German-Stories
Home
Update
Andere Autoren
Eigene Storys
Hajo
Manuela Storys
Melissa
Mister_Action
Nori Storys
Shana Storys
Story einsenden
Wunsch
Kontakt
Impressum

 

code

 

Besucherzähler

 

SH-083 - Die WG

 

Die WG .... (sh-083.zip)
(M/g M/f rom 1st) (65k)
(date posted: Friday PM, May 12, 2000)

Roland (27), ein angehender Schriftsteller, zieht nach einer kleinen Erbschaft von daheim aus und kommt in eine WG mit dem 18jährigen Pärchen Sonja und Armin, der 30jährigen Katja, der 29jährigen Irene und ihrer 12jährigen Tochter Irina. Zuerst interessiert ihn Irina kaum, sondern lenkt ihn nur von seinem ersten Roman ab, doch nach einem tragischen Zwischenfall ändert sich seine Einstellung zu dem aufgeweckten, zielstrebigen Mädchen.



Die WG

Kapitel 1




"Alle ausgeflogen." Roland Althoffs neuer Vermieter überreichte ihm achselzuckend die Schlüssel zur Wohnung und zum Haus. "Wie erwartet. Dann müssen Sie sich eben selbst mit denen bekannt machen."

"Wird schon klappen." Roland stellte seine zwei Koffer in den Flur und streckte sich kurz. "Sie haben Bescheid gesagt? Nicht daß ich plötzlich als Einbrecher hier stehe..."

"Keine Sorge. Die Leute wissen Bescheid. Sie denken an den Dauerauftrag für die Miete?"

"Gleich morgen früh. Sobald ich das Konto eröffnet habe." Roland lächelte erschöpft, doch das lag nur an seiner körperlichen Müdigkeit. Er war seit dem frühen Morgen unterwegs, mit dem Zug von seiner alten Heimat in diese, etwa vierhundert Kilometer entfernte Stadt gekommen, und war wegen eines Taxistreiks gezwungen gewesen, zu Fuß vom Bahnhof in den Vorort zu seiner neuen Wohnung zu marschieren. Sieben Kilometer mit zwei vollen Koffern. An einem schön heißen Julitag. Er war mehr als nur müde.

"Kein Problem. Die Miete für diesen Monat habe ich ja bekommen." Martin Gastner reichte Roland einen Umschlag. "Die Namensschilder für Klingel und Tür."

"Vielen Dank. Welches ist mein Zimmer?"

Gastner konnte ein leichtes Grinsen nicht unterdrücken. "Das ohne Namensschild an der Tür."

Roland zog eine Grimasse. "Ich glaube, ich gehe ins Bett."

"Tun Sie das. Viel Spaß mit Ihrem neuen Zimmer." Gastner machte eine kurze Handbewegung und ging wieder hinaus. Roland schloß die Tür hinter ihm und ging dann zögernd durch den Flur der Altbauwohnung. Er las im Vorbeigehen die Namen auf den Türen und rief sich Gastners kurze Berichte dazu ins Gedächtnis.

Armin und Sonja Waldmann. Das frisch verheiratete Ehepaar. Beide gerade mal 18 Jahre jung. Sonja war von ihren Eltern hinaus geworfen worden, und Armins Eltern wollten das junge Glück auch nicht aufnehmen, so daß sie sich eine Wohnung hatten suchen müssen. Sie wohnten seit knapp einem Monat hier.

Tür Nummer Zwei: Katja Ziegler. Die 30jährige Sekretärin, die in Scheidung lebte und alles haßte, was nach Mann aussah. Sie tat jedoch nur so, wie Gastner Roland versichert hatte; sie machte sich einen Spaß daraus, Männer zu verunsichern, war einer neuen Beziehung jedoch vollkommen abgeneigt. Das konnte Roland verstehen. Sie wohnte bereits seit fünf Monaten hier.

Dritte Tür: Irene und Irina Becker. Mutter und Tochter, hatte Gastner erzählt. Irenes Mann war nach einem Autounfall vor drei Jahren gestorben. Da er mehr als 2,4 Promille Alkohol im Blut gehabt hatte, zahlte keine Versicherung, und sie mußte nun zusehen, die ganzen Schulden, die durch die Beerdigung und die Schäden an den anderen Autos entstanden waren, zurück zu zahlen. Dabei war sie erst 29. Sie lebte mit ihrer Tochter bereits seit zweieinhalb Jahren hier, sozusagen seit ihrem privaten Konkurs.

Roland fand schließlich sein Zimmer: am Ende des Flures, gleich neben dem Badezimmer. Er probierte die drei Schlüssel und war nicht überrascht, daß erst der dritte paßte. Er trug seine Koffer ins Zimmer und sah sich dann um.

Ein altmodischer, kleiner Kleiderschrank. Ein schmaler Tisch. Drei Stühle. Ein Bett. Ein Kühlschrank.

Minimalausstattung, dachte Roland kurz, bevor er den Umschlag öffnete und die drei Namensschilder heraus holte. Das erste steckte er gleich in den kleinen Metallrahmen außen an seiner Zimmertür, das zweite kam außen an die Wohnungstür, das dritte für die Haustür wollte er am nächsten Morgen anbringen. Er war jetzt einfach viel zu müde.

Er wuchtete den ersten Koffer auf sein Bett, öffnete ihn und schaute dann in den Kleiderschrank. Wie er schon halb befürchtet hatte, waren keine Kleiderbügel darin. Seufzend packte er die Sachen aus seinem Koffer in den Schrank, bis der Koffer ausgeräumt war, dann machte er sich an den zweiten. Als auch dieser leer war, schloß Roland den Kleiderschrank und sah auf ein bildhübsches junges Mädchen, das an den Türrahmen gelehnt stand und ihm neugierig zusah. Das Mädchen war vom Gesicht her vielleicht elf, zwölf Jahre jung, dabei jedoch fast 1,70 groß und ziemlich dünn. Sie trug ein langes, viel zu weites T-Shirt, das ihre rechte Schulter frei ließ und fast über den Arm rutschte. Sie hatte sehr lange, lockige aschblonde Haare, die ihren schmalen Kopf wie eine Löwenmähne umgaben, und klare graublaue Augen. Ihre Beine, die unter dem T-Shirt hervor schauten, waren gerade und lang.

"Hallo", grüßte Roland überrascht. "Wer bist du denn?"

"Irina Becker. Und du?" Ohne erkennbare Scheu betrat sie sein Zimmer.

"Roland Althoff. Gerade eingezogen."

"Dann auch Hallo, und herzlich willkommen." Sie musterte ihn neugierig. "Du bist ja gar nicht so jung."

"Ich bin 27", erwiderte Roland schmunzelnd. "Ist das schon alt?"

"Uralt!" Irinas Augen schimmerten schalkhaft. "Was machst du?"

"Einräumen."

"Mann!" Irina stöhnte übertrieben. "Beruflich!"

"Urlaub." Roland klappte den Koffer zu und überlegte, wo er ihn hintun sollte.

"In den Keller", sagte das Mädchen in seine Überlegungen hinein. "Da haben alle ihre Koffer. Was arbeitest du, wenn du keinen Urlaub hast?"

"Da verkaufe ich neugierige Mädchen." Roland zwinkerte ihr zu, doch Irina hatte nicht das geringste Verständnis für seinen Scherz.

"Alle anderen hier", sagte sie leise, doch unverkennbar ernst, "nehmen mich für voll und antworten auf meine Fragen. Bist du jetzt die große Ausnahme?"

"Nein." Roland ließ sich auf sein Bett fallen und streckte den Rücken durch.

"Tut mir leid, Mädchen", entschuldigte er sich dann. "Ich wollte einfach nur lustig sein und einen Scherz machen. Ich habe fünf Stunden in einem unbequemen Zug gesessen, mitten in einer Gruppe von angetrunkenen Leuten, und mußte anschließend noch zwei Stunden die Koffer durch die Stadt schleppen. Ich bin total erledigt, todmüde und wohl nicht so witzig, wie ich gedacht habe." Irina nahm die Entschuldigung mit einem knappen Kopfnicken an.

"Ich bin - nein, ich will Schriftsteller werden", erklärte Roland. "Mein Großvater ist vor vier Monaten gestorben und hat meinen Eltern und mir etwas Geld hinterlassen. Damit kann ich, wenn ich sparsam bin, gut zwei Jahre von leben, und in der Zeit möchte ich meinen ersten Roman fertig stellen."

"Cool!" freute Irina sich. "Arbeitest du zu Hause?"

"Nein, hier", grinste Roland. Irina schnitt ihm ein Gesicht, mußte aber auch etwas lachen. "Und was arbeitest du, Irina?"

"Ich?" Irina lachte fröhlich. "Ich bin schwer ausgelastet. Morgens einen schweren Job in der Schule, und nachmittags schmiere ich alle möglichen Hefte voll, damit die Industrie ganz, ganz viele davon verkauft."

"Damit hast du wohl den schwersten Beruf von uns allen. Sag mal, Irina, gibt es hier in der Nähe einen Supermarkt? Ich sterbe vor Durst."

"Sicher. Zwei Straßen weiter. Kannst du mir was mitbringen? Kriegst auch Geld. Dann muß ich nicht mehr raus."

"Aha." Roland sah sie forschend an. "Hast du überhaupt kein Gewissen? Ich erzähle dir, wie kaputt ich bin, und du -"

"Nö!" kicherte Irina. "Mein Gewissen lasse ich immer draußen vor der Tür liegen. Machst du das?"

"Gegenvorschlag." Roland gähnte herzhaft. "Du zeigst mir den Weg, und ich trage dir deine Sachen. Schwerer als die Koffer werden die wohl nicht sein."

"Nicht viel." Irina drehte sich auf dem Fußballen um. "Bin gleich fertig!" rief sie und eilte hinaus. Als sie knapp drei Minuten später zurück kam, war Roland schon halb am Schlafen. Er mobilisierte seine Reserven und folgte Irina hinaus. Bei der Gelegenheit brachte er das letzte Namensschild am Hauseingang an. Irina wartete geduldig, bis er fertig war, dann marschierten sie los.

"Wie alt bist du?" fragte Roland.

"Rat mal."

"Ich habe keine Ahnung!" lachte Roland. "Deswegen frage ich ja. Vom Aussehen her würde ich dich auf höchstens zwölf Jahre schätzen, aber du redest nicht wie eine Zwölfjährige."

"Eher wie eine 13jährige?" Das Mädchen schaute ihn listig an. Roland nickte.

"Stimmt", gab Irina zu. "Na ja, fast. In drei Wochen habe ich Geburtstag. Am 5. August. Dann werde ich 13. Aber das mit dem Reden kommt daher, weil mich alle für voll nehmen und ganz erwachsen mit mir reden." Roland steckte den Hieb mit einem schuldigen Gesicht ein.

"War mein Fehler, Irina. Kommt nicht wieder vor. Ich habe nicht viel Erfahrung mit Kindern in deinem Alter."

"Fehler Nummer Zwei", seufzte Irina. "Ich bin nämlich kein Kind mehr."

"Siehst du?" platzte Roland lachend heraus. "Das meinte ich."

"Lernst du schon noch." Ein musternder Blick aus graublauen Augen ruhte kurz auf ihm. "Hoffe ich. Hier müssen wir rüber."

Sie überquerten die Straße und bogen in eine größere Straße ein.

"Die geht direkt zur Hauptstraße", erklärte Irina. "Wieso bist du erst jetzt von zu Hause ausgezogen?"

"Schule, Abi, Bundeswehr, Studium, und dann zwei Jahre als Journalist gearbeitet. Da habe ich gemerkt, daß ich viel lieber für mich als für andere schreibe. Allerdings habe ich in diesen zwei Jahren nicht so viel Geld sparen können, daß es für die Selbständigkeit reichte."

"Klar. Was für ein Buch schreibst du?"

"Einen Krimi. Mit vielen Horrorelementen. Eine Art Psychoschocker."

"Au weia!" lachte Irina herzhaft. "Und dabei siehst du so harmlos aus!"

"Du auch", erwiderte Roland mit einem schelmischen Grinsen, das Irina sofort erwiderte.

"Danke! Ich hab jede Menge Schocks auf Lager. Siehst du da vorne? Da ist der Supermarkt."

"Tatsächlich ganz in der Nähe", freute sich Roland. "Super!"

"Deswegen hat sich Mutti diese Wohnung hier ausgesucht. Wir haben nämlich kein Auto. Nur zwei Fahrräder. Die anderen Wohnungen waren entweder zu teuer oder zu weit von Geschäften weg. Hier in der Nähe gibt's aber alles. Den Supermarkt, eine Reinigung, eine Sparkasse... Eben alles. Was mußt du alles kaufen?"

"Jede Menge Getränke. Warst du schon in der Wohnung, als ich rein kam?"

"Hm-m. Wollte aber nicht raus. Der Gastner streichelt mich nämlich immer am Kopf, und der hat immer so schwitzige Hände. Außerdem mag ich den nicht. Er mich aber, und das nur, weil ich noch ein junges Mädchen bin." Sie grinste, als Roland sie schockiert anschaute.

"Du bist jetzt in der Großstadt, Mann! Da geht's was anders zu als auf dem Land."

"Du meinst - Du - Er..." stotterte Roland. Irina nickte gleichgültig.

"Ja, der steht auf kleine Mädchen. Er weiß das, ich weiß das, Mutti weiß das, und alle anderen in der WG auch, also benimmt er sich. Einmal hab ich ihn gebissen!" kicherte sie ausgelassen. "Da hat er mir mit dem Daumen über meine Lippen gestreichelt. Da hab ich ihn gebissen. Richtig fest. Seitdem läßt er mich in Ruhe. Schau mal!" Sie deutete aufgeregt auf ein Werbeschild im Schaufenster des Supermarktes. "Mineralwasser im Angebot! Ein Kasten nur 2,99. Der kostet sonst 6,99. Nimm dir einen davon, Roland. Das schmeckt echt gut!"

"Den kriege ich doch niemals nach Hause", überlegte Roland laut. "Vom Kofferschleppen sind meine Hände total taub."

"Kauf dir so 'nen Einkaufswagen. Die kosten knapp fünfzig Mark und tragen drei Kästen. Haben wir auch. Die gibt's auch hier."

Roland bemerkte, daß dieses Einkaufen allmählich über sein momentanes Fassungsvermögen ging, und lächelte das Mädchen entschuldigend an. "Irina? Wärst du so lieb, mich zu führen? Ich krieg heute nichts mehr auf die Reihe."

"Geht klar." Ohne Scheu griff sie nach seiner Hand und ging vor, in den Supermarkt hinein. Das hatte Roland eigentlich nicht gemeint, als er sie gebeten hatte, ihn zu führen, aber er war auch zu müde, eine vielleicht längere Diskussion anzufangen. Also stolperte er hinter Irina her, die ihn gezielt zu den Sachen brachte, die er benötigte.

Knapp dreißig Minuten später standen sie wieder draußen. Roland war nun stolzer Besitzer eines Einkaufswagens aus Plastik. Irina nahm geschickt die aufgesetzte Stofftasche ab und verstaute ihre vielen und Rolands wenigen Einkäufe darin, während Roland die zwei Kästen Getränke - Mineralwasser und Cola - auf die kleine Abstellfläche lud. Natürlich kippten die Kästen sofort um, weil die Fläche einfach zu klein war.

"Kipp den Wagen", meinte Irina ohne jede Spur von Belustigung. "Dann bleiben die stehen."

Roland folgte ihrem Rat. Sobald der Wagen schräg gehalten wurde, blieben die Kästen tatsächlich stehen. Irina packte die Tasche auf den obersten Kasten, legte sicherheitshalber ihre Hand darauf und strahlte Roland an.

"Na?"

"Super!" Roland schenkte ihr ein ehrliches Lächeln voller Anerkennung, das Irinas Augen aufleuchten ließ wie die helle Sonne. Bevor der Blick peinlich wurde, schauten beide nach vorne und gingen los.

Wenig später standen sie vor der Haustür und mußten ihre Einkäufe zur allgemeinen Erleichterung nur ein Stockwerk hinauf tragen. Roland legte einige Flaschen Wasser und Cola in den Kühlschrank, während Irina ihre Einkäufe verstaute. Dann legte er sich lang auf sein Bett, um sich etwas auszuruhen. Als Irina gut fünf Minuten später in sein Zimmer kam, schlief Roland schon tief und fest. Irina sah ihn einen Moment mitfühlend lächelnd an, bevor sie ihn zudeckte und leise die Tür zu seinem Zimmer schloß. Sie ging auf Zehenspitzen in das Wohnzimmer, schaltete den Fernseher an und dachte lange über Roland nach, bis sie schließlich entschied, daß sie ihn nett fand. Zufrieden lümmelte sie sich auf das Sofa und kicherte leise über die kindischen Streiche auf dem Bildschirm.

Roland wurde gegen sieben Uhr geweckt. Von Irina, die laut gegen seine Tür klopfte und seinen Namen rief. Er schreckte hoch und sah sich verwundert in einem ihm völlig fremden Zimmer um, bevor ihm wieder einfiel, wo er war.

"Komm rein!" rief er, während er sich aufsetzte. Die Tür ging auf, und Irina steckte ihren Kopf durch die Tür.

"Abendessen!" sagte sie munter. "Sind alle da."

"Alle?" Roland fühlte sofort eine gewisse Scheu, sich mit all den Menschen, die sich untereinander schon kannten, an einen Tisch zu setzen.

"Die beißen nicht." Irina ging auf ihn zu, schlug das Oberbett zurück und streckte ihre Hand aus. "Nun los."

Recht widerwillig stand Roland auf, nahm Irinas Hand und ließ sich mehr von ihr ziehen, als daß er selber ging. Sie führte ihn in die große Küche, wo schon vier Menschen saßen.

"Das da ist meine Mutter", stellte Irina weltmännisch die Anwesenden vor. "Irene Becker. Da rechts sitzen Armin und Sonja Waldmann, und da vor Kopf Katja Ziegler. Leute, das ist Roland Althoff. Er wohnt seit heute hier. Setz dich, Roland."

"Aber nicht neben mich!" fauchte die Frau namens Katja. "Wenn dieser - dieser Mann auch nur einen Meter an mich heran kommt, ist er tot!" Wie zur Bestätigung hielt sie das Messer, mit dem sie Butter auf ihr Brot gestrichen hatte, abwehrend hoch. Roland wich instinktiv vor ihrer Wut zurück, was alle zum Lachen brachte.

"Friedlich, Katja!" lachte Irene, Irinas Mutter. "Wenn meine Tochter ihn am Händchen hält, muß er in Ordnung sein."

"Interessiert mich nicht!" Katjas Augen schossen Blitze auf Roland ab, der gar nicht wußte, wo er sich verstecken sollte.

"Setz dich, Roland", meinte Armin grinsend. "Katja tut nichts, sonst wäre ich schon längst tot."

"Äh - ich weiß nicht." Roland sah ziemlich verunsichert auf die 30jährige, die seinen Blick wütend erwiderte. Plötzlich mußte auch sie lachen.

"Herzlich willkommen in unserer kleinen WG", meinte sie fröhlich. "Setz dich ruhig, du - du Mann, du!"

Erst jetzt erinnerte sich Roland an die Worte seines neuen Vermieters. Innerlich aufatmend setzte er sich, jedoch neben Irene, die am anderen Kopfende saß. Katja lachte hell auf.

"Und wieder einen fertig gemacht. Juhu!"

"Mach dir nichts draus." Irina klopfte Roland auf die Schulter und setzte sich zwischen ihn und Katja. "Bis jetzt hat sie noch keinen umgebracht."

"Kann ja noch kommen. Oder?" Katja schaute Roland fragend an, der unsicher nickte und die Schultern zuckte. Irina stand halb auf, stützte sich auf seiner Schulter ab und fischte sich eine Scheibe Schwarzbrot aus dem Brotkorb, der vor ihrer Mutter stand.

"Greif einfach zu", forderte Irene ihn auf. "Abends packt jeder etwas von sich auf den Tisch. Das gibt uns das Gefühl, zusammen zu gehören."

"Uns sowieso", meinte Armin verliebt zu seiner Frau Sonja, die noch kein Wort gesagt hatte. "Nicht wahr, Schnuckelchen?"

"Armin!" warnte sie ihn leise. "Du sollst mich nicht so nennen."

"Aber gestern sagtest du -"

"Gestern waren wir auch alleine." Sie zwinkerte ihm zu. "In unserem Zimmer. Du erinnerst dich?"

"Dunkel", grinste Armin anzüglich, was ihm einen kräftigen Seitenhieb seiner Frau einbrachte.

"Die machen's nur im Dunklen", verriet Irina Roland. "Find ich langweilig."

"Du bist Schriftsteller?" fragte Sonja schnell, bevor irgend jemand dieses Thema vertiefen konnte. Roland nickte.

"Fast. Ein angehender."

Irina hatte natürlich genau gemerkt, daß Sonja ablenkte. Roland hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als sie Sonja fragte: "Wieso macht ihr eigentlich nie Licht dabei an, Sonja?"

"Ist spannender", meinte Armin ungerührt. "Wenn ich im Dunklen nach Sonjas Kopf taste, um sie zu küssen, kann ich ihr richtig schön mit den Fingern in die Augen piksen."

"Und ich dir woanders hin." Sonja schmiegte sich verliebt an ihren Mann, der sie gleich kräftig in den Arm nahm.

"Wie romantisch!" seufzte Katja ohne jeden Sarkasmus. "Warum konnte meiner nicht so lieb und pflegeleicht sein?"

"Hast ihn wohl schlecht erzogen." Irene zwinkerte Katja zu, die grimmig den Kopf schüttelte.

"Nein. Der war schon von Haus aus verdorben. Roland, du ißt ja gar nichts."

Sofort sah sich Roland von allen möglichen Körben und Schüsseln umgeben. Noch immer etwas verwirrt nahm er sich schnell ein Graubrot, Butter und Aufschnitt und bedankte sich mit einem herzlichen Lächeln in die Runde.

"Dann machen wir uns mal richtig miteinander bekannt." Irene, die wie ihre Tochter aschblondes Haar, jedoch braune Augen hatte, deutete in die Runde. "Armin und Sonja arbeiten beide als Innendekorateure bei Karstadt. Das heißt, sie sind noch in der Ausbildung. Beide haben gerade die Zwischenprüfung erfolgreich hinter sich gebracht. Sie sind beide von zu Hause raus geflogen, weil sie gegen den Willen aller Eltern geheiratet haben. Was wieder mal zeigt, daß Eltern nicht immer recht haben. Hält mein Töchterchen mir schließlich oft genug vor." Roland musterte das Pärchen kurz. Armin war gut und gerne 1,85 groß, seine Frau um die 1,70, soweit Roland das im Sitzen schätzen konnte. Armin war von kräftiger Statur, Sonja eher etwas füllig. Armin hatte pechschwarze Haare und blaue Augen, Sonja braune Haare und blaugrüne Augen. Armin war eher extrovertiert, Sonja still und zurückgezogen. Doch daß die beiden sich bis über die Ohren liebten, konnte jeder auf Anhieb sehen.

"Katja ist Prokuristin", fuhr Irene fort. "Bei Ikea. Bei ihrem Gehalt könnte sie locker die ganze Etage hier mieten, aber sie wohnt lieber mit uns zusammen. Da kommt sie nicht auf dumme Gedanken, wie sie sagt."

"Wie zum Beispiel mich mit angehenden, gutaussehenden Schriftstellern einzulassen." Katja schnitt Roland eine Grimasse, die er nun überhaupt nicht einordnen konnte. Irina schlug ihm lachend auf den Oberarm.

"Laß dich nicht fertig machen, Roland. Gib Kontra! Die braucht das."

"Du Küken bist ganz still", knurrte Katja sie an. "Du mußt ja noch in den Schlaf gesungen werden."

"Ja!" lachte Irina lauthals. "Von dir, wenn du bei 'Cats' mitsingst! Da ist Schlafen die einzige Verteidigung!"

"Ist halt mein Lieblingsmusical. Irene, reichst du mir mal das Brot rüber?"

Während Katja sich aus dem Brotkorb bediente, schaute Roland sie kurz an. Sie sah fantastisch aus, fand er. Ganz gepflegtes, glattes hellblondes Haar, das sie schulterlang trug und mit einer funkelnden Haarklammer gescheitelt hielt, warme braune Augen, die jedoch, wie er selbst soeben festgestellt hatte, ziemlich eisig blicken konnten, und eine vollendete Figur, mit allen Kurven an den richtigen Stellen. Dabei gerade so kräftig gebaut, daß einem Mann bei dem Gedanken, sie zu umarmen, das Wasser im Mund zusammen lief.

"Irina kennst du schon", setzte Irene die Vorstellung fort. "Ich muß dich allerdings vorwarnen. Sie kann sehr besitzergreifend sein. Ich selbst arbeite als Schneiderin in einem Modehaus."

"Mutti macht Maßkleider!" verkündete Irina stolz. "Sie näht auch alle unsere Sachen!"

"Gezwungenermaßen", wehrte Irene ohne jeden Stolz ab. "Das ist weitaus billiger, als neue zu kaufen." Sie sah auffordernd zu Roland, wie alle anderen. Der 27jährige brauchte einen Moment, bis er verstand, daß nun er etwas von sich erzählen sollte. Er räusperte sich kurz und gab ihnen den gleichen kurzen Überblick wie schon Irina vorher.

"Das ist wirklich sehr interessant", meinte Katja nachdenklich, als er geendet hatte. "Also macht jeder von uns im Grunde einen neuen Anfang. Selbst unsere zwei jungen Turteltauben. Wovon handelt dein Buch genau?"

"Von dir!" platzte Irina dazwischen. "Das wird nämlich eine Horrorgeschichte."

"Ey!" Katja tat so, als würde sie aufspringen, und sofort quietschte Irina erschrocken auf und klammerte sich schutzsuchend an Roland. Alle lachten über Irina, aber besonders über Rolands verdutztes Gesicht.

"Sieht so aus, als hätte unser Nesthäkchen eine Eroberung gemacht", grinste Sonja breit, was Roland in tiefe Verlegenheit stürzte, doch das wurde gleich durch Katjas nächsten Satz verdrängt, der heftige Verwirrung auslöste.

"Was bei seinem unschuldigen Gesicht kein Wunder ist."

"Was?" Roland schaute sich verstört um. "Worum geht es?"

"Um dich!" strahlte Irina ihn an. "Du bist neu hier, also bist du das Nesthäkchen!"

"Und damit sind wir keine mehr. Wir sind befördert!" Lachend umarmten sich Armin und Sonja. Irene reichte Roland mit einem breiten Grinsen die Kaffeekanne.

"Hier, Nesthäkchen. Wenn der Krümel da zu schlimm wird, schieb sie in ihr Zimmer."

"Und denk immer daran, daß er ein Mann ist." Katja schaute Irina eindringlich an. "Trau ihm nicht weiter, als du ihn werfen kannst."

"Gleich mal ausprobieren!" Irina warf ihre Arme um Roland und versuchte, ihn hoch zu heben, was wieder alle zum Lachen brachte. Das Mädchen mühte sich nach Leibeskräften ab, bekam ihn jedoch nur wenige Zentimeter hoch, bevor sie sich schließlich erhitzt wieder setzte und Roland wütend ansah, weil er zu schwer für sie war.

"Es klingt zwar kitschig", sagte Katja, als wieder etwas Ruhe eingekehrt war, "aber wir sind füreinander irgendwie eine Ersatzfamilie. Jeder von uns hat einen ziemlichen Müll hinter sich. Du auch?"

"Geht so." Roland fing sich wieder. "Das Verhältnis zu meinen Eltern war eigentlich recht gut, obwohl sie meine Entscheidung, eine sichere Anstellung einfach so aufzugeben, doch sehr getroffen hat. Sie haben mich dabei zwar nicht direkt unterstützt, aber auch nicht allzu stark dagegen geredet."

"Warum bist du erst so spät ausgezogen?" wollte Irene wissen. Roland lächelte schief.

"Ich dachte, mit 27 wird es langsam Zeit dafür. Mag Wahnsinn sein, weil ich nicht weiß, ob das Buch überhaupt Erfolg hat, aber mir war danach. Es gehörte irgendwie dazu. Und als dann die Erbschaft kam, dachte ich: Jetzt oder nie."

"Wir hätten uns auch gerne noch etwas Zeit damit gelassen." Armin fuhr mit den Fingern zärtlich durch die Haare seiner Frau. "Aber jetzt sind wir eigentlich glücklich darüber."

"Wir sind zusammen", stimmte Sonja verliebt zu. "Das ist für uns das Wichtigste." Sie küßte ihren Mann leidenschaftlich, wobei besonders Irina aufmerksam zuschaute.

"Unser junges Glück", seufzte Katja. "Wenn ich das sehe, könnte ich fast wieder Appetit auf Männer bekommen." Sie warf Roland einen abweisenden Blick zu. "Fast."

Ganz allmählich nahm Roland ihre Kommentare nicht mehr persönlich. "Warum lebt ihr in Scheidung, Katja? Wenn ich fragen darf."

"Das ist kein Geheimnis." Sie stellte ihr Geschirr zusammen. "Ich habe meinen mir kirchlich angetrauten Göttergatten dabei erwischt, wie er mich betrogen hat." Sie sah Roland tief in die Augen. "Mit einem 16jährigen Knaben. So leidenschaftlich hatte er mich nie gefickt. Da war mir klar, daß etwas ganz gewaltig schief läuft."

Roland blieb das Essen buchstäblich im Hals stecken. Er hustete so stark, daß er rot anlief. Irina klopfte ihm besorgt und sehr kräftig auf den Rücken, bis Roland den Bissen herunter geschluckt hatte.

"Du hast -" stotterte er mit nassen Augen. "Er - Beide..."

"Ja." Ungerührt putzte Katja sich mit einer Serviette den Mund ab, faltete sie und legte sie auf ihren Teller. "Der Bub hockte auf unserem Ehebett, und mein Männe war ziemlich heftig in seinem Hintern zugange. So heftig, daß er mich zwar bemerkt hat, sich jedoch nicht stören ließ. Und so, wie unser Bett aussah, war das nicht die erste Runde." Sie stand auf, nahm ihr Geschirr in die Hand und schaute zu Roland. "Er hatte den Burschen richtig fest im Arm, wühlte mit beiden Händen an seinem Unterleib herum und hatte einen so starken Orgasmus, wie er ihn mit mir zusammen nie bekommen hatte. Noch Fragen?"

Roland schüttelte betroffen den Kopf.

"Ich auch nicht mehr, als ich das gesehen habe." Sie stellte ihre Sachen auf die Spüle und setzte sich wieder. "Während die beiden naßgeschwitzt in unserem Bett lagen, habe ich meine Sachen gepackt. Das Nötigste. Fünf Minuten später war ich aus dem Haus, und am nächsten Tag beim Anwalt." Sie sah zu Irina, die ganz aufmerksam zugehört hatte. "Deswegen paß auf, Krümel. Männer wollen immer nur das eine."

"Frauen aber auch." Irina zwinkerte Sonja zu. "Oder?"

"Gar nicht wahr!" maulte Sonja, die sich schmollend an ihren Mann kuschelte. Plötzlich strahlte sie und schaute zu ihm auf. "Oder doch?"

Unter dem lauten Lachen drückte Armin sie stürmisch.

"Na?" lächelte Irene Roland verschmitzt an. "Bereust du es schon, daß du hier eingezogen bist?"

Roland sah zu Katja. "Wenn ich morgen früh lebend aufwache, nicht."

Katja hielt seinem Blick stand. "Du wirst der erste sein, der es erfährt, wenn ich dich umbringe", versprach sie ihm feierlich. Irina warf sich lachend an Roland, der sie aus Reflex fest hielt.

"Ist sie nicht herrlich?"

Armin und Sonja packten ihr Geschirr zusammen. "Wer ist mit Spülen dran?"

"Mutter und Tochter", antwortete Irene. "Aber da Roland jetzt hier ist, sind Irina und er an der Reihe." Sie streckte sich voller Genuß und sah dann zu Roland. "Endlich! Bisher mußte ich nämlich zwei Mal ran. Einmal, wenn ich sowieso an der Reihe war, und dann, wenn Irina spülen mußte. Ich habe ihr geholfen. Für sie allein war das etwas zuviel. Beim letzten Auslosen hatte sie deinen Vorgänger als Partner gezogen, und seit der weg ist..." Sie zuckte mit den Schultern.

"Wir müssen Roland auch noch das Bad erklären", fiel Irina ein. Ihre Mutter nickte.

"Genau. Roland, da wir sechs Leute sind, ist Baden und Duschen ziemlich genau geregelt. Anders schaffen wir es nicht. Genau wie mit der Waschmaschine und dem Trockner. Sonja und Armin arbeiten von neun bis halb sieben und duschen abends von halb acht bis acht. Natürlich zusammen." Sie zwinkerte Sonja zu, die glücklich zurück strahlte.

"Katja arbeitet von acht bis fünf, sechs Uhr. Meistens länger, ganz selten früher. Deswegen duscht sie morgens von halb sieben bis sieben. Danach bin ich dran, weil ich von neun bis etwa sechs Uhr arbeite. Irina geht gegen zehn Uhr abends duschen. Im Bad hängt aber ein Plan, und nach jedem Duschen sind fünfzehn Minuten Pause vorgesehen, damit jeder mal aufs Klo gehen kann. Zum Baden hast du eine Stunde Zeit, aber die Dusche hat hier eindeutig mehr Zuspruch als die Wanne."

"Weil's zu zweit so unbequem in der Wanne ist. Nicht wahr, Schnuckelchen?"

"Ich bring dich doch noch mal um!" Lachend warf sich Sonja auf ihren Mann, der sie auf seine Arme nahm und nach draußen trug.

"Redet ihr vor Irina immer so offen?" fragte Roland, als die beiden in ihrem Zimmer verschwunden waren. Das Mädchen nickte munter.

"Natürlich." Katja schaute kurz über den Tisch, stellte fest, daß alle mit Essen fertig waren, und legte Zigaretten und Feuerzeug auf den Tisch. "Küche und Wohnzimmer sind nach allgemeiner Abstimmung zu Raucherzonen erklärt worden. Oder hast du etwas dagegen?"

"Wenn ich eine schnorren darf, nicht!" lachte Roland. "Meine sind in meinem Zimmer."

Katja bot ihm eine an und gab ihm Feuer.

"Wir sind eine WG", erklärte sie dann. "Im normalen Sinn, daß alle - bis auf mich - kein Geld haben, sich eigene Wohnungen leisten zu können. Und mir tut es gut, mit mehren Leuten zusammen zu sein, wie Irene schon sagte. Sonja und Armin wohnen gleich neben Irene und Irina, und beide sind frisch verliebt, verlobt und verheiratet. Sie sagen sich nicht schnell Gute Nacht und schlafen sofort ein. Das bekommt Irina natürlich mit. Irene und ich..." Sie sah kurz zu der 29jährigen, die gelassen nickte. "Irene und ich haben auch bestimmte Anwandlungen, denen wir in unseren Betten nachgehen, und das nicht immer sehr leise. Wir laufen uns oft in der Diele über den Weg, und niemand zieht sich vorher so an, als würde ein Besuch in der Oper anstehen."

"Wie letzte Woche bei Armin." Irina sah Roland an. "Da hatte er ziemlich starken Durchfall und sich schon in der Diele die Unterhose runter gerissen. Sonst wäre es schief gegangen. Das sieht hier keiner so eng. Außerdem sagte ich ja, daß mich jeder für voll nimmt."

"Bleibt gar nicht aus." Irene trank ihren Kaffe aus und zog ebenfalls eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche. "Jeder klopft beim anderen an, und wenn wir im Wohnzimmer sitzen und Fernsehen gucken, sind wir auch züchtig bekleidet, aber niemand brüllt gleich nach der Polizei, wenn ein Ober- oder Unterkörper mal unbekleidet gesehen wird. Kommt immer drauf an, warum es gerade geschieht. Als das mit Armin war, hat er uns allen nur leid getan. Er hat nämlich zwei Tage mehr auf der Toilette verbracht als in seinem Zimmer. Der arme Kerl hat dadurch sogar drei Kilo abgenommen. Wenn allerdings jemand aufreizend oder provozierend nackt ist..."

"Wie der Egbert", seufzte Katja. "Dein Vorgänger. Da wohnten Sonja und Armin noch nicht hier; ihr Zimmer stand gerade leer. Irene war einkaufen, Irina und ich saßen gemütlich im Wohnzimmer und freuten uns, daß Wochenende war. In dem Moment kam der Egbert splitterfasernackt herein, zeigte der Umwelt stolz seinen Prügel und fragte, ob jemand Lust hätte, damit zu spielen."

"War das geil!" Irina drückte sich hell lachend an Roland. "Und als -"

"Laß mich!" unterbrach Katja sie schnell. "Ich erzähl das so gerne! Er stand also da, ließ unsere Blicke voller Erwartung über sich ergehen und kam näher. Als er meines Erachtens nach die Schmerzgrenze überschritten hatte, habe ich mir wie ein Blitz die Schere vom Tisch geschnappt, mit der Irina etwas gebastelt hatte, und bin auf die Füße gesprungen. Der Egbert stoppte, als wäre er vor eine Mauer gelaufen. Ich habe diese große, dicke Schere auf und zu geklappt und ihn mit der linken Hand näher gewunken. Er wurde blaß wie ein Leichentuch, schüttelte ängstlich den Kopf und wich ganz vorsichtig Schritt für Schritt zurück."

"Und du genauso langsam hinter ihm her!" brüllte Irina vor Lachen. "Daß der nicht auf den Teppich gepißt hat vor Angst..."

"Ja, er hatte wirklich kein gutes Gefühl dabei", schmunzelte Katja. "Sein stolzer Prügel war inzwischen nur noch ein schlotterndes Etwas. Als er mit seinem Rücken gegen den Türrahmen stieß, hat er sich blitzschnell umgedreht und gemacht, daß er in sein Zimmer kam."

"Abends habe ich ihn dann noch zur Rede gestellt", lächelte Irene biestig. "Da war er schon so klein mit Hut." Sie hielt Daumen und Zeigefinger etwa fünf Millimeter auseinander. "Aber als ich mit ihm fertig war..."

"Da konnte er aufrecht unter dem Teppich hergehen." Katja zwinkerte Irina zu. "Außerdem war er gar nicht so besonders beeindruckend groß da. Oder?"

"Keine Ahnung." Irina wischte sich die vor Lachen nassen Augen an Rolands T-Shirt ab. "War das erste Mal, daß ich so etwas in echt gesehen habe. Ich fand nur geil, wie das immer kleiner und kleiner wurde."

"Warte, bis du 18 bist", schmunzelte Katja. "Dann nervt dich das, wenn er kleiner wird."

"18?" Irina schaute fragend auf. "Nicht 16?"

Katja winkte ab. "18 sagte ich wegen deiner Mutter. Was mich angeht, ist jedes Alter recht, sofern du dich bereit dafür fühlst."

"Das ist heftig." Roland sah sie erschüttert an. "Wie meinst du das, Katja?"

"So, wie ich sagte." Sie beugte sich etwas vor. "Ich war 14, fast 15, als ich meinen ersten richtigen Sex hatte, Roland. Den ganzen, wenn du verstehst. Es war traumhaft für mich, weil ich einen Partner hatte, der auf mich einging und sich nach meinen Wünschen, Vorstellungen und auch Ängsten richtete. Ich fühlte mich eigentlich schon mit 13 dazu bereit, habe es aber nur wegen der ganzen Moralpredigten meiner Eltern nicht getan."

"14!" Roland sank fast in sich zusammen. "Das ist verdammt früh."

"Nein." Irene schüttelte nachdrücklich den Kopf. "Ich war fast 14 bei meinem ersten Mal. Es fehlten nur zwei Monate. Ich hatte aber auch das Glück wie Katja, es mit einem wirklich lieben Menschen zu tun. Da stimme ich Katja uneingeschränkt zu. Wenn der Körper es will, ist der Mensch bereit. Ob Junge oder Mädchen, spielt dabei keine Rolle. Irina?"

"Ja, Mutti?"

"Wenn du vor deinem 16. Geburtstag Sex hast, töte ich dich. Verstanden?"

"Ja, Mutti!" Kichernd drückte das Mädchen sich an Roland. Irene zwinkerte ihr zu, bevor sie begann, den Tisch abzuräumen. Roland wollte etwas sagen, doch Armins Stimme kam ihm zuvor.

"Muß jemand ins Bad? Wir wollten duschen."

"Letzte Chance." Katja drückte ihre Zigarette aus. "Jetzt oder nie."

Roland nickte schnell. "Ja, ich!" rief er und stand auf. Irina kam ebenfalls auf die Füße und half ihrer Mutter. Roland eilte in den Flur und weiter ins Bad. Als er wenig später wieder in der Küche war, fand er nur noch Irina vor, die bereits beim Spülen war.

"Was soll ich tun?" fragte er unsicher.

"Abtrocknen oder Spülen", meinte sie, ohne aufzusehen. "Was du möchtest."

"Was magst du lieber?"

"Abtrocknen!" kicherte sie fröhlich. Roland löste sie am Becken ab. Irina schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, als sie sich daran machte, die ersten Teile abzutrocknen. Roland erwiderte es herzlich. Er begann schon, sich im Kreis dieser fünf Menschen sehr wohl zu fühlen.

"Die sind wirklich alle nett", sagte Irina, als hätte sie in seinem Gesicht gelesen. "Armin und Sonja sind abends viel unterwegs. Katja spielt manchmal Gitarre, aber sie kann nur ein paar Griffe und ein paar Lieder. Mutti und ich sind viel zusammen, aber ab und zu geht sie mal abends weg." Ihr Gesicht verzog sich traurig. "Dann muß sie verarbeiten."

"Deinen Vater?" fragte Roland leise. Irina nickte leicht.

"Ja. Sie war zwölf, als sie ihn kennen lernte. Er war 14. Er war auch ihr erster. Mit 15 wurde sie schwanger, und als sie 16 war, wurde sie für volljährig erklärt, damit sie heiraten konnten. Sie haben sich noch schlimmer geliebt als Armin und Sonja." Sie zuckte mit den Schultern, wischte sich mit dem Trockentuch eine Träne ab und schüttelte dann energisch den Kopf.

"Weißt du, was mich so aufregt?" meinte sie zu Roland. "Daß jeder sagt, daß Papa ein Säufer war. Daß er nur deswegen den Unfall gebaut hat. Weißt du, wie es wirklich war?"

"Nein."

"Er war mit Freunden auf einem Kegelabend. Sein Auto war zu Hause; ein Freund hatte ihn abgeholt und wollte ihn nach dem Kegeln auch wieder nach Hause bringen. Deswegen hat Papa viel getrunken. Auf der Rückfahrt bekam sein Freund plötzlich einen Herzanfall. Der hatte schon immer Probleme damit. Obwohl Papa richtig betrunken war, hat er eine Herzmassage bei ihm gemacht und ihn gerettet. Anschließend wollte er ihn ins Krankenhaus fahren, aber da..." Sie sah Roland mit nassen Augen an. "Da kam dieser andere Wagen an, auf ihrer Fahrbahn. Papa ist ausgewichen, hat den Wagen und ein paar andere Autos gerammt und ist dann mit Vollgas gegen ein Haus gerast. Er war sofort tot, weil er nicht angeschnallt war. Genick gebrochen, als er auf das Lenkrad geprallt ist. Sein Freund lag hinten auf den Sitzen und hat auch jede Menge abbekommen. Und nur weil Papa betrunken Auto gefahren ist, hat er die ganze Schuld gekriegt. Obwohl der andere Wagen auf der falschen Fahrbahn fuhr. Sein Freund hat noch zwei Tage gelebt, dann ist er auch gestorben. Das ist alles so furchtbar sinnlos!" Aufschluchzend warf sie das Trockentuch auf die Spüle und rannte hinaus. Roland sah ihr betroffen hinterher.



* * *



Nachdem alles gespült, abgetrocknet und eingeräumt war, verließ Roland die Küche und kam gerade zurecht, als Armin und Sonja nackt aus dem Bad kamen. Sonja versteckte sich kichernd hinter ihrem Mann, der Roland nur kurz zu winkte und seine Frau in ihr Zimmer lotste. Aus einem anderen Zimmer kamen laute Geräusche. Roland spähte vorsichtig durch die Tür.

"Komm rein." Irene deutete auf die Sitzgruppe. "Das ist unser Wohnzimmer. Frei für alle, die hier wohnen und ihre Miete zahlen."

Roland wählte einen Sessel, in den er sich fallen ließ.

"Deswegen ist die Miete auch etwas höher." Katja zündete sich gerade eine neue Zigarette an. "Die ganze Wohnung kostet 1 600, also pro Zimmer 320 Mark. Als dein Vorgänger raus war, haben wir uns zusammen gesetzt und beschlossen, daß jeder 80 Mark mehr zahlt, aber dafür haben wir nun auch einen gemeinsamen Raum neben der Küche. Dem Gastner war es egal. Er bekommt das gleiche Geld wie vorher."

"Sogar noch etwas mehr, wenn ein Zimmer mal leer steht." Irene schaute auf ihre Tochter, die still bei ihr im Arm lag. "Alles klar bei dir?" Irina schüttelte den Kopf und schmiegte sich gleichzeitig enger an ihre Mutter. Um Irina nicht in noch größere Verlegenheit zu bringen, wandte sich Roland an Katja.

"Irina sagt, daß du Gitarre spielst?"

"Verdammt!" Katja fuhr aufgebracht herum, ihre Augen schossen Blitze zu Irina. "Mußt du eigentlich alles ausplaudern, du unreifes Ding?"

Sehr zu Rolands Verblüffung begann Irina, ganz leicht zu lachen.

"Wie soll das erst werden, wenn du 14 bist?" raunzte Katja weiter. "Gehst du dann auf die Straße und brüllst voller Glück, daß du deinen ersten Kuß bekommen hast?"

Irina versteckte kichernd ihr Gesicht an der Schulter ihrer Mutter. Nun verstand Roland.

"Sie ist doch wirklich noch ein Kleinkind", knurrte Katja. "Mami, Mami! Ich hab gerade ganz allein Pipi gemacht! Und es ist nichts daneben gegangen!"

Irina platzte vor Lachen. Irene drückte sie liebevoll an sich, Katja sah schmunzelnd zu Roland.

"Irgendwie gehört Irina uns allen. Sie ist unser aller Kind. Wenn es ihr schlecht geht, geht's uns auch schlecht."

"Wem geht's schlecht?" Armin stand in der Tür; hinter ihm fuhr sich Sonja vor dem Spiegel in der Diele mit den Fingern durch die Haare, um sie kunstvoll durcheinander zu bringen.

"Euch, wenn ihr nicht sofort abhaut", grinste Katja. "Wo geht's hin?"

"Kleine Party bei einem Arbeitskollegen."

"Wie klein?"

"Sehr klein. Nur vierzig Leute oder so."

"Bist du endlich fertig?" Sonja stellte sich hinter ihm auf die Zehenspitzen und schaute munter ins Wohnzimmer. Armin griff nach hinten, ging gleichzeitig in die Hocke, hielt seine Frau an den Oberschenkeln fest und richtete sich wieder auf. Sonja schrie erschreckt, als ihr Kopf gen Zimmerdecke flog, doch die Zimmer waren hoch genug. Die vier im Wohnzimmer lachten herzlich, als Sonja schimpfend wieder auf die Füße kam. Sekunden später waren die beiden verschwunden.

"Jung, verliebt und glücklich", seufzte Katja. "Mit 20 sollte man Selbstmord begehen; dann liegt die schönste Zeit hinter einem."

"Einspruch." Irene schaute zärtlich auf ihre Tochter. "Die schönste Zeit begann, als der Krümel hier auf die Welt kam, und bis jetzt ist es mindestens genauso schön geblieben."

"Du sollst nicht so romantisch sein!" knurrte Irina, bevor sie ihre Mutter stürmisch drückte. "Ich hab dich auch lieb!"

"Katja? Du hast einen schlechten Einfluß auf meine Tochter."

"Will ich doch schwer hoffen!" Katja schlug sich lachend auf den Oberschenkel. "Sie wird auf jeden Fall keine leichte Beute für irgendeinen Kerl werden."

"Außer, ich will das." Irina schaute mit leuchtenden Augen auf.

"Das willst du nicht."

"Doch! Wenn ich das will, dann will ich das."

"Werd erwachsen." Katja zwinkerte ihr zu. "Roland, erzähl mal, wie dein Buch beginnt. Der Spielfilm da ist todlangweilig."

"Eigentlich habe ich noch keinen rechten Anfang", gestand Roland. "Nur ein paar Richtlinien und Ideen."

"Dann spielen wir was!" Irina beugte sich mit leuchtenden Augen vor. "Roland und ich gegen euch!" Bevor jemand widersprechen konnte, war das Mädchen schon aufgesprungen und rannte zu einem Sideboard. Sekunden später kam sie mit einem Haufen Kartons an, den sie auf dem Tisch deponierte. Mit zwei Sprüngen war sie bei Roland, hüpfte auf seinen Schoß, gab ihm einen dicken Kuß auf die Wange und sagte: "Danke!"

"Wofür?" Roland schaute sie völlig verdutzt an.

"Fürs Spülen und Abtrocknen!" Genauso schnell, wie sie auf seinem Schoß gelandet war, sprang sie auch wieder herunter, hockte sich neben ihm auf den Boden und schaute erwartungsvoll in die Runde. Katja griff seufzend nach einem Spiel. Irina jubelte hell, als sie sah, welches Spiel Katja gewählt hatte. Katja zwinkerte ihr kurz zu, bevor sie den Deckel abhob.

Und Roland entschied in diesem Moment, daß er sich hier sehr wohl fühlte.











Kapitel 2




Gegen viertel nach zehn baute Roland vollständig ab. Nachdem er zwei Mal Irinas Figur anstatt seiner gesetzt hatte, hob er entschuldigend die Hände.

"Ich kann nicht mehr. Ich schlafe gleich im Stehen ein. Nacht zusammen."

"Nacht." Irina hüpfte auf seinen Schoß und umarmte ihn stürmisch. "Hast echt toll gespielt, Roland. Drei Mal haben wir sie eingesackt!"

"Mit dir als Partnerin konnte es nur gut gehen." Er streichelte Irina kurz am Rücken, worauf sie ihn glücklich anstrahlte. "Schlaf schön."

"Du auch." Irina drückte noch einmal kräftig zu, bevor sie ihn aufstehen ließ. Roland wankte todmüde in sein Zimmer, zog sich aus und fiel ins Bett. Er schaffte es gerade noch, sich zuzudecken, als er auch schon einschlief. Daß Irina gleich duschen ging, hörte er schon nicht mehr.

"Jetzt haben wir Ruhe." Katja drückte ihre Zigarette aus. "Was denkst du?"

Irene nickte. "Das gleiche. Er ist in Ordnung. Ein Landei, wie du sagen würdest. Etwas schüchtern, obwohl er einiges auf dem Kasten hat, anständig erzogen und eher zu höflich als zu forsch."

"Und in punkto Irina?"

"Keine Gefahr von seiner Seite aus." Irene nahm sich schmunzelnd eine Zigarette aus ihrer Schachtel. "Wir müssen unbedingt lüften, sonst fallen die anderen morgen früh tot um. Nein, er tut ihr nichts. Erstens hat er mit Kindern nichts am Hut, wie Irina mir erzählt hat, und zweitens ist er einfach nur nett zu ihr. Ohne finstere Absichten. Da würde ich eher meiner Tochter den ersten Schritt zutrauen."

"Und wenn sie ihn tut?" Katja sah sie eindringlich an. "Was dann?"

"Dann habe ich ein Problem." Irene schüttete sich neuen Sprudel ein. "Immerhin kann ich ihr nicht das verbieten, was ich selbst gemacht habe. Andererseits vertraue ich ihr. Wenn sie sich wirklich mit jemanden einlassen sollte, bin ich sehr zuversichtlich, daß sie weiß, was sie tut."

"Und mit wem?"

"Und mit wem." Ihr Blick verlor den Humor und bekam etwas Bedrücktes.

"Ich danke allen Heiligen", sagte sie leise, "daß dieser Egbert so ein Großkotz war. Wenn der alles im Heimlichen gemacht und Irina nach und nach verführt hätte... Das hätten wir nie erfahren. Danke, Katja."

"Danke? Wofür denn jetzt?"

"Für deine Offenheit Irina gegenüber. Je mehr sie erkennt, daß sie ruhig über alles reden kann, auch wenn es vielleicht peinlich ist, um so eher wird sie ihre kleine Klappe aufmachen."

"Genau deswegen tue ich das. Was ist mit dir? Alles okay?"

"Geht so. Irinas Anfall hat mich auch wieder etwas nach unten gezogen." Sie senkte ihren Kopf.

"Du brauchst einen Mann in deinem Leben", sagte Katja ernst. "Du bist zu jung, um dich zu vergraben."

"Das sagst du?" Irene sah leicht schmunzelnd auf. "Du bist ja auch so alt!"

Katja zuckte gleichgültig mit den Schultern. "Mit 30 siehst du die Dinge von einer ganz anderen Warte als mit 29."

"Alles klar." Irene zwinkerte ihr zu, dann wurde sie ernst.

"Nein, Katja. Mit Dieters Tod ist auch etwas in mir gestorben. Etwas, was nie wieder kommt."

"Das solltest du nicht sagen. Gib dir einfach noch Zeit und warte ab. Drei Jahre sind zu wenig, um es zu verarbeiten, da stimme ich dir zu. Aber das bedeutet nicht, daß du in weiteren drei Jahren nicht doch eine andere Einstellung dazu bekommst. Das sehe ich ja an mir. Acht Jahre Ehe, in meinen Augen sehr glücklich, und dann dieser Schock. Ich spüre aber jetzt schon, daß ich nach der Scheidung wieder mit offeneren Augen durch die Männerwelt gehen werde."

"Könntest du denn auch wieder so lieben wie beim ersten Mal?" fragte Irene leise. Katja schüttelte den Kopf.

"Nein. Das kann ich genauso wenig wie du. Aber ich kann anders lieben. Etwas vorsichtiger, aber auch tiefer, wenn ich merke, daß er und ich auf der gleichen Linie sind. Und genau das solltest du für dich nicht ausschließen, mein Kleines."

Irene streckte ihr die Zunge heraus, worauf beide lachen mußten. Katja stand auf.

"Machen wir Klar Schiff. Es stinkt hier drin."

Wenig später war aufgeräumt, und alle Fenster standen auf Kipp. Katja verteilte großzügig Raumspray im Zimmer. Anschließend sahen sich beide kurz um und wünschten sich dann eine gute Nacht.

Als Irina zehn Minuten später ins Wohnzimmer kam, nickte sie zufrieden. Es stank nicht nach Nikotin. Sie ging leise durch den Flur zu Rolands Zimmer und klopfte sacht, doch erhielt keine Antwort. Etwas enttäuscht ging sie in ihr Zimmer zurück. Ihre Mutter lag schon im Bett, in der Hand ein Buch. Als sie ihre Tochter bemerkte, legte sie es weg. Irina sprang zu ihr ins Bett. Irene nahm sie liebevoll in die Arme.

"Müde?"

"Ja." Irina gähnte herzhaft. "Ich wollte Roland noch einmal Gute Nacht sagen, aber er schläft schon."

"War auch ein anstrengender Tag für ihn. Den ganzen Marsch vom Bahnhof nach hier... Magst du ihn?"

"Hm-m." Irina kuschelte sich ein und schloß die Augen. "Er ist nett. Mutti? Wenn du mal abends weg bist, kann er dann auf mich aufpassen?"

"Wie alle anderen auch. Natürlich."

"Nein. Nur er." Sie gab ihrer Mutter einen Kuß auf die Wange. "Darf ich dann auch mit ihm schmusen?"

"Du darfst alles tun, was du möchtest", sagte Irene leise. "Aber du mußt mir versprechen, mir alles zu sagen, Irina. Ganz besonders, wenn er dir verbietet, es mir zu sagen."

"Versprochen. Glaubst du, daß er mich mag? Ich bin doch so dünn und hab noch keinen richtigen Busen."

Irene drückte sie leise lachend.

"Wenn er dich wirklich mag, wird ihm das egal sein, Krümel. Dann wird er dich als Mensch mögen, und nicht nur deinen Körper."

"So wie ihr?"

"So wie wir. Genau. Möchtest du noch etwas reden oder lieber schlafen?"

"Schmusen." Sie drückte sich enger an ihre Mutter, die schnell das Licht ausschaltete und dann ihre Tochter sanft streichelte, bis das Mädchen eingeschlafen war. Irene legte sich zurecht und schloß die Augen.







Am nächsten Morgen erwachten Mutter und Tochter fast gleichzeitig, wie jeden Morgen. Irene ging ins Bad, Irina lief schnell in die Küche, wo Katja schon den Tisch für alle gedeckt hatte. Das Mädchen holte die Lebensmittel aus dem Kühlschrank und baute sie auf. Sie bereitete das Frühstück für ihre Mutter und sich zu, und als Irene dann frisch geduscht aus dem Bad kam, frühstückten sie gemeinsam. Als sie fertig waren, kamen Armin und Sonja dazu, die beide recht müde aussahen, aber gute Laune hatten. Irina blieb mit ihnen in der Küche, ihre Mutter machte sich derweil fertig und verließ das Haus um viertel nach acht, nachdem sie sich von ihrer Tochter sowie von Armin und Sonja verabschiedet hatte. Das junge Paar ging um zwanzig vor neun zur Arbeit; Karstadt lag nur zehn Minuten zu Fuß entfernt.

Als die beiden weg waren, wurde es Irina schlagartig langweilig. Ohne zu überlegen lief sie zu Rolands Tür und klopfte leise. Als er nicht antwortete, klopfte sie ein weiteres Mal und öffnete schließlich unaufgefordert die Tür.

Roland schlief noch, wie ihr ein Blick in das verdunkelte Zimmer zeigte. Sie überlegte, ob sie ihn wecken sollte, doch ihre Höflichkeit siegte. Andererseits hatte sie auch keine Lust, sich alleine zu beschäftigen. Es war schon schlimm genug, daß sie seit dem Tod ihres Vaters nicht mehr in Urlaub gefahren war, doch sich in den Sommerferien zu langweilen, war noch viel grausamer.

Kurz entschlossen setzte sie sich auf Rolands Bett und schlüpfte zu ihm unter die Bettdecke. Als sie sich an ihn legte, umarmte er sie im Schlaf. Glücklich kuschelte sich Irina an ihn und schloß die Augen, um zu dösen.

Es dauerte noch etwa zwanzig Minuten, bis Roland begann, aufzuwachen. Für Irina zwanzig sehr glückliche Minuten, in denen sie ihn spüren und seinen Geruch atmen konnte. Als er sich bewegte, warf sie ihre Arme um ihn.

"Morgen!" flüsterte sie aufgeregt. Roland streckte sich, drehte sich zu ihr und drückte sie.

"Morgen. Ich hab einen glatten Filmriß. Ich weiß nicht mal deinen Namen."

"Irina!" kicherte das Mädchen.

"Roland", murmelte er. "Angenehm."

"Ganz meinerseits", wollte Irina sagen, doch dazu kam es nicht, denn Roland küßte sie.

Gründlich.

Irina erstarrte, als sie seine Zunge in ihren Mund gehen spürte, und als sich dann auch noch eine Hand auf ihren nackten Po legte, wußte sie gar nicht mehr, was sie tun sollte. Sie spürte, daß Roland ihr nichts tun wollte, war aber dennoch vollkommen überfahren, weil sie das, was er tat, noch gar nicht kannte.

Roland streichelte ihren Po und bewegte seine Hand dann nach vorne, zu ihrer Scheide. Irina fuhr zusammen, als sie seine Finger dort spürte. Weil sie einmal zu Tode erschrak, und weil sie zum zweiten etwas wie einen elektrischen Schlag spürte, als sich seine Finger auf ihre Scheide legten. Dann bemerkte sie auch noch, wie etwas an ihm immer härter wurde und gegen ihre Schenkel drückte.

Plötzlich war alles vorbei: der Kuß, die Finger, das Harte. Roland fuhr wie ein Blitz zurück.

"Irina?" fragte er verstört. "Irina Becker? Irenes Tochter?"

"Ja!" Irinas Herz raste vor Aufregung und Angst und noch etwas, was sie nicht kannte.

"O verdammt!" Roland sprang auf, stieß sich dabei am Nachttisch und fiel fluchend auf den Boden. Irina wickelte sich schnell in das Oberbett, bevor sie nach dem Lichtschalter tastete. Sekunden später ging die Nachttischlampe an. Irina sah verstört auf Roland, der nackt vor dem Bett saß, sich das Knie rieb und leise vor sich hin schimpfte.

"Hast du dir weh getan?" fragte sie ängstlich. Roland hielt sein Knie fest und schaute sie verwirrt an.

"Habe ich dir weh getan?" fragte er angespannt. Irina schüttelte schnell den Kopf.

"N-n. Was ist denn los?"

Roland stieß den Atem aus.

"Es tut mir leid, Irina", entschuldigte er sich. "Ich habe wirklich gedacht, du... Du wärst jemand, der die Nacht mit mir verbracht hat."

"Ach so!" Erleichtert lachte Irina auf. "Jetzt kapier ich das! Du dachtest, wir hätten miteinander geschlafen?"

Roland nickte bedrückt. "Ganz genau. Was machst du eigentlich in meinem Bett?"

"Mir war langweilig", bekannte Irina freimütig. "Sind alle zur Arbeit, und ich wollte einfach nur etwas schmusen."

"Das hätte ganz gewaltig ins Auge gehen können, Irina." Roland stand mit verzerrtem Gesicht auf. Irina schaute gebannt auf seinen Unterleib, als er zum Kleiderschrank humpelte und sich eine Unterhose heraus holte. Einen Moment später hatte er sie an.

"Ganz gewaltig", wiederholte er ernst. "Habe ich dir wirklich nichts getan?"

"Nein." Irina lächelte beruhigend. "Was war das für ein Kuß?"

"Ein Zungenkuß." Roland schnappte sich ein T-Shirt und zog es an, ging zum Fenster, zog die Jalousien hoch und öffnete das Fenster. Dann setzte er sich zu dem Mädchen auf das Bett und sah sie ernst an.

"Es tut mir wirklich sehr leid", entschuldigte er sich ein weiteres Mal. "Ich wußte erst, daß etwas nicht stimmt, als ich..." Er brach mit rotem Gesicht ab.

"Als du was?" drängte Irina neugierig. Roland atmete gründlich durch.

"Als ich gespürt habe", sagte er leise und eindeutig sehr verlegen, "daß deine - dein Schambereich noch keine Haare hat. Erst da wurde ich wach."

"Bin ich jetzt etwa schuld daran?" fuhr Irina ihn an. "Ich kann doch auch nichts dazu, daß mein Körper so langsam wächst." Sie befreite sich von dem Oberbett und sprang auf.

"Irina!" bat Roland sie. "Nicht weglaufen. Natürlich bist du nicht schuld daran. Ich meinte... Ich wollte sagen, daß meine bisherigen Freundinnen... Also sie hatten... Ach, verdammt! Nein, Irina. Ich wollte sagen, daß ich erst dadurch erkannt habe, daß du noch ein junges Mädchen bist, und da wurde mir gleichzeitig klar, daß ich einen großen Fehler gemacht habe."

"Ach so." Irina lächelte schüchtern und setzte sich wieder. "Magst du mich denn trotzdem?"

"Natürlich mag ich dich!" Roland griff nach ihr, zog sie an sich und strich ihr leicht über das Haar. "Ich war nur sehr erschrocken, Irina. Über mich. Weißt du, wenn eine Frau in meinem Bett liegt und mit mir aufwacht, war das bisher immer so, daß wir auch - miteinander geschlafen hatten. Deswegen bin ich - ich meine, deswegen habe ich dich geküßt und so angefaßt. Wenn ich gewußt hätte, wer du bist, hätte ich das auf keinen Fall gemacht. Großes Ehrenwort. Es tut mir wirklich sehr leid."

"Schon gut." Irina kuschelte sich zufrieden an ihn. "Ich war auch erschrocken, aber du hast ja nichts Schlimmes gemacht. Also nicht absichtlich."

Roland seufzte nur laut, während er Irinas Haare streichelte.

"Tu mir bitte einen großen Gefallen", sagte er dann. "Verrate keinem, was gerade passiert ist, ja? Sonst bringt deine Mutter mich um."

Irina nickte nur leicht, ohne etwas zu sagen. Roland nahm es erleichtert zur Kenntnis. Von dem Versprechen, das Irina ihrer Mutter gegeben hatte und das für sie mehr zählte als ein Kopfnicken, konnte er natürlich nichts wissen.

"Was machen wir heute?" fragte sie, während sie ihren Kopf an seine Schulter drückte.

"Wir?" Roland schaute sie belustigt an. "Ich muß gleich zur Bank, mein Konto und den Dauerauftrag wegen der Miete einrichten. Dann Lebensmittel einkaufen, und danach an meinem Buch arbeiten."

"Kann ich mit zur Bank und zum Einkaufen?"

"Natürlich. Darf ich vorher noch eben duschen?"

"Es sei Ihnen gestattet, Knappe", meinte Irina großzügig.

"Majestät sind zu gütig." Roland zwinkerte ihr zu, holte sich ein Handtuch aus dem Schrank und ging ins Bad. Sekunden später ging die Dusche an.

Irina seufzte, wobei sie nicht einmal wußte, warum sie seufzte, legte sich wieder in das Bett und deckte sich zu. Sie schloß lächelnd die Augen, während sie Rolands Geruch durch die Nase ein atmete. Gleichzeitig bewegte sie eine Hand nach unten, zwischen ihre Beine. Sie wollte wissen, warum das vorhin ein so merkwürdiges Gefühl gewesen war. Doch so sehr sie auch fühlte, es blieb alles so, wie es war. Stirnrunzelnd gab sie schließlich auf. Sie wickelte sich in das Oberbett, legte sich auf die Seite und schaute geistesabwesend durch das offene Fenster nach draußen, in den nur leicht bewölkten Sommerhimmel. Ihre Gedanken jedoch waren bei Roland unter der Dusche.

Knapp fünfzehn Minuten später war Roland wieder im Zimmer. Er lächelte Irina, die fröhlich in seinem Bett lag, zu, holte sich Wäsche aus dem Schrank und zog sich an.

"Hast du schon gefrühstückt?" fragte er sie dann. Das Mädchen nickte eifrig und setzte sich auf.

"Du?"

"Nein, muß ich mir erst noch alles kaufen. Gestern war ja nur das Nötigste. Willst du so gehen, wie du bist?"

"Nein!" kicherte sie fröhlich. Sie sprang auf, hüpfte aus dem Bett, schlug es ordentlich auf und wetzte hinaus.

"Zwei Minuten!" hörte Roland sie noch rufen. Lächelnd setzte er sich hin, um sich die Schuhe anzuziehen.

Irina brauchte tatsächlich nur zwei Minuten, dann stand sie mit leuchtenden Augen wieder in Rolands Zimmer.

"Na?" fragte sie aufgeregt. Roland sah sie an und pfiff anerkennend durch die Zähne, während sie sich drehte.

Irina trug einen sehr kurzen Rock in Schwarz, mit aufgenähten Fantasymotiven auf den Hüften: rechts ein Einhorn, links eine Fee oder Elfe. Jedenfalls etwas mit Flügeln. Ihr T-Shirt, das ihre kleinen Brüste so eben erahnen ließ, war dunkelrot, mit einem blitzeschleudernden Zauberer auf dem Rücken. Die Fantasywelt setzte sich auf ihren weißen Söckchen fort: jeder trug eine Hexe auf der Außenseite. Die schwarzen Turnschuhe mit unglaublich hohen Sohlen rundeten das Bild eines sehr hübschen jungen Mädchens ab.

"Bezaubernd!" sagte Roland überwältigt. "Und wunderschön."

"Danke!" Glücklich flog Irina in seinen Arm und ließ sich drücken. "Hat alles Mutti genäht!"

"Es steht dir hervorragend, Irina. Magst du so Elfen?"

"Das ist eine Fee!" erklärte sie mit strafendem Blick. "Elfen haben keine Flügel. Ja, die mag ich. Auch Hexen und Zauberer. Ich lese gern so Geschichten. Können wir?"

"Und los."

Sie waren noch nicht ganz aus dem Haus heraus, als Irina sich schon Rolands Arm schnappte und ihn um ihre Schultern legte und ihn anstrahlte.

"Du bist verschmust!" meinte Roland schmunzelnd. "Darf ich dir mal eine Frage stellen?"

"Klar!"

"Ähm - wenn du nachts ins Bett gehst, hast du dann kein - ich meine, kein..."

"Nö. Nur T-Shirt. Ich mag das nicht, wenn ich mich drehe und das Höschen kneift überall."

"Dann verstehe ich das." Er drückte Irina kurz. Das Mädchen lächelte verschmitzt.

"Du mußt nicht so schüchtern sein, Rolli. Sag einfach frei Schnauze. Macht jeder."

"Rolli?"

Irina kicherte. "Ja. Gefällt's dir?"

"Weiß ich noch nicht." Doch nach einem Blick in Irinas leuchtende Augen nickte er. "Doch. Wenn du es magst, mag ich es auch."

"Du magst es nicht." Sie schmiegte sich an ihn. "Kann ich verstehen. Klingt ja auch nach einem dicken, fetten Etwas. Rolli! Roll mal hierher, Rolli!" Kichernd drückte sie sich an ihn. "Kannst du dir das vorstellen?"

"Sehr gut."

"Ich auch! Mich haben früher alle Irre genannt, wegen Irina. Mutti aber auch, wegen Irene. Was mußt du bei der Bank machen?"

"Ein neues Konto eröffnen, Scheckkarte beantragen, und - Sag, haben wir Telefon in der Wohnung?"

"Nein. Jeder hat ein Handy. Fast jeder. Mutti nicht. Sie will das nicht."

"Gut. Dann brauche ich auch noch jede Menge Papierkram. Wir werden sehen. Wo ist die Sparkasse?"

"Magst du mich?"

Roland brauchte einen Moment, bis er die verwirrende Ortsangabe eingeordnet hatte. Dann blieb er stehen und sah Irina an.

"Natürlich mag ich dich", sagte er sanft. "Du bist ein nettes Mädchen, siehst sehr gut aus, bist witzig und intelligent. Warum sollte ich dich nicht mögen?"

"Magst du mich nur so, oder mehr?"

"Du bist noch nicht mal 13", erinnerte Roland sie leise. "Wie soll ich dich mögen? So, wie ich es darf, oder so, wie ich es nicht darf?"

"So, wie du mich magst." Ihre graublauen Augen schauten ihn bittend an. "Magst du mich so, daß du mich gerne streicheln würdest? Mit mir schmusen würdest?"

"Du stellst Fragen!" Roland zog sie an sich. "Was genau möchtest du, Irina? Was liegt dir auf dem Herzen?"

"Das von heute morgen", seufzte sie. "Als du... Als deine Finger da - da unten bei mir dran waren, da war das so, als würde ich eine Batterie ablecken. So ein bißchen Strom. Aber als ich dann probiert hab, als du duschen warst, war da nichts mehr."

Nun seufzte Roland. "Da hab ich wohl genau den Punkt erwischt. Tut mir sehr leid, Irina."

"Welchen Punkt denn?" jammerte sie. "Wo ist der? Wie finde ich den? Was macht der?"

"Männern das Leben schwer." Roland lachte verlegen. "Du bist aufgeklärt?"

"Sicher!"

"Also gut. In deiner - In deinem Geschlechtsteil sitzt ein kleines Teil namens Klitoris. Und zwar genau über - Ich meine, etwa in der Mitte von..."

"Roland! Sprich dich aus!"

"Na schön. Die Klitoris sitzt genau über der Scheide, also über dem - dem Eingang in die Scheide. Wenn die Beine geschlossen sind, liegt die Klitoris gut geschützt zwischen den äußeren Schamlippen. Aber wenn du - wenn die Beine geöffnet sind, dann kannst du sie fühlen."

"Deshalb!" Irinas Augen weiteten sich. "Als du da warst, hatte ich ein Bein weit nach hinten gelegt. Aber als ich das probiert habe, waren sie zu. Und die macht Strom?"

"Nein!" lachte Roland. "Die macht... Wenn die Klitoris lange und kräftig genug gerieben wird, macht sie einen Orgasmus. Einen Höhepunkt. Dieser Strom, wie du sagst, war das erste Zeichen, daß die Klitoris gereizt wird und der Körper Lust empfindet."

"Aha." Irina sah ihn fragend an. "Lange genug reiben?"

"Lange und kräftig genug. Wenn... Wenn du das versuchst, wirst du es schon merken. Aber nach weiteren Details solltest du eher deine Mutter fragen. Sie wird mich sowieso schon umbringen, weil ich dir das gesagt habe. Und wegen heute morgen."

"Glaub ich nicht." Sie zwängte sich wieder an seine Seite und ging langsam mit ihm los. "Immerhin war das ja keine Absicht. Du hast doch noch geschlafen, oder?"

"Mehr oder weniger. Eher mehr."

"Siehst du. Mutti meinte, wenn ich bereit für Sex wäre, würde ich das merken. Ist das so was? War das so was?"

"Scheint so. Können wir jetzt über etwas anderes reden?"

"Nein!" Kichernd drückte sie ihn. "Warum bist du so schüchtern? Katja und Armin und Sonja reden alle ganz offen mit mir darüber."

"Warum hast du sie nicht danach gefragt?"

"Weil ich das da noch nicht hatte." Sie strahlte ihn an. "Das kenn ich erst seit heute morgen. Haben Männer auch eine Klitoris?"

"Nein. Eine Eichel. Die sitzt ganz vorne am Glied, ist aber genauso empfindlich wie die Klitoris. Was nehmt ihr so in der Schule durch?"

"Roland!" Prustend drückte sie sich an ihn. "Du wirst ja rot! Süß!"

"Laß mich doch in Ruhe!" grinste Roland. "Ist doch wahr! Wir reden hier über Dinge, die ich mir selbst zusammen suchen mußte. Meine Eltern haben mir gerade mal das Notwendigste erklärt, und du... Du quetscht mich hier aus wie eine Zitrone. Ganz locker und fröhlich. Mitten auf der Straße."

"So bin ich nun mal." Irina rieb sich die nassen Augen an seinem T-Shirt ab. "Du bist echt niedlich. Kann ich dich behalten?"

"Aber nur, wenn du mir täglich eine frische Möhre gibst."

"Kriegst du", versprach Irina großzügig. "Und einmal am Tag darfst du auch eine Stunde in den Garten. Haben dir deine Eltern wirklich kaum was gesagt?"

"Ja. Sie sind beide streng katholisch, wenn dir das was sagt."

"Hab ich schon mal gehört. Was heißt das genau?"

"Das zum Beispiel Selbstbefriedigung für sie Sünde ist. Scheidung auch. Sie würden sich eher gegenseitig zerfleischen als sich trennen. Das würden sie zwar nicht, weil sie sich gut verstehen, aber so wäre es, wenn. Sex außerhalb der Ehe ist Sünde. Abtreibung ist Sünde. Und so weiter."

"Abtreibung finde ich aber auch nicht gut", entgegnete Irina ernst. "Da wird ja immerhin ein winzig kleiner Mensch getötet."

"Richtig. Aber jetzt stell dir mal vor, deine Mutter - Nein. Sagen wir, Katja würde vergewaltigt werden und bekäme deswegen ein Kind. Fändest du das okay?"

"Nee!" Irina schauderte leicht. "Das wäre ja furchtbar! Ein Kind von - Nee!"

"Genau. Deswegen ist in solchen Fällen die Abtreibung erlaubt, was ich auch gut finde. Oder wenn das ungeborene Kind eine so schwere und tödliche Krankheit hat, daß es die Mutter infiziert, die daran ebenfalls sterben könnte. Es gibt einige Ausnahmen, wo Abtreibung erlaubt ist. Aber selbst die lehnen meine Eltern ab."

"Sie würden also erlauben, daß eine vergewaltigte Frau das Kind bekommt?"

"Nicht nur erlauben. Sie würden darauf bestehen."

"Mann!" Irina schauderte. "Das ist 'n Hammer. Von so Eltern kommst du?"

"Sie sind halb so wild", meinte Roland lächelnd. "Aber deswegen habe ich eben - ja, Hemmungen, über bestimmte Dinge so offen zu reden."

Irina sah ihn ernst an. "Das treibe ich dir schon aus. Wo sitzt die Eichel noch mal?"

"Im Eichenbaum." Roland drückte sie stürmisch. "Klappe jetzt. Verstanden?"

"Nein!" Kichernd warf sie ihre Arme um ihn. "Wie lange mußt du an deinem Buch arbeiten?"

"Ich hoffe, nur ein halbes Jahr. Wieso?"

"Hattest du schon oft Sex?"

"Irina! Findest du diese Frage nicht etwas zu intim?"

"Doch!" sagte sie mit leuchtenden Augen. "Deswegen ja. Wie oft? Armin und Sonja haben jeden Abend Sex. Du in deiner alten Stadt auch?"

Der Seufzer, den Roland ausstieß, kam aus tiefstem Herzen.

"Nein. So oft nicht, weil ich nicht verheiratet war. Ab und zu war mal eine Freundin da, aber weil ich viel zu Hause gearbeitet habe, hielt das auch nicht lange."

"Brauchst du Sex? Katja sagt, es gibt Männer, die Sex so brauchen, daß ihnen der Samen schon in den Augen steht."

"Weiß deine Mutter eigentlich, wie neugierig du bist?"

"Klar!" kicherte Irina. "Sag! Brauchst du?"

"So dringend nicht. Sonst hätte ich mir irgendeine Frau gesucht, sie geheiratet und - Du weißt schon."

"Gefickt?"

Roland wurde wieder rot. "Ja."

Irina klopfte ihm munter auf die Schulter. "Wir kriegen dich schon hin. Dauert gar nicht lange. Da vorn ist die Sparkasse."

"Gott sei Dank!" entfuhr Roland. Irina lachte ausgelassen.

"Ich hab aber noch ein paar Fragen für den Rückweg aufgehoben. Freust du dich drauf?"

Roland sah zu, daß er in die Sparkasse kam.







Eine Stunde später waren sie wieder daheim, sogar ohne bohrende Fragen von Irina auf dem Rückweg. Sie saß auf Rolands Bett und sah zu, wie er seinen Laptop aufbaute und kurz testete. Dann nickte er Irina zu.

"Läuft. Was machst du jetzt?"

Das Mädchen zuckte bedrückt mit den Schultern. "Weiß nicht. Fernsehen vielleicht. Oder langweilen. Wie immer."

Roland seufzte stumm und setzte sich neben sie. Als er seinen Arm um sie legte, schmiegte sich Irina an ihn.

"Es tut mir ja auch leid", sagte er sanft. "Ich hab aber nur für zwei Jahre Geld, Irina. Ich muß schreiben. Wenigstens die ersten Kapitel. Dann muß ich einen Verlag finden. Erst wenn das alles geschafft ist, kann ich mir etwas mehr Freizeit gönnen."

"Ich weiß", hauchte Irina. "Dann schreib schön. Und vor allem schön spannend, damit es ein richtiger Knaller wird." Sie drückte ihn, gab ihm einen Kuß auf die Wange und lief dann schnell hinaus. Roland sah ihr bedrückt hinterher, bevor er sich an den kleinen Tisch setzte und die Textverarbeitung aufrief. Aus Irinas Zimmer hörte er leise Filmmusik, die sofort darauf verstummte, als das Mädchen die Tür schloß.

Roland rief seine Notizen auf, die er sich zu seinem Roman gemacht hatte, und las sie durch, um wieder den Einstieg zu finden. Anschließend tippte er die neuen Ideen, die ihm in den letzten Tagen gekommen waren, dazu und brachte das ganze Chaos an Sätzen in eine anständige Gliederung, was ihn die nächste Stunde beschäftigte. Dann speicherte er alles auf Diskette und Festplatte, fuhr den Laptop herunter und schaltete ihn aus. Er sagte sich vollkommen korrekt, daß er in den letzten acht Jahren, seit er mit der Schule fertig war, keinen richtigen Urlaub gehabt hatte und daß das Geld seines Großvaters bei den günstigen Preisen im hiesigen Supermarkt auch noch etwas länger als zwei Jahre reichte. Jedenfalls lange genug, um während der Sommerferien nur halbe Tage zu arbeiten.

Wenn überhaupt.

Er verstaute die Diskette in seinem Kleiderschrank. Sekunden später stand er vor Irinas Tür, an die er klopfte.

"Ja?" hörte er Irina rufen. Er öffnete die Tür und erstarrte. Irina lag mit dem Bauch auf dem Boden, die Beine weit gespreizt und im Knie angewinkelt, so daß die Füße in die Luft zeigten. Zwischen den Beinen sah er nur Haut; sie trug kein Höschen.

Roland hatte schon mehr als eine weibliche Scheide gesehen, aber noch keine, die so blank, fest und frisch aussah wie die von Irina. Ihm wurde abwechselnd heiß und kalt, vor Verlegenheit, vor Verlangen, und vor Scham wegen des Verlangens.

"Was denn?" meinte Irina, ohne den Blick vom Fernseher zu nehmen. Roland riß sich zusammen, sah ein letztes Mal auf ihr Geschlechtsteil und den wunderschönen Po und ging dann um sie herum.

"Feierabend für heute!" meinte er gezwungen fröhlich. "Wollen wir was raus?"

Jubelnd sprang Irina auf die Füße und schaute ihn mit leuchtenden Augen an.

"Echt? Keine Arbeit mehr?"

"Nein. Was ich schaffen wollte, habe ich geschafft. Ähm - Ich habe gerade was gesehen, als ich rein kam, Irina. Tut mir leid."

"Was denn? Ach so." Unbekümmert winkte sie ab. "Ich lauf im Haus gerne ohne Höschen rum. Seit der Egbert weg ist, geht das ja auch wieder. Wo gehen wir denn hin?"

"Ich dachte, das könntest du mir zeigen. Immerhin bin ich ja fremd hier."

"Super!" quietschte sie. Sie sprang zu ihrem Bett, schnappte sich das Höschen, stieg schnell hinein, wobei Roland ein weiteres Mal ihre Scheide sah, nur diesmal von vorne, zog sich dann das T-Shirt aus, was Roland einen Blick auf ihre winzigen, kaum kirschgroßen Brüste gestattete, schlüpfte in das Shirt vom Morgen, zog sich den kurzen Rock an und stieg schnell in ihre Schuhe.

"Fertig!"

Sie sah so glücklich und hübsch aus, daß Roland lächelnd die Arme ausstreckte. Einen Moment später prallte Irina gegen ihn und umarmte ihn mit aller Kraft. Roland legte seine Wange auf ihr Haupt, streichelte ihr Haar und den Rücken und wunderte sich überhaupt nicht mehr, daß er begann, mehr für Irina zu empfinden, als erlaubt war.

"Roland?" fragte Irina in diesem Moment leise, ohne aufzusehen. "Kannst du mir diesen - diesen Zungenkuß mal zeigen? Das war irgendwie zu schnell heute Morgen."

Roland drückte sie fest an sich. "Nur wenn du das wirklich willst, Irina."

"Sonst würde ich ja nicht fragen!" lachte sie leise. "Machst du?"

Er fuhr mit beiden Händen durch ihr volles, lockiges, aschblondes Haar. "Nachher. Wenn wir zurück kommen. Ich muß erst mal meine Hemmungen abbauen." Er hob Irinas Kopf am Kinn hoch und schaute in zwei strahlende graublaue Augen.

"Und ich muß mir klar darüber werden, warum ich das auch möchte. Du bist ganz und gar nicht meine Altersklasse, junges Fräulein."

Irina kicherte fröhlich. "Ich bin eine Klasse für mich! Sagt Mutti immer."

"Da hat sie mehr recht, als sie ahnt. Gehen wir?"

Nachdem sie das Haus verlassen hatten, legte Irina ihren Arm um Rolands Taille, und er im Gegenzug seinen Arm um ihre schmalen Schultern. Irina strahlte ihn glücklich an.

"Wo führst du mich hin?"

"Zum Spielplatz. Da darf man zwar nur bis zwölf Jahren drauf, aber das bin ich ja noch."

"Ach ja? Aber sonst bist du schon fast 13?"

"Genau!" kicherte Irina ausgelassen. "Immer grad so, wie's paßt. Oder möchtest du einfach nur so laufen?"

"Ganz wie du möchtest, Irina. Zeig mir einfach ein paar schöne Ecken."

"Okay..." Sie sah sich kurz um, dann deutete sie auf das Haus hinter ihnen.

"Da unten, gleich über dem Gras, das ist eine schöne Ecke."

"Du Biest!" Lachend warf Roland sie um, fing sie auf und hob sie mit beiden Armen hoch. Irina warf kichernd ihre Arme um ihn, dann wurde sie schlagartig ernst.

"Roland?" sagte sie leise. "Magst du mich wirklich?"

"Ja", erwiderte Roland ernst. "Ich mag dich sehr, Irina. Du mich auch?"

Das Mädchen lächelte schüchtern. "Ja. Wollen wir richtige Freunde sein?"

"Sind wir das nicht schon?"

"Nein. Richtige. Mit Schmusen und Küssen. Möchtest du?"

Roland nickte zögernd. "An und für sich ja. Aber du bist erst 13, Irina. Das ist Punkt Eins. Punkt Zwei ist, daß ich dich eigentlich in deinem Zimmer einschließen sollte, weil du noch so jung bist, aber das Merkwürdige ist, daß mich dein Alter weder stört noch anspricht. Verstehst du?"

"Ja." Irina nickte ernst. "Du magst mich nicht deshalb, weil ich ein junges Mädchen bin, und es stört dich auch nicht. Stimmt's? Also magst du mich, weil ich ich bin."

"Genau. Punkte Eins und Zwei sind damit also erledigt. Nun Punkt Drei: deine Mutter."

"Erledigt!" kicherte Irina. "Sie sagte, ich darf so schmusen, wie ich das möchte."

"Aha. Punkt Vier: Katja und all die anderen."

"Auch erledigt." Irina schob sich näher an ihn heran und legte ihre Wange an seine Schulter. "Katja will nur, daß mir niemand was tut. Mich nicht ausnutzt. Wenn ich jemanden wirklich mag, ist es für sie okay. Für Mutti ja auch. Sonja und Armin..." Sie kicherte fröhlich. "Die kriegen sowieso nicht viel mit. Die haben nur Augen für sich. Sonst noch was?"

"Leider nein", seufzte Roland. "Mir kommt das irgendwo falsch vor. Ich könnte zwar nicht direkt dein Vater sein, aber ich bin 27, und du bist 13."

"Du hast gerade gesagt, das stört dich nicht!" beschwerte sich Irina. "Was denn nun?"

"Es stört mich auch nicht zwischen uns", versuchte Roland zu erklären. "Warum nicht, verstehe ich selber nicht. Aber es könnte Probleme geben, wenn uns andere sehen."

"Du bist doof!" sagte Irina aus voller Überzeugung. "Glaubst du, ich renne gleich nach draußen und verrate jedem alles? Das ist hier die Großstadt, Mann! Hier wissen schon die Neunjährigen, was sie tun müssen und was nicht." Sie schüttelte verständnislos den Kopf.

"Neunjährige, hm?" grinste Roland. Irina zog eine Schnute, dann mußte sie kichern.

"Na gut. Die Elfjährigen. Die aber ganz sicher!"

"Elf?"

"Elf." Irinas Blick war fest und bestimmt.

"Mach zwölf draus, und ich glaube dir."

"Nein, elf."

"Elfeinhalb?"

"Na gut", kicherte sie. "Elfeinhalb. Ich mag dich!"

"Ich dich auch." Er drückte das Mädchen an sich und stellte sie dann wieder auf die Füße. "Wohin gehen wir?"

"Zurück ins Haus. Und da zeigst du mir den Zungenkuß."

"Nach dem Laufen", beharrte Roland. "Und du mußt vorher noch eins wissen, Irina."

"Und was?"

"Daß ein Zungenkuß nur etwas für sehr gute Freunde ist. Für Freunde, die irgendwann einmal Sex miteinander haben wollen."

"Dann ist ja alles klar." Sie griff grinsend nach seiner Hand. "Gehen wir etwas. Und dann zeigst du mir den Zungenkuß."

"Kann ich dir das überhaupt nicht ausreden?" fragte er halb verzweifelt. Irina sah ihm voll in die Augen und schüttelte leicht den Kopf.











Kapitel 3




Irina kam ins Wohnzimmer geflogen und landete direkt auf Rolands Schoß. Er erbleichte, als er spürte, daß sie nur ihr T-Shirt trug, und sonst nichts.

"Jetzt!" verlangte Irina mit schimmernden Augen. "Zeigen!"

"Das geht nicht gut!" jammerte Roland. "Irina, ein - ein solcher Kuß läßt... bestimmte Gefühle entstehen, und -"

"Will ich auch hoffen! Langeweile hab ich hier genug. Mach." Sie schloß die Augen und legte ihr Köpfchen etwas schräg. Roland stieß einen gequälten Laut aus, worauf Irina kicherte, und legte schließlich seine Hände an ihre Wangen. Irina lächelte voller Erwartung, ließ die Augen jedoch zu.

Roland strich sanft über ihre warme, weiche Haut, näherte seinen Mund ihren Lippen und berührte sie schließlich.

In diesem Moment durchfuhr ihr ein sanfter Schock. Irinas Lippen waren ganz weich, ganz entspannt. Er drückte seinen Mund etwas stärker darauf, begann sanft zu kauen und schob seine Zunge an ihre Lippen.

"Ich auch?" murmelte Irina, ohne den Kuß zu unterbrechen. Roland nickte leicht. Im nächsten Moment spürte er Irinas Zunge an seiner. Er leckte sie behutsam ab, um ihr zu zeigen, wie ein Zungenkuß ging. An der Spitze, an den Seiten, unten, oben.

"Hmm!" machte Irina überrascht. "Schön!" Sie rutschte näher an ihn heran, schlang ihre Arme um seinen Hals und drückte ihn kräftig.

Roland intensivierte den Kuß. Er leckte über ihre Zähne, den Gaumen, die Wangen, und wieder über die Zunge. Irina machte mit und seufzte zwischendurch immer wieder leise. Plötzlich riß sie ihren Kopf zurück, starrte Roland eine Sekunde lang verstört an, sprang dann auf und rannte wie gehetzt in ihr Zimmer. Roland hörte noch, wie sie den Schlüssel herum drehte, dann war Stille.

Nur nicht in seinem Kopf; dort spielten die Gedanken Chaos.



* * *



Roland sah Irina erst zum Abendessen wieder. Das Mädchen saß totenstill am Tisch, aß bedrückt und sah überhaupt nicht auf. Irene und Katja warfen immer wieder Blicke auf Roland, der sich zwar einer gewissen Schuld bewußt war, jedoch keiner so großen, daß sie eine Rechtfertigung für Irinas Verhalten gewesen wäre. Dennoch war ihm anzusehen, daß er etwas verbarg.

"Also schön." Irene knallte das Messer, mit dem sie sich gerade ihr Brot bestreichen wollte, auf den Tisch. "Wenn keiner den Anfang macht, dann eben ich. Was ist passiert, Krümel?"

Armin und Sonja wechselten einen schnellen Blick und huschten wie Schatten nach draußen.

"Perfekt." Katjas Stimme war grimmig und kalt. "Rede, Irina. Was ist passiert?"

Irina machte eine Grimasse, sah kurz und entschuldigend zu Roland und dann zu ihrer Mutter.

"Roland hat mich heute morgen an die Scheide gefaßt, und -" Roland wurde feuerrot im Gesicht.

"Reicht!" Katja sprang auf. "Roland, wir beide -"

"Nein!" Irina sprang ebenfalls auf. "Katja, so war es nicht! Nicht so!"

"Bitte?" Katja setzte sich wieder hin, mit leicht verwirrtem Gesichtsausdruck. Irene saß blaß in ihrem Stuhl. Irina holte tief Luft.

"Also... Heute Morgen, als ihr alle weg wart, war mir langweilig. Ich bin zu Roland, aber der schlief noch. Ich bin in sein Bett, hab mich an ihn gekuschelt und gedöst, bis er wach wurde. Das wurde er aber nicht. Also nicht richtig wach. Nur so halb. Er meinte, daß er nicht wüßte, wer ich bin, und daß er wohl einen Filmriß hat. Ich hab gesagt, ich bin die Irina, und er sagte, er ist der Roland. Dann hat er mich umarmt, richtig mit Zunge geküßt und meinen Po und die Scheide gestreichelt. Einen Moment später wurde er richtig wach. Da wußte er plötzlich, wer ich bin, und sprang so schnell aus dem Bett, daß er sich ganz doll das Knie gestoßen hat. Er hat da einen richtig großen blauen Fleck." Irina sah zu ihrer Mutter, die sich langsam wieder sammelte.

"Er hat dann gesagt, daß es keine Absicht gewesen war, Mutti. Das glaube ich ihm auch. Er ist so rot geworden wie jetzt gerade. Er meinte, als er gespürt hätte, daß ich - daß ich noch keine Schamhaare habe, hätte er gewußt, daß was faul ist, und er hat auch sofort seine Hand da weg genommen."

"Stimmt die Version?" fragte Katja kalt. Roland nickte bekümmert.

"Ja", sagte er leise. "Genauso war es. Es tut mir wirklich wahnsinnig leid, aber wie ich Irina dann erklärt habe, bin ich davon ausgegangen, daß eine Frau die Nacht mit mir verbracht hätte. Ich war in Gedanken noch mehr in meiner alten Heimat als hier. Und ich bin auch nur wegen Irina wach geworden. Weil sie in meinem Bett lag. Sonst hätte ich bis zum Mittag geschlafen, so kaputt war ich."

"Dann verstehe ich allerdings, warum du so daneben bist." Irene griff nach Irinas Hand. "Was -"

"Nicht deswegen!" Irina schüttelte unwillig den Kopf. "Sondern weil Roland beim Küssen so viel Spucke in meinen Mund gemacht hat, daß es - daß es mir zwischen den Beinen wieder heraus lief."

"Bitte?" Katja konnte das Lachen nur mühsam zurück halten. "Er hat was getan?" Ihr Blick flog zu Roland. "Was hast du getan? Ich kenne ja einiges, aber das ist mir neu." Irene fand das hingegen überhaupt nicht lustig.

"Ich möchte jetzt ganz genau wissen, was mit meiner Tochter passiert ist", sagte sie leise, doch voller Wut. "Und zwar jedes Detail. Wieso hast du sie angespuckt?"

Roland hob verzweifelt die Hände. "Das habe ich nicht! Irina ist mir den ganzen Tag auf - Sie wollte unbedingt wissen, wie ein Zungenkuß geht. Ich habe versucht, es ihr auszureden, aber sie hatte es sich nun mal in den Kopf gesetzt. Wir sind etwas spazieren gegangen, wobei ich ihr erklärt habe, daß ein solcher Kuß nur etwas für sehr gute Freunde ist, aber sie meinte, das wären wir ja auch. Dann sagte ich, daß ein Kuß - dieser Kuß schon auf Sex vorbereitet, und sie erwiderte, daß sie das auch hoffte."

"Stimmt das?" fragte Irene. Irina nickte leicht. "Hat Roland es dir wirklich ausreden wollen?" Wieder nickte Irina, wobei sie diesmal ihre Mutter ansah.

"Hat er. Aber ich wollte das wirklich wissen, Mutti."

Irene seufzte. "Und dann?"

"Als wir dann zu Hause waren, hat sie sich umgezogen. Sie kam nur im T-Shirt ins Wohnzimmer. Ohne - ohne Unterwäsche. Sie sprang auf meinen Schoß und wollte küssen. Ich habe noch mal versucht, es ihr auszureden, aber ohne Erfolg. Schließlich haben wir uns geküßt, und plötzlich sprang sie völlig verstört auf und rannte raus."

"Ja!" fuhr Irina ihn an. "Weil du meinen ganzen Mund vollgespuckt hast! So viel, daß ich vier Tempos brauchte, weil es schon nach draußen lief. Das war so eklig!"

"Ich krieg die Motten!" Katja brüllte vor Lachen und schlug auf den Tisch, dann fiel sie in ihren Stuhl, ließ den Kopf in den Nacken fallen und lachte nur noch herzhaft. Irene konnte das nicht ganz verstehen.

"Das findest du lustig?" fuhr sie Katja an, als sich ihr Lachen etwas gelegt hatte. Katja nickte, griff nach der Serviette und wischte sich die nassen Augen trocken.

"So etwas Köstliches habe ich seit Jahren nicht mehr gehört. Irene, und du behauptest allen Ernstes, du hast Irina aufgeklärt? Du hast wohl nach der Bestäubung durch die Bienen plötzlich einen wichtigen Termin gehabt und bist abgehauen."

"Mutti hat mich gründlich aufgeklärt!" fauchte Irina.

"Das sehe ich. Hach, ist das herrlich. Roland, du bist entschuldigt. Alles verziehen. Es fällt mir zwar schwer, es zu sagen, aber du bist unschuldig. Zumindest in diesem Punkt. Irene, Klappe. Jetzt rede ich. Irina, paß auf: Was aus deiner Scheide lief, war nicht Rolands Spucke. Das geht nämlich überhaupt nicht. Nicht so. Es wurde bei dem Kuß plötzlich feucht dort. Richtig?"

Irina nickte bekümmert.

"Dachte ich mir. Krümel, du wirst eine Frau. Die Feuchtigkeit dort bedeutet nichts anderes, als daß sich die Scheide darauf vorbereitet, das männliche Glied aufzunehmen. Es wird feucht, damit es leichter hinein geht."

Irina riß die Augen auf, ihr Kopf fuhr zu ihrer Mutter herum. "Stimmt! Das hast du mir damals gesagt! Also war das gar nicht Rolands Spucke?"

Irene stieß den Atem aus. Ihre ganze Wut konzentrierte sich auf ihre Tochter.

"Was um alles in der Welt fällt dir ein, in sein Bett zu gehen, wenn er schläft? Bist du komplett übergeschnappt? Und wieso läßt du dich küssen?"

Katja wollte vermittelnd eingreifen, doch Irina war schneller.

"Weil du mir das gesagt hast!" fuhr sie ihre Mutter hitzig an. "Du hast gesagt, ich kann so mit ihm schmusen, wie ich das will!"

"Schmusen!" rief Irene aufgebracht. "Aber von Küssen war nie die Rede!"

"Doch!" Irina haute auf den Tisch. "Schmusen und Küssen ist das gleiche! Wenn wir schmusen, gibst du mir auch Küßchen!"

"Aber keinen Zungenkuß!" Irene zitterte vor Wut. "Geh in unser Zimmer. Sofort!"

Irina sprang schluchzend auf und rannte hinaus. Irene wandte sich voller Haß an Roland.

"Du kommst mir auch besser nicht mehr unter die Augen."

"Ist jetzt bitte Schluß?" Katjas Augen waren wie Eis. "Roland, laß uns alleine. Ich muß mit Irene reden."

Von Herzen dankbar machte sich Roland aus dem Staub. Katja sah Irenes zitternden Finger, mit denen sie sich eine Zigarette nahm, und wartete geduldig, bis sie brannte und Irene einen tiefen Zug genommen hatte.

"In aller Ruhe", sagte sie dann sanft. "Was genau regt dich jetzt so auf?"

"Alles!" Irene stand das Wasser in den Augen. "Er ist gerade mal einen Tag hier, und -"

"Und fingert an deiner Tochter herum?"

Irene nickte mit zusammen gekniffenen Lippen.

"Das buche ich auf die Dummheit deiner Tochter. Wenn ich einen Mann im Bett spüre, greife ich auch ins volle Leben. Da hat Roland mein vollstes Verständnis. Und der blaue Fleck an seinem Knie ist nun wirklich nicht zu übersehen. Hast du ihr wirklich gesagt, daß sie so mit ihm schmusen kann, wie sie es möchte?"

"Ja."

"Dann darfst du dich auch nicht wundern." Katja trank einen Schluck Kaffee, ließ die Augen jedoch nicht von Irene.
 

Seite 2

 

 

 

Copyright © 2013

Copyright © by German-Stories 2013
Designed by German-Stories
Powered by  NetObjects Fusion XII