich gegen mich und legte ihren Kopf auf meine Schulter. So blieb sie lange still sitzen. Ich bewegte mich nicht. Ich wollte sie nicht vertreiben. Es fühlte sich nämlich irgendwie schön an. Endlich lehnte sie sich zurück. Die Traurigkeit stand noch immer in ihren Augen, aber ihr Mund fing schon an zu lächeln: „Komm, ich mach dich los und dann teilen wir das zweite Stück Kuchen du Fresser.“ Dagegen hatte ich natürlich nicht das Geringste einzuwenden.
7.Teil) (für Ramona)
Auf Knien am Pfahl
Es dauerte eine geraume Weile, bis wir endlich wieder zu Saskia fuhren. Ich zählte die Tage und diesmal war ich echt verdammt nahe dran, meine Eltern zu nerven, wir sollten doch mal wieder zu ihr fahren. Nur der Verdacht, sie könnten dann was Saublödes sagen, hielt mich zurück. Früher war es mir so vorgekommen, als ob wir jede Woche hinführen. Aber es dauerte volle ellenlange drei Wochen! Ich fing an, nachts von Sassi zu träumen. Einmal tanzte sie als kleine Fee in einem Land des ewigen Sommers in einer Heidelandschaft im Sonnenuntergang, ein anderes Mal sang sie ein wunderbares Lied ganz ohne Worte. Dabei war sie am Hals an eine Mauer angekettet und sah zum Sterben süß aus. Gerade als ich sie befreien wollte, wachte ich auf und träumte mich den ganzen Tag lang durch diesen Traum. Ständig dachte ich mir neue Details aus. Ein anderer Traum beunruhigte mich sehr: Er spielte in Saskias Zimmer auf dem Speicher, aber der Speicher sah ein bisschen so aus wie das scheußliche Kinderheim aus meiner Phantasie. Sassi stand weinend vor mir und klammerte sich verzweifelt an meinen Händen fest. Sie nannte immer wieder meinen Namen und weinte und weinte. Wie es solchen Träumen eigen ist, wusste ich genau, warum sie weinte: Sie hatte eine unheilbare Krankheit und würde bald sterben. Tagelang nagte ich an diesem Traum herum. Mir fiel ein, dass Sassi mich immer so komisch anguckte und beim letzten Mal hatte sie sich an mich gelehnt, sich richtig fest an mich gedrückt. Warum wohl? Hatte sie vor etwas Angst? War mein Traum prophetisch? Aus der Tiefe meiner Seele stieg ein abscheuliches Wort auf: KREBS!!! Es gab Kinder, die kriegten Leukämie. Dann stimmte was nicht mit ihrem Blut und sie wurden immer schwächer und schließlich starben sie elend. Wann immer dieser Gedanke sich an mich anschlich, verjagte ich ihn wie ein wütender Hund. Ich wollte nicht an so was denken! Aber der Gedanke war wie ein widerlicher Geier. Immerzu kreiste er über mir, als ob er warten würde… Als wir endlich wieder zu Saskia fuhren, nahm ich mir unterwegs vor, sie zu fragen. Nach unserem Klingeln kam sie die Treppe runter gerannt und machte die Tür auf. „Hallo!“ Wie letztes Mal trug sie Jeans und T-Shirt. Dazu Hausschuhe. Sie schaute mich an. „Ich hab Käsekuchen.“ Sie lächelte scheu. „Selber gebacken.“ „Du kannst backen? Woah!“ sagte ich anerkennend. Meine Eltern grinsten sich an. „Am besten gehst du gleich mit Saskia auf den Speicher“, riet mir mein Vater. Er wusste, wie wild ich auf Kuchen aller Art war. Auf was ich noch wild war, wusste er allerdings nicht. Ich verkniff mir ein Grinsen und trampelte hinter Sassi die Treppe hoch. „Wir rufen dich, wenn wir wieder fahren“, rief mein Vater hinter mir her. Aber da waren wir schon oben und stürmten in Saskias Zimmer. Als erstes präsentierte sie mir ihren selbstgebackenen Kuchen. Es war ein Prachtstück und der Duft ließ mir das Wasser im Mund zusammen laufen. Saskia lachte mich frech an: „Brauchst gar nicht so gierig zu gucken, du Fresser! Es gibt nichts, bevor …“ Sie ließ den Satz unbeendet. „Weil es so Sitte ist, gell?“ fragte ich. Da mussten wir beide lachen. Fürs Erste schaffte ich es nicht, sie zu fragen. Man kann doch so was nicht fragen, wenn man sich gerade kaputt lacht! „Hock dich!“ verlangte Sassi und versetzte mir einen Stoß. Kaum saß ich auf dem Boden, band sie meine Turnschuhe auf und riss sie mir von den Füßen. Dann packte sie meine Socken vorne an den Zehen und zog sie mir aus. Die Dinger wurden ellenlang gezogen, bevor sie runterflutschten. „Das ist auch Sitte!“ sagte Saskia lächelnd. Ich zeigte auf ihre Montur: „Und du? Du bist sittenwidrig gekleidet.“ „Sittenwidrig!“ Sie lachte. Ich lachte mit. Dann sprang sie auf und holte ihre „altmodische Heimmädchen-Uniform“ aus dem Schrank. „Guck weg!“ verlangte sie. Ich schaute weg. Ich hatte eh keine Lust, womöglich wieder fette rosa Dinosaurier mit Glubschaugen auf ihrer Unterhose zu sehen. Ich wusste, dass ich den Rest des Nachmittags nicht mehr aufhören könnte zu gackern, wenn ich mir das ansehen musste. Zuviel ist zuviel! „So!“ Sie kam angehopst, barfuss, im Faltenrock und dieses Mal in einer Bluse von einem verwaschenen Rot. Die Farbe sah Spitze aus, richtig ärmlich. Saskia gefiel mir, wenn sie so angezogen war. Bevor mich der Mut verlassen konnte, sagte ich ihr das. „Ja?“ Sie wurde ein bisschen rot, aber sie freute sich. Wieder konnte ich nicht fragen. Jetzt doch nicht! Um abzulenken, schielte ich nach dem Käsekuchen. „Nein! Nein!“ sprach Saskia energisch. „Zuerst bin ich an der Reihe! Du musst mich fesseln. Dann fessele ich dich und füttere dich. So ist es Sitte!“ „Gut Sassi.“ Ich behielt für mich, dass ich – solange sie wehrlos gefesselt war – problemlos den ganzen Kuchen auffressen konnte. Ein böser kleiner Troll hopste in meinem Herzen umher und brüllte: „Jaaaa! Tu es! Friss den ganzen Kuchen! FRISS!!!“ Aber der böse Troll hatte einen Gegner. Es war ein netter kleiner Kerl und der sagte nur: „Nein, damit würdest du Saskia verletzen.“ Wie konnte so ein Winzling so erwachsen klingen? „Na weil er das letztens in einem Spielfilm im Fernsehen aufgeschnappt hat“, grölte der böse kleine Troll. „Maul halten!“ befahl ich den beiden und wandte mich Saskia zu: „Willst du aussuchen, oder soll ich?“ Sie schaute mich schweigend an. „Du“, sagte sie schließlich leise und schaute mich wieder so komisch an. Jetzt hätte ich fragen können, aber ich brachte es nicht fertig. Stattdessen entwarf ich schnell eine Handlung für unser Spiel: „Du wirst beim heimlichen Tanzen erwischt und die Heimleiterin will deinen Willen brechen. Du musst auf die Knie und zwar schrecklich lange. Bis du laut heulst und schwörst, nie aber auch wirklich nie wieder zu tanzen.“ Sassi lächelte: „Die Schnur liegt unterm Bett bereit.“ Dann tanzte sie. Wieder schaute ich ihr voller Bewunderung zu, genoss ich ihre Pirouetten und Sprünge, die Dreher, die elegant wirkenden Bewegungen ihres gelenkigen Körpers. Ich lauschte dem Patschen und Stampfen ihrer bloßen Füße auf dem Parkettboden, sah ihr Haar fliegen, wenn sie sich im Kreis drehte. „Draußen möchte ich dich so tanzen sehen“, dachte ich mit einer leisen Sehnsucht im Herzen. „Im Sonnenlicht auf einem Platz mit Sand und Moos; genau wie in meinem Traum.“ Ich ließ Sassi extra lange tanzen, bis sie ein bisschen verschwitzt und müde war. Sie machte unermüdlich weiter, bis ich sie „erwischte“. Mit „eiserner“ Stimme blaffte ich sie an: „Du abscheuliches Mädchen! Führst du schon wieder diese unchristlichen Verrenkungen auf! Ich habe es dir doch verboten! Na warte! Ich werde deinen Willen schon brechen! Komm mit!“ Ich griff nach Saskias Haaren und tat so, als ob ich sie mit roher Gewalt mitschleifen würde. Sie jammerte gotterbärmlich: „Au! Nicht! Bitte, Sie tun mir weh! Ich will es auch nie wieder tun!“ „Strafe muss sein!“ schnarrte ich böse. „Diesmal kommst du nicht so leicht davon. Ich werde dich lehren, gehorsam zu sein!“ Sich zog sie zum Dachständer. „Auf die Knie du unfolgsames Mädchen!“ Saskia kniete brav nieder. Ich holte ein kurzes Seilstück unterm Bett hervor. „An den Schandpfahl!“ ordnete ich an und drückte sie mit dem Rücken gegen den Dachständer. Dann trat ich hinter sie und riss ihre Arme „mit Gewalt“ nach hinten. Sassi schrie leise auf. Sie machte das Spiel voll mit. „Du bleibst jetzt gefesselt, störrisches Mädchen!“ fauchte ich böse und band ihre Handgelenke überkreuz zusammen. „Ich ziehe die Stricke gemein fest zu!“ Saskia begann zu klagen. Ich machte sie natürlich nur so fest, dass sie sich nicht befreien konnte. Dabei zerrte und riss ich aber kunstgerecht am Seil, damit es sich echt anfühlte. „So du Luder!“ Ich trat hocherhobenen Hauptes vor sie. „Du bleibst hier auf Knien auf dem harten kalten Steinboden, bis du unter Tränen schwörst, nie wieder deinen unchristlichen Heidentanz aufzuführen. Du wirst ein für allemal kapieren, dass du nicht zum Tanzen geboren bist! Und alle anderen Kinder sollen dich so sehen. Alle sollen deine Schande sehen! Damit sie gewarnt sind!“ Ich ließ meine Stimme drohend grollen. „Ach bitte Frau Heimleiterin“, fiepte Saskia. „Bitte lassen Sie mich frei. Ich will auch immer gehorchen! Ehrlich!“ „Nichts da!“ bellte ich zurück. Dann ließ ich sie „leiden“. Ich lief langsam im Kreis um sie herum und schwadronierte ständig von unfolgsamen verdorbenen Mädchen, die nicht gehorchen wollten. Ich beschwor alle Qualen der Hölle herauf, die bösen Mädchen drohten, die nicht auf ihre Heimleiterin hörten. „Seht sie euch an!“ rief ich den unsichtbar um uns herum stehenden Kindern zu. „So endet ein unfolgsames Mädchen! Das wird ihr eine Lehre sein.“ Saskia kniete mit dem Rücken am Dachständer. Die nach hinten gebundenen Arme verhinderten, dass sie sich hocken konnte. Es musste mit der Zeit echt unangenehm werden, das Gewicht auf den bloßen Knien zu spüren, auch wenn unter ihr kein „harter, kalter Steinboden“ war. Sassi ließ manchmal den Kopf hängen und tat so als ob sie schluchzen würde. Dann wieder schaute sie flehend zu mir auf und bettelte um Freilassung. „Nein!“ sagte ich barsch und beugte mich zu ihr hinunter. „Du bleibst angebunden bis zum Abendessen! Mindestens!“ „Nein!“ schluchzte Saskia. „Das halte ich nicht aus! Bitte Frau Heimleiterin: nicht!“ Plötzlich begann sie zu weinen. Echte Tränen liefen ihr über die Wangen. „Sassi!“ Geschockt ließ ich mir vor ihr auf die Knie fallen. Ich war zu Tode erschrocken. „Ich mache nur so als ob“, flüsterte sie drängend. „Sassi! Ich – ich…“ Ich konnte nicht. Nicht so! Das ging zu weit. Das waren richtige Tränen. Ich wusste nicht, was tun. Linkisch umarmte ich sie und drückte sie tröstend. „Arme Saskia. Warte, ich helfe dir.“ „Nein“, wimmerte sie mit erstickter Stimme und drückte ihr verweintes Gesicht in meine Halsbeuge. „Nicht! Wenn die Heimleiterin dich erwischt, werde ich noch schrecklicher bestraft und du gleich mit. Lass mich leiden. Ich habe es nicht anders verdient. Ich war unfolgsam.“ „Nichts da“, sagte ich und legte meine Hände rechts und links um ihr Gesicht. „Sie darf dir nicht länger so wehtun Sassi!“ Ich schaute sie an. Gott! Wie echt das alles aussah. Ich war richtig konfus. „Weine nicht Saskia“, bat ich. „Es hat ein Ende. Ich befreie dich.“ „Nein“, schluchzte sie. „Du machst alles nur schlimmer. Lass mich. Ich halte es aus, irgendwie.“ Aber ich knotete ihre Fesseln auf. Dann tat ich, als müsse ich ihr auf die Füße helfen, weil sie von der furchtbaren Strafe „völlig entkräftet“ war. Sassi machte voll mit und hängte sich stöhnend an mich. „Meine Knie! Ich kann nicht laufen.“ „Du musst“, zischte ich. „Wir müssen fliehen! Auf der Stelle! Komm! Wir laufen fort, irgendwohin wo uns niemand findet. Wir bauen uns eine Hütte im Wald und leben für uns allein.“ „Ja“, hauchte sie. „Lass uns fliehen.“ Wir rasten zusammen die Treppe hinunter, als ob uns der Leibhaftige im Nacken säße. Dann „schlichen“ wir wieder rauf und taten so als kröchen wir durch dichtes verfilztes Unterholz einen Steilhang hinauf. Oben angekommen fiel Saskia mir jubelnd um den Hals: „Frei! Wir sind frei! Endlich! Danke, dass du mich befreit hast!“ Sie gab mir einen Kuss. „Das war sooo toll!“ Eine Weile hielten wir uns umarmt. Ich spürte ihr Herz schlagen und für eine Minute dachte ich ausnahmsweise mal nicht an den Kuchen. Aber ich Trottel traute mich nicht, sie zu fragen. Ich hatte plötzlich eine wahnsinnige Angst, dass meine Ahnung real sein könnte.
8.Teil) (für Ramona)
Gefesselt und gemästet oder: Die lustige Kuchenwippe
Mein Magen knurrte. „Och du Fresser!“ sagte Saskia. Sie tat empört, musste aber lachen. „Ich kann nicht länger warten“, sagte ich. „Sonst sterbe ich Hungers.“ „Na gut“, meinte sie. Sie runzelte die Stirn. „Aber so leicht sollst du es nicht haben!“ Sie lächelte mich spitzbübisch an. „Ich habe auch dünne Schnur.“ Sie holte eine Rolle Paketschnur aus der Schublade ihres Schreibtisches. Es war eine Schnur wie man sie benutzte, um Pakete zu verschnüren oder Brathähnchen zum Grillen. Die war ganz sicher zu dünn zu Fesseln. Die würde in die Handgelenke schneiden. Was wollte sie damit? Fürs erste musste ich mich mal wieder mit dem Rücken zum Dachständer setzen. „Hände nach hinten!“ befahl Saskia. Ich gehorchte und sie band meine Handgelenke hinter dem Holzpfahl zusammen. Dann krabbelte sie nach vorne und fesselte meine Fußgelenke aneinander, so fest, dass ich nicht heraus schlüpfen konnte. Dann holte sie den Kuchen, stellte ihn weit hinter sich auf den Boden und setzte sich mir gegenüber. Mit einem kurzen Seil fesselte sie ihre eigenen Fußgelenke zusammen. Ich staunte nicht schlecht. Was würde das werden? Als ihre Füße zusammengebunden waren, rutschte sie näher, bis ihre nackten Fußsohlen auf meine gepresst waren. Sie nahm die dünne Paketschnur und schnippelte mit ihrer Bastelschere zwei Stücke ab. Die benutzte sie zu einer völlig neuen und außergewöhnlichen Fesselung. Sie band unsere großen Zehen zusammen! Nicht genug damit. Kaum waren wir so aneinandergeschnürt benutzte sie ein Stück von dem dicken Seil und legte es um unsere Füße. Sie zog es stramm und damit es nicht nach oben wegrutschen konnte, führte sie es zuerst bei mir unter den Fersen durch und wieder über unsere zusammengepressten Füße und dann bei sich. Mit einer Schleife verknotete sie alles. Unsere Füße waren zusammengebunden! Es fühlte sich cool an, ihre Fußsohle auf meinen zu spüren. „Krieg ich jetzt Happa-Happa?“ fragte ich. Ich zweifelte aber daran. Der Kuchen stand hinter ihrem Rücken auf dem Boden. Wahrscheinlich außerhalb ihrer Reichweite. Ich würde elend verhungern! Sassi nahm ein weiteres Seilstück und verknotete es zu einem Kreis. Sie verdrehte das Ding zu einer Acht und schlüpfte auf irgendeine komplizierte Art mit den Händen hinein. Sie verdrehte die Arme und schwupp-die-wupp trug sie eine richtig feste Handfessel. Sie lächelte mich an: „So habe ich das immer gemacht, wenn ich allein Fesseln spielte. Aber es ist nicht so schön, als wenn ich richtig fest angebunden bin. Ich finds doof, wenn ich mich selber befreien kann.“ Ihr Lächeln nahm zu: „Ich freu mich, dass du mitspielst.“ Sie ließ sich nach hinten sinken, stützte sich dabei gegen meine Fußsohlen ab und reckte die zusammengebundenen Arme weit aus und tatsächlich erreichte sie den Kuchen. Sie holte ein Stück Käsekuchen und hob ihren Oberkörper wieder hoch. Lächelnd biss sie ein Stück Kuchen ab. „Jetzt du.“ Sie lehnte sich nach vorne und streckte mir die zusammengebundenen Hände entgegen. Ich musste mich mächtig weit nach vorne lehnen, was wegen meiner nach hinten gebundenen Arme nicht besonders gut ging. Schließlich erreichte ich mit Ach und Krach den dargebotenen Kuchen. Weil unsere Haltung tierisch unbequem war, richteten wir uns wieder auf. Jedes Mal wenn ich abbeißen durfte, mussten wir uns wieder weit vorlehnen. So wippten wir vor und zurück. Wir futterten und lachten die ganze Zeit, bis vier Stücke Käsekuchen weggeputzt waren. Das meiste landete in meinem nimmersatten Magen. Nach dem Mampfen blieben wir still sitzen und schauten uns an. Sassi summte ein kleines Liedchen. „Das ist ein schönes Lied“, sagte ich. „Es ist schön und traurig zugleich.“ „Es gefällt dir?“ Sie lächelte mich scheu an. „Ich habe das Lied geträumt.“ Ich riss die Augen auf: „Du erfindest Lieder im Traum? Woah!“ Sie wurde rot von meinem Lob. „So besonders ist es doch gar nicht“, sagte sie hastig. „Es ist doch nur ein ganz kurzes Lied.“ Sie versuchte, die Beine anzuziehen. Das ging aber nicht, weil unsere Füße gegeneinander gedrückt waren. „Doch, das ist klasse Sassi!“ sagte ich. „Ich bringe nächstes Mal meine Mundharmonika mit und spiele es nach. Ich kann nämlich gut Mundharmonika spielen.“ „Au ja!“ sagte sie freudig. Dann trat wieder dieser undefinierbare Ausdruck in ihre Augen: „Bist du immer noch mein Freund?“ Wie ein Flehen klang das. Wieder beschlich mich dieses ungute Gefühl. „Ja Saskia“, sprach ich leise. „Das habe ich dir doch gesagt.“ „Ich wollte es noch mal hören“, sagte sie und schaute mich so intensiv an, dass mir ganz komisch wurde. „Ich war noch nie richtig jemandes Freundin.“ „Gibt’s ja gar nicht!“ platzte ich heraus. Saskia senkte den Kopf: „Es ist aber so. Ich habe keine Freunde. Ich bin immer allein. In unserer Straße wohnen keine anderen Kinder. Ich spiele gerne mit mir allein, aber manchmal war ich so traurig, weil ich niemanden hatte und jetzt…“ Sie ließ den Satz offen. Ich schaute sie an, wie sie so vor mir saß. Wie klein und verletzlich ihre zusammengeschnürten Hände aussahen! Sassi immer allein. Das konnte ich mir nicht vorstellen. Ich hatte einen ganzen Schwarm Freunde! Sie tat mir unheimlich leid. Wie musste sie sich früher gefühlt haben, wenn ich so bockig war und mich nicht mit ihr abgeben wollte! Ich bereute mein Verhalten von früher. Arme Sassi! Und nun hatte ich sie so gerne. Es war kaum zu glauben. Da war so ein tiefes Vertrauen zwischen uns. Es war einfach schön! Sie war der beste Kamerad, den ich hatte. Doch! Zum ersten Mal im Leben freute ich mich nicht auf den Urlaub mit meinen Eltern. Nächste Woche würden wir ans Meer fahren. Im vergangenen Jahr war ich ganz hibbelig gewesen und konnte den Tag der Abreise kaum erwarten. Immerzu holte ich meine Taucherbrille hervor und spielte damit rum. Nun bedauerte ich es ein bisschen, dass ich dadurch so lange von Saskia getrennt sein würde. Es war richtig schade. „Wenn Sassi mitkäme, das wäre toll“, dachte ich. Aber das ging natürlich nicht. Sie würde mit ihren Eltern woanders hinfahren. Und allein sein! Arme, arme Saskia! „Summ dein Lied noch mal“, bat ich. Sie gehorchte mit gesenktem Kopf. Es war eine kleine, bittersüße Melodie. Es zog an meinem Herzen, wenn ihr Saskia lauschte. Ich wackelte mit den Zehen. Da blickte sie auf und lächelte mich an. Ich konnte nicht anders: ich lächelte zurück und wunderte mich wieder mal über das komische warme Rieseln in meiner Brust. Aber vielleicht kam das ja nur, weil meine Arme nach hinten gebunden waren?
9.Teil)
(für Ramona, die an einer schrecklichen Krankheit dahinsiecht. Möge sie noch wenigstens die nächsten Teile miterleben!)
Zusammengefesselt!
Wir bewegten unsere zusammengebundenen Füße gegeneinander. „Das fühlt sich schön an“, sagte Sassi. „Hm“, nickte ich. „Mir gefällt es auch.“ „Ich weiß noch eine Art, wie man die Füße zusammen binden kann“, meinte sie. „Ja?“ Ich wurde neugierig. „Mach doch mal!“ „Gut!“ Sie fummelte sich aus ihrer Handfessel, beugte sich nach vorne und löste unsere innige Verbindung. Die zusammengebundenen Zehen befreite sie als Letztes. Flugs krabbelte sie hinter mich und machte meine Hände los. Ich war gespannt, was sie sich ausgedacht hatte. „Es wird ein bisschen schwierig werden“, sagte sie und runzelte grübelnd die Stirn. „Am besten setzt du dich auf die Bettkante.“ Ich tat, was sie wollte. Sie holte Seilstücke herbei, schmiss sie neben mich aufs Bett und setzte sich auf meinen Schoß. „Was machst du?“ fragte ich verblüfft. „Du wirst schon sehen“, sagte sie und griff nach einem Seil. Sie beugte sich nach vorne. „Du musst mich festhalten, sonst falle ich nach vorne.“ Ich hielt sie an den Hüften fest. Sie beugte sich nach vorne und legte eine Windung Seil um mein rechtes Fußgelenk. Dann stellte sie ihren nackten rechten Fuß auf meinen und umschlang ihr eigenes Gelenk. Sie stellte den Fuß so auf meinen, dass die Ferse ein wenig nach außen zeigte und wand das Seil in einer Achterbewegung abwechselnd um meinen und ihren Knöchel. So entstand eine bewegliche aber sehr feste Verbindung. Zum Schluss legte sie das Seil zweimal außen um alles herum, zog stramm und machte einen festen Knoten. Unsere rechten Fußgelenke waren fest miteinander verbunden. Ich war fasziniert, weil ich ahnte, was sie vorhatte. Saskia grabschte sich ein neues Seil und verfuhr mit unseren linken Knöcheln genau wie mit den rechten. Nach zwei Minuten waren unsere Füße fest miteinander verbunden. Ihre Füße standen auf meinen. Das reichte Sassi aber noch nicht. Sie nahm zwei längere Seilstücke und legte sich um jedes Handgelenk eine doppelte Schlinge. Ich musste sie zuziehen und verknoten. „Jetzt die Arme nach hinten und die Schnüre um dich herum nach vorne ziehen“, verlangte sie. „Dann knotest du sie vor meinem Bauch zusammen.“ Uff! Wurde das eine Verrenkerei! Sie streckte die Arme nach hinten, kam aber hinter meinem Rücken mit den Händen nicht zusammen. Ich griff hinter mich und packte das Seil, das an ihrem linken Handgelenk befestigt war. Ich zog es an meiner rechten Seite vorbei nach vorne. Mit dem Seil, das an ihrem rechten Handgelenk festgemacht war, verfuhr ich umgekehrt. Vor Saskias Bauch zog ich die Seilenden stramm und verknotete sie. Nun trug sie einen ungewöhnlichen Gürtel, der ihre Arme stramm nach hinten hinter meinen Rücken hielt. Nur meine Arme waren noch frei. „Steh auf“, befahl Saskia. Unter Ächzen und Kichern schafften wir es schließlich. Sie stand auf meinen Füßen und ihre Arme umspannten meine Mitte und waren hinter meinem Rücken von den Stricken festgehalten, die vor ihrem Bauch zusammen gebunden waren. Wir waren ziemlich eng miteinander verbunden. Wir waren zusammengefesselt im wahrsten Sinne des Wortes. „Das ist cool“, sagte ich. Ich spürte ihren Rücken an meinem Bauch. „Was machen wir nun?“ „Wir laufen herum“, antwortete Saskia.
10. Teil)
(für Ramona die todgeweihte Elfenprinzessin. Möge das Schicksal ihr gewogen sein und den Tod noch einmal von ihrer Türschwelle vertreiben!)
Ein Spaziergang der ganz anderen Art
„Mit welchem Bein fangen wir an?“ fragte ich. „Mit rechts“, antwortete Saskia. Ich hob den rechten Fuß. Saskia unterstützte die Bewegung so gut sie konnte. Kichernd versuchten wir, einen gemeinsamen Takt zu finden. Es war schwer, aber es machte auch tierisch Spaß! Es fühlte sich angenehm an, ihre nackten Sohlen auf meinen Fußrücken zu spüren und ihren Rücken an meinem Bauch. Unter Gekichere marschierten wir in ihrem Zimmer umher. „Die Treppe runter!“ befahl Saskia plötzlich. „Bist du gaga?“ fragte ich. „Stell dir vor, einem von dem Erwachsenen fällt es ein, den Kopf zur Tür rauszustrecken?“ „Das macht es ja gerade so spannend“, meinte Sassi. „Na los! Mach!“ „Ist ja gut Sassi“, sprach ich. „Werd nicht gleich aufsassig!“ „Aufsassig!“ Sie lachte. „Aufsassig!“ Ich musste auch lachen. In wackeligem Gleichtakt liefen wir zur Zimmertür. Davor hielt ich an: „Mach sie auf, Sassi!“ „Wie denn du Knödel? Meine Arme sind gefesselt!“ Ich öffnete die Tür mit einem mulmigen Gefühl im Magen. Das Ganze schien mir zu gefährlich. Was, wenn die Alten uns erwischten? Das würde ein schönes Lamento geben! „Dein Herz schlägt schneller“, flüsterte Saskia. „Ich kann es an meinem Rücken spüren. Es ist schön, deinen Herzschlag zu spüren.“ Wir liefen langsam und wankend zur Treppe. „Wenn das nur gut geht!“ murmelte ich. „Traust du dich nicht?“ fragte Saskia. „Ich trau mich“, brummte ich und hob den linken Fuß. Manno! Wie sollten wir das schaffen. Langsam und vorsichtig senkte ich den linken Fuß nach unten zur nächsten Stufe. Der Weg dorthin erschien mir ewig. Endlich spürte ich die Treppenstufe unter meinen nackten Sohlen. Ich verlagerte mein Gewicht auf den linken Fuß und ließ den rechten Fuß folgen. Unter ziemlichen Mühen schafften wir es bis zum ersten Treppenabsatz. Die hölzernen Treppenstufen quietschten manchmal laut. Wenn uns bloß niemand hörte! Kurz vorm Absatz verlor ich das Gleichgewicht. Wir sackten nach vorne. Saskia schrie leise auf und presste die Arme fest gegen meine Seite. Ich fuchtelte herum und bekam das Geländer zu fassen. Im allerletzten Moment konnte ich uns auffangen. „Oh habe ich einen Schreck bekommen“, hauchte Saskia. Ich fasste mit dem linken Arm um sie herum und spürte, wie ihr Herz wie ein verschreckter kleiner Vogel gegen ihre Brust pochte, sehr schnell! „Mir reichts“, flüsterte ich. „Das ist zu gefährlich. Du hättest aufs Gesicht fallen können. Wir kehren um.“ „Nein! Noch bis zum Treppenabsatz“, beharrte Saskia. „Nix da! Wir drehen um!“ „Bis zum Absatz“, zischte sie. Sie wehrte sich gegen meine Beinbewegung und versuchte mich mit Gewalt die Treppe runter zu bewegen. Um ein Haar hätten wir wieder das Gleichgewicht verloren. „Es sind nur noch zwei Stufen! Komm!“ Weil es mir zu gefährlich erschien, ließ ich ihr den Willen. Auf dem Treppenabsatz machten wir aber sofort kehrt und stiegen wieder hoch. Das war noch schwieriger, weil sich meine Knie dauernd in ihren Kniekehlen verhedderten. Wir mussten dauernd kichern und waren kurz davor, laut loszuprusten. Als wir endlich wieder in Sassis Zimmer waren, hatten wir knallrote Köpfe vom Giggeln. Es dauerte eine Weile, bis wir wieder zu Atem kamen. Langsam schritten wir im Gleichtakt zum Bett. Ich umarmte Saskia von hinten: „Wenn ich wollte, könnte ich dich auf ewig an mich drangebunden lassen Sassi.“ Sie hielt still. „Das würde mir gefallen“, sagte sie leise. „Sogar sehr. Ich bin gerne an dir festgebunden.“ „Wir müssen die Fesseln aber abmachen.“ „Schade“, sagte sie. „Ich weiß eine Methode, mit der wir auch aneinandergefesselt sind, aber nicht so gefährlich“, meinte ich. „Man könnte dabei problemlos Kuchen essen. Zu dumm, dass du keinen mehr hast. Warum hast du den Rest auch unten gelassen?“ „Ich hab Karamellbonbons“, sagte Saskia. Augenblicklich lief mir das Wasser im Mund zusammen. Wenn es etwas gab, das ich beinahe noch mehr als Kuchen begehrte, dann waren das Karamellbonbons!
11. Teil) (für Ramona)
Fest verbunden
Wir hockten uns auf die Bettkante. „Mach die Fußfesseln auf“, sagte ich. „Wie denn du Knödel?“ fragte sie kichernd. „Meine Arme sind noch nach hinten gefesselt.“ „Ach da schau an“, sagte ich und tat, als bemerkte ich das erst jetzt. Ich lehnte meinen Kopf an ihre Wange und umfasste ihre Mitte mit den Armen. Rechts und links ließ ich meine Hände auf ihren Rippen ruhen. „Weißt du was Sassi? Du bist mir wehrlos ausgeliefert. Ich könnte dich wunderbar kitzeln.“ Sie machte sich steif wie ein Brett. „Nein!“ quiekte sie. „Nicht kitzeln! Ich schrei das ganze Haus zusammen vor Lachen. Bitte nicht!“ „Na gut. Ausnahmsweise gewähre ich dir Gnade“, sagte ich. Sie lehnte ihre Wange gegen meine. „Danke.“ Wir blieben eine Weile still sitzen. Dann knotete ich ihren komischen Gürtel vor ihrem Bauch auf und befreite ihre Hände. Sofort beugte Sassi sich vor und fing an, unsere Fußfesseln zu lösen. Sie war gelenkig wie eine Katze. Sobald wir frei waren, reckten und streckten wir uns erst mal und dann bewunderten wir gegenseitig die Seilabdrücke an unseren Knöcheln. Saskia holte die Karamellbonbons. „Erst fesseln!“ verlangte sie, als ich danach griff. „Gut!“ Setzen wir uns auf den Boden, den Rücken gegen das Bett gelehnt.“ Wir setzten uns hin. Ich holte ein Seil. „Halt dein linkes Bein gegen mein rechtes!“ Sie saß rechts von mir. Ich beugte mich vor und fesselte meinen rechten und ihren linken Fuß aneinander. Abwechselnd umschlang ich meinen und ihren Knöchel und zog das Seil auch mal zwischen den Füßen hindurch. „So. Fertig. So fix geht das. Schon sind wir miteinander verbunden“, verkündete ich. „Das ist nett“, sagte Sassi. Sie gab mir ein Bonbon. Kauend saßen wir nebeneinander. Manchmal zogen wir an der Fessel, die unsere Füße zusammen hielt. Saskia lehnte sich an mich. Sie griff nach meinem rechten Arm und zog ihn um sich herum: „Halt mich!“ Ich tat ihr den Gefallen. Es fühlte sich alles richtig an. Sassi seufzte leise, ob vor Behagen oder aus Kummer, konnte ich nicht feststellen. Mampfend saßen wir am Boden. Sassi lehnte sich fester an mich. „Mein Freund“, sagte sie leise. „Ich bin jemandes Freundin.“ Ich blieb still. Mir fiel keine passende Erwiderung ein. Sassi seufzte wieder. Jetzt hätte ich sie fragen können, aber eine unbestimmte Angst kroch in mir hoch. Ich bekam den Mund nicht auf. Stattdessen hielt ich sie im Arm und schwieg. Sie begann, ihr kleines trauriges Lied zu summen. Ich lauschte still. Mit jedem Mal gefiel mir das Liedchen besser. Im Urlaub würde ich es auf der Mundharmonika proben. Als meine Eltern riefen, knotete Saskia schnell das Seil auf, das unsere Füße verband und ich zog mir hurtig Socken und Schuhe an. An der Tür hielt ich inne. „Tschüss Sassi“, sagte ich. Dass wir in ein paar Tagen in Urlaub fahren würden, erwähnte ich nicht. Ich brachte es nicht fertig. Ich wollte Saskia nicht die Laune verderben, weil sie sowieso wieder so ein bisschen traurig aussah. Sie drängte sich kurz an mich. „Tschüss“, sagte sie leise. „Blöder Urlaub“, dachte ich, als ich die Treppe hinunterging. Ich sollte schon bald Grund genug bekommen, den Urlaub zu verfluchen! Und wie!
12. Teil) (für Ramona)
Urlaub auf dem Bauernhof
„Waaas?!?“ Ich dachte, ich hätte mich verhört. „Das ist nicht euer Ernst! Wir fahren ans Meer!“ Doch meine herzallerliebsten Eltern eröffneten mir, dass wir unterwegs zu einem Bauernhof waren, der über Fremdenzimmer verfügte. Man habe „kurzfristig umdisponieren“ müssen. Ich saß auf der Rückbank im Auto und kochte vor Empörung. Ich wollte ans Meer! Ich wollte mit Taucherbrille und Schnorchel die Meerestiere beobachten! Ich wollte nicht auf einen saudämlichen Bauernhof! Was gab es dort schon Interessantes? Blöde Ziegen, dumme Schweine und wahrscheinlich einen tollwütigen Hofhund, der an der Kette riss und bellte wie irre, so ein Dreckvieh wie Quarz, der Hund von Boslets, wo wir unsere Biomilch und Biogemüse kauften. Ich war mir sicher, dass Quarz in Wirklichkeit kein Hund sondern ein tollwütiger Werwolf war. Eines Tages würde er sich von seiner Kette losreißen und mir die Bauchdecke aufreißen und meine Eingeweide überall verstreuen, das Monster! Und auf so einen hohlen Bauernhof fuhren wir jetzt! Vielleicht war die Bäuerin auch so eine lauwarme Bio-Liese wie Frau Boslet, die ständig von Erdstrahlen und schädlichen elektrischen Feldern sprach und ihre Arme mit Edelsteinen rieb. Bauernhof! So eine Kacke! Mitten in der Nacht würde der vermaleflixte Hahn anfangen, lauthals rumzugockeln und wahrscheinlich latschte man ständig in Kuhscheiße! Ich presste die Lippen zusammen und beschloss, den gesamten Urlaub eisig zu schweigen und eine Miene purer Entrüstung und kalter Wut aufzusetzen. Die würden schon sehen! Mich so herein zu legen! Scheiß-Bauernhof! Im Radio kamen Nachrichten. Der Streifenschneider hatte wieder ein Mädchen ermordet. Vater drehte das Radio lauter. „Mein Gott! Schon wieder! Das ist das achte Kind in diesem Jahr! Wann fassen sie dieses Monster endlich!“ Der Streifenschneider war ein Wahnsinniger, der kleine Mädchen schlachtete. Er beobachtete sie eine Weile heimlich und begann, ein Tagebuch zu schreiben. Dort notierte er, was ihm an den Mädchen gefiel und was er mit ihnen anstellen würde. Dann fing er sie, fesselte sie im Wald, klebte ihnen den Mund zu und schnitt ihnen mit einem scharfen Messer die Haut in Streifen herunter. Daran starben die Opfer auf qualvolle Weise. Ich schauderte beim Gedanken an diesen Irren, der Deutschland unsicher machte. Mal tauchte er in Bayern auf, dann oben in Schleswig-Holstein. Mit Saskia machte mir Fesseln ja Spaß, aber die Fesselung dieses grässlichen Monster-Menschen fand ich widerlich. Er band seine Opfer ausgestreckt zwischen zwei Bäume, damit sie sich nicht wehren konnten, wenn er sie langsam ermordete. „So einer gehört gehenkt!“ rief Vater wütend. „Und was machen die Idioten der Justiz? Geben so einem Monstrum gerade mal drei Jahre und danach lässt ein bescheuerter Psychofritze es als „geheilt“ frei und der Killer mordet erneut. Die Zeitungen sind voll von diesen Skandalen! Ich kann es bald nicht mehr hören! Da wird einem ja der Urlaub verdorben!“ Schön, dass er sich ärgerte! Ich ärgerte mich ja auch! Bauernhof! Bauerndoof! Doofhof! Kacke!!! „Nun schau doch nicht so verbiestert“, flötete Mutter mir im Rückspiegel zu. „Du findest bestimmt Gesellschaft dort.“ „Ich will tauchen!“ fauchte ich und hasste mich im gleichen Moment, weil ich doch den gesamten Urlaub in eisigem Schweigen verbringen wollte. „Es gibt im Wald einen kleinen, flachen Weiher“, sagte Mutter. „Dort war einmal eine Kiesgrube. Das Wasser soll klar sein.“ Wie schön! Und was gab es dort zu sehen? Seeanemonen vielleicht oder Meeresfische? Seesterne? Tang? Nein! Bloß doofen langweiligen Sand! Ich kannte die Weiher in ehemaligen Kiesgruben. Waren sie klein, gab es nur Sand, Sand und Sand. Manchmal wuchsen hier und da einige Wasserpflanzen und ein einsamer Wasserkäfer zog seine Kreise. Super! Ich verfiel wieder in dumpfes Brüten. Warum zerschnippelte der Streifenschneider nicht verlogene hinterlistige Eltern!?! Die Fahrt dauerte nicht sehr lange. Schon nach einer Stunde waren wir da. Der Bauernhof lag inmitten von Wiesen und Feldern an einem Waldrand. Von einem See keine Spur. Aber Kühe! Klar! Für Kuhscheiße musste ja gesorgt werden. Bei Aussteigen überfiel mich ein Werwolf, ein Hundevieh so groß wie ein Pony. Aber er war lieb und schwanzwedelte freundlich. Ich ärgerte mich. Ein tobendes Dreckvieh wie Quarz wäre mir lieber gewesen. Eine dralle Frau kam aus dem Haus: „Schön dass sie da sind. Lupus! Lass den jungen Mann in Frieden! Du wirfst ihn ja um.“ Sie nannte mich einen Mann. Immerhin. Ich gab ihr einen Bonuspunkt dafür. Sie half uns, unser Gepäck ins Haus zu schleppen. Wir schliefen oben unterm Dach in Schlafzimmern, die ich trotz meiner Wut nur als gemütlich bezeichnen konnte. Ich hatte ein eigenes Zimmer auf der anderen Seite des Gangs ganz weit hinten. Auch gut. Keine nervenden Eltern in der Nähe. Allerdings stand ein Ehebett in dem Raum und anscheinend musste ich das Zimmer und das Bett mit jemandem teilen. Weil da stand ein Koffer und es lagen Kleidungsstücke auf einem Stuhl neben dem Doppelbett. Das war ja wohl die Höhe! Sollte ich mit einem wildfremden Kind im gleichen Bett pennen? Womöglich mit einem Angsthasen, der sich vorm Dunkeln oder vor Gewittern fürchtete oder noch schlimmer: der ins Bett pinkelte?! Ich spürte, wie ich langsam zu sieden anfing. Hier bleibe ich nicht!, beschloss ich. Da flog die Tür auf. „Chris!“ rief es freudig hinter mir. Ich fuhr herum und bekam einen so schönen glücklichen Schreck wie nie wieder später in meinem Leben. Ich blickte in leuchtende hellbraune Augen. Ich konnte es nicht glauben. „SASSI!!!“ Sie war es wirklich! Saskia war hier! Schlagartig wurde mir der Bauernhof sympathischer. „Wie kommst du denn hierher?“ „Ich bin mit meinen Eltern vor drei Tagen hergekommen“, sagte sie und lächelte mich an. „Ich soll ein paar Tage bei euch bleiben, weil meine Eltern arbeiten müssen.“ Bei uns bleiben? Ich schaute das Ehebett an und verstand. Wir würden das Zimmer teilen. Wir würden zusammen draußen herumstromern können. Wir würden… Ich schluckte. Ich sah Sassi im Geiste draußen tanzen. Woah! „Ich kenne mich schon gut aus“, sagte sie leise. Sie blickte sich schnell um, ob wir allein waren. „Ich habe Schnur gesammelt.“ Sie lächelte mich an. Ich lächelte zurück. Der Urlaub würde doch noch schön werden, auch ohne Meer und Seeanemonen! Ich schaute Saskia von oben bis unten an. Sie trug ein ärmelloses Shirt und Turnhosen und war barfuss. Sofort riss ich meine Reisetasche auf und passte meine Montur der ihren an. Saskia grinste freundlich: „Der Boden draußen ist weich. Es macht Spaß, barfuss zu laufen. Keine spitzen Steine oder rauer Asphalt. Nur Sand, Gras und Moos.“ Sie schaute mich verschwörerisch an: „Kommst du mit?“ „Und ob! Ausräumen kann ich später noch.“ Wir rannten am Zimmer meiner Eltern vorbei. „Wir gehen spielen“, brüllte ich und rannte mit Sassi die Treppe hinunter. „Anscheinend gefällt es Herrn Trotzkopf plötzlich sehr gut“, hörte ich meinen Vater sagen. Blödian! „In den Heuschober“, rief Sassi und lief voraus. Ich folgte ihr auf dem Fuße und achtete darauf, ob nicht ein bösartiger Kuhfladen vor mir lauerte. Es lauerte keiner. Aber direkt hinter dem Eingang des Heuschobers trat ich auf einem spitzen Stein. „Aua! Verflixt! Du hast gesagt, es gibt hier keine spitzen Steine!“ „Ich weiß nicht, wo der herkommt“, sagte Saskia. „Hast du dir wehgetan?“ „Nöö, bin bloß erschrocken.“ „Da hinten!“ Sassi zog mich vorbei an hoch gestapelten gepressten Heuballen in die hinterste Ecke der Scheune. Sie umrundete eine Mauer aus Heu. Dahinter lag eine kleine Nische, schön versteckt. Heu bedeckte den Boden meterhoch. Saskia sprang hinein wie ein Fisch ins Wasser. „Komm! Es ist gemütlich!“ rief sie. Ich sprang hinterher. Das Heu federte mich butterweich ab. „Hier findet uns niemand“, sagte Saskia. Sie fasste in eine Lücke zwischen zwei Heuballen und zog etwas heraus: „Guck! Ich habe vorgesorgt. Ich wusste ja, dass du kommst.“ „Du hast das gewusst? Warum hast du mir nichts gesagt letztens?“ „Da wusste ich es ja noch nicht. Ich habe es erst von meiner Mutter erfahren, als wir hier ankamen. Ich soll ein paar Tage bei euch bleiben, weil Mutti und Vater arbeiten müssen. Sie schaute mich lange an. „Ich bin jetzt für ein paar Tage deine Schwester. Magst du das?“ Ihr Blick wurde unsicher. Ich nickte: „Ich finds toll! Zuerst war ich sauer, dass wir nicht ans Meer fuhren, aber jetzt freu ich mich.“ Da lachte sie mich freundlich an. „Guck mal, was ich besorgt habe“, sagte sie und reichte mir die seltsamen schwarzen Dinger.“
13. Teil) (für Ramona)
Echt unechte Handschellen
„Wasn das?“ Verblüfft betrachtete ich die Dinger. „Die habe ich aus dem Tiergeschäft im Dorf“, antwortete Saskia. „Sie haben nicht viel gekostet. Es sind Katzenhalsbänder oder Halsbänder für Frettchen. In der Werkstatt neben dem Haus habe ich einen Lochpetzer gefunden und mehr Löcher reingepetzt, damit man sie enger zuziehen kann. Ich wollte mich endlich mal alleine fesseln können.“ „Cool!“ Ich ließ die Dinger in der Hand herum gleiten. Sie hatte jeweils zwei Katzenhalsbänder mit einer kräftigen Schnur zusammen gebunden. So hatte sie eine Art Handschellen erschaffen, Handschellen aus Leder. Probeweise legte ich mir so ein Ding ums Handgelenk und verschloss es. Es passte. „Man muss aufpassen, wenn man sich selber die Hände auf dem Rücken zusammen schnallt“, sagte Saskia. „Es ist schwer, die Verschlüsse wieder aufzukriegen, wenn man nicht sieht, was man macht. Aber das Leder ist weich und es fühlt sich gut an.“ „Wie Handschellen“, sagte ich. „Ja! Echt unechte Handschellen“, sagte Saskia vergnügt. Sie schaute mich total lieb an: „Fesselst du mich damit?“ Ich nickte eifrig. Na klar! Was sonst! „Die Hände auf dem Rücken zusammen schnallen“, verlangte Sassi. Sie kniete vor mich und streckte mir die Arme nach hinten entgegen. Ich legte ihr die ledernen „Handschellen“ an und zog die Verschlüsse zu. Sassi drehte sich um und streckte mir ihren nackten Füße entgegen: „Jetzt die Füße.“ Als ich ihre Füße zusammen schnallte, lachte sie: „Wenn die Verkäuferin vom Zoogeschäft wüsste, was ich mit den Halsbändern anstelle! Die hat sowieso komisch geguckt, als ich gleich vier von den Dingern kaufte. Ich habe gesagt, die anderen drei sind für meine Freundinnen daheim.“ Ihre Augen umwölkten sich. „Wo ich doch gar keine Freundinnen habe!“ Sie blickte traurig. Als ich ihre Füße zusammen geschnallt hatte, rutschte sie zu mir und lehnte sich –gefesselt wie sie war- an mich: „Aber ich habe ja jetzt dich als Freund, gell?“ Ich legte den Arm um ihre Schultern: „Ja Sassi.“ „Dann ist es ja gut“, sagte sie und seufzte. Eine Weile blieb sie ganz still an mich gelehnt. Ich bewegte mich nicht, weil es mir gut gefiel, so mit ihr da zu sitzen. Sie schaute zu mir auf: „Ich habe mir was ausgedacht. Gestern bin ich darauf gekommen. Ich lege mich auf den Bauch und du musst meine Hände und Füße hinter meinem Rücken zusammenbinden. Machst du das?“ „Das klingt lustig“, meinte ich. „Da zwischen den Heuballen ist noch Schnur“, sagte Saskia. Ich fummelte mehrere Seilstücke verschiedener Länge aus Sassis Geheimversteck. Sie hatte wirklich gut vorgesorgt. „Schlaues Mädchen“, lobte ich und streichelte ihren Kopf. „So ist es fein, Sassi, kleines Fesselkätzchen.“ „Wie nennst du mich?“ fragte sie lächelnd. „Fesselkätzchen“, wiederholte ich. Das Wort gefiel ihr. Sie legte sich auf den Bauch. Ich holte mir ein kurzes Schnurstück. Dann führte ich ihre zusammen geschnallten Hand- und Fußgelenke hinter ihrem Rücken zusammen. Ich führte die Schnur zwischen ihren Handgelenken und Fußgelenken hindurch und zog die Schlinge zusammen. Saskias nackte Füße wurden dadurch zu ihren Händen gezogen und ich machte einen doppelten Knoten. „Da komme ich allein nie im Leben raus“, sagte Saskia erfreut. „Es fühlt sich super an, total festgebunden!“ Sie drehte den Kopf und schaute zu mir hoch: „Du musst mich foltern und ein Geständnis von mir erpressen!“ Foltern? Ich überlegte fieberhaft. Natürlich wollte sie nicht, dass ich sie mit rot glühenden Zangen zwickte oder ihr Daumenschrauben anlegte. Hmmm… Da hatte ich es. Ich sprang auf und rannte zum Eingang. Der kleine spitze Stein lag noch immer dort. Ich hob ihn auf und kehrte zu Saskia zurück, die hilflos gefesselt im Heu lag. Ich setzte mich neben sie und ritzte mit dem Stein probeweise über meine linke Fußsohle. Es kratzte und kitzelte ein bisschen. Mit etwas Phantasie war das eine fürchterliche Folter. Ich hielt Sassi den Stein vors Gesicht. „Siehst du das, du böses Mädchen!“ sagte ich mit meiner „gemeine Heimleiterin“-Stimme. „Das ist ein scharfkantiger Glasbrocken! Damit schlitze ich deine Fußsohlen auf! Es wäre besser für dich, wenn du geständig wärst, Saskia Winter! Gib zu, dass du heimlich zu dem Tanzwettbewerb gegangen bist, obwohl es dir verboten war!“ „Nein Frau Heimleiterin“, jammerte Saskia. „Ich war nicht dort. Wirklich nicht! Bitte glauben Sie mir!“ „Du lügst“, schimpfte ich. „Man hat Abdrücke von bloßen Füßen auf dem Sandweg zur Stadt entdeckt. Es ist deine Fußgröße. Und jeder weiß, wie wild du auf dieses heidnische Tanzspektakel bist. Gib es lieber zu! Ich werde die Wahrheit sowieso herausfinden und deine Strafe wird umso schlimmer, je mehr du dich widersetzt.“ „Aber ich war wirklich nicht tanzen Frau Heimleiterin“, rief Saskia ängstlich. „Bitte, bitte glauben Sie mir doch! Ich war im Wald und habe Beeren gepflückt.“ „So! Und wo sind die Beeren?“ fauchte ich böse. „Sie sind mir hingefallen, als ich vor einem Hund davon lief“, rief Saskia rasch. Sie war wirklich schlau, das musste man ihr lassen. Aber das würde ihr nicht viel nützen. Die gemeine Heimleiterin brannte geradezu darauf, ihrem wehrlosen Zögling Schmerzen zuzufügen. Es war eine supergehässige Person, die Kinder gerne quälte. „Ich kriege es schon aus dir raus!“ schnarrte ich und tat so, als risse ich an Saskias Haaren. Sie schrie erschrocken auf und blickte mich flehend an: „Bitte nicht!“
14. Teil) (für Ramona)
Saskia wird gefoltert
„Du hast dir selber zuzuschreiben, was nun mit dir passiert!“ sagte ich und schaute möglichst böse drein. „Du störrisches Mädchen! Ich treib dir die Flausen schon aus!“ Ich packte ihre zusammen gefesselte Füße und begann mit einer scharfen Kante des Steins ihre Fußsohlen zu „zerschneiden“. „Au! Bitte nicht! Es tut weh!“ jammerte Saskia. „Gib zu, dass du heimlich auf dem Tanzwettstreit gewesen bist!“ verlangte ich als böse Heimleiterin. „Nein, ich war nicht dort!“ Sassi wand sich. Ich kratzte weiter mit dem Stein über ihre milchweißen Fußsohlen. Saskia zuckte. Manchmal verkrallte sie die Zehen, dann wieder streckte sie sie weit aus. „Bitte aufhören! Ich halte es nicht mehr aus!“ flehte sie. „Gestehe!“ forderte ich und machte unbarmherzig weiter. Saskia wand sich in ihren Fesseln. Sie ruckte mit dem Kopf und versuchte, ihre Füße vor dem spitzen Stein in Sicherheit zu bringen. Aber ich hielt sie erbarmungslos fest. Schließlich tat Saskia so als ob sie weinen müsste und gestand schluchzend, dass sie tatsächlich am Tanzwettbewerb teilgenommen hatte. „Du nichtsnutziges, verlogenes Mädchen!“ schalt ich sie. „Wusste ich es doch! Du abscheuliche Lügnerin! Erzähl mir alles!“ „Das habe ich doch Frau Heimleiterin!“ rief Sassi verzweifelt. „Bitte lassen Sie mich doch!“ Ich „schnitt“ weiter. „Das würde dir so passen! Ich weiß noch nicht alles! Du wirst mir alles berichten! Los! Ich höre!“ „Es gibt doch sonst nichts!“ jammerte Saskia. Ich verstärkte den Druck auf den spitzen Stein und zog ihn über ihre linke Fußsohle. „Au!“ schrie Saskia. „Ich werde nie wieder laufen können! Aufhören! Bitte!“ „Rede!“ herrschte ich sie an. „Hast du einen Preis gewonnen?“ „Nein“, rief Saskia. Sie zappelte wie verrückt, aber sie konnte der schrecklich gemeinen Heimleiterin nicht entkommen. „Gestehe! Du hast einen Preis gewonnen!“ blaffte ich und „folterte“ das ungehorsame Mädchen weiter. „Ja!“ wimmerte Saskia schließlich. „Wusste ich es doch!“ donnerte ich. „Du verlogenes kleines Luder! Wie viel hast du gewonnen?“ „Hundert Taler“, schluchzte Saskia. „Es war der erste Preis. Bitte aufhören!“ „So“, sprach ich mit Grabesstimme. Ich hörte auf, sie zu foltern. „Jetzt haben wir endlich die Wahrheit! Was bist du nur für ein bösartiges, verlogenes Mädchen! Dafür wirst du hart bestraft werden! Ich lasse dich allein hier liegen und denke mir inzwischen eine gerechte Bestrafung für dich aus. Das Schlimmste ist nicht, dass du mein Verbot missachtet hast, sondern dein abscheuliches Lügen. Du wirst diesen Tag noch verfluchen, Elende!“ Ich ließ die schluchzende Saskia allein.
15. Teil) (für Ramona)
Saskia wird getröstet
Ich kehrte zurück, diesmal nicht als gemeine Heimleiterin sondern als ein Kamerad Saskias. Auch ich war ein Heimkind und litt unter der gehässigen Heimleiterin. „Arme Saskia“, sagte ich und kniete neben Sassi nieder. Sie lag noch immer auf dem Bauch, die Hände und Füße hinterm Rücken zusammen gebunden. „Hat sie dir sehr wehgetan?“ „Sie hat mir die Fußsohlen zerschnitten“, jammerte Saskia. „Ich werde nie wieder richtig gehen können. Vielleicht verblute ich sogar.“ Ich betrachtete ihre hellen zarten Fußsohlen. Man sah einige rötliche Streifen, wo ich mit dem Stein gekratzt hatte. „Ich kenne ein Heilmittel“, sagte ich. „Ich habe es dabei. Es ist ein magisches Pulver. Wenn man es auf das scharfkantige Glas streut, kann man mit dem Glasstück die Wunden wieder „zuschneiden“. Sie verschwinden sofort. Das will ich gleich tun arme Sassi.“ Ich tat so, als ob ich Pulver auf den spitzen Stein streute. Dann setzte ich ihn mit einer Spitze auf Saskias Fußsohle und strich ganz sachte darüber. „Huh!“ machte Saskia und streckte sich in den Fesseln. Ich ließ mich nicht beirren und strich und streichelte weiter mit dem Stein. „Es verheilt schon“, sprach ich enthusiastisch. „Bald kannst du wieder laufen Sassi.“ „Das kitzelt!“ flüsterte sie. „So. Alles wieder heil“, verkündete ich und streichelte mit den Fingern über ihre nackten Sohlen. Das schien ihr zu gefallen, denn sie hielt plötzlich andächtig still. Mutiger geworden, streichelte ich auch die Oberseite ihre nackten Füße, die Fersen und die Knöchel, wo ich neben den Lederbändern drankam. „Schön“, meinte Saskia dazu. „Noch!“ Ich streichelte weiter, weitete mein Streicheln auf ihre Unterschenkel aus. Ich sah wie sie eine kleine Gänsehaut bekam. „Bestimmt kommt bald die schreckliche Heimleiterin“, sagte ich leise. „Die wird dich furchtbar bestrafen.“ „Ich werde ausgepeitscht“, sagte Saskia. „Draußen im Wald beim Weiher. Dort ist eine Stelle, wo man Kinder anbinden kann, um sie zu bestrafen.“ „Arme Sassi“, sagte ich. Dann machte ich meine Stimme wieder normal. „Aber vorher will ich das auch mal probieren.“ Ich machte die Verschlüsse der Lederbänder auf. Saskia richtete sich auf die Knie auf. „Das hat Spaß gemacht“, sagte sie lächelnd. „Als du mich mit dem spitzen Stein gefoltert hast, das war wirklich schwer auszuhalten. Es hat nicht wirklich wehgetan, aber es war schwer auszuhalten. Ich konnte richtig jammern.“ Sie lachte mich freundlich an: „Willst du auch mal?“ „Na klar“, antwortete ich.
16. Teil) (für Ramona)
Im Wald
„Aber nicht hier“, sagte Saskia. „Wir gehen in den Wald zum Weiher. Dort habe ich schon was vorbereitet. Ich kann dich dort genauso gut zusammen schnüren wie hier, aber hier kann ich meine „Strafe“ fürs Tanzen nicht kriegen. Ich werde nämlich ausgepeitscht.“ Sie holte eine kleine Umhängetasche zwischen den Heuballen hervor: „Und wir müssen noch einen Umweg durchs Dorf machen. Ist nicht weit.“ „Warum ins Dorf?“ fragte ich, als wir den sandigen Feldweg entlang liefen. Saskia schaute mich mit großen Augen an: „Ich muss doch Kuchen kaufen für dich, du Fresser.“ Sie lachte. „Oh! Ach so“, sagte ich. Ich hatte plötzlich nicht im Mindesten was gegen den Umweg durchs Dorf. Dort kaufte Saskia von ihrem Taschengeld drei Stücke Käsekuchen in der Bäckerei. „Das ist aber ne Menge“, rutschte es mir draußen heraus. Sie lachte. „Eins ist ja für mich. Du kriegst nicht alles, du Fresser.“ „Ich bin halt am Wachsen. Da muss ich viel essen“, verteidigte ich mich. Es stimmte. Ich konnte in mich hinein stopfen so viel ich wollte, ich blieb dünn wie ein Hering. Sassi blieb vorm Schaufenster des Juweliers stehen und betrachtete die kleinen Schmuckstücke, die dort ausgelegt waren. Normalerweise hätte ich die Augen gerollt und gedacht: „Weiber! Immerzu müssen sie in blöde langweilige Schaufenster glotzen!“ Stattdessen stand ich geduldig da und betrachtete Saskia von der Seite, schaute ich zu, wie sie neugierig und sehnsüchtig den Schmuck betrachtete. Zu jedem Stück hatte sie was zu sagen. Ich wunderte mich, dass sie nicht nach Gold schielte. „Silber gefällt mir viel besser“, sagte sie. „Schon immer mochte ich silberne Farbe lieber als Gold.“ Mein Blick fiel auf ein Paar Ohrstecker. Es waren kleine rote Marienkäferchen mit schwarzen Punkten. Die Beinchen der Käfer waren aus Silberdraht. Die Dinger sahen unglaublich echt aus. Im Weitergehen grübelte ich darüber nach, wie diese kleinen Marienkäferchen wohl an Saskias Ohren aussehen würden. Wir liefen zum Dorf hinaus. Der Feldweg führte an einem von einem hohen Zaun umgebenen Sportplatz vorbei. Ältere Jungen um die dreizehn oder vierzehn spielten dort Fußball. Plötzlich kam der Ball über den hohen Zaun gesegelt und landete vor uns auf dem Feldweg. Einer der älteren Jungen kam zum Zaun: „Wirf mal den Ball rüber, Kleiner!“ Kleiner?! Na der würde sich umsehen! Wozu hatte ich mein Schussbein so hart trainiert? Ich warf den Ball hoch und hämmerte den nackten rechten Fuß darunter. Ich traf das Leder genau richtig mit dem seitlichen Rist. Der Ball schoss wie eine Rakete in den Himmel und raste zur anderen Seite des Spielfeldes. „Woah! Der Kerl hat einen Tritt wie ein Gaul!“ brüllte einer der großen Jungen. Ich ging mit Sassi weiter und tat so, als interessiere mich diese Bemerkung nicht im Mindesten, aber innerlich glühte ich vor Stolz. „Du kannst aber feste schießen“, sagte Saskia. Bei ihrem Lob rieselte es mir warm durch die Brust. Ihr Lob war mir tausendmal mehr wert als das des großen Jungen. Im Wald zeigte mir Sassi den Weiher. Zu meinem Erstaunen war er glasklar. Auf dem sandigen Grund wuchsen hier und da dichte Büschel Wasserpflanzen und es gab Fische und sogar Muscheln! „Da können wir tauchen“, freute ich mich. „Hast du eine Taucherbrille?“ Saskia nickte. „Ich tauche gerne.“ Sie schaute mich so lieb an, dass mir ganz anders wurde. „Und mit dir zusammen macht es noch viel mehr Spaß, Chris.“ Sie nahm mich an der Hand: „Komm. Da drüben hinter dem Gebüsch ist es.“ Sie führte mich zu ihrem Platz im Wald. Es war eine sandige Lichtung, die von Bäumen und Sträuchern umgeben war. Hier würde uns keiner sehen. „Auf die Knie“, kommandierte Saskia. Ich kniete mich in den Sand. „Die Hände auf den Rücken!“ Ich tat was sie wollte und Saskia legte mir die ledernen „Handschellen“ an. Das Leder fühlte sich warm und glatt an der Haut an. Es war ein interessantes Gefühl. „Hinsetzen“, verlangte Sassi. Ich setzte mich auf den Hintern und Saskia schnallte meine Füße zusammen. Ich bewegte Hände und Füße. Es war ganz anders als wenn man mit Stricken gefesselt war. Man hatte viel mehr Bewegungsfreiheit. Aber los kam ich trotzdem nicht. Nur mit irren Verrenkungen hätte ich die Schnallen meiner Handfesseln öffnen können. Nun musste ich mich auf den Bauch legen. Mit einem kurzen Seil verband Saskia meine Hand- und Fußfesseln und zog das Seil zu. Ich wurde zusammen gezogen, meine Füße wanderten zu den Händen. Sassi verknotete alles und ich lag auf dem Bauch, verschnürt wie ein Brathähnchen. Saskia sprang auf. Sie holte sich ein Stück Käsekuchen und kam zu mir zurück. Ihre nackten Füße standen direkt vor meinem Gesicht. Sie spielte mit den Zehen im Sand. Ich drehte den Kopf und schaute hoch. „Jetzt lasse ich dich verhungern“, sagte Saskia und biss voller Behagen in den Kuchen.
17. Teil) (für Ramona)
Die Auspeitschung
„Ich bin nämlich die Heimleiterin und verfresse mit meinen Helferinnen das Geld vom Tanzwettbewerb“, sagte Saskia mit vollem Mund. Sie ließ mich ziemlich lange leiden, bevor sie sich entschloss, wieder das liebe kleine Sassi-Heimkind zu werden, das rasch zu mir armem gefesselten Kerl kam und mich heimlich mit Kuchen fütterte. Sie kniete vor mir und ließ mich abbeißen. So ließ es sich aushalten. Ich empfand die Fesselung als angenehm. Es war ein unglaubliches Gefühl, die Hände und Füße auf dem Rücken zusammen geschnallt zu haben. Ein Gefühl völliger Hilflosigkeit. Zwar konnte ich mich bewegen, aber ohne Saskias Hilfe würde ich wahrscheinlich nicht loskommen. Ich bekam nur ein Stück Käsekuchen. „Das andere bekommst du erst nach meiner Bestrafung“, bestimmte Saskia. Sie machte sich daran, mich loszubinden. Ich hielt still und genoss die zarte Berührung ihrer kleinen Hände. „Der schmeckt eh nicht so gut wie bei euch“, sagte ich, als ich frei war. „Vor allem nicht so gut wie der Käsekuchen, den du selber gebacken hast.“ „Ehrlich?“ Sie wurde rot vor Freude. „Ehrlich!“ gab ich zurück. Sie lächelte total lieb. „Ich muss noch bestraft werden“, sagte sie schließlich und holte die Utensilien dazu aus einem Versteck hinter einem Felsen. Sie hatte wirklich vorgesorgt. Einige kurze Seile kamen zum Vorschein, ein sehr langes Seil und ein dünner Ledergürtel. „Das ist die Peitsche“, verkündete Saskia. Sie zog ihr Hemdchen aus und stand nur in Turnhosen vor mir. Sie schaute mich an: „Aber nicht wirklich fest hauen, ja? Nur spielen.“ „Natürlich schlage ich dich nicht richtig“, sprach ich ernst. Ich hörte ihr zu, wie sie sich die Bestrafung vorgestellt hatte. Die Idee hatte was. Zuerst musste ich mich natürlich wieder in die böse Heimleiterin verwandeln. Inzwischen hatten wir sie ziemlich lebendig gemacht in unserer Phantasie. Sie war groß und fett, hatte große Hände mit dicken Fingern, die wie Würste aussahen. An jedem Finger trug sie einen Ring und um ihren dicken Hals ringelten sich gleich vier Perlenketten, die rasselten, wenn sie sich bewegte. Drum nannten wir Heimkinder sie heimlich Die Klapperschlange. Die Klapperschlange hatte blassgraue kleine Schweinsaugen und die aschefarbenen Haare zu einem Dutt aufgesteckt. Sie schaute immer böse und missgelaunt drein und sie hasste Kinder. Dieses ausgemachte Aas packte nun die arme Saskia, die sogleich ängstlich losjammerte und um Schonung bat. „Du hast dir das alles selbst zuzuschreiben, du unfolgsames Mädchen!“ raunzte die Klapperschlange. Schnaufend schleppte sie Saskia an den Haaren in den Keller. Die anderen Kinder mussten mitkommen. Sie sollten Sassis Bestrafung beiwohnen. Die Heimleiterin wollte ein abschreckendes Beispiel geben und die Kinder einschüchtern. „Bitte verhauen Sie mich nicht!“ bettelte Saskia unter Tränen. „Bitte nicht!“ Erbarmungslos schleifte die Klapperschlange sie zu einer Art Galgen (einem waagrecht hängenden stabilen Ast in zwei Metern Höhe). Dort zerrte sie Saskias Hände grob vor ihrem Bauch zusammen und fesselte sie sehr stramm mit einem Seil zusammen. Dann verknotete das Schweinsgesicht die Handfessel des Mädchens mit dem langen Seil. Dessen Ende warf sie über den Galgen und zog daran. Mit einem harten Ruck wurden Saskias Arme in die Höhe gerissen. Das Mädchen schrie erschrocken auf. Es jammerte und flehte pausenlos um Gnade, obwohl es wusste, dass alles Betteln sinnlos war. Die Heimleiterin LIEBTE es, Kinder zu bestrafen. Mit einem weiteren Ruck wurde Sassis Körper gestreckt. Sie stand hoch aufgerichtet unter dem Galgen, die Hände über den Kopf gereckt. Die Klapperschlange befestigte das lange Seil am Galgenpfahl. Dann holte sie ein kurzes Seil und bückte sich. Mit groben Bewegungen umwickelte sie Sassis Fußgelenke und vergaß nicht, das Seil zweimal zwischen ihren nackten Füßen hindurch zu ziehen. Sie fixierte Saskias Füße, damit sie in ihrer Not nicht nach ihr treten konnte. „So!“ Die Klapperschlange richtete sich auf. Sie schwitzte und keuchte vor Anstrengung, weil sie so dick war. „Nun wirst du deine Strafe empfangen.“ „Bitte nicht Frau Heimleiterin!“ bettelte Sassi verzweifelt. „Bitte nicht! Ich hab so Angst!“ „Das hättest du dir früher überlegen sollen, du Früchtchen!“ sprach das Schweinsgesicht süffisant. Man sah es der Frau an, dass sie es liebte, Saskia zu quälen. Sie zog es genüsslich in die Länge. Mit der Lederpeitsche umkreiste sie das wehrlose Mädchen. Ab und zu ließ sie die Peitsche probeweise knallen. (dabei haute sie sich das Ding einmal ordentlich gegen das eigene Schienbein und sie führte lauthals fluchend einen einbeinigen Indianertanz auf. Die Kinder mussten kichern, wurden aber sofort mit tödlichen Giftblicken zum Schweigen gebracht.) Wieder umkreiste Schweinegesicht das hilflos gefesselte Mädchen. „Hier seht ihr ein unfolgsames Mädchen! Saskia Winter dachte, sie bräuchte sich nicht an Verbote zu halten. Seht, wohin sie ihr Ungehorsam brachte! Seht genau zu! So wie Saskia wird es jedem Kind ergehen, das nicht gehorsam ist! Runter mit dem Hemdchen!“ Ich tat, als würde ich Sassis Hemd, das sie ja gar nicht mehr anhatte, zerreißen, um ihren Rücken zu entblößen. „Krrrrtsch!“ imitierte ich das Geräusch ziemlich echt. Saskia schrie entsetzt auf. Sie merkte, dass es ernst wurde und spannte sich an. Schweinegesicht holte mit der Peitsche aus. „Nein! NEIN!“ flehte Sassi mit weit aufgerissenen Augen. „Nein Frau Heimleiterin! Bitte! Ich verspreche, nie wieder ungehorsam zu sein!“ Sie war außer sich vor Angst.
18. Teil) (für Ramona)
Sassi in Not
„Das hättest du dir früher überlegen sollen!“ donnerte die Heimleiterin. Sie wandte sich an die umstehenden Kinder, die schreckensbleich zuschauten: „Seht gut zu! Merkt euch, was euch blüht, wenn ihr nicht folgsam seid!“ Sie holte aus und ließ die Peitsche mit furchtbarer Wucht auf Saskias nackten Rücken knallen (ich ließ den Gürtel locker sausen. Es klatschte leise.) Saskia zuckte zusammen. Ein Schrei brach aus ihrer Kehle hervor. Wieder schlug die Klapperschlange zu. Saskia bäumte sich schreiend auf. Tränen schossen ihr in die Augen. „Nein! NEIN!“ schrie, heulte sie. Doch die Heimleiterin kannte keine Gnade! Pausenlos klatschte die Peitsche auf Saskias schmalen Rücken. Das Mädchen bäumte sich jedes Mal schreiend auf, wenn es den schrecklichen Biss des Leders spürte. Es schrie und weinte in einem fort und flehte um Gnade, die es nicht gab. Saskia wand sich mit aller Kraft in ihren Fesseln, in dem erfolglosen Bemühen, der furchtbaren Peitsche zu entkommen. Dann, nach endlosen Minuten hörte die Heimleiterin endlich auf. Saskia sackte laut schluchzend in ihren Fesseln zusammen. Die anderen Kinder standen kreidebleich um den Galgen herum, nackte Furcht in den Augen. „Das wird dir jetzt hoffentlich eine Lehre sein“, grollte Schweinegesicht. „Wag es nur ja nicht, noch ein einziges Mal zu diesen unseligen Tanzveranstaltungen zu laufen, du scheusliches Kind! Ein christliches Mädchen tut so etwas nicht. Du wirst hier angebunden bleiben bis zu Abendessen, damit jedes Kind sieht, was ihm blüht, wenn es unfolgsam ist.“ Die Klapperschlange wischte sich dicke Schweißtropfen aus dem Gesicht. Die lustvolle Abstrafung des ungehorsamen Zöglings hatte sie angestrengt. In Sekundenbruchteilen trat ich aus der Heimleiterin heraus, verwandelte mich in eines der Kinder, die hilflos hatten mit ansehen müssen, wie diese hundsgemeine Frau die arme Saskia mit roher Gewalt ausgepeitscht hatte. „Hoffentlich kriegst du vor Anstrengung mal einen Herzinfarkt“, zischte ich der abdampfenden Klapperschlange hinterher. „Du fieses Aas!“ Ich wandte mich der schluchzenden Saskia zu. „So eine gemeine Person! Du Armes.“ Sassi schluchzte noch ein bisschen vor sich hin. Sie hing „kraftlos“ in ihren Fesseln, halb ohnmächtig von den Schmerzen. „Ich dachte, sie schlägt mich tot“, weinte sie. „Es tat so weh, dass ich mir in die Hosen gemacht habe, aber am schlimmsten war die Angst, dass sie mich zu Tode peitscht. Es hörte und hörte nicht auf.“ Sie schaute zu uns anderen Kindern hin. „Bringt ihr mir bitte etwas Wasser?“ fragte sie leise. Die Kinder glotzten sie entsetzt an. Sassi jetzt ein Glas Wasser zu holen war unmöglich. Die Klapperschlange hatte es verboten. Niemand wagte, sich dem Verbot der grausamen Heimleiterin zu widersetzen aus Angst, selber am Galgen ausgepeitscht zu werden. Sassi brach in Tränen aus. „Wasser!“ wimmerte sie. „Bitte!“ Ihre Stimme war ganz schwach. „Ein bisschen Wasser!“ Sie flehte und bettelte. Die Kinder schauten beschämt zu Boden. Endlich fasste ich mir ein Herz. Ich holte ein Glas Wasser und hielt es der geschundenen Saskia an die bebenden Lippen. Sie war so schwach, dass sie kaum trinken konnte. Ich musste ihren Kopf stützen und ihr helfen. Da trank sie endlich in tiefen durstigen Zügen. „Danke Christian“, hauchte sie. Dann fiel sie in Ohnmacht.
19. Teil) (für Ramona)
Sklavenkinder
Rasch kniete ich nieder und befreite Sassis gefesselte Füße. Dann fix hoch und ihre kleinen Hände losgebunden! Sie fiel mir in die Arme. „Wenn ich diese verfluchte Klapperschlange in die Finger kriege“, schnaufte ich voller Zorn. „Wenn ich größer bin, verprügele ich das Miststück.“ Ich schleppte Saskia in den Schatten und setzte mich hin. Das ohnmächtige Mädchen hielt ich im Arm. Sassis Augen flatterten und sie erwachte aus der Bewusstlosigkeit. „Wo bin ich?“ flüsterte sie. „Ich habe dich abgemacht“, antwortete ich. „Soll das Schweinsgesicht sagen, was es will, die miese Dreckskuh!“ Ich konnte meine eigenen Tränen nicht zurückhalten. „Oh Sassi! Ich dachte, sie bringt dich um! Tut es sehr weh?“ „Ja“, wisperte Saskia. „Mein ganzer Rücken ist zerschlagen.“ Dann lächelte sie mich an: „War DAS echt! Ich dachte, ich werde wirklich ausgepeitscht. Und du warst superecht gemein.“ Sie schmiegte sich in meine Arme und schaute mich wieder so wahnsinnig lieb an. „Hat es echt wehgetan?“ fragte ich ein wenig ängstlich. „Nur so ein kleines bisschen“, antwortete sie. Ihre linke Hand krabbelte an meiner Brust hoch und strich spielerisch über meine Wange. Ich hielt andächtig still. „Ein oder zweimal hast du so feste geschlagen, dass es wehtat. Aber nicht so, dass ich wirklich hätte schreien müssen. Vor allem wenn die Spitze vom Gürtel um meine Rippen rum flog, ziepte es gemein.“ Sie streichelte weiter. „Du hast mir Wasser gebracht Chrissie“, flüsterte sie, wieder ganz in unser Spiel zurück gekehrt. „Du bist so lieb! Du wirst immer mein Freund sein.“ „Ja Sassi“, sagte ich und ich meinte es nicht nur spielerisch sondern todernst. Ich schaute in ihre hellbraunen Augen und fand dort etwas, das ich nie zuvor gekannt hatte. Ein herrlicher süßer Schmerz fuhr durch mein Herz. Ich wollte für immer mit Sassi zusammen sein. Nichts sollte uns je trennen. Die Plastikdose mit dem letzten Stück Käsekuchen lag neben uns. Ich nahm den Kuchen und fütterte Saskia damit. „Das ist doch deiner“, sagte sie leise und schaute zu mir auf. „Du brauchst Nahrung, damit deine Kraft zurück kommt“, sagte ich und hielt ihr den Kuchen hin. „Wir brauchen beide Kraft, wenn wir davon laufen wollen“, sprach Sassi. „Hier können wir nicht länger bleiben.“ Sie biss ein Stückchen vom Kuchen ab. Abwechselnd bissen wir in den Kuchen, bis er weggeputzt war. Ich hielt sie die ganze Zeit im Arm und sie streichelte mein Gesicht. Der Tag hätte ewig währen können! Aber irgendwann mussten wir zum Bauernhof zurück. Wir kamen am Teich vorbei. „Gibt’s hier Eisbären?“ witzelte ich. Saskia nickte ernst. „Ja und Mörderwale und Robben.“ Robben…ich überlegte. Mir war da was eingefallen. „Lass uns morgen Badehosen anziehen und die Flossen und Taucherbrillen mitbringen.“ Beim Bauernhof angekommen, mussten wir feststellen, dass wir zu früh fürs Abendessen waren. „Morgen nehmen wir eine Armbanduhr mit“, bestimmte ich. Die Bäuerin bot uns eine Möglichkeit an, unser Taschengeld ein wenig aufzubessern. Wir sollten im Garten Bohnen pflücken. „Nur ganz unten an den Stangen, so hoch wie ihr drankommt ihr beiden Dreckspatzen“, sagte sie vergnügt. „Wo habt ihr euch denn gewälzt? Die Bohnen ganz oben pflückt meine Tochter. Die ist erwachsen und groß genug, auch oben dran zu kommen.“ Nun, warum nicht? Das war leicht verdientes Geld. Saskia hatte sofort eine supercoole Idee. Wir holten uns ein Seil und schnitten es in kleine Teile. Die banden wir uns gegenseitig um die Hand und Fußgelenke, so dass es aussah, als trügen wir Armbänder. Als die Bäuerin danach fragte, antwortete Saskia: „Wir sind Negersklaven und müssen auf der Plantage von unserem Massa Baumwolle pflücken.“ Die Bäuerin lachte herzlich. „Genau wie meine Margit! Als die so alt war, haben sie und ihre Freundin sich abwechselnd an einer Hundeleine spazieren geführt. Sie taten wie Soldat und Gefangener. Ich musste immer so lachen.“ Grinsend verschwand sie im Haus und wir „Sklavenkinder“ begannen mit der Arbeit. Es ging leicht. Schade war nur, dass man die Bohnen beim Pflücken nicht naschen konnte. „Vielleicht sollen wir morgen Erdbeeren für die Bauersfrau pflücken“, sagte ich hoffnungsfroh. „Oller Fresser!“ stichelte Sassi. Sie lachte mich lieb an. Ich lächelte zurück. Ich wusste, wie schwer es für sie war, solche Sachen zu sagen, wo sie doch so wahnsinnig schüchtern war. Meine Augen blieben an den „Armbändern“ aus Schnur hängen. Wie zart und verletzlich ihre schmalen Gelenke damit aussahen! Wir lächelten uns an und pflückten eifrig weiter. Der Eimer zwischen uns füllte sich rasch mit grünen Bohnen. Mir lief das Wasser im Mund zusammen, weil die Bauersfrau für den Abend eine Schnippelchesbohnensuppe angekündigt hatte. Ich LIEBTE Schnippelchesbohnensuppe! Die grünen Bohnen wurden klein geschnippelt und zusammen mit Kartoffeln und Mohrrüben zu einer wunderbaren Suppe gekocht. Zum Schluss wurde Mettwurst hinein geschnitten und mitgegart. Mitten in der Bewegung erstarrte Saskia. Sie machte sich total steif. „Sassi, was ist?“ fragte ich. Sie schien auf irgendetwas zu lauschen. Plötzlich explodierte ihr liebes Gesicht in einem freudigen Lächeln. „Ich kriege Worte!“ jubelte sie leise. „Häh?“ Verdutzt glotzte ich sie an. „Worte für mein Lied Chris! Sie sind eben beim Bohnenpflücken zu mir gekommen. Es ist ein Liebeslied.“ Sie wurde feuerrot. „Sing es“, bat ich. „Ich trau mich nicht“, nuschelte sie und blickte zu Boden. „Oh bitte Sassi!“ Sie schaute mich lange an. Dann summte sie das wundervolle Liedchen probeweise. Sie klang zuerst sehr unsicher, genau wie beim Tanzen. Aber ihre Stimme wurde schnell sicherer. Dann sang sie: „SIEHST DU DEN TANZ DER KLEINEN FEEN, SOMMER WIRD EWIG SEIN DORT WO DIE HEIDEBLUMEN BLÜHN, FAND ICH DIE LIEBE MEIN WIR WANDERN, WIR SINGEN, ICH SPÜR SÜSSEN SCHMERZ IN DEINEN BLAUEN AU-HU-GEN, DORT GLÜHT MEIN KLEINES HERZ Ich starrte Saskia an. Sie stand auf dem sandigen Gartenpfad, barfuss, nur in Turnhosen und einem labberigen ärmellosen Hemdchen. Sie war ein bisschen dreckig vom Spielen und ihr Haar flog in der leichten Abendbrise. Die sinkende Sonne verwandelte alle Farben in goldenes Flirren. Sassi schaute in die Ferne, die hellbraunen Augen weit geöffnet und sie sang konzentriert ihr wunderbares Lied. Wie liebte ich sie in diesem Augenblick! Sie hatte sogar eine zweite Strophe. Diesmal hängte sie an die ersten beiden Zeilen hinten eine Wiederholung des letzten Tons an. In diesem Moment wusste ich, dass sie später einmal eine großartige Sängerin werden würde: ICH MÖCHTE IMMER BEI DIR SEIN, WÜNSCH DASS DAS GLÜCK UNS LEITE IN WEITER FERNE UND DAHEIM, IMMER AN DEINER SEITE DIE BLUMEN SIE BLÜHEN GANZ FRÜH SCHON IM MÄRZ WO SIE ERBLÜHEN TANZE ICH, DORT GLÜHT MEIN KLEINES HERZ Es war ein altmodischer, schmalziger Text so wie in den Volksliedern, die man vor hundertfünfzig Jahren gesungen hatte, aber ich fand das Liedchen überhaupt nicht schmalzig. Das Ziehen in meinem Herzen wurde so stark, dass ich Angst bekam, gleich in Tränen auszubrechen. „Sassi!“ flüsterte ich. „Oh Sassi. Das war so schön! Du … du…“ Ich hob eine Hand und strich ihr über die Wange. Sie folgte der Bewegung meiner Hand. Es schien, als wolle sie sich mit dem Gesicht in meine Handfläche schmiegen. „Chris“, sagte sie leise. Plötzlich mussten wir laut lachen. Kichernd fielen wir uns in die Arme. Dann rannten wir lachend wie die Blöden im Garten herum und versuchten uns gegenseitig zu fangen. Es dauerte lange, bis wir uns beruhigt hatten. Wir füllten den Eimer und brachten ihn zur Bäuerin, die uns „armen Sklavenkindern“ einen fetten Lohn auszahlte. Saskia schubste mich: „Da kann er morgen gleich wieder Käsekuchen in der Bäckerei kaufen, der Fresser!“ „Ich brauch das“, gab ich zurück. „Ich bin am Wachsen.“ Das Lachen der Bäuerin schallte hinter uns her, als wir die Treppe hoch galoppierten um zu duschen. Zum Abendessen gab es dann Schnippelchesbohnensuppe und sie schmeckte sogar noch besser als die von meiner Mutter. Die Bauersfrau hatte Gartenkräuter dran getan und sehr viel Mettwurst. Ich stopfte solange Suppe in mich hinein, bis ich einen Kugelbauch bekam. Zum Nachtisch gabs im Fernsehen Streifenschneider. Der Wahnsinnige hatte wieder Schwarz-Weiß-Kopien seines perversen Tagebuchs an die Polizei geschickt. Er schrieb alles mit seiner kleinen krakeligen Schrift auf und klebte Polaroids von den Opfern dazu. Er knipste alle Phasen seiner grauenhaften Morde. Ich haute mit Sassi ab. Von solchen Sachen wollten wir nichts wissen. Wir spielten noch eine Weile draußen, bis es Zeit wurde, schlafen zu gehen. Als Saskia im Schlafanzug vor mir stand, hielt sie die Leder-Handschellen hoch: „Leg sie mir an Chris. Ich will gefesselt schlafen.“ Ich überlegte. War das nicht ein bisschen gefährlich? Was, wenn meine Eltern uns erwischten. Aber wie sollten sie denn etwas sehen unter der Bettdecke? Saskia streckte ihre Arme aus und ich fesselte ihre Handgelenke vorm Bauch zusammen. Dann setzte sie sich aufs Bett. Ich kniete vor ihr nieder und schnallte ihre nackten Füße zusammen. Ich hob und schob sie ins Bett und legte mich zu ihr. Sassi drehte sich so, dass sie mit dem Rücken an meinem Bauch lag. Ich legte einen Arm um ihre Schultern. „Sing es noch einmal Sassi“, bat ich. „Bitte. Es ist das schönste Lied der Welt.“ Da sang sie ihr Liedchen noch einmal, leise aber voller Inbrunst und ich lauschte mit einer seltsamen Verzückung, wie ich sie zuvor noch nie erlebt hatte. Für immer wollte ich Sassis Freund sein! Für immer!!!
20. Teil) (für Ramona)
Am Teich
Am nächsten Morgen wurde ich vor Saskia wach, weil ich dringend pinkeln musste. Missmutig schälte ich mich aus dem gemütlich warmen Bett und tappte auf bloßen Füßen zur Toilette am Ende des Ganges mit den Gästezimmern. Nachdem ich mich entwässert hatte wollte ich fix zu Sassi zurück. Da hörte ich die Stimmen meiner Eltern. Leise schlich ich zu ihrem Zimmer und lauschte mit dem Ohr an der Tür. Sie sprachen über mich und Saskia. „Ich war gestern Abend noch nach dem beiden schauen“, sagte meine Mutter gerade. „Stell dir vor, sie lagen Arm in Arm im Bett. Unser Christian lag hinter Sassi und hielt sie fest, als ob er sie im Schlaf beschützen wollte und Saskia hat sich mit dem Rücken an ihn gekuschelt. Das sah so süß aus!“ „Ja die beiden geben ein hübsches Pärchen ab“, meinte Vater. „Ein kleines Wunder ist das schon. Weißt du noch, wie sie sich früher nicht vertrugen?“ „Das ging ja wohl von Chris aus“, sagte Mutter. „Der mochte Saskia nicht, weil sie ein Mädchen ist. Und nun das.“ Sie seufzte. Dieser Seufzer machte mich hellhörig. „Ja es ist schade, das mit Saskia“, sprach mein Vater leise. „Schade? Es ist tragisch“, sagte Mutter. „Sie ist wirklich ein ganz armes Ding. Gerade jetzt, wo es so schön für sie wurde. Helene hat mir erzählt, Sassi hat stundenlang geweint, als sie davon erfuhr. Das arme Kind!“ „Und man kann überhaupt nichts machen“, sagte Vater. „So ist nun einmal das Leben. Es hält viele grausame Seiten für uns parat.“ „Und so plötzlich“, sagte meine Mutter. „Niemand hätte damit gerechnet.“ „Natürlich nicht“, meinte Vater. „Arme kleine Saskia! Armes Mädchen!“ Mit butterweichen Knien schlich ich zu unserem Zimmer zurück. Mir war eisig kalt. Also doch! Sassi hatte eine unheilbare Krankheit und würde bald sterben! Mir war ja so elend zumute! Im Zimmer schlief Saskia noch immer. Ich schlug die Bettdecke zurück und schaute sie an. Sie lag auf der Seite, die zusammen gefesselten Hände vor der Brust. Die Lederbänder an ihren Hand- und Fußgelenken ließen sie noch verletzlicher erscheinen. Konnte Sassi Leukämie haben? Unmöglich! So viel wusste ich, dass Leukämiekranke immer müder wurden. Aber Saskia war fit wie ein Turnschuh! Sie konnte mit mir rennen und toben. Meine Eltern hatten gesagt, es wäre bald soweit mit ihr. Ein Hirntumor! Das musste es sein! Es war eine heimtückische Krankheit. Man merkte es erst, wenn es zu spät war und dann starb man sehr schnell daran. Die Ärzte konnten einem nicht mehr helfen. Mit todwundem Herzen kroch ich zu Saskia unter die Bettdecke und umarmte sie vorsichtig. „Sassi!“ wisperte ich unglücklich. „Oh Sassi!“ Sie gab im Schlaf einen kleinen leisen Ton von sich und kuschelte sich an mich. Mir schossen Tränen in die Augen; ich konnte nichts dagegen tun. Meine liebe, liebe Sassi würde bald sterben. Gott, tat das weh! Irgendwann schlief ich ein. Als ich erwachte, schaute ich direkt in Saskias hellbraune Augen. Sie lag mit dem Gesicht zu mir. „Hast du was Schlimmes geträumt?“ fragte sie besorgt. „Du hast im Schlaf gewimmert.“ Ich schaute sie lange schweigend an. Am liebsten wäre ich ihr um den Hals gefallen, aber ich wusste, dass ich dann sofort wieder angefangen hätte zu heulen. Wie lieb sie aussah! „Ich hatte einen ekligen Traum“, murmelte ich. „Bist du wach?“ wollte sie wissen. „Es gibt bald Frühstück. Du musst mich noch losbinden.“ „Kannst du das nicht alleine?“ fragte ich und lächelte, damit sie nicht dachte, ich raunze sie an. „Doch“, antwortete sie und lächelte zurück. „Ich will aber, dass du mich losmachst. So fühlt es sich echter an. Es war toll, gefesselt zu schlafen. Heute Abend will ich gleich noch mal.“ Ich schlug die Bettdecke zurück und öffnete die Verschlüsse ihrer Handfesseln. Die Lederbänder waren so weich und anschmiegsam, dass sie keinerlei Spuren auf Sassis schmalen Handgelenken hinterlassen hatten. Als ich ihre Füße befreite, fiel mir wieder auf, wie winzig diese waren im Vergleich zu meinen. Alles an Saskia sah winzig und zart aus. Ich schluckte. In meinem Hals stieg ein dicker Kloß auf. Sassi würde sterben! MEINE Sassi!
Beim Frühstück konnte ich nicht viel reden. Mein Hals war wie zugeschnürt. Die erwachsene Tochter der Bauersfrau kam zu uns an den Tisch. Saskia fragte sie nach dem Badeweiher. „Da könnt ihr ruhig spielen“, sagte Margit. „Er ist nicht tief. Es kann nichts passieren. Stören wird euch dort niemand. Aus dem Dorf kommen keine Kinder zu dem Teich, weil wir auf der anderen Seite des Dorfs das Touristenfreibad haben. Das ist für Dorfbewohnter kostenlos. Ihr habt den „See“ ganz exklusiv für euch allein. Nur ich gehe jeden Morgen ganz früh dort einige Runden schwimmen, um mich zu erfrischen. Nehmt euch eine Kühlbox mit. Dann habt ihr kühle Limonade zum Trinken dabei.“ „Und was zu Essen“, rief Saskia und zeigte mit dem Finger auf mich. „Für den gierigen Fresser.“ Wir lachten alle. Ich lachte mit, um mir nichts anmerken zu lassen. Aber als ich mit Sassi ins Dorf ging, um beim Bäcker Kuchen zu kaufen, musste ich mir alle Mühe geben, mir meine Trauer nicht anmerken zu lassen. Immer wieder betrachtete ich Saskia. Sie trug heute ein kurzes Sommerkleidchen über ihrem Bikini. Wie üblich liefen wir ohne Schuhe. Ein bisschen sah sie wieder aus wie das arme Heimmädchen, das sie oben in ihrem Zimmer gespielt hatte. Die ausgewaschen wirkenden Pastellfarben des Kleides und ihre nackten Füße verstärkten den Eindruck noch.
„Hast du den komischen Mann gesehen?“ fragte Saskia, als wir aus der Bäckerei raus kamen. „Welchen Mann?“ fragte ich. „Na den Mann eben“, sagte sie. „So ein großer dicker Kerl, der immer so komisch guckt. Vor zwei oder drei Tagen hat der schon einmal hinter mir hergeglotzt. Als wenn er wüsste, dass wir was Verbotenes machen.“ Ich schaute mich um: „Ich kann keinen sehen.“ „Er ist weg“, sagte Saskia. „Er hat in einer Seitenstraße vor einem Schaufenster gestanden. Aber er hat geglotzt. Das weiß ich.“ „Na prima! Hoffentlich schleicht der Idiot uns nicht nach und hält uns vom Fesselspielen ab“, murrte ich. Auf dem Weg zum Wald schauten wir uns immer wieder verstohlen um, doch es war niemand zu sehen. „Wahrscheinlich einer aus dem Dorf, der keine Kinder leiden kann“, mutmaßte Sassi. „So Kerle glotzen immer wütig, wenn sie Kinder sehen. Die warten anscheinend drauf, dass wir jeden Moment ein Haus anzünden oder ein Auto klauen. So ein Blödian!“
Bald vergaßen wir den Glotzer. Wir kamen zum Teich, rissen unsere Klamotten runter und sprangen ins Wasser. Es war angenehm warm und trotzdem erfrischend. Wir tobten erst mal eine Runde. Dabei machten wir soviel Krach, dass man es noch im Dorf hören konnte. Dann lotste ich Sassi aus dem Wasser: „Erinnerst du dich an die Robben?“ Sie nickte. Ich grinste sie an: „WIR sind Robben.“ Ich holte zwei kurze Seile. „Zieh deine Taucherflossen an, damit es echt aussieht. Robben haben Flossen.“ „Hier?“, fragte Saskia. „Bis zum Wasser ist es noch weit.“ „So geht es den Robben nun mal“, bemerkte ich. Sie zog ihre Flossen an die Füße und hockte sich vor mich in den Sand. Ich befahl ihr, die Füße nebeneinander zu stellen. Dann umwand ich ihre Fußgelenke mit der Schnur. Dreimal tat ich das, dann zog ich die Schnur zwischen ihren Füßen durch, verknotete sie und wickelte sie noch mal um ihre Knöchel, bevor ich sie hinten mit Doppelknoten sicherte. Saskias Füße waren unverrückbar zusammen gefesselt. „Jetzt du bei mir!“ verlangte ich und zog meine Schwimmflossen an. Saskia fesselte meine Füße an den Knöcheln zusammen. „Wir sind Robben“, sagte ich. „Oder Seehunde. Laufen können wir nicht mehr. Wir müssen rutschen wie Seehunde. Die Taucherbrillen nehmen wir mit.“ Sie lachte. „DAS hast du damit gemeint!“ Sie warf sich herum auf den Bauch und robbte mit zusammengebundenen Füßen zum Teich; ihre Flossen schleiften über den Sand. Ich hinterher. Wir mussten lachen. Es ging ziemlich schwer und war anstrengend. Ich keuchte laut und es hörte sich echt wie ein Seehund an. Darüber musste Sassi so lachen, dass sie auf den Bauch fiel und nicht weiter konnte. Kichernd lagen wir im Sand. Erst nachdem wir uns ganz leer gelacht hatten, konnten wir weiter kriechen. Wenn uns jemand gesehen hätte! Für bekloppt hätte der uns gehalten. „Im Hallenbad habe ich das auch mal gemacht“, erzählte Saskia unterwegs. „Ich habe mir einen von diesen Gummiringen zum Tauchen um die Knöchel gelegt. So waren meine Füße zusammen „gefesselt“. Aber das was dir eingefallen ist, ist noch viel schöner.“ Wie sie mich anlächelte! Mir wurde ganz warm ums Herz. Gleichzeitig tat es hundsgemein weh. Wie lange würde ich Sassis Lächeln noch sehen dürfen? Wir kamen zum Wasser und robbten hinein. Rasch die Taucherbrillen aufgesetzt und ab gings. Es war anfangs ganz schön schwierig, die Beine synchron zu bewegen. Man ist es ja gewohnt, die Beine abwechselnd auf und ab schlagen zu lassen. Nun mussten wir aber schwimmen wie Robben. Oder wie Meerjungfrauen! Ich schaute durch die Taucherbrille Sassi beim Tauchen zu. „Wie eine kleine Nixe!“ dachte ich fasziniert. Wie schön Sassi war! Sie schwamm elegant durchs glasklare Wasser, als wäre es ihr Element. Ihre Haare flossen um ihren Kopf. Ich ließ in meiner Phantasie die Flossen und den Bikini verschwinden. An Saskias nacktem Oberkörper setzte ein Fischschwanz mit breiter Flosse an. So schwamm sie umher. Eine wundervolle Vorstellung! Als wir auftauchten fasste ich mir ein Herz und erzählte es Saskia. Sie lächelte mich an: „Das ist schön Chris. Aber du bist dann auch ein Nixerich.“ Ich musste lachen: „Ein Nixerich?“ Sie lachte zurück: „Ich weiß nicht, wie männliche Nixen sonst heißen.“ Wir schwammen einträchtig nebeneinander unter Wasser umher und betrachteten die Wasserpflanzen am sandigen Grund. Ab und zu flitzte ein Fisch vorbei. Auf dem Boden im Sand steckten große Teichmuscheln und einmal stakte ein „Riesenkrebs“ einher. Das war natürlich ein „gigantischer Hummer“, ein „Ungeheuer“, vor dem wir uns in acht nehmen mussten. Nach einiger Zeit wurde uns kalt und wir robbten ans Ufer. Keuchend schleppten wir uns zu den Bäumen. Dort zogen wir die Taucherbrillen und die Flossen aus. „Die Füße bleiben zusammen“, bestimmte Saskia. „Wir sind immer noch Nixen. Zwar können wir an Land atmen, aber um Beine zu bekommen wie Menschen müssten wir bei Vollmond einen speziellen Zauber machen und dann könnten wir nie wieder ins Wasser zurück.“ „Ich will aber auf den Baum“, sagte ich und zeigte nach oben. Der unterste Ast hing so tief, dass ich ihn im Sitzen mit den Händen erreichen konnte. „Dann müssen wir das eben versuchen“, meinte Sassi.
21. Teil) (für Ramona)
Kletternixen und Blindschleichen
„Da kommen wir nie im Leben mit zusammengebundenen Füßen rauf“, rief ich. „Du vielleicht nicht, weil du zu schwer bist“, rief sie lachend. „Das kommt von vielen Fressen.“ Sie packte den Ast und zog sich daran in die Höhe. Sie schaffte es tatsächlich! Weiter oben packte sie mit den freien Händen den nächsten Ast und schwang die zusammen gefesselten Füße zu einem höheren Ast. „Komm“, rief sie. „Du kannst es.“ Ich konnte tatsächlich. Aber es war sauschwer, mit zusammen gebundenen Füßen in dem Baum herum zu steigen. Ständig wollte ich ein Bein ausstrecken, um zu einem anderen Ast zu kommen, was natürlich nicht ging. Allmählich gewöhnten wir uns daran, wie Affen an den Armen umher zu schwingen. Wir mussten viel lachen. Saskia schwang sich zu einem dicken Querast, der vom Hauptstamm waagrecht wegführte. Direkt oben drüber dräute ein schmalerer Ast. Sie musste sich winden, um auf den dicken unteren Ast zu gelangen. Gelenkig wie eine Katze schlüpfte sie dorthin und hockte sich rittlings auf den dicken Ast, die zusammen gefesselten Füße hinter sich auf dem Ast liegend, die Knie nach unten gestreckt. Oben kam sie gerade so an den schmaleren Ast dran. „Hey! Das ist cool!“ rief sie. „Bind mich so fest! Ein böser Oger hat mich gefangen genommen und mich im Baum festgebunden, auf dass böse Krähen mich bei lebendigem Leib auffressen.“ „Das schaff ich nicht“, grunzte ich. „Mit zusammen gefesselten Füßen habe ich nicht genug Halt, um deine Hände zu fesseln.“ Ich setzte mich auf einen Ast und knüpfte meine Fußfesseln auf. Eine Weile betrachtete ich entzückt die Abdrücke, die der Strick an meinen Knöcheln hinterlassen hatte. Dann kletterte ich zu Saskia hinüber. Ich legte den Strick zweimal um ihr rechtes Handgelenk und machte einen Knoten. Dann führte ich das Seil über den oberen Ast zur anderen Seite, wo ich zwei weitere Schleifen um ihr linkes Handgelenk legte und alles verknotete. Sassi war hilflos gefesselt! Ich betrachtete sie. Sie wirkte wie eine seltsame kleine Reiterin auf ihrem Ast. Ihre nassen Haare hingen ihr ins Gesicht. „Hier muss ich auf immer hängen bleiben“, klagte Saskia. „Niemand kann mir helfen. Ach ich arme Nixe! Nie wieder werde ich in mein geliebtes Wasser zurückkehren! Der schreckliche Oger geht unterm Baum umher und bewacht mich. Keiner kann das riesige Monstrum besiegen!“ „Sing dich frei Sassi“, sagte ich. „Wenn du singst, fällt der Oger in tiefen Schlaf. Dann kann dich jemand befreien und ihr könnte zum See flüchten. Dort kann dir der Oger nichts anhaben. Oger können nicht schwimmen und haben eine Heidenangst vorm Wasser.“ „Funktioniert das wirklich?“ fragte Saskia ängstlich. „Und wenn der Oger doch erwacht?“ „Er wird schon bei den ersten Worten eines schön gesungenen Liedes in tiefsten Schlaf fallen“, beruhigte ich sie. „Trau dich! Sonst musst du oben im Baum verschmachten, ganz ohne Wasser und Nahrung.“ Da fing Saskia an, ihr kleines Liedchen zu singen. Ich lauschte entrückt ihrer süßen klaren Stimme. Wie traurig das Lied klang! Nun wo ich wusste, dass Sassi bald sterben musste, tat das Lied furchtbar weh. Wenn ich doch nur etwas für sie tun könnte! Als das Lied zu Ende war, band ich Saskias gefesselte Füße los und dann ihre Hände. Wir krochen leise und heimlichtuerisch vom Baum herunter, um den schrecklichen Oger darunter nicht zu wecken. Dann wetzten wir schnell in den See, wo wir vor der Bestie in Sicherheit waren und drehten ihr lachend eine Nase. Der aufgewachte Oger raste kreischend vor Wut um den See herum, traute sich aber nicht, auch nur eine Klauenspitze ins Wasser zu setzen. Wir spritzten ihn nass. Da rannte er heulend in den Wald und verschwand. Für Saskia und mich wurde es Zeit zum Mittagessen zum Bauernhof zurück zu kehren. Hand in Hand liefen wir los. Neben der Haustür des Hofes stand ein altes Damenrad. Kurz entschlossen raubte ich das eiserne Pferd und raste damit los in Richtung Dorf. „Was machst du?“ rief Saskia hinter mir her. „Ich muss noch was erledigen“, brüllte ich zurück. „Ich bin rechtzeitig zum Mittagessen wieder da.“ Ich fuhr so schnell ich konnte und schaffte es gerade noch, bevor der Juwelier zur Mittagspause sein Geschäft schloss. „Ich will die da“, sagte ich und rang keuchend nach Atem. „Na du hast es aber eilig gehabt“, frotzelte der Mann und lächelte gutmütig. „Sind die für deine kleine Freundin?“ Weil ich keine Luft kriegte, nickte ich nur. „Ich packe sie als Geschenk ein“, bot der Juwelier an. Er zwinkerte mir zu. Ich bedankte mich, bezahlte und raste mit einem Affenzahn zurück zum Bauernhof. Auf den letzten Drücker kam ich an. „Er hat es tatsächlich geschafft“, rief Sassi. „Der Fresser hatte so eine Angst, keine Knödel mehr zu kriegen, dass er die Schallmauer durchbrochen hat.“ Sie lachte mich an. Ich grinste zurück und fiel über Knödel mit Specksoße und Sauerkraut her. Wie üblich schaffte ich zwei Portionen. Wenn man am Wachsen ist …
Nach dem Mittagessen kehrten wir beide einträchtig in den Wald zurück. Zuvor kauften wir im Dorf noch mal Käsekuchen. „Ich glaube, ich habe wieder den komischen Mann gesehen“, sagte Saskia, als wir auf einem Feldweg zum Dorf rausliefen. „Aber diesmal hatte er lange schwarze Haare. Letztes Mal war er dunkelblond.“ „Bestimmt irrst du dich“, antwortete ich. „Wer soll uns schon hinterher spionieren.“ Ich kicherte. „Vielleicht war es der Dorftrottel.“ Wir lachten ausgelassen. „Ich habe eine neue Idee“, verkündete Saskia, die an meiner Hand ging. Nicht um alles in der Welt hätte ich ihre kleine Hand losgelassen. Hätte ich sie doch für immer festhalten können. Wenn sie mich so lieb anlächelte, zog sich mir krampfhaft das Herz zusammen. Wie tapfer Sassi war! Mit keinem Wort erwähnte sie ihr Unglück. Dabei wusste sie doch genau Bescheid! „Als ich allein hier war, habe ich nicht nur Schnüre gesammelt. Ich habe mir auch einige Spiele ausgedacht“, sagte Saskia. „Es war ja auch niemand da, mit dem du hättest spielen können“, meinte ich. „Sonst sind ja bloß Erwachsene auf dem Bauernhof. Sie senkte den Kopf. „Ich hätte eh mit keinem anderen Kind spielen können“, sagte sie leise. „Ich traue mich doch nicht.“ „Mit mir traust du dich doch auch!“ hielt ich dagegen. Sie schaute mich von der Seite an: „Aber noch nicht lange. Früher traute ich mich nicht richtig. Du warst immer so ruppig zu mir. Gell, du hast mich nicht leiden können, weil ich ein Mädchen war? Sei ehrlich. Bitte!“ Ich musste schlucken und nickte. Es stimmte ja. Sie war mir mit ihren dämlichen Puppen auf die Eier gegangen. Mädchenspielereien! Pah! Wie oft musste sie verzweifelt versucht haben, näher an mich heran zu kommen! Wo sie doch so schüchtern war. Und ich? Ich war eklig zu ihr gewesen! Was musste das für ein schreckliches Gefühl sein, so ganz einsam und allein und sich nicht zu trauen, auf andere Kinder zuzugehen! Ich konnte mir das kaum vorstellen. Ich hatte so viele Freunde! Da waren Denis, Benjamin und Manuel mit denen ich regelmäßig Fußball spielte; Alexander mit seinem Aquarium und seinen zahmen Ratten. Oder Marco mit seinem coolen Himmelsglotzofon, mit dem man die Krater auf dem Mond sah oder sogar die Saturnringe entdecken konnte, wenn der Abend klar war. Ingo und Florian, meine besten Freunde an der Schule, mit denen ich viel unternahm oder Sebastian, der Nachbarsjunge, der mir ein bisschen Karate beigebracht hatte und mit dem zusammen ich mal den blöden Dirk verdroschen hatte, einen großen Jungen zwei Klassen über uns, der gerne kleiner Jungen quälte. Und Sassi? Sie hatte niemanden. Sie war so schüchtern und ängstlich, und in ihrer Straße wohnten keine Kinder. Es tat mir so unendlich leid, dass ich früher eklich zu ihr gewesen war. „Heute habe ich dich aber sehr gerne“, sagte ich. „Wirklich?“ Ihre hellbraunen Augen leuchteten auf wie Christbaumkerzen. „Meinst du das ehrlich?“ „Ja Sassi“, sagte ich leise. „Ich habe dich gern.“ Ich fühlte wie ich rot wurde. Ich hätte sie gerne gefragt, welche Krankheit sie hatte. Vielleicht hätte ich sie trösten können. Aber jedes Mal wenn ich auch nur daran dachte, wurde der Kloß in meinem Hals so dick, dass ich kein Wort heraus brachte. Also schritt ich stumm wie ein Fisch neben Saskia her und lächelte ihr ab und zu ins Gesicht. Und ich hielt ihre Hand. Am Weiher angekommen verlangte Saskia, dass ich meine Kleidung bis auf die Badehose auszog. „Du sollst mit den ganzen Körper fühlen können“, sagte sie. Ich war gespannt, was sie sich hatte einfallen lassen. Zuerst kam sie mit einer Schnur an. Ich musste die Handgelenke hinterm Rücken kreuzen und sie fesselte mir die Hände zusammen. Ziemlich hilflos stand ich in meiner Badehose vor Sassi. Aber das war ihr noch nicht genug. Sie holte ein Tuch und verband mir damit die Augen. „Eh! Ich sehe nichts mehr!“ rief ich lachend. „Willst du mich zur Blindschleiche machen?“ „Genau!“ verkündete Saskia. „Du wirst blind geführt.“ Sie holte noch ein Seil und knotete es an meine Handfesseln. „So, fertig. Jetzt kannst du loslaufen.“ „Ich kann aber nichts sehen“, sagte ich. „Dann musst du mit deinen Ohren und mit deinen Füßen sehen“, sagte sie. „Ich halte dich am Strick fest. Aber vorwärts laufen musst du schon selber.“ „Lass mich bloß nicht in Hirschkacke treten“, witzelte ich und lief langsam los. Es war verdammt schwierig. Jeden einzelnen Schritt tastete ich vorsichtig mit nackten Füßen ab, ob auch kein spitzer Stein oder eine stechwütige Brombeerranke im Weg lag. Saskia kam hinter mir her, hielt mich am Strick fest und zoppelte manchmal am Führungsseil. „Schneller!“ rief sie dann. „Mach du lahmer Gaul!“ Ich machte aber nicht, sondern lief ganz langsam. Sobald ich merkte, dass ich vom Weg abkam und im Wald zu landen drohte, drehte ich ab und kehrte auf den Waldweg zurück. Saskia kicherte manchmal leise hinter mir. Mit der Zeit wurde mein Gehör unheimlich scharf und auch der Tastsinn meiner nackten Füße verschärfte sich. Ich konnte schneller gehen, hatte dabei keine Ahnung, wohin wir kamen. Ich hatte total die Orientierung verloren. Dann begann Sassi mir Befehle zu erteilen. „Geh nach rechts“, verlangte sie. Dann musste ich nach links abbiegen. „Hey!“ Ich stieß gegen ein sanftes Hindernis. „Weitergehen“, befahl Saskia. Es waren Zweige und Blätter. Sie lotste mich durch dichtes Gebüsch. Überall auf der nackten Haut spürte ich die Berührung der Pflanzen. Ein so sonderbares Gefühl hatte ich noch nie gehabt. Krampfhaft musste ich der Versuchung widerstehen, einen Arm zu heben und die Zweige zur Seite zu drücken, wie man das normalerweise macht. Aber es ging sowieso nicht, weil meine Hände auf dem Rücken zusammengebunden waren. Sehr vorsichtig tastete ich mit meinen nackten Sohlen den Boden unter mir ab, ob nicht ein kleiner Ast hochragte und mich pieken konnte. Manchmal erspürte ich eine dicke Baumwurzel, die sich wie eine harte Schlange über den Waldboden ringelte. Die Blätter streiften über meinen Bauch, die Brust, die Arme und Schultern. Sie streiften mein Gesicht. Es machte mir irre, nichts zu sehen. Welch ein Feeling! Dann waren wir durch das Gebüsch hindurch. Der Boden unter meinen bloßen Füßen wurde weich und sandig. Plötzlich stand ich in niedrigem Wasser. Saskia nahm mir die Augenbinde ab: „Tadaa! Da sind wir wieder!“ Ich stand am Ufer unseres „Badesees“ und blinzelte ins helle Sonnenlicht wie eine geblendete Eule. „Das war cool“, sagte ich.
22. Teil) (für Ramona)
Mit den Augen des Monsters
Wie klein und zierlich sie war! Eine wirkliche kleine Fee! So süß! So unschuldig! Und doch würde sie zu einer dummen Gans werden! Wie alle! Sie waren alle gleich! ALLE!!! Sie waren alle wie Gudrun! Der Mann sah sich um, ob ihn niemand beobachtete. Nur nicht auffallen! Aber niemand beachtete ihn. Er sah dermaßen durchschnittlich aus, dass er niemandem auffiel. Zwar war er massig und groß, aber er ging gebeugt einher. Dadurch wirkt er kleiner. Und er benutzte Perücken und falsche Bärte. Immer sah er anders aus. Wie sollte sich da einer an ihn erinnern? „Ich bin gerissen!“ flüsterte er heiser. „Nie werden die Bullen mich kriegen! Ich bin viel zu gerissen!“ Er starrte das kleine Mädchen an. Sie ging barfuss. Das missfiel ihm. Warum trug sie keine Schuhe? Zu arm konnte sie doch nicht sein! Es war wichtig, dass die kleinen Gänse angezogen waren. So machte es mehr Freude, ihnen alles wieder auszuziehen. Er liebte diese einfachen flachen Turnschuhe mit cremefarbener Gummisohle und blauem Leinenstoff. Am liebsten hätte er die Mädchen in hochhackigen geschlossenen Lederstiefeln gesehen, aber das ging ja nicht. Leider. Doch der Anblick ihrer nackten Beine gefiel ihm. Fesseln wollte er sie … So schmal! So schön! Eine kleine Fee. Wie Gudrun damals … aber genau wie Gudrun würde sie sich in eine eingebildete Gans verwandeln. Du miese kleine Sau!
Zehn war er gewesen, fast elf und in Gudrun verliebt. Sie war schon zwölf und er verehrte sie. Eines Tages war sie auf ihn zugegangen. Er hatte lichterloh gebrannt. Sie hatte ihn mitgenommen hinter den alten Schuppen neben der Müllkippe. Aber dort hatten ihre Freundinnen gewartet. Sie hatten ihm die Hosen herunter gezogen und ihn ausgelacht wegen seines kleinen Dings. Ihn ausgelacht! Die Gänse! Er war davon gerannt, die Augen brennend vor Scham. Das Lachen verfolgte ihn bis in den Schlaf. Es ließ ihn nie mehr los. Immerzu hörte er die Gänse lachen, ihn AUSLACHEN!!! Noch heute trieb ihm das Tränen der Scham in die Augen. Zu der Scham war Wut gekommen, gnadenloser Hass! Deine Augen werden auch weinen, Gudrun Schäfer!, schwor er sich. Und sie weinten! Viele Jahre später als er endlich reich wurde und sich ein unabhängiges Leben leisten konnte vom Erbe seines reichen Vaters. Er hatte Gudruns achtjährige Tochter Franziska gefangen und in den Wald gebracht. Er hatte das Kleine zwischen zwei Bäumen aufgespannt wie ein Schlachtvieh und seine Messer ausgepackt. Das Entsetzen in den Augen des geknebelten Kindes hatte ihn in rauschhafte Erregung versetzt. Welche MACHT! Und er hatte begonnen zu schneiden. Zu schneiden und zu fotografieren. Einen Tag später hatte er sein Tagebuch begonnen, hatte er aus der Erinnerung alles auf DIN A 4 Blätter geschrieben und die Polaroids dazu geklebt. Er machte Schwarz-Weiß-Kopien davon und schickte sie der Polizei. Erst dann fand man Gudruns Tochter, weil er genau beschrieben hatte, wo sie war. Im Wald. Und sie war nackt. Nicht nur nackt bis auf die Haut sondern nackt bis aufs Fleisch! Ja! Nur die Haut an Händen und Füßen und dem Gesicht hatte er der kleinen Gans gelassen. Gudrun wurde darüber wahnsinnig. Der Mann wusste, dass Gott auf seiner Seite war. Er hatte ihm diese süße Rache an der eingebildeten Gans geschenkt. Und er rächte sich von da an immerfort. Gänse! Sie waren alle eingebildete Gänse! Und wenn sie erst groß wurden, verwandelten sie sich in Fotzen! Sie lachten ihn aus, weil er beim Sex kläglich versagte. Verdammte Gänse! Verfluchte Fotzen! Nun, er würde dafür sorgen, dass nicht alle kleine Feen zu Gänsen wurden. Er hatte die Macht, das aufzuhalten, ungeheuerliche Macht. Gott hatte sie ihm in die Hände gelegt! Wie sie ihn immer anlächelten, die kleinen Gänse. Dieses FALSCHE Lächeln, hinter dem sich schon das gehässige Lachen verbarg! „Ich werde es euch austreiben!“ flüsterte der Mann. „Euch allen! Letztes Jahr habe ich 20 Gänse geschlachtet; dieses Jahr sollen es wenigstens 30 werden!“ Er schaute der kleinen Fee hinterher, die mit dem Jungen Hand in Hand davon lief. Wie süß sie aussah! Und doch war sie eine Gans! Eine eingebildete Gans! Und sie würde zu einer Fotze werden! Die ihn auslachte. Ihn AUSLACHTE!!! Der Junge war kein Problem. Er hatte sogar einmal Zwillingsmädchen direkt vor der Nase ihrer Schwester gefangen und weggebracht. Als das andre Kind es bemerkte, war er schon längst mit seiner Beute auf und davon, auf dem Weg in den nahen Wald zur Schlacht-Stätte, wo er sie fesselte. „Kleine Gans“, wisperte er. „Ich kriege dich!“ Wieder eine Gans weniger … Er freute sich schon im Voraus darauf, sein Tagebuch zu schreiben. Das war von allem das Schönste: sich hinzusetzen und das Geschehene in aller Ruhe aufzuschreiben und die bunten Polaroids dazu zu kleben, sich den entsetzten Gesichtsausdruck der Gans wieder ins Gedächtnis zu rufen. Die Gans – so hatte er herausgefunden – hieß Saskia.
23. Teil) (für Ramona)
Die Heimleiterin schlägt wieder zu
Von den finsteren Gedanken des fremden Mannes wussten Sassi und ich nichts. Wir rückten mit Käsekuchen als Proviant in den Wald ab. Es hatte mittags kurz geregnet und alle Wege waren feucht. Wir liefen wieder zu Teich. Zuerst fesselten wir uns wieder gegenseitig die Füße zusammen und schwammen und tauchten als Robben im Wasser. Wir waren uns so nahe wie noch nie zuvor! Als wir vom Wasser erst mal genug hatten, hatte Sassi schon die nächste Idee. Sie war wieder das arme Heimmädchen und die Heimleiterin hatte sie bei irgendetwas erwischt und sie wurde zur Strafe gefesselt. Sobald unsere Badeklamotten trocken waren, zogen wir unsere Kleidung an. Saskia hatte extra einen Faltenrock und die alte rötliche ausgebleichte Bluse mitgenommen. Sie wollte für mich richtig echt aussehen, wie ein armes Heimmädchen. Ich hingegen verwandelte mich ins Schweinegesicht. perlenkettenrasselnd kam ich angedampft; die Klapperschlange in Aktion. „Sas-kia Win-ter!“ herrschte ich sie an. „Was hast du gemacht? Was fällt dir ein, das kostbare Geschirr des Heims zu zerdeppern? Weißt du, wie viel so eine Suppenschüssel kostet? Na warte, du missratenes Mädchen! Dir helfe ich!“ Saskia tat gleich wieder sehr ängstlich und flehte um Schonung. Wie bekannt gewährte die Klapperschlange diese aber nie. Sie schleifte die jammernde Saskia zu einem Baum mit tiefhängendem Ast. „Auf die Knie du böses Mädchen!“ geiferte ich. Sassi kniete zitternd vor der Klapperschlange auf dem Boden nieder. „Bitte verschonen Sie mich Frau Heimleiterin“, wimmerte sie voller Furcht. „Nichts da“, brummte Schweinsgesicht harsch und drängte sie rückwärts. Der tief hängende Ast gabelte sich genau in Höhe ihres Halses. Dort hinein bugsierte die Heimleiterin das verängstigte Mädchen. Sie legte ein Seil um Saskias Hals (ich passte genau auf, dass es nur ja nicht zu eng wurde, sondern viel Platz blieb und ich machte den Knoten so, dass sich die Schlinge auf keinen Fall zuziehen konnte!). Diese Halsschlinge band die Klapperschlange hinten an der Astgabel fest. Sassi steckte in der Gabel fest. Sie konnte nicht weg. Doch nicht genug damit. Schweinsgesicht herrschte Saskia an, die Hände hochzunehmen. Das Mädchen musste die Hände vorm Gesicht zusammenlegen, als ob es beten würde. Die Klapperschlange umwickelte ihre Handgelenke mit einem Seil und zog brutal fest zu. Schlau wie eine Schlange vergaß sie nicht, das Seil auch zwischen Saskias Händen hindurch zu ziehen, damit das Mädchen sich auf keinen Fall befreien konnte. „So!“ Sassis Hände waren fest zusammengebunden. Mit den überstehenden Seilenden band die Heimleiterin Saskias Hände an ihrer Halsfessel fest. Es sah so aus, als ob Saskia gefesselt zum Gebet niederkniete. „So bleibst du bis zum Abendessen angebunden!“ schnarrte Schweinsgesicht und betrachtete ihr gemeines Werk voll gehässiger Freude. „Du bleibst allein im finsteren Keller.“ Damit stampfte sie davon. „Nein!“ rief Saskia hinter ihr her. „Bitte lassen Sie mich nicht allein! Ich habe doch so Angst!“ Ich entschweinsgesichtete mich und kehrte als Christian das arme Heimkind zu Saskia zurück. Sie kniete schluchzend im Sand. Von hinten sah ich ihre vom barfuss gehen schmutzigen Fußsohlen. Sie hatte einen kleinen blutigen Kratzer auf der rechten Wade. Irgendwie wirkte dieser Anblick rührend auf mich. Dadurch sah Sassi so verletzlich aus. „Hallo Sassi“, flüsterte ich. „Ich bins, Chris. Ich habe etwas zu Essen dabei.“ „Oh Chrissie! Wenn sie dich erwischt! Lass mich allein!“ jammerte Saskia. „Niemals“, schwor ich. Ich hielt ihr ein Stückchen Käsekuchen hin und ließ sie abbeißen. Dann gab ich ihr Limonade aus einer kleinen Plastikflaschen zu trinken. Saskia trank in tiefen durstigen Zügen. „Wir hauen ab“, begann ich. „Mir reichts in diesem verfluchten Heim. Wenn wir noch länger bleiben, bringt uns die Klapperschlange eines Tages noch um.“ „Wo sollen wir denn hin“, wisperte Saskia voller Angst. „Wir können nirgends hin. Überall würde uns die Polizei finden und ins Heim zurückbringen. Und was uns DANN blüht, das weißt du Chrissie.“ Ihre Angst wirkte so echt! Ich verging vor Mitgefühl. „Ich habe einen Plan“, flüsterte ich und begann, ihre Fesseln aufzuknoten. „Wir verlassen die festen Straßen und wandern durch den Trollwald. Dahinter liegt die große Heide. Dort wird uns niemand finden. Wir werden für immer frei sein.“ „Glaubst d…du, wir schaffen das?“ fragte Saskia. Sie fürchtete sich immer noch sehr. „Wir müssen es schaffen“, antwortete ich drängend. „Sonst sind wir verloren!“ Wir machten uns auf den Weg. Die kleine Kühlbox nahmen wir mit; ebenso einige Schnüre zum weiterspielen. Wir schlichen tief geduckt unter den Bäumen dahin. Manchmal warfen wir uns nieder, weil ein Polizeiauto auf der Straße vorbei fuhr. Die Polizei suchte natürlich nach uns. Aber sie würden uns nicht kriegen. Schließlich waren wir durch den Trollwald hindurch und kamen zur großen Heide. „Frei!“ jubelte Sassi und hüpfte vor Begeisterung. „Wir sind endlich frei!“ Sie fiel mir um den Hals und küsste mich auf die Backe. „Danke, dass du mich befreit hast, Chris.“ Wir umarmten uns und schworen, für immer gute Freunde zu sein und zusammen zu bleiben. Die Heide würde unsere neue Heimat werden.
24. Teil) (für Ramona)
Saskia tanzt im Heidesand
Wir liefen zusammen ein Stück in die Heide hinein. Es führten schmale Pfade zwischen den Heidekrautkissen hindurch. Wie ein verzaubertes Land wirkte die blühende Heide auf uns. Mittendrin gab es eine Stelle mit hohen Wacholderbüschen. Dahinter versteckt ragte ein alter toter Baum in den Himmel. Er war vom Blitz getroffen worden, geschwärzt und geborsten. Seine wenigen verbliebenen Äste griffen wie rheumatisch verkrümmte Finger in den Himmel. Ein einzelner dicker Querast ragte waagrecht zur Seite weg. „Ein Galgen!“ rief Saskia fasziniert. Es sah wirklich so aus, vor allem, weil unter dem „Galgen“ ein großer freier Sandplatz war, als ob jemand Platz für viele Zuschauer geschaffen hätte. Der Sand war vom mittäglichen Regen noch feucht. „An den Galgen häng ich dich“, bestimmte Sassi und grinste mich frech an. „Ich hänge dich mit den Händen dran auf.“ „Nur wenn du für mich tanzt!“ erwiderte ich wie aus der Pistole geschossen. „Das ist so Sitte! Du willst doch nicht sittenwidrig sein, oder?“ Sie lachte mich lieb an: „Einverstanden. Aber erst wirst du angebunden.“ „Und singen musst du auch“, verlangte ich. „Wenn du mit Tanzen fertig bist, musst du singen.“ „Und du bleibst so lange angebunden“, gab sie zurück. „Von mir aus“, tat ich leichthin. Es wurde langsam später und allzu lange konnte sie mich nicht hängen lassen. Das Abendessen wartete auf uns. Wir hatten vielleicht noch eine Stunde. Sassi führte mich unter den Galgen. Mit einem Seil verschnürte sie meine überkreuzten Handgelenke vorm meinem Bauch. Sie vergaß nicht, das Seil auch zwischen meinen Handgelenken durch zu ziehen. Mit den überstehenden Seilenden fabrizierte sie eine Schlaufe, die sie verknotete, damit sie sich nicht zuzog. An dieser Schlaufe befestigte sie unser langes Seil. Ich verbiss mir ein Grinsen, weil ich erwartete, dass sie mal wieder drei oder vier Versuche brauchen würde, das andere Ende des Seils über den Galgen zu werfen. Aber Saskia überraschte mich. Gleich beim ersten Mal schaffte sie es. Sie zog am Seil und ich tippelte schnell unter den Ast. Saskia zog weiter und ich wurde in die Höhe gereckt. Es war ein angenehmes Gefühl, das ich gerne mochte. Zwar stand ich noch auf meinen Fußsohlen, war aber ganz ausgestreckt. Saskia band das lange Seil am Hauptbaum fest. Mit einem kurzen Strick kniete sie vor mir im Sand nieder und fesselte meine nackten Füße zusammen. Dazu wickelte die das Seil in abwechselnden Windungen wie eine Acht um meine Gelenke. So wurden meine Knöchel nicht schmerzhaft zusammen gepresst, meine Füße aber trotzdem sehr fest miteinander verbunden. Kaum hatte sie den Endknoten gemacht, versuchte ich, einen Fuß aus der Fesselung heraus zu ziehen. Ich schaffte es nicht. „Wehrlos angebunden“, sagte Saskia. Sie stand vor mir, bohrte mit den Zehen im Sand und lächelte mich an. Die sinkende Sonne begann die Heide mit glühenden Farben zu überziehen. Die Schatten wurden länger. Wie schön es hier war! „Tanz Sassi!“ sagte ich leise. „Tanz für mich!“ Sie begann den Sandplatz zu umrunden. Er war beinahe kreisrund und Sassi schritt seinen äußeren Rand ab. „Als ob sie ihre Tanzarena absteckt“, dachte ich bei mir. Im feuchten Sand konnte ich die Abdrücke von Saskias nackten Füßen genau erkennen. Tat sie das mit Absicht, oder wollte sie den Beginn ihres Tanzes hinauszögern, weil sie nervös war? Sie schritt genau in die Mitte des Platzes und blieb stehen. Eine Weile schaute sie mich stumm an. Ich hing an meinem Galgen festgebunden und schaute stumm zurück. Die sinkende Sonne übergoss Sassis Gesicht mit einem goldenen Schimmer. Die feinen Härchen auf ihren Armen und Beinen funkelten im Licht. Sie begann zu tanzen. Es war alles anders als oben unterm Dach in ihrem Zimmer. Hier hatte sie viel mehr Platz. Sie konnte laufen, springen und Pirouetten drehen, ohne Angst, irgendwo gegen zu stoßen. Es gab kein Patschen nackter Fußsohlen auf Holzparkett, nur das leise sanfte Geräusch, wenn sie die Füße in den feuchten Sand setzte. Sassi tanzte, sie tanzte im goldenen Abendlicht wie ich sie noch nie hatte tanzen sehen. Ich verlor jedes Zeitgefühl, merkte nicht, dass der Strick, der meine Arme über den Kopf nach oben hielt, zu ziehen begann. Atemlos schaute ich Saskia bei ihrem Tanz zu. „Sie ist wirklich eine kleine Fee!“ schoss es mir durch den Kopf. „Ein Menschenmädchen kann nicht so tanzen.“ Ich war vollkommen fasziniert. Ganz in ihren Tanz versunken wirbelte Sassi über den Sandplatz. Sie war das arme Heimmädchen in alten ausgebleichten Kleidern, das sich freitanzte. Immer mehr Abdrücke nackter Füße bedeckten den feuchten Sandplatz. Ich riss die Augen auf. Dass ich das nicht früher bemerkt hatte! Die Abdrücke verliefen nicht wahllos über den Boden. Nein! Sie folgten einem festen Schema. Alles war geometrisch angeordnet. Es sah aus wie … ich überlegte krampfhaft. Wo hatte ich das schon einmal gesehen? Sassi stieß einen hellen Schrei aus und beschleunigte ihren Tanz. Sie rannte und sprang, sie drehte sich zu einer unhörbaren Melodie im Kreis. Immer schneller wirbelten ihre nackten Füße im Kreis. Genauso schnell schlug mein Herz. Noch ein Schrei, ein Sprung und Saskia landete genau in der Mitte des Sandplatzes auf den Knien, den Kopf gesenkt. „Eine Rosette!“ dachte ich. „Das ist es!“ Saskias Fußabdrücke hatten den Sandplatz mit dem Muster einer Fensterrosette bedeckt. Wie die großen runden Fenster in Kathedralen! Nur dass Sassis Muster irgendwie anders aussah… „Heidnisch!“ rief eine leise Stimme in meinem Kopf. „Ein uraltes heidnisches Muster. Nur Feen kennen solche Muster!“ Ich war hingerissen. Zwar zog der Strick an meinen Armen, weil ich schon ziemlich lange gefesselt war, aber ich gab nichts darauf. Saskia hob den Kopf. Das Sonnenlicht verwandelte ihr weich fließendes dichtes Haar in flüssiges Gold. Sie begann zu singen:
SIEHST DU DEN TANZ DER KLEINEN FEEN, SOMMER WIRD EWIG SEIN DORT WO DIE HEIDEBLUMEN STEHN, FAND ICH DIE LIEBE MEIN. WIR WANDERN, WIR SINGEN, ICH SPÜR SÜSSEN SCHMERZ. IN DEINEN BLAUEN AU-HUGEN, DORT GLÜHT MEIN KLEINES HERZ.
„Sie hat die Worte erfunden, bevor wir je hier in dieser Heide waren!“ dachte ich verblüfft. „Alles an dem Lied passt hierher! Wir wandern und singen und die Heide blüht! Und Sassi ist eine kleine Fee!“ Sassi sang die zweite Strophe:
ICH MÖCHTE IMMER BEI DIR SEIN, WÜNSCH DASS DAS GLÜCK UNS LEITE. IN WEITER FERNE UND DAHEIM, IMMER AN DEINER SEITE. DIE BLUMEN SIE BLÜHEN GANZ FRÜH SCHON IM MÄRZ. WO SIE ERBLÜHEN TANZE ICH, DORT GLÜHT MEIN KLEINES HERZ.
Ich starrte Saskia mit brennenden Augen an, wie sie da inmitten ihrer selbst ertanzten Rosette im Sand kniete, während die tief stehende Sonne alles mit rot funkelndem Gold übersprühte. In meiner Brust zog es schmerzhaft. Ich prägte mir den Anblick ein. Ich wusste, dass ich Saskia immer so in Erinnerung behalten würde: eine kleine barfüssige Fee im goldenen Abendlicht der blühenden Heide kniend! Mein Herz schlug für sie. Mit einem Mal wusste ich, was Liebe war und ich wusste, ich würde Sassi immer lieben! Sie blieb noch eine Weile still im Sand hocken. Es war, als müsse sie zuerst aufwachen, als wenn sie sich in einer Trance befunden hätte. Ich schaute zu, wie sie über den weichen Sand auf mich zugeschritten kam. Sie lief genau über eine ihrer getanzten Linien, ohne nach unten zu schauen. Deutlich sah ich die Abdrücke ihrer kleinen Füße im Sand. Saskia band mich los. „Das war wunderschön, Sassi“, sagte ich und ich meinte es bitter ernst. Ich lächelte ihr zu: „Ich habe was für dich.“ „Für mich?“ Ihre hellbraunen Augen waren eine einzige Frage. Ich nickte und holte das kleine Päckchen aus der Kühlbox. Ich hatte es in Zeitungspapier eingewickelt, damit sie nicht sehen konnte, was es war. Ich machte die Zeitung ab. Zum Vorschein kam das Päckchen, in blau glänzendes Goldpapier gewickelt. Ich hielt es Saskia hin: „Da.“ Sie griff danach und machte das blaue Glanzpapier langsam ab. Es war ein Kästchen. Sie machte es auf und drinnen befanden sich die Marienkäfer-Ohrstecker. Sassi bekam Kugelaugen. „Chris!“ sagte sie leise. „Chris!“ Eine solche Freude schien aus ihren Augen, dass ich mich ein wenig genierte. Es war doch nichts so Besonderes. „Oh Chris! Die sind wunderbar! Woher hast du gewusst, dass ich die haben wollte?“ „Weil du beim Juwelier danach geschaut hast“, antwortete ich. „Chris!“ Sie flog mir in die Arme. Ich konnte nicht anders. Ich umarmte sie auch. Sie lehnte den Kopf ganz fest an meine Schulter. „Danke Chris!“ sagte sie inbrünstig. „Danke! Das ist das schönste Geschenk, das ich je gekriegt habe.“ „Willst du sie nicht anziehen?“ fragte ich mit vor Verlegenheit rauer Stimme. Sie ließ mich los und legte die Ohrstecker an. Die zwei roten Marienkäferchen saßen auf ihren Ohrläppchen. Es sah so echt aus! Und Sassis Lächeln! Es ging mir durch und durch. Schnell fasste ich mir ein Herz, bevor ich wieder zu feige sein würde. „Sassi, was ich dich fragen möchte …“ begann ich. „Ich habe da was gehört … meine Eltern haben was über dich gesagt … ich habe sie nicht richtig verstanden … aber sie sagten … dass du …“ Saskias Augen wurden riesengroß. „Nein!“ flüsterte sie. Dann lauter: „Nein!“ Sie machte einen Schritt rückwärts. „Nein Chris! Frag nicht! Nein!“ „Aber Sassi“, fuhr ich fort. „Warum willst du nicht …?“ „NEIN!“ schrie sie gellend. Ihre Stimme war schrill vor Kummer. Tränen schossen ihr in die Augen. „Nein Chrissie!“ Ich war völlig konfus. „Wein doch nicht Sassi“, bat ich inständig. „Bitte hör auf zu weinen!“ „Frag nicht Chris“, flehte sie unter Tränen. „Bitte nicht! Bitte lass mir noch diese wenige Zeit, die mir bleibt! Ich will nicht darüber sprechen. Bitte Chrissie!“ „Sassi!“ Ich war völlig verdattert. Sie warf sich in meine Arme und weinte bitterlich. „Red nicht darüber Chris! Versprich mir, nicht mehr davon zu sprechen!“ Sie boxte verzweifelt mit der Faust gegen meine Brust: „Versprich es mir!“ „Ist ja gut, Sassi“, sagte ich. Ich war erschüttert. Aber durfte ich mit Gewalt darüber sprechen? Wenn es ihr doch so wehtat. Ich war mir jetzt absolut sicher, dass sie krank war, todkrank. Ein Gehirntumor vielleicht oder eine seltene Erbkrankheit. Im Fernsehen war mal so ein Film gekommen. Es gab Krankheiten, die man fast nicht bemerkte und doch starb man dann innerhalb weniger Wochen daran, und kein Arzt konnte einem helfen. „Ist gut Saskia. Wir reden nicht mehr drüber“, sprach ich beruhigend. „Bitte hör auf zu weinen.“ Es dauerte lange, bis sie sich beruhigte. Wir gingen zurück zum Bauernhof. Es war Zeit zum Abendessen.
Nach dem Abendessen streiften wir noch ein bisschen im Garten herum. Wir gingen Hand in Hand. Ich wagte nicht mehr, Sassi zu fragen. Ihre Tränen hatten mir zu wehgetan. Ich wollte sie nicht verletzen. Als wir zu Bett gingen, hielt sie mir die Lederbänder hin: „Fesselst du mich noch mal über Nacht, Chris?“ Ganz leise war ihre Stimme. Ich hätte eigentlich protestieren müssen. Schließlich war ich an der Reihe und ich war neugierig, wie es sich anfühlte, zum Schlafen gefesselt zu sein. Aber ich dachte an ihre Tränen in der Heide und willigte widerspruchslos ein. Saskia legte sich aufs Bett: „Zuerst die Füße.“ Ich schnallte ihre Füße an den Gelenken zusammen. „Die Hände!“ Ich fesselte ihre Handgelenke vorm Bauch. Dann kroch ich neben sie und zog uns die Bettdecke über. Sassi lag mit dem Gesicht zu mir. Durch die nur halb heruntergelassenen Fensterläden drang rotgoldenes Abendlicht in unser Zimmer. Saskia schaute mich lange an. „Wirst du immer mein Freund sein Chris?“ fragte sie leise. Da war wieder dieser Schmerz in ihren Augen. „Ja Sassi“, versprach ich mit belegter Stimme. Ich fühlte mich so hilflos. Ich konnte nichts tun. Sie kuschelte sich an mich: „Halt mich Chrissie!“ Ich umarmte sie. Sie legte die zusammen gefesselten Hände auf meine Brust und kuschelte sich an mich. So schliefen wir ein.
25. Teil) (für Ramona)
Ein neuer Tag
Am nächsten Morgen wollte Saskia den Tipp der Bäuerin ausprobieren. Sie hatte sich gemerkt, wie die erzählt hatte, dass ihre Tochter mit der Hundeleine gespielt hatte. Auf die Idee kam sie, weil die Bauersfrau für Lupus ein neues Halsband gekauft hatte, das aber für das Riesenvieh zu eng war. Weil sie es nicht umtauschen konnte, hatte sie es in die Scheune gelegt. Dort holten wir es uns, nebst einer Kette, an der Lupus ausgeführt werden konnte. „Ich erst“, bestimmte Sassi, sobald wir außer Sichtweite waren. Sie trug wieder so ein simples Sommerkleidchen, ich selber T-Shirt und Shorts. Die Schuhe hatten wir gleich weg gelassen. Mitten auf einem Feldweg blieben wir stehen. „Zuerst musst du mir die Hände auf den Rücken fesseln“, bestimmte Saskia. Sie drehte mir den Rücken zu und reckte die Arme nach hinten. Mit einem kurzen Seil band ich ihre Hände überkreuz zusammen. Dann legte ich ihr das Hundhalsband an. Ich konnte die Schnalle im letzten Loch verschließen. Nein, dieses Miniding konnte Lupus dem netten Werwolf tatsächlich nicht passen! Dann holte ich die Kette aus der Hosentasche. Sie klingelte lustig. Hinten hatte sie eine Lederschlaufe zum Festhalten und vorne einen Karabinerhaken. Den klipste ich an Saskias Halsband fest. „Fertig. Jetzt wirst du in die ewige Gefangenschaft geführt, Sklavenmädchen“, sprach ich. „Vorwärts!“ Gehorsam marschierte Saskia los. Ich folgte ihr in zwei Metern Abstand. Die Kette war ziemlich lang. Ich konnte mir beim Gehen in Ruhe ihre auf dem Rücken zusammen gebundenen Hände anschauen. Wie klein und zierlich Sassis Hände waren! Dann schaute ich zu, wie sie die nackten Füße auf den sandigen Boden des Feldwegs aufsetzte. Ich scheuchte Sassi bis zum Waldrand, dann kam ich dran. Mit dem gleichen Strick fesselte Saskia mir die Hände auf den Rücken. Es war komisch. Jetzt spielten wir schon so lange mit Stricken, aber es war immer noch ein total aufregendes Gefühl, von Saskia angebunden zu werden. Das Halsband war eine völlig neue Erfahrung. Besonders gefiel mir das leise klingelnde Geräusch, das die Kette verursachte und dass ich das Gewicht der Kette am Hals spüren konnte. So war es mir mühelos möglich, mich in die Rolle eines gefangenen Kindes zu versetzen, das in die Sklaverei abgeführt wird. In meiner Phantasie lief ich neben der ebenfalls angeketteten Saskia her und viele weitere Kinder begleiteten uns. Allerdings nur bis zum Weiher im Wald. Dort konnten wir alle entkommen und uns in Nixen verwandeln, die in einem riesengroßen See verschwanden. Es war ziemlich warm an diesem Tag. Sassi und ich tauchten viel und wir lagen faul im Sand herum. Nach dem Mittagessen wollten wir zum Weiher im Wald zurück. Die kleine Kühlbox hatten wir wieder mit. Dort steckten auch die Lederdinger drin und Schnüre. Immer auf alles vorbereitet sein, hieß unsere Devise. Anstatt Käsekuchen mitzuschleppen, futterten wir ihn direkt vor der Bäckerei im Dorf und liefen über einen Nebenweg in Richtung Wald. Am Waldrand musste ich mal für Königstiger. Die Limonade wollte wieder raus. Also verschwand ich im Gebüsch. Als ich wieder raus kam, war Saskia verschwunden. „Sassi?“ Verdutzt schaute ich mich um. Hatte sie sich versteckt? Das hatte sie noch nie zuvor gemacht. Wir warteten immer aufeinander, wenn einer von uns mal ins Grüne musste. „Saskia!“ rief ich laut. „Wo bist du?“ Keine Antwort. Ich spürte, wie sich die feinen Härchen in meinem Nacken aufrichteten. Da stimmte was nicht! Ich suchte den sandigen Feldweg mit den Augen ab. Ich fand unsere Spuren, die vom Dorf aus auf den Waldrand zukam. Deutlich erkannte ich die Abdrücke unserer nackten Füße. Sassis Abdrücke waren viel kleiner als meine. Dann trennten sich die Fährten. Die größeren Abdrücke bogen nach rechts in den Wald ab. Da war ich pinkeln gegangen. Die kleinen Abdrücke führten noch ein Stückchen weiter. Dann war Saskia stehen geblieben. Es gab mehrere Abdrücke nebeneinander. Ich riss die Augen auf. Aus dem Wald kamen riesengroße Schuhabdrücke! Wer immer diese Spuren hinterlassen hatte, er musste ein wahrer Riese sein! Die Schuhabdrücke führten genau auf Saskias Fährte zu. Daneben war der Boden aufgewühlt, als hätte es einen kurzen Kampf gegeben. Dann entfernten sich die Abdrücke der großen Schuhe. Nach vier Schritten wuchs die Entfernung zwischen den einzelnen Abdrücken im Sand und ich erkannte nur noch den Vorderteil der Schuhe. Der Besitzer dieser Schuhe war gerannt! Eisiges Entsetzen fiel über mich her. Jemand hatte Saskia gekidnappt! Mir fiel ein, dass Sassi sich von jemandem beobachtet fühlte, von einem Mann, der „so komisch“ guckte! Ein Kindermörder!, schoss es mir durch den Kopf. Ich war kurz davor, zu heulen. Was sollte ich tun? Zum Bauernhof zurück rennen? Das war viel zu weit. Bis dahin konnte der Kerl Saskia umgebracht haben! Selbst zurück ins Dorf war zu weit! Ich musste allein los! Die Spur bog in einen schmalen Waldweg ab. Ich gab Gas, rannte so schnell wie noch nie zuvor im Leben. Ich hatte keine Ahnung, was ich anstellen sollte, wenn ich den Entführer fand. Mir würde schon was einfallen.
26. Teil) (für Ramona)
Saskia in Todesangst
Saskia stand nichts ahnend auf dem Weg, als eisenharte Hände sie von hinten packten. Sie wollte schreien, da presste sich eine Hand auf ihr Gesicht. In der Hand war ein Tuch, das komisch roch. Sie fühlte noch, wie sie hochgehoben wurde, dann wurde ihr schwindlig und sie versank in einem schwarzen Loch.
Als sie aufwachte, tat ihr der ganze Körper weh. Es dauerte eine Weile, bis sie zu sich kam. Dann sah sie, wieso es so wehtat. Man hatte ihr ihre Kleider ausgezogen und sie zwischen zwei Bäumen aufgespannt wie ein großes X. Jemand hatte ihr Stricke an Hand- und Fußgelenke gebunden und die so fest zugezogen, dass es wehtat, und sie war so hart aufgespannt, dass ihr die Arme und Beine, ja der ganze Körper wehtaten. Sie konnte sich keinen Millimeter rühren. Das war kein Spiel, das wusste Saskia sofort. Dies hier war bitterer Ernst. Schreckliche Angst befiel sie. Wo war Christian? Hatte er mitbekommen, was ihr passiert war? Rief er die Polizei? „Sieh an, das kleine Fräulein ist wach“, sprach eine hohe Stimme sie von der Seite an. Ein großer dicklicher Mann trat von hinten in Saskias Gesichtsfeld. Sie erkannte ihn sofort: Es war der Mann, der schon mehrfach hinter ihr hergeschaut hatte! „Ein Kindesentführer!“ dachte sie entsetzt. „Er ist mir die ganze Zeit hinterher geschlichen, und jetzt hat er mich entführt!“ Doch wozu? Um Lösegeld zu erpressen? Er musste doch wissen, dass ihre Eltern nicht reich waren! Die hatten nicht mal genug Geld, um sich einen Dauercampingplatz zu leisten wie Christians Eltern! Das ganze Geld ging für die Raten aufs Haus drauf. Und wenn er nur Lösegeld wollte, warum hatte er sie dann ausgezogen? „Geht es dir gut?“ fragte der Mann. Er lächelte. Saskia wunderte sich, wie ein so großer Mann eine so helle Stimme haben konnte. Sie blickte in die tief liegenden kleinen Augen des Mannes. Wie Schweineaugen sahen sie aus! Farblos grau. Auch das Gesicht des Mannes war irgendwie farblos. Ihre Angst wuchs. Da war etwas in den Augen des Mannes, das ihr schrecklich Angst machte. „Ja ich glaube, du bist jetzt richtig wach“, meinte er und zwinkerte ihr zu. „Dann können wir anfangen. Die Zeit drängt, kleines Fräulein.“ Saskia wollte etwas sagen. Erst jetzt fiel ihr auf, dass ihr Mund mit irgendwas zugeklebt war. Sie brachte nur ein leises „Mmmm“ zustande. „Er hat mir den Mund zugeklebt!“ dachte sie erschrocken. Ihr Herz schlug in irrem Takt. Ihre Angst steigerte sich von Sekunde zu Sekunde. Wo war Chris? Hatte der Mann ihm etwas angetan? Und was wollte er mit ihr anstellen? „Etwas Schlimmes!“ heulte eine Stimme in ihrem Kopf. „Er hat dich ganz ausgezogen! Du weißt aus dem Fernsehen, was das bedeutet! Der Kerl wird was Schlimmes mit dir machen! Er wird dir wehtun!“ Der Mann holte einen Gegenstand aus der Tasche. „Bitte lächeln!“ Er visierte Saskia an. In diesem Moment verstand Saskia. Sie wusste, wer der Mann war und gleichzeitig wusste sie, dass das was dieser Mann mit ihr anstellen würde, die allerschrecklichsten Vorstellungen übersteigen würde. Ihr Herz begann so heftig zu schlagen, dass sie meinte, es müsse jeden Moment aus ihrem Mund heraus quellen. Es klickte und ein Blitzlicht zuckte auf. Mit leisem Surren spuckte die Kamera ein kleines Viereck aus. Es war ein Polaroidfoto! Saskia wusste, wer Polaroidfotos machte! Vor ihr stand der Streifenschneider! Vor Entsetzen machte sie unter sich. „Na, na, wer wird denn?“ sprach der Mann tadelnd. Seine helle Stimme machte Saskia verrückt. Und erst sein Lächeln! Dieses falsche bösartige Lächeln! Und das Glühen in seinen Augen! Saskia wusste, dass sie einen Wahnsinnigen vor sich hatte! Wenn sie früher von Verrückten hörte, hatte sie immer gedacht, das seien Menschen, die einfach nur wirres Zeug redeten. Nun erkannte sie, wie echter Wahnsinn aussah. „Mmmmh!“ schrie sie verzweifelt. Chris! CHRIS!!! HILF MIR!!! Der Mann legte die Polaroid zur Seite und holte ein Mäppchen hervor. Langsam klappte er es auf. Zum Vorschein kamen mehrere Messer verschiedenster Art. „Nein!“ dachte Saskia. Das Entsetzen schüttelte sie. Sie war außer sich vor Angst. „Nein!“ Am schlimmsten war, dass ihr Mund zugeklebt war. Sie wollte schreien. Sie wollte reden! Sie wollten den Mann anbetteln, es nicht zu tun, sie doch bitte, bitte gehen zu lassen. Es war so schrecklich, zum Schweigen verdammt zu sein. Sie wusste genau, dass der schreckliche Mann nicht auf ihre Bitten hören würde, aber sie wollte trotzdem betteln. Sie wollte ihn ohne Unterlass anflehen, ihr nichts zu tun. Der Mann trat näher. „Meine Messer!“ sprach er leise. Es klang wie Meeessssser. Irgendwie schleifend. Ein schreckliches Feuer brannte in seinen Augen. In allen Einzelheiten begann er der wehrlos gefesselten Saskia zu erklären, wozu die einzelnen Messer gut waren, und in welcher Reihenfolge er sie einsetzen würde; wo er die Messer auf ihrem wehrlos dargebotenen Körper ansetzen würde. Saskia wurde schlecht vor Angst. „CHRIS!“ dachte sie verzweifelt. „CHRIS! Hilf mir! Bitte, bitte!“ „Ich muss mich leider beeilen“, sprach der Streifenschneider. Bedauern schwang in seiner Stimme. „Ich hätte gerne mehr Zeit mit dir verbracht.“ Er lächelte. Plötzlich wurden seine Augen schwarz vor Wut. „Du GANS!“ Er schlug Saskia ins Gesicht. „Du eingebildete GANS! Was glotzt du? Willst du mich etwa auslachen? Heh? Ob du mich auslachen willst, habe ich gefragt? Gib mir eine Antwort, du GANS!“ Saskia schüttelte den Kopf. Sie war halb ohnmächtig vor Angst. Sie verstand nichts mehr. Sie wusste nur, dass dieser Mann vollkommen irrsinnig war! Er fauchte und schrie. Er nannte sie Gudrun oder Gans. Er versprach ihr, „es“ ihr auszutreiben. „Du Fotze!“ zischte er. „Du missratene kleine Fotze! Du GANS!!! Du … du GUDRUNSAU!!!“ Er hob eins der Messer. Seine Hand zitterte. Dicke Schweißtropfen rannen ihm über das feiste fahlhäutige Gesicht. „Gudrunsau!“ stammelte er. „Auslachsau! Gudrunsau!“ Mit zwei Schritten trat er hinter Saskia. Sein Kopf erschien neben ihrem. Sie spürte seinen heißen Atem am Hals. „Ich treibs dir aus du Gans!“ flüsterte er. „Ich schneide es aus dir raus. Du lachst mich nicht aus! Ich werde dich ausziehen! Ausziehen bis aufs rohe Fleisch! Dann werden wir ja sehen, wer wen auslacht Gudrun! Du GANS!!!“ Saskia zitterte am ganzen Körper. Sie war verrückt vor Angst. Warum kam niemand, um ihr zu helfen? Der Mann würde sie auf fürchterliche Weise umbringen! Morgen stehe ich in der Zeitung!, dachte sie zusammenhangslos. Ihre Gedanken waren konfus und verworren. Morgen lesen meine Eltern, dass der Streifenschneider mich ermordet hat. Chris? Chris? Wo bist du? Hat er dich umgebracht? Ich hab so Angst! Chris!!! „Jetzt, du Gans!“ zischte es hinter ihr. Eine Hand berührte ihren Rücken unterhalb des linken Schulterblattes. „Hier fange ich an! Dir wird das Lachen vergehen!“ Saskia machte sich steif vor Furcht. Sie wusste, sie würde gleich sterben. Und sie wusste, dass es furchtbar lange dauern würde und dass es entsetzlich wehtun würde. Bitte lieber Gott, lass mich in Ohnmacht fallen!, flehte sie in Gedanken. Bitte!
27. Teil) (für Ramona)
Auf Messers Schneide
Ich rannte so schnell wie noch nie. Es war hell genug im Wald, um die Fußspuren vor mir zu erkennen. Wie weit musste ich laufen? Wie schnell war der Entführer? Was sollte ich tun, wenn ich ihn und Saskia fand? Hatte er sie schon …? Bitte nein!, flehte ich. Saskia durfte nichts geschehen! In vollem Lauf schoss ich aus dem Wald heraus auf eine Lichtung. Ich kannte den Platz. Er lag genau neben einer Wegekreuzung im Wald bei einer Schutzhütte. Zwei junge Bäume standen dort. SASKIA! Sie hing zwischen den Bäumen wie ein X. Ihre Arme und Beine waren unnatürlich gestreckt. Selbst in vollem Lauf erkannte ich, dass ihre Lage sehr schmerzhaft sein musste. Sie war nackt ausgezogen. Ein riesiger Kerl stand hinter ihr, die Beine leicht gespreizt. Zusammen geduckt machte er sich an Sassis Rücken zu schaffen. Ich kam von hinten heran gerast. Ich schoss mit vollem Tempo zwischen den Bäumen hervor wie eine lebende Kanonenkugel. Selbst wenn ich gewollt hätte, ich hätte nicht mehr rechtzeitig abbremsen können. Ich erkannte das Messer in der Hand des gedrungenen Mannes und wusste schlagartig, wen ich vor mir hatte. Es war der Streifenschneider! Der Wahnsinnige hatte Saskia zu seinem neuen Opfer auserkoren. Er würde ihr die Haut in Streifen vom Leib schneiden, sich an ihrer Angst und ihrer Qual delektieren und sie alle paar Minuten mit seiner Polaroidkamera knipsen. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Dann stolperte es weiter. Was sollte ich tun? Was konnte ich gegen einen solchen Muskelberg ausrichten, ich kleiner dürrer Wicht von neun Jahren? Ich musste Sassi helfen, aber wie? Dem Kerl auf den Rücken hechten? Das würde Saskia für einen Moment retten, aber was dann? Der Kerl würde mich packen und mich zerquetschen wie ein Insekt! Zerquetschen! Ein Gedanke so klar wie ein Bergkristall fetzte durch meinen Kopf. Die bewundernde Stimme des vierzehnjährigen Jungen am Sportplatz: „Woah! Der Kerl hat einen Tritt wie ein Gaul!“ Ich schwenkte in eine Linkskurve ein, mein Oberkörper war leicht zur Seite geneigt. Ich hatte nur diese eine Chance, Saskia zu retten. Voller Anlauf! Körpergewicht aufs linke Bein. Rückwärts sacken lassen. Barfuss oder in Schuhen, das war nicht wichtig! Man musste den Ball nur richtig mit dem Rist treffen, oder besser: DIE Bälle. In vollem Lauf schoss mein rechter Fuß hoch, dem Mann direkt zwischen die Beine. Ich landete einen Volltreffer, das spürte ich deutlich. Ich prallte gegen den Rücken des Streifenschneiders und flog seitwärts weg. Das Messer des Mannes plumpste zu Boden. Er selber klappte zusammen wie ein riesiges Taschenmesser. Als ich wieder hochkam, konnte ich sehen, was geschah. Der Hüne ging in die Knie. Er fasste mit beiden Händen nach seinen Eiern. Die Augen quollen ihm aus dem Kopf und sein Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei. Erstaunen und Schmerz spiegelten sich in seinen Augen. Ich prallte vor dem Anblick zurück und erstarrte. Die Heimleiterin! Vor mir kniete die gehässige Heimleiterin aus meiner Phantasie! Deutlich erkannte ich die fahlgrauen Schweinsaugen in dem feisten wabbeligen Gesicht, sah ich die Bosheit in den Augen funkeln allem Schmerz zum Trotz. Der Mann sah fast genauso aus, wie ich mir die Heimleiterin vorgestellt hatte. Selbst die schmutzige ascheartige Farbei seiner Haare stimmte. Nur der Dutt fehlte. Der Streifenschneider presste seine Hände mit aller Kraft zwischen seine Beine. Sein Mund öffnete sich noch weiter. Die Zunge reckte sich heraus, ein pelziges dickes blassrotes Ding. „Rrrrch!“ machte der Mann. „Rrrrch!“ Dann riss er seinen Mund noch weiter auf, obwohl das eigentlich unmöglich war, und er schrie. Es war ein hoher gellender Ton wie das Pfeifen eines riesengroßen Tieres. So hatte ich noch nie einen Menschen schreien gehört! „Iiiiiiiiiiiieh!“ brüllte der Streifenschneider. Sein Gesicht lief dunkelviolett an. „Iiiiiiiiiieh!“ Die Schreie hörten und hörten nicht auf. Sein Kopf ruckte herum und die tief liegenden Schweineaugen visierten mich an. Blanker Hass stand darin. Ich wusste: dieser Mann würde mich töten, sobald er wieder fähig war, sich zu bewegen. Und Sassi dazu! SASSI! Das durfte nicht geschehen! Ich blickte mich verzweifelt um. Der Streifenschneider kreischte noch immer. Was soll ich nur tun, Sassi? Ich weiß nicht was ich tun s… Da fiel mein Blick auf das Holzscheit. Ich bückte mich und riss das Holzstück hoch. Der Streifenschneider glotzte mich hasserfüllt an, die Hände noch immer auf seinen Schritt gepresst. „Iiiiiiiiiieh!“ Dieses Dreckschwein! Er wollte Sassi ermorden! Und er hatte Dutzende anderer Mädchen ermordet, sie auf entsetzliche Weise zu Tode gequält! Ich habe das Recht dazu!, dachte ich. Dann packte ich das Holzstück wie einen Baseballschläger und schlug es mit aller Kraft ins Gesicht des Streifenschneiders. Es krachte vernehmlich unter meinem Schlag. Der Kopf des Mannes ruckte nach hinten, aber noch immer ließen seine Hände nicht von seinen malträtierten Eiern ab. Ich holte aus und schlug noch mal zu. Wieder knackte es unter dem Schlag. Jetzt erst wollte der Kerl nach seinem Gesicht fassen. Blut schoss aus der zermatschten Nase. Die Oberlippe sah aus wie eine geplatzte Bratwurst. Der schrille Schrei brach ab und der Streifenschneider schlug mit dem Gesicht auf den Waldboden auf. Ich wartete nicht auf eine neue Reaktion. Ich machte einen Schritt nach vorne, schwang das Holzscheit überm Kopf und ließ es mit aller Gewalt auf den Hinterkopf des Mannes sausen. Es klatschte laut und er streckte sich aus. Ich rang nach Atem und belauerte ihn eine Weile mit hoch erhobenem Holzscheit. Der Streifenschneider rührte sich nicht mehr. Saskia gab ein leises Geräusch von sich: „Mmmmh!“ Sie zappelte in ihren Fesseln. „Sassi!“ Mit einem Satz war ich bei ihr und riss das Klebeband von ihrem Mund. In ihren Augen stand eine solche Angst, wie ich sie nie wieder in meinem Leben gesehen habe. „Mach mich ab!“ flehte sie unter Tränen. „Chrissie, bitte mach mich ab! Ich will weg! Bitte Chrissie!“ Ich warf mich vor ihr auf den Boden und zerrte an den Knoten ihrer linken Fußfessel. Ich kriegte sie nicht auf. „Chris! Mach schneller! Ich habe Angst, das der Mann gleich aufsteht!“ jammerte Saskia. Mein Blick fiel auf das Messer des Mädchenmörders. Rasch griff ich danach: „Sassi halt bitte ganz still“, beschwor ich sie. „Sonst schneide ich dich.“ Augenblicklich hörte Saskia auf zu zappeln. Ich schnitt mit äußerster Vorsicht ihre Füße los. Dann sprang ich auf und befreite ihre Hände. „Au!“ rief sie, als der erste Arme herunterfiel. „Das tut mir weh! Ich war so stramm angebunden.“ „Das geht gleich weg“, sagte ich und schnitt ihren anderen Arm frei. Sie fiel mir weinend um den Hals: „Oh Chris! Ich hatte so eine Angst! Ich hatte ja so Angst!!!“ Sie zitterte wie Espenlaub. Ich hielt sie umarmt. „Jetzt ist ja alles wieder gut, Sassi“, sprach ich tröstend und musste alle Kraft zusammen nehmen, um nicht selbst laut loszuheulen. „Wir hauen ab. Komm, zieh deine Sachen an.“ Plötzlich wurde Saskia ganz steif. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. „Er steht auf!“ wisperte sie. „Chrissie! Der Streifenschneider! Er steht auf!“
28. Teil) (für Ramona)
Nichts wie weg!
Ich fuhr herum. Tatsächlich! Die Hand des Streifenschneiders zitterte und verkrampfte sich. Seine Augenlider flatterten. Er gab ein grunzendes Geräusch von sich. Einen Augenblick standen Saskia und ich wie erstarrt. „Wir müssen wegrennen“, sagte Saskia. „Komm Chris! Weg, bevor er ganz aufwacht!“ „Der holt uns ein“, antwortete ich und wusste im selben Moment, dass dies die Wahrheit war. Ich hatte die Mordlust in den Augen des Wahnsinnigen gesehen. Er wollte uns umbringen. Und weil er viel größer war, würde er uns einholen. Hastig sagte ich das zu Sassi. „Außerdem kriegt ihn die Polizei dann nicht“, schloss ich. Wir blickten uns eine Sekunde lang an. Die Idee kam uns beiden gleichzeitig: „Wir fesseln ihn!“ Ich holte das Messer des Mannes und schnippelte in Windeseile die Seile von den Bäumen. Wir stellten uns rechts und links von dem am Boden liegenden Streifenschneider hin. „Jetzt!“ rief Saskia. Wir griffen nach den Händen des Mannes und drehten ihm die Arme auf den Rücken. Er war noch nicht richtig wach und wehrte sich nur halbherzig. Wir überkreuzten seine Handgelenke und umschlangen sie mit drei Seilwindungen. Ein Knoten rein! „Festziehen!“ rief Saskia und wir stemmten uns rechts und links ins Seil. Schnell die Schnur zwischen den schaufelförmigen Händen des Kerl hindurch. Noch zwei Windungen und dann Knoten über Knoten! Fünf Stück! Und jedes Mal zogen wir mit Gewalt fest. „Der kommt nie von allein frei“, sprach ich befriedigt. Ich betrachtete die fetten blasshäutigen Hände des Mannes. Mit diesen feisten Händen hatte er Sassi ermorden wollen. „Er darf sich nicht wegrollen!“ Ich legte ihm eine Seilschlaufe um den dicken Hals, verknotete sie so, dass sie sich zuziehen musste, wenn der Streifenschneider zu fest daran zog und band das übrig gebliebene Seilende an einen Baumstamm in der Nähe. „Fertig! Der tut uns nichts mehr!“ Saskia fiel mir in die Arme. Sie weinte. „Ich hab so Angst gehabt, Chris!“ schluchzte sie. „Ich war verrückt vor Angst. Das war so schlimm! Ich war so allein!“ Ich hielt sie mit den Armen umfangen und redete tröstend auf sie ein. Sie weinte ziemlich lange. Als sie sich beruhigt hatte, half ich ihr, ihre Klamotten anzuziehen. „Wir sollten die Polizei anrufen“, sagte ich. „Damit sie den Kerl abholen kommt.“ „Aber dann müssen wir den Rest des Tages auf dem Polizeirevier hocken und werden ausgefragt“, sagte Saskia. Sie wirkte todtraurig. „Du weißt doch, dass heute unser letzter Tag ist. Morgen früh fahre ich mit meinen Eltern nach Hause. Ich will nicht bei der doofen Polizei rumhocken!“ „Wir rufen von einer Telefonzelle aus an“, sagte ich. „Über den kostenlosen Notruf. Wir sagen nur, wo der Streifenschneider liegt. Okay?“ Saskia nickte: „Einverstanden.“ Hinter uns brummte es. „Brrreuchummm!“ Wir drehten uns um. Der Streifenschneider war aufgewacht und zerrte wütend an seinen Fesseln. „Brrrrumg!“ machte er. „Brrreuchallebeiuuumm!“ Weil seine Nase gebrochen war und die Oberlippe aufgeplatzt, konnte er nicht richtig sprechen. Er drehte uns das zerschlagene Gesicht zu. Blanker Hass loderte in seinen Augen. „Bringeuchum!“ grunzte er. Wie konnte so ein Berg von einem Mann eine solch hohe Stimme haben? „Bring euch UM! Alle beide! Ich bring euch um! Ihr … ihr GÄNSE!!!“ Sassi stand einen Moment ganz still, wie unter Schock. „GÄNSE!“ gurgelte der Streifenschneider und spuckte einen Zahn in den Sand. „Ich bring euch UM! Alle beide bring ich euch um, ihr Gänse!“ Plötzlich schnatterte Saskia: „Quak, quak!“ Sie imitierte Gänsegeschnatter. „Gar nichts tust du, du Arsch!“ Ich glaubte, mich verhört zu haben. Mit drei Schritten war Sassi bei dem Mann. „Du mieser Scheißer!“ Sie wutschte mit dem nackten Fuß über den Boden und schoss dem Streifenschneider eine Ladung Sand ins Gesicht. „Da, du Arsch!“ Der Streifenschneider kreischte laut auf. Ich kam zu Saskia und beteiligte mich am munteren Einpudern des Mörders. Wieder und wieder verpassten wir ihm eine Ladung Sand ins Gesicht. Die ganze Zeit über beschimpften wir ihn wie zwei wütende Spatzen eine fette, gemeine Krähe. „Du Arsch! Du Schweinebacke! Du Killer! Du doofer Kackhamster! Du Drecksack! Du Hammel!“ Der Streifenschneider bekam händeweise Sand in die Augen. „Aarrh! Aufhören!“ brüllte er und spuckte mit Blut vermischten Sand aus. „Aufhören! Iiiiiiiiieh!“ Wir gaben keine Ruhe. Weiter schimpfend schossen wir solange Sand in sein Gesicht, bis wir allen Sand aufgebraucht hatten und auf festen Boden stießen. Die ganze Zeit über brüllte und schrie der Streifenscheider und wand sie wie ein ekliger dicker Wurm. „Iiiiiiiieh! Ichbringneuchummm! Iiiiiiiiieh!“ Und dann kam der Hammer: „Ich zeig euch an! Ihr verdammten Mistgören! Ich zeig euch an! Iiiiiiieh!“ Wir lachten. Wir lachten noch immer, als wir Hand in Hand davon rannten. Das Polaroidfoto von Sassi hatten wir dabei. Irgendwo unterwegs verbuddelten wir es im Wald. Lachend rannten wir den Feldweg entlang ins Dorf. Es war ein wildes, ein hysterisches Lachen. Ich wusste, jeden Moment konnte aus diesem Lachen lautes Weinen werden. Doch wir lachten. Lachten uns den Schrecken von der Seele! Erst im Dorf hörten wir auf. An der öffentlichen Telefonzelle wählten wir die Notrufnummer. Atemlos rief Sassi in den Hörer, dass im Wald bei der Schutzhütte der Streifenschneider lag und er versucht hatte, ein Kind zu ermorden. Auch sein Koffer mit den Messern und seinem ekelhaften Tagebuch sei dort. Saskia legte auf. „Was für eine doofe Kuh“, maulte sie. „Dauernd fragte sie mich nach meinem Namen!“ Wir gingen weg. Wir mussten uns Mühe geben, langsam zu gehen, damit wir niemandem auffielen. Bald hörten wir das laute Tatü-Tata eines Streifenwagens. „Der Streifenwagen kümmert sich um den Streifenschneider“, sprach ich grimmig. „So soll es sein!“ Wir liefen zum Bauernhof uns verzogen uns in die Scheune. Wir warfen uns nebeneinander ins Heu und blieben still liegen. Lange. Auch als unser Atem sich längst beruhigt hatte, blieben wir liegen. Es war, als müsse auch unsere Seele erst wieder zu Atem kommen. Irgendwann kuschelte sich Saskia eng an mich. Ich umarmte sie und hielt sie fest. Tiefe Ruhe kam über uns. Wir hatten es geschafft! Zwei kleine Knirpse von neun Jahren hatten den schlimmsten Mörder der Welt dingfest gemacht! Ich fühlte Stolz und Befriedigung. Die Angst fiel langsam von mir ab. Saskia richtete sich auf und legte sich auf meinen Brustkasten. „Chris!“ sagte sie leise. Ihre wunderschönen hellbraunen Augen leuchteten. „Chrissie!“ Sie gab mir einen Kuss auf die Wange. „Du bist gekommen. Du hast mich gerettet.“ Lange schaute sie mich an. „Ich habe dich so lieb Chris!“ sagte sie dann. Ich fühlte einen Kloß im Hals aufsteigen. „Ich dich auch Sassi.“ Die bekannte Traurigkeit stand in ihren Augen. Ich wagte nicht, sie zu fragen. Sie hatte doch so geweint, als ich es versucht hatte. Arme, arme Sassi! Sie würde bald sterben. Es zog mir vor Schmerz das Herz zusammen. Ich konnte nicht anders, ich musste sie ganz fest umarmen. „Bis zum Abendessen ist noch Zeit“, sagte Saskia leise. Sie schaute mich an. „Fesselst du mich noch mal?“ Ich war verblüfft. Nach dem was ihr im Wald widerfahren war, wollte sie noch immer Fesseln spielen? „Es war so furchtbar“, flüsterte sie. „Wie der Streifenschneider mich angebunden hat, das war überhaupt nicht schön. Ich hatte so Angst!!! Es war einfach nur eklich!“ Sie schaute mich bittend an: „Ich will, dass Fesseln sich wieder schön anfühlt, Chris. Bitte!“ „Ja Sassi“, sprach ich sanft. Ich fasste ihre Hände: „Tut das noch weh?“ Sie schüttelte den Kopf: „Es sind ja auch keine Abdrücke mehr zu sehen.“ Sie lächelte lieb. „Du kannst mich ruhig verschnüren, Chrissie. Aber nicht so fest.“ Ich nahm die Katzenhalsbänder und ich schnallte sie sehr locker. „Die Füße auch“, bat Saskia. Ich tat ihr den Gefallen. Beim Fesseln schaute ich ihre nackten Füße an. Sie waren schmutzig vom Barfuss laufen und vom Wühlen im Sand. Diese winzigen zierlichen Füße hatten dem Streifenschneider haufenweise Sand in die Augen und in den Mund geschossen! So klein und doch so stark! Nachdem sie gefesselt war, lehnte sich Saskia an mich: „Halt mich fest, Chrissie.“ Ich hielt sie fest. Sie blieben wir still nebeneinander sitzen, bis es Zeit zum Abendessen wurde.
29. Teil) (für Ramona)
Die bittere Wahrheit
Zum Abendessen gab es Streifenschneider. Der Fernseher lief auf voller Lautstärke. Der Kerl hatte alles gestanden, ja er prahlte mit seinen Morden! Die Polizei wertete derzeit sein ekelhaftes Tagebuch aus. Es stand nicht gut um den Mörder. Eins seiner Augen würde wahrscheinlich für immer blind bleiben und ein Arzt erzählte, dass eins seiner Testikel neurotisch zu werden drohte. „Dann müssen sie dem Schwein die Eier wegoperieren! Gut so!“ brummte mein Vater. Eins war seltsam. Der Streifenschneider hatte angegeben, dass er von zwei „Gänsen“ fertig gemacht worden war. Nun suchte alle Welt händeringend nach den „zwei tapferen Mädchen“. Ich fand es gut. So blieben Saskia und mir blöde Fragen erspart.
Nach dem Abendessen gingen wir noch mal raus. „Ich will noch mal an den Marterpfahl“, bat Saskia. „Morgen fahren wir nach Hause.“ Sie klang so traurig. Ich bekam einen Kloß in den Hals. Wir liefen zum hinteren Ende des großen Gartens. Dort standen etliche Obstbäume. Hier würde uns niemand vom Haus aus sehen. Saskia stellte sich mit dem Rücken gegen einen Apfelbaum und streckte die Hände nach hinten. Ich fesselte sie mit einem kurzen Schnurstück. Dann band ich ihre Füße zusammen und legte das Seil einmal um den Baumstamm herum. „Reicht“, sagte Saskia leise. Sie blickte lange stumm in den Sonnenuntergang. Ich schwieg. Ich spürte, dass sie Kraft sammelte. Sie würde es mir sagen. Ich wusste es genau. Stattdessen sang Sassi noch einmal ihr bittersüßes Feenlied. Es klang so unwirklich und phantastisch in dem Obstgarten, als ob tatsächlich eine Fee singen würde. Ich schaute Saskia an. Wie lieb sie aussah! Ich würde sie immer gern haben, egal was auch geschah.
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