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SH-064 – Traumland

 

Traumland .... (sh-064.zip) (M/f erotic no_sex) (15k)
Arne (35) träumt im Schlaf, seine Nichte Nadine (15) in der Eisdiele zu treffen. Genau so passiert es auch, doch das ist erst der Beginn einer sehr ungewöhnlichen Beziehung.


Traumland


Nadine



Als die Träume begannen, begannen auch die Sorgen. Arne Gebhardt saß an diesem Morgen hellwach in seinem Bett, den Traum, den er soeben noch geträumt hatte, klar und deutlich vor Augen. Er und Nadine hatten sich ganz zufällig in der Eisdiele getroffen und intensiv miteinander geredet. Ein völlig harmloser Traum, wenn man von zwei Dingen einmal absah: Erstens wußte Arne mit unerschütterlicher Sicherheit, daß dieser Traum sich erfüllen würde. Und das machte ihm große Sorgen, denn die zweite Tatsache war noch beunruhigender: Nadine war seine 15jährige Nichte, von der er noch nie geträumt hatte. Weder im Wachen noch im Schlafen.
Um vier Uhr nachmittags hatte Arne den Traum schon fast vergessen. Fast. Trotz Hochsommer und Ferienzeit war sein Geschäft sehr gut besucht. Arne handelte mit CDs. Aktuelle und brandneue sowie An- und Verkauf von gebrauchten. Der Laden hatte seit Gründung bereits zwei Umzüge hinter sich und war nun mitten in der Stadt angesiedelt, mit einer Verkaufsfläche von fast 190 Quadratmeter. Und gerade wegen der Hitze kam ihm der Traum wieder ins Bewußtsein, als seine drei Angestellten immer lautstarker nach "Eis!" riefen. Arne gab sich geschlagen und ging zur Eisdiele. Je näher er kam, um so nervöser wurde er, und als er sie betrat, entdeckte er Nadine sofort. Sie saß genau auf dem Stuhl und an dem Tisch, wie er es geträumt hatte, und sie hatte die gleichen Sachen an wie in seinem Traum.
Auch Nadine hatte ihn sofort entdeckt, fast als hätte sie ihn erwartet. Sie erschrak sehr, dann schüttelte sie den Kopf, als könnte sie etwas nicht fassen. Arne ging zu ihr, mit einem sehr fremden Gefühl im Bauch.
"Hallo, Nadine! Was führt dich denn hierher?"
"Tag, Onkel Arne. Eine Verabredung. Und dich?"
"Meine Leute haben gedroht, mich zu lynchen, wenn ich ihnen kein Eis spendiere", grinste Arne. "Bist du noch länger hier?"
Nadine verzog das Gesicht. "Ja."
"Du scheinst dich ja sehr auf deine Verabredung zu freuen." Arne sah ihr forschend in die Augen. "Alles in Ordnung?"
"Ja. Nein."
"Verstehe", schmunzelte Arne. "Er kommt nicht?"
Nadine nickte bekümmert. "Wir hatten uns um vier Uhr verabredet", schmollte sie. "Jetzt ist es viertel nach."
"Gib ihm noch eine Chance. Nadine, ich muß meinen Leuten ihr Eis kaufen, sonst bin ich tot. Ich drück dir die Daumen, daß er noch kommt."
Nadine lächelte gequält. "Glaub ich zwar nicht, aber danke. Mach's gut."
"Du auch."
Arne ging zur Verkaufstheke und bestellte drei große Eisbecher für seine Angestellten. Er hatte gerade bezahlt, als Nadine ihn leise rief. Er drehte sich um.
"Ja?"
"Hast du gleich noch was Zeit?"
"Sicher, Nadine. Ich bring eben das Eis rüber, dann komm ich zurück."
Nadine lächelte dünn. "Danke."
Arne nickte ihr aufmunternd zu, dann brachte er das Eis in sein Geschäft. Es wurde ihm von drei gierigen Wölfen förmlich aus den Händen gerissen. Grinsend ging Arne zurück und setzte sich zu Nadine, die noch bedrückter aussah als vorhin.
"Was hast du auf dem Herzen?" fragte Arne, während er seine Nichte musterte. Sie hatten weder ein gutes noch ein schlechtes Verhältnis zueinander, sie kannten sich einfach nur zuwenig. Arne hatte sein Leben, Nadine das ihre. Gelegentlich kreuzten sich ihre Wege, zum Beispiel bei Familienfesten, aber danach trennten sie sich auch wieder. Genau deswegen beunruhigte ihn der Traum. Er hatte keine Erklärung dafür, von Nadine geträumt zu haben.
"Glaubst du an Träume?" fragte Nadine, nachdem sie genügend Mut gesammelt hatte. Arnes Nackenhaare richteten sich auf.
"Wie meinst du das?" fragte er vorsichtig.
"Ob du an Träume glaubst." Sie zuckte mit den Schultern. "Verrückte Frage, was?"
Vor 24 Stunden hätte Arne ihr noch recht gegeben, nun jedoch nicht mehr.
"Schwer zu sagen, Nadine", antwortete er zögernd. "Eigentlich habe ich seit - ich glaube, fast 20 Jahren nicht mehr geträumt. Oder mich an Träume erinnert. Warum?"
"Nur so." Nadine schaute auf ihre Armbanduhr, dann seufzte sie.
"Ich hab geträumt", sagte sie leise, "daß Stefan nicht kommt. Und das Komische war, daß ich schon heute morgen beim Aufstehen wußte, daß das wahr ist. Das war so - so sicher! Ich wußte es einfach! Kann das sein?" Sie sah ihren Onkel ratlos an.
"Es kann sein", stimmte Arne ihr zu. "Ich weiß nicht so sehr viel darüber, Nadine, aber ich weiß, daß im Schlaf große Kräfte freigesetzt werden, und daß im Traum auch Dinge ans Licht kommen können, die andere Menschen als Vorahnungen bezeichnen. Gerade in deinem Alter ist das, soweit ich weiß, ganz natürlich."
"Tja", meinte Nadine traurig. "Das ändert aber nichts daran, daß Stefan nicht kommt. Statt dessen sitzt du hier." Sie schüttelte langsam ihren Kopf. "Das hab ich nämlich auch geträumt."
"Genau wie ich." Arne nickte bestätigend, als Nadine ihn ungläubig ansah. "Doch, Nadine. Ich habe geträumt, daß wir uns hier zufällig treffen und miteinander reden. Aber vielleicht ist das alles nur ein Zufall." Er lächelte seiner Nichte beruhigend zu.
"Red mal mit diesem Stefan, Nadine. Vielleicht hat er ja einen guten Grund, warum er nicht gekommen ist."
"Den hat er", antwortete Nadine bitter. "Der Grund ist 16 und hat lange schwarze Haare."
"Das tut mir leid, Nadine." Arne griff nach ihrer Hand und drückte sie kurz. "Sehr leid."
"Danke." Sie lächelte schief. "Aber wie heißt es so schön: andere Väter haben auch noch nette Söhne."
"Mehr als genug." Er klopfte leicht auf ihre Hand. "Halt die Ohren steif, Nadine. Ich muß leider wieder rüber, aber wenn du Hilfe brauchst, melde dich. Dafür ist Familie da."
Nadines Wangen wurden feuerrot. Sie senkte den Blick.
"Tschüß, Onkel Arne."
"Mach's gut, Nadine." Arne befürchtete, etwas Falsches gesagt zu haben, aber es konnte auch sein, daß Nadine sich einfach nur zurückgesetzt fühlte von ihrem Freund und deswegen so verlegen war. Wenn er jetzt etwas sagen würde, würde er es nur noch schlimmer machen. Nachdenklich ging er hinaus, ohne sich umzusehen, und so entging ihm Nadines ebenso nachdenklicher und etwas verstörter Blick.
In dieser Nacht träumte Arne wieder von Nadine, doch beim Aufwachen war er sich sicher, daß es diesmal nur ein Traum gewesen war. Nadine würde niemals in sein Geschäft kommen und ihn umarmen. Niemals. Dessen war er sich absolut sicher.
Blieb nur noch die Frage, warum er überhaupt von Nadine träumte. Aber vielleicht lag das Problem gar nicht bei ihm, sondern bei Nadine. Sie hatte ja auch von ihrem Freund geträumt. Möglicherweise war ihr Traum irgendwie in seinen eigenen gedrungen, und er hatte einfach nur gewissermaßen gelauscht. Das war zwar auch eine vollkommen aus der Luft gegriffene Erklärung, aber wenigstens eine, die für Arne einen Sinn ergab. Wer wußte denn schon, was das Unterbewußtsein während der Nacht so anstellte.
Wesentlich freier als gestern ging er zur Arbeit und dachte nicht eine Sekunde an den Traum. Um halb sechs stand Nadine plötzlich vor ihm und fragte nach einer bestimmten CD.
"Die kommt morgen erst raus", antwortete Arne. Nadine nickte verlegen.
"Ich weiß. Hast du die denn schon?"
Arne lächelte. "Wenn ich sie morgen verkaufen will, muß ich sie ja schon haben."
"Krieg ich eine, Onkel Arne?" flehte Nadine. "Bitte!"
Selbst jetzt dachte Arne nicht an seinen Traum, sondern nur an seine Vorschriften.
"Ich würde es ja gerne, Nadine", sagte er bedauernd. "Aber es geht nicht. Wirklich nicht. Sie darf erst ab morgen verkauft werden."
"Bitte!" Nadine legte ihren besten Blick an. Arne blieb hart, doch Nadine setzte ihm zu, bis er schließlich seufzend nachgab.
"Komm mit."
Er führte sie ins Lager. Nadines Augen wurden riesengroß, als sie die ganzen Kartons voller CDs sah. Und noch immer dachte Arne nicht an den Traum, sondern nur an einen Weg, seine Vorschriften zu beugen anstatt zu brechen. Er nahm eine CD in die Hand und sah Nadine an, die vor Aufregung auf den Füßen wippte.
"Verkauft werden darf sie erst ab morgen", sagte er ernst. "Also wirst du morgen hier antanzen und sie bezahlen. Klar?"
"Geil!" jubelte Nadine. Sie riß ihm die CD aus der Hand und umarmte ihn stürmisch.
"Danke, Onkel Arne!" strahlte sie ihn glücklich an. "Damit komm ich heute abend ganz groß raus!"
"Das befürchte ich auch. Du hast sie irgendwo her, aber nicht von mir. Klar?"
"Glasklar!" grinste Nadine verschmitzt. "Die ist vom LKW gefallen."
"Genau so." Er sah Nadine ernst an. "Ich kann wirklich viel Ärger bekommen, Nadine."
"Ich verrate dich nicht." Sie sah ihn an und erstarrte im gleichen Moment. Genau wie Arne, der sich in dieser Sekunde ebenfalls an den Traum erinnerte.
"Ich habe es auch geträumt, Nadine", ergriff Arne zuerst das Wort. "Was hast du noch geträumt?"
Nadine wurde wieder feuerrot und trat einen Schritt zurück.
"Verrückte Dinge", flüsterte sie. "Ich komm morgen und bezahl. Danke nochmal."
"Schon gut." Arne lächelte sie an. "Vergiß das mit dem Bezahlen, Nadine. Ist ein Geschenk. Damit wischen wir dem Traum eins aus."
Anstatt sich zu freuen, wurde Nadine blaß und schüttelte den Kopf. "Genau das hab ich aber geträumt", flüsterte sie. "Daß ich die geschenkt kriege! Was passiert hier, Onkel Arne?"
"Verrückte Dinge!" seufzte Arne. "Denk nicht drüber nach, Nadine. Und sei bitte etwas fröhlicher, wenn wir jetzt rausgehen, sonst kommen meine Leute noch auf komische Ideen."
"Wahrscheinlich." Nadine schaute auf das Cover ihrer neuen CD und lächelte. "Nein. Ganz bestimmt sogar."
"Genau. Dann komm."
Er führte sie hinaus.



In den nächsten Nächten träumte er nicht mehr. Erst in der Nacht auf Freitag wieder. Dann jedoch so intensiv, daß er nach dem Aufwachen massive Probleme hatte, zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden. Eine kräftige Ladung kaltes Wasser ins Gesicht holte ihn in diese Welt zurück.
An diesem Morgen fuhr er nicht ins Geschäft, sondern nach Hamburg, wo sein Großhändler saß. Arne hatte gestern abend, kurz vor Geschäftsschluß, ein Fax mit Sonderangeboten bekommen mit dem Hinweis: "Solange Vorrat reicht". Arne mußte zwar gut eine Stunde Fahrt in Kauf nehmen, aber dafür konnte er sich an Ort und Stelle entscheiden, was ihm leichter fiel als nach Liste auszuwählen.
Er war noch nicht ganz aus der Stadt heraus, als er Nadine am Straßenrand sitzen sah, neben ihrem Fahrrad. Sofort fiel ihm sein Traum wieder ein. Sie trug genau das leichte Sommerkleid, von dem er geträumt hatte.
"Bitte nicht!" flehte er leise. "Bitte nicht das! Laß es nicht dazu kommen!"
Er hielt den Wagen hinter ihr an. Nadine hatte ihn schon entdeckt und war aufgestanden.
"Morgen, Nadine. Was ist passiert?"
"Alles!" Das Mädchen humpelte etwas auf ihn zu. "Carina und ich wollten eine Radtour machen, aber wir haben uns schon nach zehn Minuten gründlich gestritten. Ich hab mich so über sie geärgert, daß ich aus Versehen in den Graben hier gefahren bin. Das Rad ist völlig verbogen."
"Ist dir was passiert?"
"Nein, nur ein paar Kratzer. Nichts wildes."
"Schauen wir mal."
Arne hob ihr Rad hoch und sah sofort das stark verbogene Vorderrad. Das war der Nachteil von Leichtmetallrädern. Er lehnte es behutsam an seinem Range Rover an und wandte sich zu Nadine.
"Wo sind die Kratzer?" Sein Herz hämmerte hart in der Hoffnung, sein Traum würde sich als unrichtig herausstellen.
"Am Bein", flüsterte Nadine. Arne nickte müde und öffnete die Kofferraumklappe.
"Setz dich."
Nadine setzte sich mit leicht verzerrtem Gesicht hin. Arne holte den Verbandskasten unter dem Beifahrersitz hervor und ging zu ihr.
"Wo ist deine Freundin jetzt?"
"Carina? Hat mich ausgelacht und ist umgedreht."
"Nette Freundin." Arne packte Pflaster und sterile Reinigungstücher aus. "Wo genau hast du dich verletzt?"
Nadine wurde wieder feuerrot im Gesicht. Zögernd hob sie ihr Gesäß, zog den Rock hinten hoch und setzte sich auf ihr Höschen, dann schob sie den Rock an ihren Oberschenkeln sehr weit hoch.
"Kratzer, ja?" Arne sah sie mißbilligend an. "Kind, das ist mehr als ein Kratzer. Wann ist das passiert?"
"Vor zwanzig Minuten oder so." Nadine sah ihm nicht in die Augen.
"Beiß die Zähne zusammen, Nadine."
Er packte ein Reinigungstuch aus. Nadine zog den Rock noch etwas höher. Arne sah ihren Slip und die vertikale dunkle Stelle unter dem dünnen Stoff. Er zwang seinen Blick zurück auf die Fleischwunde an der Innenseite ihres rechten Oberschenkels, die schon leicht verkrustet war. Er legte Daumen und Mittelfinger der linken Hand neben die Wunde, um die Haut festzuhalten. Ihr Fleisch war sehr warm und unglaublich weich. Fast samtig. Arne zwang seine Finger zur Ruhe.
"Das wird jetzt etwas wehtun, Nadine. Sei tapfer." Ohne auf eine Antwort zu warten, rieb er mit dem Tuch über die Wunde. Nadine schrie auf, als der scharfe Alkohol in dem Tuch in die Wunde floß. Arne hielt ihr Bein mit dem Arm fest und beseitigte zuerst die leichte Kruste. Mit einem zweiten Tuch säuberte er die etwa drei Zentimeter lange Wunde. Aus Nadines Augen liefen Tränen vor Schmerzen.
"Das muß genäht werden, Nadine." Er hob seinen Kopf und sah sie an. "Sonst behältst du eine Narbe über. Sind deine Eltern zu Hause?"
"Nein", erwiderte Nadine erstickt. "Deswegen wollten wir ja eine Radtour machen. Alleine rumzuhängen hatte ich auch keine Lust."
"Schon klar." Arne legte das Tuch zur Seite und schnitt einen großen Streifen Pflaster ab, den er sorgfältig auf die Wunde klebte, dann zog er ihren Rock wieder über die Beine.
"Steig ein, Nadine. Ich fahr dich ins Krankenhaus."
Bekümmert kam Nadine auf ihre Füße und ging vorsichtig zur Beifahrertür. Arne legte derweil ihr Rad in den Kofferraum, dann stieg auch er ein.
Keine fünfzehn Minuten später waren sie im Krankenhaus. Nadine mußte nur ein paar Minuten warten, dann war sie in einem Untersuchungsraum. Die Ärztin bestätigte Arnes Verdacht nach einem kurzen Blick.
"Muß genäht werden." Sie begann, sich ihre Instrumente zurechtzulegen. Arne, der auf Nadines Wunsch mitgekommen war, hielt ihre Hand und lächelte ihr zu.
"Bald bist du wieder hübsch. Worüber habt ihr zwei euch denn so gestritten?"
"Das übliche", meinte Nadine schulterzuckend. "Sie hat meine Freunde schlechtgemacht, und ich dann ihre. Keine Ahnung, was plötzlich mit ihr los ist. Sonst kamen wir immer ganz gut aus. Vielleicht ist sie auch einfach nur doof. Au!" Von Nadine unbemerkt, hatte die Ärztin ihr eine Betäubungsspritze ins Bein gegeben.
"Rede ruhig weiter", lächelte sie. "Um so weniger bekommst du mit."
Nadine bedachte sie mit einem giftigen Blick, den so nur junge Mädchen hinbekommen, dann sah sie wieder zu Arne.
"Wo wolltest du eigentlich hin, Onkel Arne?"
"Nach Hamburg, zu meinem Großhändler. Der macht heute Ausverkauf von vielen älteren CDs. Da wollte ich einige für mein Geschäft einkaufen."
"Und das kannst du jetzt nicht", meinte Nadine traurig.
"Schon gut, Nadine." Arne drückte ihre Hand und lächelte sie an. "Wie ich schon sagte: Familie ist da, wenn du Hilfe brauchst. Wie ist die CD denn überhaupt angekommen?"
"Super!" Nadines Augen leuchteten. "Die waren alle total neidisch, daß ich sie als erste hatte. Die Miriam hat sich die gleich aufgenommen!"
"Das macht schon zwei", seufzte Arne. Nadine sah ihn fragend an.
"Zwei was?"
"Zwei CDs, die ich nicht verkaufen kann."
Nadine erschrak. "Stimmt! Da hab ich überhaupt nicht dran gedacht! Das tut mir leid, Onkel Arne!"
"Schon verziehen." Arne zwinkerte ihr zu. "Hab ich ja früher nicht anders gemacht. Sprecht ihr euch auch ab, wer welche kauft?"
"Genau." Nadine sah verlegen auf ihr Bein, das ausgestreckt auf einem kleinen Hocker lag. Sie tippte vorsichtig auf die Haut neben der Wunde, spürte ihren Finger jedoch kaum mehr.
"Noch ein paar Minuten", lächelte die Ärztin. "Ich bin gleich zurück." Sie eilte durch eine Verbindungstür in den links angrenzenden Raum.
"Vielleicht war sie auch nur sauer wegen der CD", überlegte Nadine. "Sie will nämlich immer die Nummer Eins sein."
"Diese Carina?"
"Ja. Die war Dienstag abend schon so mies drauf, als ich damit ankam. Erst noch richtig fröhlich Hallo und so weiter, ich pack die CD aus, und ihr fällt das Gesicht aus dem Kopf. Doch, das wird es sein." Sie zuckte mit den Schultern. "Egal. Du? Hast du schon die neue von -"
"Gut jetzt!" grinste Arne. "Willst du dir noch mehr Feinde machen?"
"Nein!" lachte Nadine. "Ich dachte halt nur."
"Denk lieber was anderes." Arne sah zu ihrer Wunde. "Hoffentlich kriegt sie das wieder sauber hin."
"Wenn nicht, ist auch nicht schlimm", meinte Nadine leise. Und sehr traurig, wie Arne verspätet auffiel. Er schaute Nadine fragend an.
"Was ist denn jetzt auf einmal los?"
Nadine seufzte. "Nichts."
"Hm. Das muß aber ein großes Nichts sein."
"Ja."
"Wegen Stefan?" fragte Arne sanft. Nadine nickte traurig.
"Ja. Er hat gestern Schluß gemacht."
"Wegen der 16jährigen mit den langen schwarzen Haaren?"
"Nein. Wegen der 17jährigen mit den langen braunen Haaren. Die 16jährige mit den langen schwarzen Haaren ist seit vorgestern weg vom Fenster."
"Das klingt nach einem sehr lebenslustigen jungen Mann", meinte Arne ironisch.
Nadine sah ihn wütend an. "Das klingt nach einem Arsch! Drei Freundinnen gleichzeitig, und er geht dann zu der, mit der er -" Sie brach verlegen ab und sah zu Boden.
"Wie lange kanntet ihr euch?"
"Schon lange, aber richtig miteinander gegangen sind wir seit zwei Wochen." Sie zuckte mit den Schultern. "So schnell bin ich nicht", flüsterte sie.
"Das ist auch ganz gut so", meinte Arne, dem die Richtung, in die dieses Gespräch ging, nicht besonders zusagte. "Wenn davon eine Beziehung oder Freundschaft abhängig gemacht wird, ist es keine besonders stabile oder gute Beziehung."
Nadine sah ihn ratlos an, zum ersten Mal, seit sie über diesen Punkt sprachen. "Glaubst du?"
"Nein, das weiß ich", lächelte Arne. "Nadine, mit 15, 16 war ich auch so wie dein Stefan. Immer auf der Suche nach dem willigsten Mädchen. Das legt sich aber nach einiger Zeit. Glaub mir."
"Und wann?"
"Sobald der Junge merkt, daß an einem Mädchen mehr dran ist als nur ein hübsches Aussehen. Manche merken es früher, manche später."
"Wann hast du das gemerkt?" fragte Nadine neugierig.
"Letzte Woche", grinste Arne. "War ein Witz. Wann habe ich das gemerkt... Kann ich gar nicht mehr so genau sagen, Nadine. Auf jeden Fall war ich da aber schon 20 oder so."
"Hm." Nadine verzog ihr Gesicht. "Das ist ja noch eine Ewigkeit!"
"Fast. Aber das Warten lohnt sich, Nadine. Laß dich nur nicht einwickeln und zu etwas drängen, was du nicht willst."
"Und so zur alten Jungfer werden", maulte Nadine leise.
"Alt werden wir alle mal, und was das andere angeht... Das wird sich auch irgendwann von alleine erledigen."
"Nicht ganz", kicherte Nadine mit roten Ohren. "Alleine geht das nicht so gut."
In diesem Moment kam die Ärztin zurück. Sie tippte kurz auf das Bein. Nadine schüttelte den Kopf.
"Ich spür nichts."
"Gut. Schau besser nicht hin."
"Okay." Nadine drehte den Kopf zur Seite. Arne sah interessiert zu, wie die Wunde mit zwei Stichen vernäht wurde, dann bekam Nadine einen Verband um den Schenkel und konnte gehen.
"In einer Woche beim Hausarzt melden!" schärfte die Ärztin ihr noch ein. "Und heute möglichst wenig gehen. Am besten nur liegen oder sitzen."
"Mach ich. Vielen Dank!"
Arne stützte sie auf dem Weg zum Auto. Nadine atmete erleichtert auf, als sie auf den Sitz sank. Arne wollte sie gerade fragen, ob er sie nach Hause fahren soll, als Nadine ihm zuvorkam.
"Kann ich mit nach Hamburg fahren?" fragte sie leise. "Bei uns ist ja keiner."
Trotz seines warnenden Gefühls nickte Arne. "Ist gut. Nur eine Frage noch, Nadine: hast du wieder geträumt?"
Das Mädchen nickte und wurde rot.
"Trotzdem möchtest du mitfahren?"
"Ja", wisperte sie. "Onkel Arne, ich hab auch von dem Unfall geträumt. Das ist alles genau so passiert, wie ich geträumt habe. Ich kann das wohl nicht vermeiden."
"O doch!" erwiderte Arne eindringlich. "Wir können das vermeiden, indem ich dich einfach nach Hause bringe. Damit wäre der Traum erledigt."
"Ich weiß." Sie schaute nachdenklich nach vorne auf den Parkplatz. "Hast du es auch geträumt?"
"Ja. Es begann damit, daß ich dich finde, und es endete - Aber das weißt du ja selbst."
"Ja." Ihre Stimme war kaum zu hören. "Meine Träume gehen weiter, Arne." Er registrierte verdutzt, daß sie die Anrede 'Onkel' wegließ. "Viel weiter. Ich habe immer drei oder vier Träume pro Nacht. Als wir uns in der Eisdiele getroffen haben, hab ich die Nacht davon geträumt. Und von der CD. Und von heute. Und -" Sie brach ab. "Laß uns fahren."
"Ich bin mir nicht sicher, daß wir das Richtige tun, Nadine", hielt Arne entgegen. "Erstens sind wir verwandt, und zweitens... Warum sollen wir uns von Träumen leiten lassen, wenn wir unser Leben selbst bestimmen können?"
Nadine drehte ihren Kopf zu ihm. "Weil es schöne Träume sind?" fragte sie leise. "Weil das, wovon wir geträumt haben, einfach schön ist? Viel schöner als alles, was ich erlebt habe, Arne? Ich weiß, daß es schön werden wird. Ich spür das. Ganz deutlich."
"Das mag alles sein, Nadine. Ich finde es trotzdem nicht richtig. Ich bringe dich nach Hause." Er drehte den Zündschlüssel. Der Anlasser rührte sich nicht. Arne wiederholte den Versuch stirnrunzelnd, doch der Wagen sprang nicht an.
"Siehst du?" lächelte Nadine traurig. "Das ist unser Schicksal."
"Das ist nur ein loser Draht." Arne stieg aus und untersuchte die Batterie, die Zündkabel, den Vergaser, doch alles war in Ordnung. Ratlos stieg er in den Wagen ein. Die Batterie war in Ordnung; alle Lämpchen gingen an, sobald der Schlüssel herumgedreht wurde. Die Kiste sprang eben nur nicht an, weil der Anlasser nicht mitspielte.
"Laß uns nach Hamburg fahren, Arne." Nadine legte ihre Hand auf seinen Arm. "Bitte."
"Aber nicht mit diesem Wagen." Arne ließ sich in den Sitz fallen. "Ich weiß nicht, was da los ist, aber der fährt nicht mehr."
"Laß uns nach Hamburg fahren", wiederholte Nadine. "Dann springt er auch an."
"Nadine!" Arne sah sie mitleidig an. "Du willst mir doch nicht weismachen, daß der Wagen nicht zu dir nach Hause fahren will?"
"Hamburg." Nadine sah ihn bittend an. "Fahren wir."
"Gut!" seufzte Arne laut. "Fahren wir nach Hamburg. Aber nicht mit diesem Wagen. Ich rufe eben -"
"Laß ihn an. Bitte."
Arne schüttelte resignierend den Kopf und drehte den Schlüssel. Der Wagen sprang sofort an.
"Wahrscheinlich abgesoffen", murmelte Arne. "Fahren wir."
Er fuhr vom Parkplatz und schlug die Richtung zu Nadines Wohnung ein. Sofort spuckte der Motor und erstarb. Nadine schüttelte lächelnd den Kopf.
"Hamburg."
Arne sah ihr kurz in die Augen. 'Hamburg', wiederholte er für sich. 'Wir fahren nach Hamburg. Ganz ehrlich.' Er drehte den Schlüssel, der Motor erwachte sofort zum Leben. Arne wendete schnell und fuhr stadtauswärts.
"Das kommt mir wie ein schlechter Film vor", beschwerte er sich bei Nadine. "Wie ein ganz mieser Horrorfilm."
"Ich habe so Träume schon länger", erwiderte Nadine scheinbar zusammenhangslos. "Seit einem Jahr etwa, Arne. Aber alle Träume waren immer ganz weit in der Zukunft. Deswegen habe ich mich nie drum gekümmert. Erst diese Woche fing das an, daß sie sofort wahr wurden." Sie sah ihn an.
"Das ist kein Horrorfilm, Arne. Das ist ein richtig schöner Film. Und jetzt versteh ich endlich auch die ganzen anderen Träume. Wo fahren wir hin, wenn du die CDs gekauft hast? Dahin? Bitte!"
"Es ist nicht richtig, Nadine!" Arne sah ihr kurz, aber ernst in die Augen, dann blickte er wieder auf die Straße. "Es ist nicht richtig!"
"Aber es wird schön werden." Sie rutschte etwas näher an ihn heran. "Hast du das auch gefühlt im Traum? Daß es richtig schön werden wird?"
"Zugegeben, aber -"
"Pst!" Nadine lächelte ihn an. "Hast du nur von heute geträumt, oder auch schon von später?"
"Nur von heute. Wieso? Was kommt später?"
"Etwas Schönes." Nadine lächelte still. "Arne, meine Träume gingen rückwärts. Mein allererster Traum war, daß - daß mein Mann und ich steinalt nebeneinander im Bett lagen und wußten, daß wir in dieser Nacht beide gemeinsam sterben werden. Wir haben uns an den Händen gefaßt und sind gemeinsam eingeschlafen. Und gemeinsam gestorben. Uralt waren wir. Und jede Nacht ging das weiter zurück. Jede Nacht etwas mehr. Dann kam irgendwann eine ganz große Lücke, und die Träume von dieser Woche fingen an. Jetzt weiß ich, daß auch die anderen Träume alle wahr werden. Ganz bestimmt." Sie sagte das ganz ruhig, voller innerer Überzeugung.
"Deswegen ist es auch egal, ob du das richtig findest oder nicht, Arne", sagte sie sanft. "Es wird einfach so sein. Es wird so passieren. Und es wird richtig schön werden. Alles. Du mußt dir überhaupt keine Sorgen machen, Arne. Alles kommt in Ordnung."
"Na!" stieß Arne hervor. "Deine Überzeugung möchte ich haben! Nadine, wenn deine Eltern -"
"Sie werden es nie erfahren." Nadine legte ihre Hand auf seinen Arm. "Niemals, Arne. Bestimmt nicht. Alles kommt in Ordnung."
"Und du bist einfach so damit einverstanden? Ohne Widerrede? Ohne Zweifel?"
"Ja. Eben weil es schön werden wird. Nicht nur das heute, sondern überhaupt alles. Spätestens wenn -" Sie brach ab und lächelte. "Vertrau mir einfach. Es wird alles in Ordnung gehen."
"Es ist nicht richtig, Nadine."
"Es wird richtig sein. Schon sehr bald. Noch heute, Arne. Gleich. Gleich wird alles richtig sein."
"Was hast du geträumt, Nadine?"
"Verrückte Dinge." Sie lächelte ihn herzlich an. "Schöne, verrückte Dinge. Fahr nach Hamburg, Arne. Kauf ein, dann fahren wir zurück. Und dann wird alles richtig sein."
Seufzend schüttelte Arne den Kopf und fuhr auf die Autobahn Richtung Hamburg.

* * *

Trotz Arnes Befürchtungen kam er noch rechtzeitig zu seinem Großhändler. Es war zwar schon viel Betrieb, aber von den Schnäppchen waren noch jede Menge vorhanden. Arne griff sich einen kleinen Transportwagen und sah Nadine an, die mit hereingekommen war.
"Zieh ab", schmunzelte sie. "Ich schau mich was um."
"Mach das. Wenn du etwas siehst, was du haben möchtest, nimm es dir."
"Hab ich zwar schon, aber trotzdem Danke." Ihre Augen schimmerten fröhlich. Arne lächelte kopfschüttelnd und ging los.
Während er den kleinen Wagen mit Kartons füllte, ging Nadine vorsichtig, um ihre Wunde nicht zu strapazieren, durch die ganzen Reihen. Die unglaubliche Vielfalt verwirrte sie ziemlich, so daß sie sich am Ende auf die Sonderangebote konzentrierte, deretwegen Arne hierher gekommen war. Nach kurzem Suchen fand sie auch drei CDs, die ihr gefielen. Sie hob sie hoch und sah mit fragendem Gesicht zu Arne, der lächelnd nickte. Sie ging mit den CDs zu ihm und staunte. Auf seinem Wagen standen unglaublich viele Kartons. In jedem waren mindestens 20, 25 CDs.
"Die nimmst du alle mit?"
"Sicher. Bei einem Preis von einer Mark das Stück..."
"Eine Mark!" Nadine riß die Augen auf. "Und für wieviel verkaufst du die?"
"Als Sonderangebot für 14,99. Oder 19,99 bei den aktuelleren."
"Boah! Jetzt kapiere ich, wieso du so ein tolles Haus hast! Wie viele hast du schon?"
"Häuser?"
"Nein!" lachte Nadine. "CDs!"
Arne überflog kurz den Stapel auf seinem Wagen. "Etwa 700. Bin aber noch lange nicht fertig."
Als er fertig war, waren es fast 1.200 CDs. Arne bezahlte bar, dann fuhr er den Wagen zu seinem Auto und lud die Kartons ein, sorgfältig um Nadines Rad herum verteilt und gestapelt. Schließlich saßen sie wieder im Auto und fuhren zurück. Beide schwiegen auf der gesamten Fahrt.
Arne brachte erst die CDs in den Laden, dann fuhr er mit Nadine zu einem Fahrradhändler, der ihr auch direkt ein neues Vorderrad einbaute. Arne verstaute das reparierte Fahrrad im Kofferraum, dann sah er Nadine an.
"Wohin?"
"Dahin. Oder der Wagen bockt wieder."
"Da wäre ich gar nicht mal böse drum." Er drehte sich im Sitz zu ihr herum. "Nadine, das ist so falsch, wie etwas nur falsch sein kann. Das ist Punkt Eins. Punkt Zwei: ich verstehe dich nicht! Du bist gerade mal 15 Jahre jung, machst aber den Eindruck, als wärst du doppelt so alt. Und Punkt Drei: wieso machst du das so kommentarlos mit? Erstens bin ich dein Onkel, und zweitens mehr als doppelt so alt wie du! Was geht in deinem Kopf vor, Mädchen? Bis vor ein paar Tagen sind wir uns nur alle paar Monate mal begegnet, und jetzt sollen wir... Ich verstehe es nicht!"
"Weil du die Träume noch nicht hast", erwiderte Nadine leise. "Arne, wenn du alles das geträumt hättest, was ich geträumt habe, dann wüßtest du es."
"Dann sag es mir bitte, Nadine!" flehte Arne. "Sag es mir, und vielleicht verstehe ich dann etwas mehr!"
Nadine nickte leise und schwieg. Sie schaute nachdenklich aus dem Fenster. Arne sah sie ungeduldig an, unterbrach ihre Gedanken jedoch nicht, auch wenn es ihm schwerfiel. Schließlich sah Nadine wieder zu ihm.
"Irgendwann", sagte sie leise, als müßte sie sich an etwas weit Entferntes erinnern, "werden meine Eltern mit einem kleinen Flugzeug fliegen. Ohne mich. Wann das ist, weiß ich nicht. Jedenfalls bin ich da noch nicht volljährig. Sie stürzen ab. Die Polizei wird als erstes zu Tante Heide kommen, und sie wird alle anderen anrufen. Ich werde erst ganz am Ende informiert, obwohl ich es jetzt schon weiß. Dann geht das Tauziehen los. Erst will mich jeder bei sich aufnehmen, aber nach der Beerdigung kommt das große Zögern. Nur du bist für mich da. Nicht nur weil du mein Patenonkel bist, sondern weil du und Papa sich am besten von allen verstehen. Du setzt dich durch und holst mich zu dir." Sie sah Arne mit tiefem Ernst an. Arnes Blick hingegen drückte komplette Verwirrung aus.
"Das war ein Traum. Danach kam noch einer. Wieder sind meine Eltern abgestürzt, aber da waren wir beide schon zusammen. Du hast mir unglaublich gut geholfen, mit allem fertig zu werden, und mich auch direkt zu dir geholt. Ohne Streit mit den anderen. Das war mein letzter Traum, Arne. Danach kam eben diese Lücke, und es ging weiter mit dem, wo wir uns in der Eisdiele getroffen haben. Da wußte ich, daß es jetzt nicht mehr lange dauert." Ihre Augen füllten sich mit Tränen. "Gar nicht mehr lange. Denn jetzt gehen die Träume vorwärts statt rückwärts. Wenn wir beide zusammen sind, wird alles gut werden. Für uns beide. Niemand wird etwas merken. Wenn wir nicht zusammen sind, bricht Streit unter euch aus, wegen mir. Erst sagt jeder, ich könnte bei ihm wohnen, dann werde ich zu den anderen abgeschoben. Bis du dich einmischst. Dann wird's wieder ruhig." Sie lächelte freudlos.
"Arne, ich hab wirklich versucht, nicht das zu tun, was ich in meinen Träumen gesehen habe, aber es ging nicht. Ich wußte, daß Stefan mich sitzenläßt, und warum. Das wußte ich schon, bevor er es mir gesagt hat. Ich wußte, wie viele Punkte ich in der letzten Mathearbeit hatte, noch bevor wir sie zurückbekommen haben. Alles Träume, die wahr wurden. Ich hatte bisher keinen einzigen Traum, der nicht wahr geworden ist. Von denen, die jetzt gekommen sind, meine ich. Die anderen..." Sie zuckte mit den Schultern. "Daß die wahr werden, weiß ich auch. Fahren wir."
Arne, der bisher wortlos zugehört hatte, schüttelte ungläubig den Kopf. "Nadine, ich kann das nicht glauben. Es tut mir leid, aber es geht einfach nicht. Ich will gerne zugeben, daß bisher manche Träume die Wirklichkeit vorweggenommen haben, aber das heißt doch noch lange nicht, daß es bei allen Träumen so sein muß."
"Ist aber so", erwiderte Nadine schlicht. "Ich weiß, daß das so ist. Fahren wir."
"Gut." Arne wollte den Motor anlassen, aber der reagierte nicht. Frustriert schlug Arne auf das Lenkrad. Nadine schaute ihn fragend an.
"Wo wolltest du hinfahren?"
"Dich nach Hause bringen."
"Das geht nicht, Arne", sagte sie geduldig. "Fahr dahin, wovon wir beide geträumt haben. Bitte."
Arne gab endgültig auf. "Was ist mit deinem Bein?"
"Das geht schon. Fahr."



Knapp eine Viertelstunde später hielten sie auf einem entlegenen Parkplatz an, der am Rande eines Segelflugplatzes lag. In der Woche war hier kaum Betrieb, so daß Arne sich nicht wunderte, daß kein Auto hier stand. Er und Nadine gingen langsam einen kleinen Fußweg am Rande des Platzes entlang, bis sie an ein kleines Wäldchen kamen. Nadine bog wortlos ab. Auch Arne kannte den Weg aus seinem Traum.
Sie folgten einem Trampelpfad und verließen ihn nach etwa fünfhundert Metern. Sie schlugen sich durch das Unterholz, bis sie auf einer Lichtung standen, die an allen Seiten von Farnen, Büschen und Bäumen umgeben war.
"Wie in unserem Traum", flüsterte Nadine. Arne nickte nur; sein Aufnahmevermögen war so ziemlich am Ende angelangt.
Nadine griff nach seiner Hand und stellte sich vor ihn. Sie hob den Kopf, schloß die Augen und öffnete den Mund ein Stück. Arnes letzter Gedanke war: 'Es ist trotzdem nicht richtig', dann vergaß er alles außer Nadine in seinen Armen.

* * *

Fast zwei Stunden später saßen sie wieder im Auto. Nadine strahlte ein sanftes, zufriedenes Glück aus, und auch Arne fühlte sich weitaus besser als gedacht. Es war tatsächlich wunderschön gewesen, viel schöner als jemals zuvor. Selbst der Gedanke, daß es nicht richtig war, meldete sich nicht mehr. Es war alles richtig. Wie Nadine gesagt hatte. Alles war in bester Ordnung.
Still fuhren sie zurück, mit einer völlig neuen, jedoch sehr starken Nähe zwischen ihnen. Etwa 50 Meter, bevor Arne in die Straße einbog, die zu dem Haus von Nadines Eltern führte, brach das Mädchen plötzlich in heftige Weinkrämpfe aus. Arne bekam sofort ein schlechtes Gewissen, doch dann erkannte er den wahren Grund für ihre Tränen. Er hielt ihre Hand mit einem stummen Versprechen fest, während er sich dem Haus näherte.
Niemals in all den kommenden Jahren an Nadines Seite zweifelte er wieder an ihrem Ahnungsvermögen, als er vor Nadines Haus einen Streifenwagen der Polizei halten sah, aus dem zwei uniformierte Beamte ausstiegen.




E N D E

 

 

 

 

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