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Das Zeitungsmädchen
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von Rolf Isar und Paul Pixie
Inhalt: Die Geschichte behandelt ein Tabuthema: Eine erotische Beziehung zwischen einem minderjährigen, gerade erst pubertierenden Mädchen und einem älteren Mann. Es handelt sich um reine Fiktion. Der Text ist nicht pornographisch, aber durchaus explizit. Bei Weitergabe beachte man die rechtlichen Rahmenbedingungen des jeweiligen Staates.
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Herausgegeben von den Autoren. Wien, Österreich, Dezember 2013
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– Die Geschichte ist auch als E-Book im Format EPUB erhältlich. –
Creative Commons: (CC: BY-NC-ND) Rolf Isar und Paul Pixie. Der Text darf frei verwendet werden, jedoch nicht kommerziell, nur vollständig und unverändert und nur einschließlich der (CC)- und Autorenangaben.
3 – Frühlingsgefühle
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Was bisher geschah: Von einem Kinofilm beeindruckt, sieht die zwölfjährige Zeitungsausträgerin Thea in Falko, einem ihrer Klienten, das Ebenbild des Filmhelden, welcher in eine Beziehung mit einer Siebzehnjährigen geraten war. Thea ist einsam und ersehnt sich einen Freund und Beschützer. Innerlich schwärmt sie für Falko, ungeachtet dessen Alters von fast sechzig Jahren. Sie beginnt ihm kleine Briefe zu schreiben, und der ebenfalls einsame Mann lässt sich darauf ein.
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A
m nächsten Morgen in aller Frühe fiel es Thea richtiggehend schwer, ihre Tour wie gewohnt zu absolvieren und nicht etwa zu allererst Falkos Haus anzusteuern. Tausendmal konnte sie sich aus reinem Zweckpessimismus einreden, es würde nicht gleich heute eine Antwort für sie bereitliegen – es hatte wenig Sinn; ihre Hoffnung war zu stark und zu froh. Unglaublich, wie beflügelt sie sich durch den neu gewonnenen Kontakt fühlte! Alle kleinen Widrigkeiten, die ihr den Tag über begegneten, hatten an Bedeutung verloren. Die Welt erschien leicht und in hellen Farben. Ja, es machte sie glücklich, dass da tatsächlich etwas für sie bereitlag, diesmal kein Kärtchen, sondern ein richtiger Brief.
Wieder bis nach dem Schulschluss warten? Nein, wenn ihr auch nur zwei, drei Minuten nach dem Verteilen der Zeitungen blieben, würde sie den Brief gleich noch vor dem Unterricht lesen. Irgendwie sehnsüchtig schaute sie noch einmal zu dem Haus, in dem ihr älterer Brieffreund lebte, da fiel ihr auf, dass dort Blumen standen. Sollte etwa… sollte es ihr gelten?
Thea schalt sich selbst ob so viel Anmaßung. Sicherlich hatte er die Blumen herausgestellt, damit sie über Nacht kühl stehen sollten, und heute am Tage würde er jemanden besuchen und sie mitnehmen. Vielleicht ein Krankenhausbesuch. Oder – eine Frau?
Aber das brachte das Mädchen auf eine Idee. Vielleicht freute es ihn, würde sie ihm irgendetwas Persönliches von ihr hinterlassen. Indes, etwas Passendes fiel ihr nicht gleich ein; so verschob sie diese Idee auf später. Für den Rest ihrer Runde beeilte sie sich, damit ihr noch etwas Zeit zum Lesen blieb…
Der Inhalt des Briefes war kürzer, als sie es sich erhofft hatte. Sie wollte doch so gern Näheres erfahren über das Leben dieses Mannes, und speziell, warum er keine Frau hatte. Er aber ließ ihr den Vortritt. Wie schwer musste ihm das Erzählen fallen! Da würde sie, Thea, sich wohl große Mühe geben müssen, bis er zu ihr genügend Vertrauen fasste.
Umso wärmer wurde ihr aber durch die herzliche Wortwahl Falkos. Und er hatte ihr das Du angeboten. Das fühlte sich schön an. Thea hätte ihn wahrlich nicht beim Nachnamen nennen wollen, das hätte so viel Distanz ausgedrückt… dabei wollte sie ihn doch kennenlernen, ihm nahe kommen, am besten seine kleine Freundin werden. Außer, dass es ihm offenkundig schwer fiel, sich zu öffnen, sprach aus seinen Worten kein bisschen Ablehnung, kein Vorbehalt. Alles in allem war das doch toll!
Aber – ein Foto. Sie selbst hatte davon angefangen, und nun hatte sie das Problem. Erstens wusste sie noch immer nicht, wie er sie denn am liebsten sehen wollte, und zweitens würde es, nachdem sie eines ausgewählt hätte, mindestens drei Tage dauern, bis sie den Abzug in den Händen hielte. Aber Dunja würde ihr zur Seite stehen. Nach der Schule waren die beiden ohnehin miteinander verabredet.
Schneckenlangsam vergingen die Stunden des Vormittags. Endlich war es so weit; Thea eilte nach Hause, rannte buchstäblich, las dort noch einmal Falkos Zeilen, zog sich etwas Bequemeres an und flitzte zu Dunja hinüber, die an diesem Tag glücklicherweise auch schon zu Hause war.
Nun endlich musste sie ihrer Freundin von der neuesten Entwicklung in Sachen Falko erzählen. Dunja hätte es, im Unterschied zu Theas Mutter, ohnehin bemerkt, dass sich die Kleinere im emotionalen Ausnahmezustand befand. Nein, Thea zeigte ihr nicht die beiden Brieflein. Das hätte sie als eine Art Vertrauensbruch angesehen. Aber mit eigenen Worten wiederzugeben, was darin stand und was sie selbst dem Mann geschrieben hatte, das hielt sie nicht für unangemessen. Schließlich sollte Dunja ihr doch auch helfen, ein Foto auszusuchen und es in der Drogerie abzuliefern, besser gesagt, zu überspielen. Fast alle Fotos der letzten Zeit, die von Thea existierten, hatte nämlich die Freundin mit ihrer Digitalkamera gemacht.
Aber das Problem, das Thea plagte, nämlich, welcherart Ablichtung wohl Falko am besten gefallen würde – für Dunja schien das gar kein Rätsel zu sein. Im Gegenteil. Sie überlegte keine Sekunde lang, dann prustete sie heraus: „Na, ist doch klar: Er will ein Nacktfoto!“
An alles hatte Thea gedacht, nur daran nicht. Und sie konnte es auch gar nicht glauben. Aber Dunja schien wie versessen auf ihre vermeintliche Erkenntnis. Sie tanzte lachend um ihre jüngere Freundin herum: „Er will dich nackig sehn, er will dich nackig sehn!!!“ Vergeblich versuchte Thea sie zu beruhigen, sie davon abzubringen, sie zu überzeugen… Nein, für Dunja stand es felsenfest, was der Mann gern sehen würde.
Sie fragte Thea, ob sie sich denn so hässlich fühle, dass sie ausgerechnet
ihm gegenüber Bedenken habe? Jedem Mann würde eine Frau die größte Freude machen, wenn sie sich ihm völlig nackt und bloß zeigte. „Frage nicht nach Sonnenschein! – Ausnahmen gibt’s leider keiiine…“, trällerte sie die Zeilen eines bekannten Songs über die Eigenheiten von Männern nach.
Nein, hässlich glaubte Thea nicht zu sein. Aber auch nicht besonders hübsch. Da waren ein paar lästige Pickel, die sich immer mal wieder zeigten. Da war die Sorge, sie könnte bald ihre schöne schlanke, grazile Gestalt verlieren, indem sie zunähme, so, wie viele ihrer Mitschülerinnen in den oberen Klassen im Laufe der Pubertät kräftig zugelegt hatten. Und da waren ihre noch kaum zu ahnenden Brüstchen, die wiederum gern wachsen durften, offenbar jedoch nicht wollten. Ein Nacktfoto! Wäre das nicht billige, schäbige Anmache?
Ach Dunja. Sie hatte manchmal so absonderliche Ideen und Ansichten. Aber nicht nur, dass sich diese, mehr oder weniger überraschenderweise, später zumeist als gar nicht so weit hergeholt erwiesen – wichtig war, dass Thea alles, aber auch wirklich alles, was sie bewegte, Dunja erzählen konnte, ohne dass diese abwertend reagiert oder auch nur schlecht über sie gedacht hätte. Das vor allem anderen war es, was die beste Freundin auszeichnete: Das Gefühl der unbedingten Sicherheit.
Umgekehrt war Thea für die Fünfzehnjährige die Person, die alles Vertrauen aufs Beste rechtfertigte, und für sie war eine solche Freundin, auch wenn sie noch so jung war, ebenfalls äußerst wertvoll und wichtig. Das lag auch daran, dass sie doch etwas anders war als andere Mädchen. Dunja war immer schnell dabei, eine Idee umzusetzen, ohne große Scheu und Angst. Sie hatte auch schon reichlich Sex und war dabei, salopp gesagt, ziemlich locker drauf. Neulich erst hatte sie Thea beruhigen müssen, als diese von der Sorge umgetrieben war, wenn die Ältere demnächst einen festen Freund habe, könnte wohl die Freundschaft der beiden Mädchen leiden. Dabei hatte sie gesagt: „Ich will doch gar keinen Kerl haben. Jedenfalls nichts Ernstes. Vielleicht später mal. Aber jetzt will ich lieber die Freiheit, mit jedem Jungen zu schlafen und mit jedem Mann, mit dem ich will. Und außerdem bist Du mir doch viel zu wichtig, als dass ich unsere Freundschaft vernachlässigen würde!“
Ja, sie hatte schon mit so einigen Jungen geschlafen und auch mit Männern. Der älteste war schon weit in den Dreißigern. Thea kam nicht umhin, ihre Freundin dafür zu bewundern, wie souverän sie mit dem heiklen Thema umging. Und sie beneidete sie durchaus nicht wenig um ihre Erfahrenheit in diesen Dingen, die sie freilich für sich selbst erst in späterer, noch völlig unabsehbarer Zukunft wähnte.
Dafür, das blieb auch der Jüngeren nicht verborgen, war Dunja durchaus ein beliebtes Ziel von Klatsch, Tratsch und übler Nachrede geworden. Gerade zu jener Zeit, als sich die beiden kennenlernten, hatte das eine Rolle gespielt, und damals konnte Dunja bei weitem noch nicht so erstaunlich souverän damit umgehen wie inzwischen als Fünfzehnjährige. Letzten Endes jedoch hatte sich ihr Freiheitsdrang nur noch um so stärker durchgesetzt. Niemand sollte ihr hineinreden können, wie sie ihr Intimleben zu gestalten habe. Das war für sie ebenso unerschütterlich wie das Bekenntnis zu ihrer besten Freundin, Thea. Im Grunde bewies alles Zicken und Geifern doch nur die Unreife derjenigen, die über sie herzogen.
Für Dunja hatte ihr
Leben stets den Vorrang vor dem Leumund. Das war ihr festes Prinzip, und dieses suchte sie auch Thea nahezubringen, die mit derlei Missgunst, Neid und Hänseleien auch schon unliebsame Erfahrungen hatte machen müssen, bei ihrer ersten Liebelei, vor einem Vierteljahr.
Aber bei allem Vertrauen: Falko ein Nacktfoto zu schicken, kam beim besten Willen für Thea nicht infrage. Jedenfalls noch nicht. Dann meinte sie, dass sie doch Falko einfach fragen könne, ob er so etwas im Sinn habe. Aber Dunja hielt das für keine gute Idee: „Klar kannst du ihn fragen, und wenn er was taugt, freut er sich über deine Offenheit. Viel schöner wäre esdoch aber, wenn du dir das aufheben würdest, als Überraschung für irgendwann.“ Nach einer kurzen Pause des Überlegens setzte sie hinzu: „Pass auf: Lass uns heute einfach ein paar Fotos machen. Wenn du willst, können wir auch zu zweit da drauf sein, dann fällt es dir wahrscheinlich leichter. Und dann heben wir die so lange auf, bis du sie gebrauchen kannst.“
Ganz überzeugt war Thea nicht, aber sie nickte, woraufhin die Freundin ihren Fotoapparat holte sowie ein Stativ. Ihr Vater hatte im Keller einen Baustrahler herumstehen, der für solche Zwecke ebenfalls gut zu gebrauchen war, um das Blitzlicht der Kamera zu mildern, aber es war ein heller Tag, und das große, weite Fenster ließ jede Menge Licht ins Schlafzimmer von Dunjas Eltern ein, wo sich ein großer Spiegel befand. Die junge Hobbyfotographin stellte das Stativ etwas seitlich vor den Spiegel, so dass die beiden Mädchen seitlich von hinten aufgenommen werden würden und gleichzeitig im Spiegel zu sehen wären. Ob das mit dem Blitzlicht und dem Spiegel funktionierte, würde man dann schon sehen.
Kichernd zogen sich die beiden Mädchen aus und posierten dann ein paar Mal, während der Selbstauslöser jeweils die Belichtung freigab. Noch nackend schauten sie sich anschließend die Resultate ihrer Mühen an. Am besten gefiel Thea ein Foto, das im direkten Blick nur Thea von hinten sowie den Schopf der von der Jüngeren verdeckten Dunja zeigte. Im Spiegel jedoch waren beide im seitlichen Profil zu sehen, wie sie sich frontal gegenüberstanden und sich in die Augen schauten, gegenseitig die Hände an die Hüfte der Freundin gelegt, und die Brustwarzen sich berührten. Thea hatte sich dazu extra auf die Zehenspitzen gestellt. Zwar unterstrich dieses Foto gar noch die Unterschiedlichkeit der Brüste der beiden, aber immerhin zeigte es auch, dank der herausstreckenden Haltung beider, dass Thea überhaupt schon einen Ansatz davon hatte. Es strahlte eine natürliche und eigentlich gar nicht anstößige Erotik aus und wirkte zugleich etwas geheimnisvoll, da die Gesichter nicht von vorn zu sehen waren.
Im Grunde genommen konnte Thea sich nun sogar schon vorstellen, dieses Foto jemandem zeigen zu können, bei dem sie sicher war, dass er es schätzte und sorgfältig damit umginge. Fürs Erste hatte Dunja aber auch einen guten Vorschlag für ihre Freundin. Sie könne doch eines der Strandfotos vom vergangenen Sommer nehmen, auf denen sie mit Bikini zu sehen war. Diese Idee gefiel der Jüngeren. Gemeinsam suchten sie ein Bild heraus, das Thea zeigte, wie sie sich gerade nach einem ihr zugeworfenen Aufblasball reckte.
Dunja blieb freilich nicht verborgen, wie traurig ihre Freundin ob der Aussicht war, mindestens drei Tage warten zu müssen, bis sie dieses Foto auf Papier abholen könne. Nach kurzem Nachdenken fragte sie, ob dieser Falko denn schon so alt sei, dass er womöglich keinen Computer besitze. Thea schüttelte den Kopf, neugierig, worauf Dunja hinauswollte. Diese hatte in dem Moment die Lösung: „Ich hab doch noch die alte Speicherkarte, die nehme ich doch eh nicht mehr. Da kopieren wir das Foto rauf. Er kann sie dir ja dann zurückgeben. Vielleicht hat er auch ein Foto von sich, dann kann ich ihn auch mal sehen und muss nicht vor lauter Neugier vor seinem Haus lauern, bis sich der Herr mal zeigt.“ Beide kicherten.
Von der neu herausgefundenen – zudem kostenlosen – Möglichkeit umgehend Gebrauch machend, suchte Thea gleich noch mehr Fotos von jenem Tag heraus. Eines zeigte sie im Wasser, wie sie es kräftig in Richtung der Fotographin aufspritzte. Auf einem weiteren sah man sie genüsslich an einer Eiskugel schlecken, die auf einer Waffeltüte steckte, und ein letztes fügte sie noch hinzu, welches sie beim Sonnenbad zeigte. Dabei hatte sie das Bikinioberteil, welches am Rücken und am Hals zusammenzubinden war, geöffnet, lag aber, den Kopf zur Seite gedreht, auf dem Bauch, so dass man nichts „Schlimmes“ sehen konnte.
Nun musste sie aber nach Hause. Thea hatte nämlich den ständigen Auftrag, ihr Brüderchen von der Kinderbetreuung abzuholen, bevor die Mutter nach Hause kam. Dieser Zeitpunkt rückte langsam, aber unerbittlich heran. Und die Hausaufgaben musste sie auch noch vorher erledigen, wenn sie keine Schelte bekommen wollte.
Spät am Abend, als sie eigentlich schon schlafen sollte, schrieb sie in ihrem Bett im Lichte der Nachttischlampe, das so schwach war, dass sie es öfters über Nacht eingeschaltet ließ, ihren Antwortbrief an den Endfünfziger. Die Anrede „Lieber Falko…“ traute sie sich nicht zu verwenden. Noch nicht.
„Guten Abend Falko. Schön, von Dir Post zu haben. Heute war es erst der zweite Brief, und ich hab mich schon so daran gewöhnt und warte schon auf den nächsten. Ist das unverschämt von Deiner kleinen Freundin?
Bei uns zu Hause geht es abends immer sehr hektisch zu. Jetzt liege ich schon im Bett und hab Zeit für Dich. Mama ist immer völlig geschafft, wenn sie von der Arbeit kommt, und Mirko, mein kleiner Bruder, ist noch so unselbständig, da muss ich helfen. Du musst wissen, wir haben keinen Vater. Also, natürlich haben wir einen, aber der ist weit weg und will nichts mehr von uns wissen. Dunja, meine beste Freundin, hat sofort gemerkt, dass ich ganz aufgeregt bin (was an Dir liegt), aber Mama hat nichts gemerkt. War ja klar. Dann muss sie auch nichts davon wissen. Will sie auch gar nicht, sie hat mit ihren eigenen Sorgen genug zu tun. Wenn ich Dir so von mir erzähle, möchte ich aber auch aus Deinem Leben etwas erfahren. Vor allem, warum genau Du allein bist. Aber auch alles andere. Bitte hab doch Vertrauen, ich versprech Dir, es nicht zu enttäuschen. Waren die schönen Blumen, die heute vor Deiner Tür standen, für eine Frau?
Ich hatte Dir ja ein Foto versprochenen. Wenn ich es in der Drogerie in Aufrag gebe, muss ich mindestens drei Tage darauf warten. Nein, DU musst warten. Dunja hatte noch eine alte Speicherkarte, da hab ich vier Fotos raufkopiert. Vielleicht kannst Du mir ja die Karte zurückgeben. Ich hoffe, die Bilder gefallen Dir.“
Thea stockte beim Schreiben. Sie dachte an die nachmittägliche Fotosession. Dunjas Idee, Falko zu überraschen, gefiel ihr... eigentlich. Aber so recht überzeugt war sie nicht davon. Was, wenn ihre Freundin sich irrte? Wenn eine solche Überraschung ungelegen käme und womöglich sogar alles zerstörte, alles entwertete? Schließlich war Falko ein erwachsener, reifer Mann, und es war doch gut möglich, dass er auf das schüchterne Freundschaftsangebot Theas einginge, nicht
weil er sie schön und erotisch fand, sondern obwohl
ihr fast noch kindlicher, unvollkommener Körper ihn ganz und gar nicht erregen konnte.
Hingegen, wenn Falko sich wirklich als ein in allen Belangen vertrauenswürdiger Freund erweisen wollte, dann hieße das doch auch, dass sie ihm jede denkbare Frage stellen könne. Sonst hätte es doch alles gar nicht den Wert, den sie der Sache inzwischen beimaß. ‚Sorry, Dunja‘, formulierte sie in Gedanken eine innerliche Entschuldigung vor der Freundin, ‚aber ich weiß jetzt, ich fühl mich doch wohler, wenn ich ihn frage.‘ Befreit von den Zweifeln, wenn auch nur zögernd die passenden Worte findend, setzte das Mädchen fort:
„Jetzt… ich trau mich kaum… kommt noch was Peinliches. Dunja meinte, alle Männer würden gern Frauen oder halt auch junge Mädchen nackt sehen. Am liebsten hätte sie mich nämlich überredet, Dir ein Foto zu geben, auf dem ich nichts anhab. Was mich betrifft, ich würde Dir ja vertrauen… Aber ich glaube, an so etwas hast Du nicht gedacht, oder etwa doch? Komischerweise hat Dunja meistens recht in solchen Dingen…
Es ist schon spät und ich muss sehr früh raus, wie Du weißt. Bin oft sooo müde… Ich hab da einen Teddy, der ist nur so groß wie ein Finger, er heißt Findel, weil ich ihn mal am Strand gefunden hab. Er ist mein Glücksbringer. Bis jetzt hing er immer am Reißverschluss von meinem Rucksack. Ich schenke ihn Dir. Weiß noch nicht genau, wo ich ihn morgen früh lasse, aber Du wirst ihn finden. Er soll Dir Glück bringen.
Deine Thea, die Zeitungsfee“
* * *
O
h je, dachte Falko, schon so spät! Er hatte auf das Stellen des Weckers verzichtet, weil er doch in den letzten Tagen immer schon vorher aufgewacht war. Aber diesmal hatte er verschlafen. Irritiert erinnerte er sich, mitten in der Nacht aufgewacht zu sein aus einem Traum. Darin war ein Mädchen vorgekommen, erinnerte er sich, natürlich war es Thea, und sie sie war nackt auf Engelsflügeln in seine Arme geschwebt, unter dem hässlichen Gekicher ihrer Freundinnen. Der Traum hatte ihn eine Weile beschäftigt, und dann hatte sein Schlafbedürfnis zugeschlagen, gerade als Thea ihre Runde drehte.
Thea! schoss es ihm durch den Kopf. Im Pyjama eilte er zur Haustür. Ein Schreck durchfuhr ihn, als sich der Blumenstrauß noch an Ort und Stelle befand. Er beruhigte sich erst, als er die Zeitung durchwühlt hatte und in den Händen hielt, was er ersehnt hatte: Theas Brief. ‚Wie dumm von mir‘, dachte er, ‚wie hätte sie wissen können, dass die Blumen für sie bestimmt waren?‘
Sorgfältig legte er den Umschlag auf den Esstisch. Es war ein schönes Ritual, ihn bei der Kaffeezubereitung einige Male zu umkreisen, ohne wirklich den Blick davon abzuwenden. Er nahm den ersten Schluck. Dann las er.
Und bevor er noch seine ersten Gedanken zu Ende gedacht hatte, oh nein, oh nein, die Blumen, und oh ja, oh ja, arme, kleine, unglückliche Thea, hastete er auch schon ein weiteres Mal zum Briefkasten, nicht ohne den kleinen Umweg, um den Computer einzuschalten. Und richtig, da lag so ein kleiner, plüschiger Schlüsselanhänger; den hatte er zunächst übersehen, aber als er ihn nun in den Händen hielt, durchströmte ihn ein Gefühl der Freude und der Zuneigung. Er sah wirklich entzückend aus, der kleine Teddy. Es schien, als wüsste auch er eine Geschichte zu erzählen, so wie Thea, so wie Falko selbst. Vor allem aber war er ein Geschenk von
ihr, und nicht einfach irgendeines, sondern es war ihr Talisman, mithin etwas, was ihr lieb und teuer war und von dem sich zu trennen ihr ganz gewiss nicht leicht gefallen sein konnte – das machte ihn in all seiner unscheinbaren Winzigkeit zum bedeutendsten Gegenstand im ganzen Haus.
Falko ertappte sich dabei, mit dem Teddy zu sprechen, als er die Speicherkarte einlegte. Und dann verging eine reichliche halbe Stunde, in deren Verlauf der gute Kaffee erkaltete und damit das Schicksal der Tageszeitung teilte, nicht mehr so wichtig zu sein. Eine halbe Stunde, die Falko damit verbrachte, zwischen den vier Aufnahmen hin- und herzuwechseln, ein- und auszuzoomen, mit vor Staunen offenem Mund den Bildschirm anzustarren. Er war kein bisschen enttäuscht, dass es nicht die Nacktaufnahmen waren, die, wie er nun wusste, „seine“ Thea doch immerhin in Erwägung gezogen hatte. Denn was er jetzt sah, war so unendlich viel erotischer. Ihr junger Körper, kaum verhüllt, voller Andeutung ihrer verborgenen Reize, und so reich an offen sichtbaren. Falko bewunderte ihre schlanken, muskulösen Beine, ihren mageren, straffen Bauch und immer wieder ihr hübsches Gesicht, ihren zarten Hals, ihre dünnen Arme. Ihre übergroßen Füße. Ihre kindliche Begeisterung beim Spiel und ihre Bewegungen. Er zoomte auf ihre schmale rosa Zunge, wie sie genüsslich Eis schleckte. Er zoomte auf ihr Bikinihöschen im ersten Bild, und richtig, wenn er genau hinsah, erkannte er, wie sich ihre Spalte unter dem Stoff abzeichnete. Unwillkürlich fuhr seine Hand wieder einmal in seine Pyjamahose und begann
ihn dort zu reiben, und so sehr er sich auch einredete, das gehöre sich nicht, sie hörte nicht auf. Besonders nicht, wenn er das letzte Bild ansah: jenes mit Theas kaum verhülltem Po und ihrem nackten Rücken und vor allem mit dem Versprechen auf eine sandige, nackte Brust.
Als er sich das Sperma von der Hand gewaschen hatte, fragte er sich, ob das alles wohl Theas Absicht gewesen sei. Er kam sich verdorben vor, hatte ein schlechtes Gewissen. Und dann sagte er sich, er sei eben ein altmodischer Mensch, für den Liebe und Sex zueinander gehörten. Also praktizierte er die einzig mögliche Form von Sex mit dem Mädchen, in das er sich verliebt hatte. Denn, wenn er ehrlich war, musste er einräumen: Verliebt hatte er sich in Thea.
Er trank seinen kalten Kaffee, Strafe muss sein, und bewunderte nochmals die Bilder. Das also war es, wie sie sich ihm zeigen wollte: ebenso unschuldig wie auch verführerisch. War sie sich über diese Wirkung ihrer Bilder, ihres Körpers im Klaren? Nein, dachte Falko, sie war noch so jung, und sie wirkte so wenig von sich selbst überzeugt, dass sie jetzt wohl eherbangte, ob er ihr Äußeres, wenn schon nicht ansprechend, so doch wenigstens halbwegs akzeptabel fand. Er musste sie überzeugen von ihrer eigenen Schönheit, ohne sie zu überrumpeln. Vor allem, wenn er noch mehr solcher Fotos bekommen wollte. Abgesehen davon musste er ihr auch zeigen, dass er sie liebte, wiederum ohne sie zu überrumpeln. Und das hieß: Sich ihr zu öffnen. Bereit zu sein, ihr jedes letzte seiner Geheimnisse preiszugeben. Und das sofort, oder jedenfalls bis zum nächsten Morgen, denn das war der Samstagmorgen. Am Sonntag gab es keine Zeitung und keinen Kontakt zu Thea, aber dafür hatte sie achtundvierzig Stunden Zeit, über seine Worte nachzudenken. Und vielleicht sein Bild zu betrachten?
Als erstes rief er den Verlag an. Wie gut, die montägliche Redaktionssitzung war erst um elf, und so konnte er den kleinen Text, um den man ihn gebeten hatte, getrost erst Montag Morgen einreichen. Damit gehörte sein Freitag Thea, und ihr allein.
Als erstes beschäftigte er sich damit, ein Foto auszuwählen. Denn auch wenn sie ihn nicht ausdrücklich darum gebeten hatte, glaubte er doch, dass ein solches ihr Wunsch sein könnte. Und er fand eines, das ihm perfekt schien. Eines, auf dem er nackt war, ohne dass seine Nacktheit zu erkennen wäre. Ein Selbstporträt, letztes Jahr auf einem Felsen an der schwedischen Küste entstanden, im Gegenlicht der Nachmittagssonne. Er fand seinen Körper immer noch schlank und wohlgeformt, und in dieser Silhouette kam dies wunderbar zur Geltung. Vor allem gefiel ihm diese Spur Erotik, die einer Thea im Bikini in nichts nachstand, ohne zu offensiv zu wirken. Er wählte auch noch ein Porträt, das nur sein Gesicht zeigte, freundlich lächelnd und doch irgendwie diese nicht zu bestreitende Verschlossenheit ausdrückend, die ja auch Thea schon aufgefallen zu sein schien.
Den Nachmittag verbrachte er mit einem Spaziergang. Er hoffte, sich in der Frühlingsluft über seine Gefühle klarer zu werden, Thea betreffend aber auch hinsichtlich seiner selbstgewählten Einsamkeit, denn dies alles wollte er ihr schreiben – offen und ehrlich, ohne Lügen oder Auslassungen, ohne sie jedoch zu überrumpeln oder zu überfordern oder gar zu enttäuschen. Und das hieß, er musste sich auch ihrer Motive noch einmal gründlich vergewissern. Er wollte auf keinen Fall riskieren, dass sich seine und ihre Vorstellungen dann doch so stark unterschieden, dass Thea keinen Sinn mehr darin sah, das zarte Pflänzchen ihrer Freundschaft weiter zu nähren. Er steckte ihre Briefe vorsichtig in die Tasche, um sie, auf einer Parkbank sitzend, nochmals gründlich zu studieren.
Zunächst jedoch ließ er seine Umgebung auf sich wirken: die aus ihrem Winterschlaf erwachende, Knospen treibende Natur. Die hoffnungsvolle Fröhlichkeit, die diese Atmosphäre in die Gesichter der wenigen Erwachsenen zauberte, die sich im Park aufhielten. Später wurde es turbulenter, Kinder auf dem Schulweg bevölkerten den Park, nutzten die Zeit bis zum Mittagessen zu ausgelassenem Spiel auf den Grünflächen.
Da ertappte Falko sich dabei, die Mädchen besonders aufmerksam zu betrachten, und davon vor allem diejenigen, die bereits zu dieser frühen Jahreszeit ihre Röckchen aus dem Schrank geholt hatten und ihre Beine zur Schau trugen. Er bemerkte, dass er sich darauf konzentrierte, möglichst häufig einen Blick auf ihre beim Toben kurzzeitig aufblitzenden Höschen zu erhaschen.
Nun, er kannte seine Vorliebe – jetzt fragte er sich, worauf sie eigentlich abzielte. Erträumte er sich sexuellen Kontakt zu einem dieser Mädchen, ein Traum, dessen Erfüllung in Theas Gestalt in den Bereich des Möglichen rückte? Und dann war da diese Dunja. Offenbar ein ganz heißer Feger. Sie hatte ihn durchschaut, ohne ihn zu kennen.
Warum hatte Thea Dunjas Ratschlag erwähnt, obwohl ihr das so unangenehm war? Es gab nur eine Antwort: Sie würde sich ihm tatsächlich nackt zeigen wollen, wenn sie nur sicher wäre, dass er es wirklich wünschte.
Aber war nicht sein innerster Wunsch der nach Nähe und Vertrautheit,
ohne dass Sex dabei eine Rolle spielte, wie es in Beziehungen zu erwachsenen Partnerinnen unweigerlich der Fall sein würde? Musste denn eine Dosis unschuldiger Erotik in Form von weißen Unterhöschen, niedlichen Hügelchen unter dem T-Shirt oder zarter, unverbrauchter, nackter Haut zwangsläufig im Widerspruch zu dieser Variante stehen? Sollte sein, auch dem Alleinleben geschuldetes, Gerubbel am Computer vorhin etwa beweisen, dass der Schwanz über das Herz gesiegt hatte? Nein, er war sich sicher, anders als früher suchte er die Nähe zu jungen Mädchen und insbesondere zu Thea
, gerade weil sexuelle Begierden dabei ausgeschlossen waren. So, und nur so, war die Enttäuschung zu vermeiden, deren Bekanntschaft er so oft gemacht hatte. Von diesen Enttäuschungen würde er Thea berichten müssen.
Doch zuvor las er nun nochmals ihre Briefe, Zeile für Zeile, Satz für Satz, und dann war er sich ihres Einvernehmens sicher: Was Thea bei ihm suchte, war ein väterlicher Freund, ein Ersatz sowohl für den fehlenden leiblichen Vater als auch für den fehlenden Freundeskreis, einen, der sie verstand und zu ihr hielt, der ihr vorbehaltlos vertraute, wie auch sie ihm. Und wenn sie ihm diese Fotos schickte, hatte sie nicht die Absicht ihn zu verführen, aber sehr wohl, ihm zu gefallen, und das, obwohl sie sich vielleicht sogar unwohl fühlte in ihrem Körper, der die ihrem Alter entsprechenden Possen mit ihr trieb, so dass sie sich unvollkommen oder gar hässlich vorkam. Es war die schüchterne Bitte um ein bisschen Anerkennung, ein kleines Kompliment. Und doch spielte ihr ihre aufkeimende Sexualität – unter Dunjas Einfluss – einen Streich, ganz ähnlich, wie Falkos Erektion immer wieder seine ach so lauteren Absichten als Selbstbetrug entlarvte.
Er kehrte nach Hause zurück und begann zu schreiben:
„Liebe Thea! Welch ein herrlicher Tag! Der Frühling kommt, ich habe mich gerade im Park davon überzeugt, und dabei trug ich stolz und zufrieden Deine Briefe mit mir herum. Schon morgens jedoch wurde ich mit tollen Geschenken beinahe überhäuft, wunderschöne Fotos eines wunderschönen Mädchens, und das meine ich ernst; von Kopf bis Fuß siehst Du wirklich so unbeschreiblich gut aus, dass ich Deine Bilder als großes, tolles Geschenk betrachte. Hoffentlich bist Du angemessen stolz auf Deinen Körper, Du hast allen Grund dazu. Wenn der Frühling eine Zeit der Veränderung ist, in dem alles zu knospen und zu blühen und zu wachsen beginnt, dann bist Du die schönste aller Blumen, die mir in diesem Jahr entgegensprießen.“
War das vielleicht ein bisschen zu dick aufgetragen?, fragte sich Falko, aber er beließ es dabei. Er war nun mal kein großer Poet, aber er würde jetzt ganz bestimmt nicht auf die Suche nach einem Gedicht gehen, um seine Empfindungen und Absichten kunstvoller auszudrücken. Was er schrieb, mochte unbeholfen sein wie ein aus allen Proportionen geratener Mädchenkörper in der Pubertät, aber es war ehrlich.
„Blumen hast Du auch vor meiner Haustür bemerkt. Die waren in der Tat für eine Frau bestimmt, oder genauer gesagt für etwas viel Außergewöhnlicheres als einfach eine Frau, denn ich habe sie Dir gepflückt. Es war natürlich ungeschickt, sie da einfach so abzustellen, wie solltest Du ahnen, dass sie ein Geschenk sind. Aber jetzt, wo ich weiß, dass Du sie gesehen hast und dass sie Dir gefallen haben, hat dieser Strauß eine besondere Bedeutung für mich bekommen: Wir beide haben uns an diesen Blumen erfreut – eine weitere, wenn auch kleine, Gemeinsamkeit.
Die Blumen hätten auch gar nicht für eine Frau sein können, eine andere, erwachsene, meine ich. Ich habe ganz bewusst schon vor langer Zeit damit aufgehört, von Beziehungen zu Frauen viel Gutes zu erwarten. Du musst wissen (vielleicht hast Du es schon erfahren oder bemerkt), dass ich Künstler bin. Momentan verdiene ich mein Geld damit, dass ich kleine Geschichten für diese oder jene Zeitschrift verfasse, nichts Großartiges, aber es ist eine angenehme Arbeit. Davor habe ich einmal hauptsächlich fotographiert, doch zu Beginn meiner Karriere war ich Maler.
Ein Künstler ist immer ein bisschen einsam, denn er arbeitet allein, doch dann tritt er ein in die glitzernde Scheinwelt der Galerien und Ausstellungen und kunstbeflissenen Wichtigtuer, von deren Geld er lebt. Oh ja, ich habe es genossen, eine Zeit lang wenigstens. Ich war jung, und mir gefiel die Aufmerksamkeit, die man mir entgegenbrachte. Doch dann musste ich lernen, wie unaufrichtig, ja verlogen, diese Welt ist. Mehr als einmal verliebte ich mich in eine Frau, doch sehr bald stellte ich fest, dass diese Frau mich nicht zurückliebte. Sie liebte einzig und allein das tolle Gefühl, sich an der Seite eines erfolgreichen Malers zu zeigen und an seinem vermeintlichen Reichtum teilzuhaben. Manche versprachen mir auch das Blaue vom Himmel, doch eigentlich ging es ihnen nur um Sex. Das ist ein heikles Thema, ich weiß nicht, ob es Dich in Deinem Alter bereits beschäftigt und ob Du verstehst, was ich Dir dazu schreiben will... schreiben muss, denn es ist Teil meiner Geschichte.
Sex ohne Liebe, ja, das gibt es, und er kann durchaus sehr leidenschaftlich und aufwühlend sein, aber niemals so vollkommen, wie Sex, der mit tiefen Gefühlen füreinander einher geht. Ich erkannte, dass es genau diese Vollkommenheit war, wonach ich mich sehnte, und ich bin immer noch der Auffassung, wenn man einander wirklich aufrichtig liebt, gibt es auch keinen ‚schlechten Sex‘.
Doch wenn die Liebe einseitig ist, und von der anderen Seite die ständige Befriedigung von Bedürfnissen verlangt wird, ohne etwas zurückzugeben, dann ist das ja keine Partnerschaft. So endeten meine Liebschaften ein ums andere Mal in einem Trümmerhaufen. Zuletzt hatte ich eine Beziehung zu einer, die einmal als Fotomodell für mich arbeitete. Auch sie sprach von Liebe, doch sie liebte einen anderen und schlief mit einem dritten, und das tat sie auch, während ich zu Hause auf sie wartete, um mit ihr meinen Geburtstag zu feiern. Ich saß vor den guten Weingläsern und dem zarten Rehrücken, den ich mühsam selbst zubereitet hatte. Sie rief mich an, um sich halbherzig zu entschuldigen, weil sie mich vergessen hatte, doch dann fragte im Hintergrund eine Männerstimme, mit wem sie denn telefoniere, um ihr dann, noch bevor sie auflegen konnte, die schändlichsten und unanständigsten Komplimente zu machen, die ich je gehört hatte. Ich gab mein Essen den Nachbarn, dann betrank ich mich. Das ist jetzt über zehn Jahre her.
Es macht verwundbar, sich zu verlieben, man ist dadurch verletzlich, anfällig für Enttäuschungen. Endlich beschloss ich, nicht länger verwundbar sein zu wollen. Seitdem bin ich allein. Ich hatte mal einen Hund an meiner Seite, so einen wuscheligen Mischling, doch die treue Seele wurde alt und älter, und er ließ mich, natürlich ohne etwas dafür zu können, schließlich doch im Stich, indem er starb. Wie soll ich es sagen? Natürlich fehlt mir oft etwas. Oder jemand. Eine, die sich für mich interessiert und nicht dafür, ob sie auf ihre Kosten kommt. Aber seit ich bewusst allein bin, ist es niemandem mehr gelungen, mich auszunutzen und zu enttäuschen, und darüber bin ich sehr froh.
Das alles hört sich bestimmt ganz schrecklich an für Dich. Aber mach Dir keine Sorgen, ich habe keine Angst, auch Du könntest mich enttäuschen. Mit Dir ist es anders. Du hast mir Deinen Glücksbringer geschenkt, wie könnte ich da an Deiner Aufrichtigkeit zweifeln? Mein größter Wunsch ist es, dass wir einander weiterhin schreiben. Dass wir uns näher kommen. Dass wir Freunde sind. Und mein allergrößter Wunsch: Dass diese Freundschaft gut für Dich ist, Dir hilft, Dir Freude bereitet. So, jetzt hast Du vielleicht eine Ahnung, wer ich bin und was mit mir los ist. Du hast mir schon Fotos von Dir geschenkt, darum erlaube ich mir, meinerseits zwei Fotos beizulegen.
Zum Schluss muss ich auf Dein peinliches Bekenntnis mit meinem eigenen peinlichen Bekenntnis antworten: Ich muss ehrlich zugeben, dass ich einen Moment lang gedacht habe, Du hättest selbst vielleicht von vornherein die Absicht gehabt, mir Fotos zu schicken, auf denen Du nichts anhast. Gut gefallen hätte mir auch das. Versteh das nicht falsch, ich erwarte das nicht von Dir, und ich finde Dich angezogen allemal schön genug. Deine Freundin Dunja hat schon irgendwie recht: Männer sehen üblicherweise das weibliche Geschlecht gern nackt. Aber sie hat auch unrecht: Nicht allen Männern ist dies das Wichtigste. Wenn Du mir eine liebe Freundin sein willst, ist mir das hundertmal wertvoller, als Dich nackt sehen zu dürfen. Doch wenn Du mir wirklich Deine ganze unverhüllte Schönheit zeigen möchtest, muss Dir das auf gar keinen Fall peinlich sein. Und nun warte ich sehnsüchtig auf die Samstagszeitung. Dein Freund Falko.
P.S. Dem kleinen Findel geht es gut, ich habe ihn ständig bei mir.
Jetzt blieb nur noch ein Problem: Falkos hartnäckige Erektion. Die passte in das Bild, das er da von sich gezeichnet hatte, nicht so recht hinein.
* * *
D
er Donnerstag war ein langer Tag für Thea, nicht nur wegen der sieben Schulstunden, was für eine sechste Klasse eine seltene, und im konkreten Falle einer der Verfügbarkeit der Turnhalle geschuldete, Ausnahme war – nein, Thea musste diesen Tag hinter sich bringen, ohne ein Brieflein ihres Flirtpartners zu bekommen. Den ganzen Tag musste sie sich selbst auf den nächsten Morgen vertrösten, und es wäre schon eine herbe Enttäuschung gewesen, wenn sie an dem Freitag nichts an Falkos Briefkasten vorgefunden hätte. Freilich schloss sie diese Möglichkeit nicht aus und redete sich, wenn auch nur halbwegs erfolgreich, ein, dass dieser Fall ja noch keine große Katastrophe sei, denn immerhin folge ja vor dem Wochenende noch der Samstagmorgen mit der nächsten Chance auf einen Brief.
Ja, sie hatte sich schon arg daran gewöhnt, und ihre Gedanken beschäftigten sich mehr oder weniger den ganzen Tag lang mit Falko und seinen an sie gerichteten Zeilen. Ob er, als erwachsener Mann, wohl ihr kleines Geschenk, den Findel, auch wirklich schätzen würde? Aber selbst wenn nicht, so war doch das Kerlchen immerhin bei ihm und mochte ihn hin und wieder an sie erinnern…
Um am nächsten Morgen bereits etwas früher als sonst ihre Runde zu beginnen, damit sie noch vor dem Unterricht Zeit zum Lesen der so sehnlich erhofften Zeilen habe, ging Thea früher als sonst zu Bett, und zunächst ganz unbewusst streichelte sie sich unter der Decke selbst, an ihren Seiten, am Hals, am Bauch und schließlich an den Brüstchen, dann auf den Oberschenkeln und an deren Innenseiten, bis die beiden Hände sich zwangsläufig auch im Schritt des Mädchens zu schaffen machten. Das für Thea Überraschende, ja regelrecht Irritierende daran war jedoch etwas anderes: Mit einem Mal wurde ihr nämlich bewusst, dass sie sich vorstellte, es wären
seine Hände, die sie da liebkosten. Nun fragte sie sich schon ernsthaft, ob sie es sich selbst erlauben dürfe, derartige Gedanken zu haben in Bezug auf den wohl bald sechzigjährigen Mann. Dann aber stellte sie sich eine helfende Frage: ‚Wie würde Dunja in dieser Situation entscheiden?‘
Thea wusste die Antwort. Kein Zweifel. Warum sollte die Freundin, die mit all diesen Dingen so locker umging, hier zaudern? Nein, Dunja hätte gewiss keine derartigen Bedenken. Diese Erkenntnis ließ die Zwölfjährige beruhigt einschlafen.
Wie gewohnt erledigte Thea einige Stunden später pflichtbewusst und zuverlässig ihren Dienst, bevor sie daran ging, den aufgrund des Regenwetters an jenem trüben Freitagmorgen fast etwas aufgeweichten Brief zu lesen. Gleich als erstes fiel ihr die Speicherkarte auf, und sie fragte sich, ob diese vielleicht ein Foto Falkos enthielte. Nur zu gern wollte sie dieses bei sich tragen, und wenn es vorerst nur ein Ausdruck mit dem alten Schwarzweißdrucker aus Dunjas Hause wäre. Theas Mutter besaß keinen Drucker, nur einen älteren Computer, aber der war schon seit einiger Zeit defekt, und um eine Reparatur hatte sie sich bislang nicht gekümmert. Dass sie Thea damit quasi zur Außenseiterin stempelte, ging ihr mitnichten in den Sinn, so oft ihre Tochter es ihr auch glaubhaft zu machen versuchte. Die Alternative, einen der Schulcomputer zu benutzen oder Dunja zu fragen, linderte Theas Problem nur zu einem kleinen Teil.
Von Falkos Zeilen fühlte sich die Zwölfjährige wundersam berührt. So sanft und liebevoll schrieb der Mann ihr
,
und so poetisch! Aber nicht nur die Wortwahl machte den Wert, sondern auch der Inhalt. Nicht nur die überall versteckten Komplimente, sondern auch die Aufmerksamkeit, wie etwa durch die von ihr kaum beachteten Blumen, und die ehrliche Offenheit, die Thea nun zum ersten Mal von ihrem neuen Freund entgegengebracht bekam, aber auch zum ersten Mal in einer solchen Weise von einem Erwachsenen überhaupt.
Die Zeilen, die von einem etwa möglichen Nacktfoto handelten, verwirrten Thea hingegen ein wenig. Ganz sicher war sie nicht, wie er das alles meinte, denn aus den Sätzen sprach Für und Wider. Wie sollte sie es
richtig machen? Wenn er es wollte, dann wäre sie bereit, ihm den Gefallen zu tun. Einiges sah danach aus. Aber vielleicht war es doch eher ein „Nein, lieber nicht“?
Aber eines war wirklich eine kleine Tortur: Im Brief waren zwei Fotos erwähnt, die Falko „beilegen“ wollte. Aber es lagen keine bei, und natürlich konnte Thea nicht erkennen, ob mit „beilegen“ gemeint war, dass er die zwei Fotos auf die Karte kopiert habe. Geschrieben stand davon nichts. ‚Dann wird wohl auch keins drauf sein‘, dachte sie aus Zweckpessimismus. Aber insgeheim hoffte sie doch noch ein wenig; und das spannte sie wahrlich auf die Folter.
Nur ein Grund mehr, um nach Schulschluss sogleich zu Dunja zu eilen, die um diese Zeit, gegen drei Uhr nachmittags, auch schon zu Hause angekommen war. Es war das Erste, was die beiden neugierigen Mädchen – denn auch die Ältere interessierte sich brennend für die Neuigkeiten der Liebelei ihrer Freundin – taten: die Speicherkarte checken. Und dann sahen sie die beiden Fotos. Theas Reaktion war schlicht die, dass sie ihr gefielen. Das ernste Lächeln des ihr freilich durchaus vertrauten Gesichts des verehrten Mannes und die schöne, professionell wirkende Aufnahme in der Landschaft mit seinem, wie man sah, ganz passablen Körper.
Ganz anders hingegen empfand Dunja. Ihr blieb regelrecht der Mund offen stehen – zum großen Erstaunen der Jüngeren. „Weißt du überhaupt, was du da bekommen hast?“, fragte Dunja und erklärte ohne eine Antwort abzuwarten: „Das ist ein
Nacktfoto! Siehst du das, an den Seiten des Körpers, rechts und links, da müsste man wenigstens sehen, dass da eine Badehose sitzt oder so etwas. Aber da ist nichts. Nur glatte, reine Haut! Dein Freund ist splitternackt!“ Zum ersten Mal bezeichnete sie Falko als den Freund Theas, als sei es deren neuer Liebster.
Sie nahm einen Schluck Cola. „Theli“, nannte sie ihre Freundin bei dem einst selbst ausgedachten Kosenamen, den einzig und allein nur sie verwenden durfte, während Thea sie ebenso exklusiv als „Janni“ bezeichnete. „Theli, das ist der Wahnsinn! Glaub mir, erstens will er dich u - n - b - e - d - i - n - g - t nackt sehen!“ Sie zog das „unbedingt“ fast endlos in die Länge, als ob sie dadurch die unterstellte Sehnsucht des Mannes unterstreichen könne. „Zweitens ist er ein kluger und rücksichtsvoller Mensch. Schau mal“, sie zeigte auf das Bild, „kannst du
irgendwas erkennen? – Ich nicht! Männer haben kein Problem, ihr allerwertestes Stück einer Frau zu zeigen. Er aber hat ein Nacktfoto rausgesucht, auf dem man nichts erkennt, gar nichts.“ Sie redete sich in immer deutlichere Begeisterung. „Thea, das hat er nicht etwa gemacht, weil du für ihn ein Kind bist, sondern genau im Gegenteil: Er respektiert dich! Er möchte vermeiden, dass du es als peinlich empfindest. Das ist sooo lieb von ihm, so rücksichtsvoll, so achtungsvoll!“
Ihr Schwärmen schien gar kein Ende mehr zu nehmen. „Und findest du nicht, dass er ein unheimlich erotisches Foto herausgesucht hat? Und er vertraut es dir an! Du kannst es ja nicht nur mal angucken, sondern du kannst damit machen, was du willst. Du könntest es an seinen Briefkasten kleben, damit jeder es sehen kann. So vertraut er dir! Damit will er dir sagen, dass du ihm auch vertrauen kannst. Auch wenn man die Einzelheiten nicht erkennen kann, sieht doch jeder, dass er nichts anhat. Ich hab noch n - i - e erlebt oder gehört, dass
zuerst ein Mann der Frau so ein Foto gibt, bevor er selbst ein Nacktfoto von ihr hat. Oder hatten wir ihm etwa unser Foto mit auf die Karte kopiert?“, fragte sie, um sich zu vergewissern.
Jetzt schüttelte Thea nicht nur den Kopf, sondern sie strahlte übers ganze Gesicht. An eine derart euphorische Ansprache Dunjas konnte sie sich gar nicht erinnern. Und ihr Entschluss stand fest: Es mussten unbedingt noch mehr Fotos gemacht werden. Heute würde es nicht gehen, aber gleich morgen. Ja, ihr Falko sollte sie sehen können, nackt und bloß, frei und offen, ohne irgendetwas zu verbergen. Jetzt war es nicht mehr nur eine romantische Verliebtheit, jetzt war es auch ein heißes Abenteuer, das heißeste ihres jungen Lebens.
* * *
D
unja war sofort dabei und sagte auf die fast schon flehentliche Bitte ihrer besten Freundin hin schmunzelnd zu. Und Thea? – Noch drei Tage zuvor hätte sie sich nicht vorstellen können, überhaupt solche Fotos zu machen, geschweige denn, sie wegzugeben. Und nun? Nun war sie ganz wild darauf, es so schnell wie möglich zu tun. Aber im heutigen Brief würde sie davon noch nichts verraten.
Mit einem dürftigen Schwarz-weiß-Ausdruck der beiden Fotos Falkos in ihrer Tasche eilte sie glücklich nach Hause. Gleich setzte sie sich an den Tisch und schrieb:
„Mein lieber, bester Falko“
, begann sie euphorisch.
„…so ein toller Brief! Ich hab mich riesig darüber gefreut, gleich dreimal: Du hast so liebe Worte über mich geschrieben, und von Dir selbst so offen und ehrlich – und dann, die beiden wunderschönen Fotos! Danke, danke, danke. Du verdienst es wirklich, dass ich Dich so sehr mag und Dir vertrau. Ich finde übrigens auch, dass Du toll aussiehst. Vielleicht ist es komisch, wenn ich Dir das schreibe. Du könntest mein Vater sein oder sogar mein Großvater. Aber irgendwie bist Du für mich gar nicht so alt, sondern fast wie ein Freund in meinem Alter, nur nicht so kindisch und albern.
Vor einem Vierteljahr hatte ich meinen ersten Freund. Nein, keine Angst, ich bin noch Jungfrau. Mit siebzehn ist Veit zwar ein paar Jahre älter als ich (da war ich noch elf), aber ich finde, sooo schlimm ist das nicht, oder? Du bist schließlich noch viel älter. Außerdem sieht er aus wie höchstens fünfzehn. Ich war richtig krass verknallt in ihn. Meine erste Liebe. Und er war auch wirklich nett zu mir und wollte immer mit mir zusammen sein. Aber dann haben sie ihn gehänselt, also seine Freunde und seine Klassenkumpels. Haben dumme Sprüche abgelassen, wenn sie uns auf dem Schulhof zusammen gesehen haben, und dann haben sie seine Handschrift nachgemacht und Briefe geschrieben, die sie dann herumgereicht haben. Da standen so alberne Liebesschwüre drin, und dass er mich ficken wolle und unbedingt eine Elfjährige brauche, weil er keinen hochkriegen würde bei einer, die schon Brüste hat.
Er wollte dann, dass wir uns nur noch heimlich sahen. Ich fand das auch blöd und nervig, was die gemacht haben. Klar! Aber er hat ja nicht alleine gelitten. Weißt Du, wie sie mich genannt haben? ‚Lady Möchtegern‘ und ‚Spastificke‘ oder ‚Pickelmatratze‘. Dabei hatte ich gar keine Pickel. Meine Brüste waren für sie nur zwei ‚Pickel‘ – deswegen der Ausdruck!
Ich hätte das alles ertragen, für Veit. Aber ihm war’s zu viel. Er sagte dann auch, er will nicht so lange warten, bis er mit mir Sex haben kann. – Der Dummkopf! Wenn er sich nur ein bisschen Mühe gegeben hätte, mich zu verführen… Aber dann wollte ich auch nicht mehr. Wenn er mich doch nicht so richtig liebt, muss ich ihn auch nicht mit Sex festhalten.
Ich finde es traurig, was Du mit Frauen erlebt hast. Deinen Geburtstag zu vergessen und sich an dem Abend mit einem anderen rumzutreiben, ist krass und gemein. An der Frau hast Du bestimmt nichts verloren. Ich kann mir vorstellen, wie Du Dich gefühlt hast!
Mit dem Sex, dazu kann ich nicht viel sagen. Hab da ja noch keine Erfahrungen. Eigentlich bin ich ja auch noch zu jung dazu. Sagt meine Mutter. Sagen die Lehrer. Und von den älteren Jungs in der Schule hab ich ja schon geschrieben. Ich hab da noch Zeit, und ich muss wahrscheinlich auch wirklich größer werden, um das alles zu verstehen. Zum Beispiel, was da so über die Telefone die Runde macht. Letztens war da ein Video mit einer Frau, die hat sich Nadeln in die Brüste stechen lassen. Dann haben sie mit einer Peitsche auf ihre Muschi gehauen. Hinterher hat sie sich dafür noch bedankt. Was kann daran schön sein? Das verstehe ich nicht, das ist doch krank!?
Immer öfter denk ich aber auch, mir fehlt da etwas, was die anderen alle kennen und machen. Früher dachte ich ja auch, es ist abartig und eklig, wenn ein Mädchen einen Schwanz lutscht und wenn der Mann ihr dann sein Sperma in den Mund spritzt und sie das runterschluckt. Aber durch Dunja weiß ich, dass das ganz normal ist und Spaß macht. Sie mag Sex überhaut sehr gern und hatte schon eine ganze Menge Männer oder Jungen. Obwohl sie mit keinem gehen wollte. Sie erzählt niemandem etwas von Liebe oder so. Sie hat einfach Spaß dabei und die Kerle auch. Verurteilst Du das? Ich find’s eigentlich nicht schlimm. Dunja ist eine tolle Freundin. Ich muss dazu noch sagen, sie ist schon fünfzehn.
Jetzt hab ich Dir Sachen von mir geschrieben, über die ich nicht mal Dunja so frei sprechen würde. Du erzählst es doch niemandem weiter, ja? Deine beiden Fotos hab ich ausgedruckt und trage sie jetzt immer mit mir rum.
Schade, dass Du keinen Hund mehr hast. Ich hätte mir immer sooooo sehr gewünscht, dass wir zu Hause einen haben würden. Mama sagt aber, der würde zu viel Arbeit machen. Wahrscheinlich hat sie recht. Ich hab ja selbst so wenig Zeit, außer wenn Ferien sind. Ich finde Hunde toll. Wenn ich einen hätte, würde ich alles tun, damit er sich wohl fühlt und würde viel lieber mit ihm spielen als Hausaufgaben zu machen. Mama befürchtet das wahrscheinlich auch.
Danke für die Blumen. Mir hat noch nie jemand Blumen geschenkt, außer zum Geburtstag! Hab sie gesehen, wie sie heute noch da standen, und hab mich gefreut. Ich lass sie auch dort, ja? Möchte Mama nicht erklären, woher die sind.
Rehrücken hab ich noch nie gegessen. Und auch keinen Wein getrunken. Oder doch, einmal mit Dunja heimlich ein Glas Apfelwein, vorigen Sommer. Was dann passiert ist, erzähl ich lieber nicht...
Ich glaub, so einen langen Brief hab ich noch nie geschrieben. Aber er muss ja übers ganze Wochenende reichen. – Thea“
Statt einer Abschiedsformel drückte sie einen Kuss aufs Papier, nachdem sie sich im Badezimmer die Lippen mit der Kosmetik ihrer Mutter bemalt hatte.
Am nächsten Morgen klingelte Theas Wecker wie an jedem Werktag. Samstags empfand sie es nicht so schlimm, denn nach dem Austragen der Zeitungen musste sie nicht zur Schule, sondern konnte sich noch einmal hinlegen. Genau das würde jedoch heute nicht passieren, war sie doch mit ihrer besten Freundin verabredet. Trotz der kurzen Nacht stand Thea fröhlich auf, denn neben den Zeitungen hatte sie noch etwas anderes zuzustellen, etwas, was ihre Motivation und ihre Laune in einen schier schwebenden Zustand hob: den Brief an Falko.
Aber heute war sie nicht nur einfach froh gelaunt auf ihrer Runde. Nein, innerlich platzte sie fast vor Grinsen, denn sie stellte sich vor, wie Falko völlig unerwartet am Sonntag noch einmal etwas von ihr finden würde, nämlich die Speicherkarte! Freilich – sicher war sie sich nicht, ob ihr väterlicher Freund sonntags den Briefkasten leeren würde. Aber immerhin wurde jeden Samstag spät abends von einer anderen Agentur ein Anzeigenblatt ausgetragen, das die Briefkästen vollstopfte. Und ein etwaiges Schildchen, mit dem sich einige Leute vor solchen Gratiszeitungen schützen wollten, gab es bei Falko nicht.
Thea ging nach dem Austragen gar nicht mehr nach Hause, sondern gleich zu Dunja. Ganz ungewöhnlich war das nicht, so dass ihre Mutter sich nicht sorgen würde, aber andererseits, wäre sie zum Frühstücken nach Hause geeilt, hätte es gut passieren können, dass die Mutter, wenn sie erst einmal mitbekommen hätte, dass Thea mitnichten noch Schlaf nachholen wollte, den einen oder anderen Auftrag für sie gehabt hätte. Nein, das ging heute gar nicht! Thea hatte Wichtiges vor.
Schon am Vortag hatte sie ihrer Freundin angekündigt, von ihr erfahren zu wollen, in welchen Posen „die Männer“ sich nackte Frauen auf Fotos am liebsten wünschten. Und Dunja hatte sich darauf vorbereitet. Ja, sie hatte am Abend eine Liste mit Internet-Links angefertigt, die ihrer Meinung nach zu beispielhaften Fotos dieses Genres führten, und nun schauten sich diebeiden Mädchen an, was die Ältere gefunden hatte. Entlang der fließenden Grenze zwischen Aktfotographie und Pornographie handelte es sich zwar durchweg um Aufnahmen, die jeweils nur eine – weibliche – Person zeigten, aber schon das reichte aus, um einige krasse Sachen dabei zu haben.
Eine Frau etwa, die gefesselt war, die Beine weit gespreizt, den Blick freigebend auf ihre deutlich gerötete und angeschwollene Geschlechtsregion, während eine daneben abgestellte Gerte andeutete, wie dies wohl zustande gekommen war. Ein nacktes Mädchen, auf dem Rücken liegend, die Beine weit nach vorn über den Rumpf gereckt, so dass das Gesäß sich fast senkrecht über dem Kopf befand, während es pinkelte – sich selbst ins Gesicht! Oder ein Teeny, dem Anschein nach etwa in Dunjas Alter, das sich die linke Hand bis zur Handwurzel in die Möse eingeführt hatte, während es ein befreites und glückliches Lächeln zeigte, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, so dazusitzen und sich ablichten zu lassen.
Lächelnd quittierte Dunja das Entsetzen der Jüngeren. Mit etwas Gewöhnung würde diese solche Bilder bald nicht mehr als gar so abartig ansehen, mutmaßte sie, und damit mochte sie nicht unrecht haben. Für den Moment aber kam es für die Kleine doch etwas schockierend.
Umso erleichterter war Thea – und genau das hatte die Freundin beabsichtigt – darüber, dass die nächsten Fotos, die sie zu sehen bekam, einen ganz anderen Charakter hatten. Dort waren Models zu sehen, die gleichfalls ohne jedes Schamgefühl die intimsten Stellen ihres Körpers zeigten und teilweise so deutlich es nur ging exponierten, aber diese Bilder strahlten dennoch Schönheit aus, Harmonie und Natürlichkeit. Ja, solche Bilder sollte Dunja von ihr für Falko, ihren Helden, machen. Und wo ginge das besser, als in der freien Natur inmitten all der zarten Blüten, sprießenden Knospen und des jungen, frischen, in unendlich vielen Farbschattierungen schimmernden Grüns?
Einige Straßen entfernt, war Falko unterdessen damit beschäftigt, Theas Brief zum dritten Mal zu studieren. Es wurde ihm warm ums Herz, so viel Vertrauen, so viel Offenheit, so viel Neugier schlug ihm da entgegen. Sein erster Impuls galt diesem Veit, in den sie sich verliebt hatte, obwohl der Bengel es doch ganz offensichtlich gar nicht wert war. Falko bedauerte, Thea da noch nicht gekannt zu haben, so gern hätte er sie in ihrem Kummer getröstet.
Nachdem er Veit aus seinen Gedanken verdrängt hatte, konzentrierte er sich auf die vielen Anknüpfungspunkte in Theas Zeilen. Da waren mehr Fragen als Antworten, so gut kannte er sie nach diesen wenigen Briefen nun doch wieder nicht: Würde sie sich freuen, wenn er sich wieder einen Hund zulegte? Und auch ihre Mutter galt es zu bedenken, das hatte Thea schneller erkannt als er selbst – einer Minderjährigen einen Strauß Blumen zu schenken, war in der Tat nicht so ganz unkompliziert.
Dann erst fiel ihm eine ganz andere Botschaft dieses Briefes auf. Ja, sie schrieb ganz viel davon, dass Sex noch nichts für sie sei, in ihrem Alter. Aber was zeigte das?: Dass dieses Thema sie mehr als irgendetwas sonst beschäftigte. Kein Zweifel, dass Dunjas Lebenswandel auf Thea abfärbte, aber es war mehr als das. Diese Hinweise auf ihre unbeschadete Jungfräulichkeit, auf den Altersunterschied zu ihrem ersten Freund, und dann zu ihm, Falko – er war sich jetzt fast sicher, dass Thea nichts dagegen einzuwenden hatte, dass er mit erigiertem Schwanz vor ihren Fotos saß. Oh nein, auf keinen Fall würde er sie in diese Richtung drängen. Aber wenn es ihr Wunsch wäre, oder war, mit ihm gemeinsam erotische Erfahrungen zu sammeln, war er gern dazu bereit. Wurde es – so gerne er ihre Briefe und Fotos mochte und so sehr er die unausgesprochene Spielregel respektierte, einander nicht am Briefkasten zu begegnen – nicht langsam Zeit, sie richtig kennenzulernen? Das musste er ihr in seinem nächsten Brief dezent vermitteln. Einen kleinen Hinweis brauchte er noch, um sicher zu sein.
* * *
G
emeinsam schlenderten die beiden Freundinnen in den sonnigen Tag hinein, durch das benachbarte Wohngebiet, in dem Falko lebte und dem sich eine Heidelandschaft anschloss, die von Wiesen über ausgedehntes Buschwerk und Baumgruppen bis hin zu Waldstücken nebst einem im Sommer gern zum „wilden“ Baden benutzten kleinen See ein ganzes Spektrum paradiesischer Kostbarkeiten der Natur bot. Bald fanden die beiden Mädchen eine Stelle, die sich wunderbar für ihr Vorhaben anbot. Auf der einen Seite ein Meer von Büschen, dem sich eine Blumenwiese mit einzelnen Bäumen anschloss, bevor der Rain eines riesiges Feldes die Grenze des Naturparadieses markierte.
Hier konnten sie vor allem ungestört sein. Niemand würde durch das dichte Buschwerk dringen, und wer sich von den anderen Seiten näherte, den würden die beiden schon von großer Ferne bemerken. Hier zog sich Thea in der lauen Frühlingsluft ohne Zögern aus, öffnete ihr zuvor zusammengebundenes Haar und forderte Dunja auf, ihr Anweisungen zu geben.
Zuerst entstand ein noch recht keusches Foto, auf dem Thea sich so hinter ein junges Bäumchen stellte, dass ihr Schritt durch dessen Stamm verdeckt war, und dazu hielt sie noch den rechten Unterarm waagerecht vor ihre Brüstchen. Genauer gesagt, entstanden mehrere Fotos in dieser Position, denn als schon etwas routinierte Fotographin war Dunja es längst gewohnt, immer gleich eine Serie von Aufnahmen zu machen, um später daraus die beste heraussuchen zu können.
Auf dem zweiten Bild kauerte Thea wie ein Häschen unter einem Strauch, jedoch mit einem koketten Lächeln in die Kamera. Dann kam Dunja auf die Idee, Thea solle einfach im Kreis laufen; sie würde sie sodann in der Bewegung auf dem Foto festhalten. Inspiriert von Falkos Abbild, stellte sie alsdann ihre Freundin vor die halbhoch stehende Sonne, ließ sie die Arme hochstrecken und fotographierte sie im Gegenlicht von unten.
Das fünfte Motiv, das für diesen Tag auch schon das letzte sein sollte, bestimmte Thea selbst, und dabei ging sie weiter, als die Freundin es ihr zugetraut hätte. Sie stützte sich rücklings auf ihre beiden gestreckten Arme, hob den Po weit an, spreizte die Beine und reckte somit ihr offenes Geschlecht der Kamera entgegen, während sie ein spitzbübisches Grinsen zeigte. „Kann man das so machen, Jannilein?“, fragte sie, nachdem diese bereits die ersten Bilder von dieser Stellung im Kasten hatte. Offenbar hatte sie nun doch etwas Angst vor der eigenen Courage. Aber Dunja nickte: „Kann man, für einen ganz besonderen Menschen. Wir wollen das ja nicht jedem zeigen.“
Frohgelaunt machten sich beide Mädchen auf den Rückweg. Thea war stolz auf sich selbst und zweifelte keinen Deut daran, dass es gut und richtig war, genau diese Fotos zu machen. Eigentlich war sie froh darüber, dass Falko ihr den Anlass verschaffte, so etwas „Erwachsenes“ zu tun. Und es kribbelte ihr regelrecht im Bauch, wenn sie sich den Moment vorstellte, indem der von ihr Verehrte diese Fotos mit ganz gewiss freudiger Überraschung zum ersten Mal betrachten würde.
Dunja wiederum gefielen die Fortschritte der Kleinen, die mit Riesenschritten dabei zu sein schien, ihre Kindheit hinter sich zu lassen. Freilich, sie hätten noch mehr Fotos machen können, vielleicht für spätere Gelegenheiten. Andererseits aber wollten sie ja auch noch das beste Bild von jedem Motiv auswählen und vom Fotoapparat auf die Speicherkarte kopieren, und außerdem würden beide künftig immer wieder die Möglichkeit haben, neue Aufnahmen zu machen. Auch Dunja wollte sich gelegentlich einmal von Thea so
schön fotographieren lassen, denn bis auf ein paar Selbstauslöseraufnahmen hatte sie keine erotischen Bilder von sich, die sie bei passendem Anlass hätte verwenden können.
„Wer hätte das wohl gedacht, dass das kleine, scheue Theli-Rehli so etwas tun würde?“, zog Dunja die Jüngere auf. Nach einem kurzen Moment des Überlegens antwortete diese: „Ja… ich sollte die Speicherkarte lieber ganz rasch in
seinen Briefkasten legen, sonst bekomme ich bis morgen noch weiche Knie! Aber weißt du was? Ich bin sooo froh, dass ich dich hab! Ohne dich hätt’ ich mich das nie, nie, nie getraut.“
Doch nein, keineswegs verwirklichte Thea ihr gewagtes Vorhaben gleich auf dem Heimweg von Dunja. Vielmehr wollte sie noch ein paar wenige Zeilen dazu schreiben, und dazu hatte sie bei der Freundin nicht genug Ruhe.
Viele Stunden später, als das Tageslicht schon dem Sternenhimmel Platz gemacht hatte, lag Thea wach und immer noch aufgeregt im Bett. Eine Frage, die Dunja ihr noch gestellt hatte, beschäftigte ihre Gedanken. Natürlich war es eine Frage zu ihrem außergewöhnlichen Verhältnis zu Falko. Dunja hatte wissen wollen, ob sie, Thea, den Mann gern einmal besuchen oder wenigstens treffen wollte, wenn sich alles weiterhin so gut entwickelte. Daraufhin hatte sie gemeint, ja, das wolle sie, doch sie wisse noch nicht, wann es so weit sein würde. Dann aber fragte Dunja weiter: „Und würdest du ihn auch küssen wollen?“ – Theas Antwort war ein heftiges Nicken. – „Nein“, wandte die Fünfzehnjährige ein, „ich meine, richtig, auf den Mund und mit Zunge.“
Damit hatte sie Thea ertappt. Ertappt dabei, dass diese sich darüber wahrhaftig noch gar keine Gedanken gemacht hatte. Das war doch eigenartig: Sie schickte ihm Nacktbilder von sich, aber eine richtige Kussszene mit ihm hatte sie überhaupt noch nicht versucht sich vorzustellen. Zwei Abende zuvor, da hatte sie sich sehnsüchtig selbst gestreichelt und dabei phantasiert, es seien seine Hände, die ihren Körper berührten. Aber ein Kuss von Mund zu Mund, ihre Lippen auf seine gepresst und im gemeinsamen Spiel der Zungen aufs intimste mit dem doch um so vieles älteren Mann, der aber doch
ihr Held war, vereint – das war wirklich etwas anderes. Vielleicht war diese Irritation ein Zeichen, es besser doch zunächst noch eine Weile bei den Briefen zu belassen. Wenn sie ehrlich war, konnte sie Dunjas Frage nicht beantworten. Und Erfahrung, die ihr hätte helfen können, besaß sie ja so gut wie keine.
Thea war allerdings klar, dass es einzig und allein eine Frage des Gefühls sei. Einerseits spürte sie eine unglaublich starke Zuneigung zu dem Mann. So, wie sie es noch nie erlebt hatte. Das kam von so tief drinnen, ganz anders als bei Veit. Zuerst, erinnerte sie sich, hatte sie in Falko vor allem den eher väterlichen Beschützer gesehen. Aber das war inzwischen nicht mehr so, spätestens, seit Falko sein Herz geöffnet und ihr Sachen geschrieben hatte, die ein Vater üblicherweise kaum seiner zwölfjährigen Tochter offenbaren würde, jedenfalls nicht nach Theas Familienverständnis.
Nein, Falko war nun vielmehr ein Freund, ein lebenserfahrener Freund, zu dem sie aufschauen konnte, der aber dennoch nicht über ihr stand. Doch würde sie diesen Mann, vorausgesetzt, er würde es auch wünschen, wirklich küssen wollen wie eine Frau ihren Liebsten?
Je tiefer sie darüber sinnierte, desto mehr festigte sich der Gedanke, dass sie wünschte, ihr Gefühl würde sie zu einem solchen Kuss drängen und würde sie diesen als wundervoll empfinden lassen. Erst dann wäre ihre Freundschaft zu Falko perfekt. Aber es fehlte ihr doch ein wenig die Vorstellung, wie sich das für sie anfühlen würde. Wenn die Zeit gekommen sei und sich die Gelegenheit ergebe, werde sie es schon wagen, redete sie sich im Stillen ein und fand mit diesem Gedanken ihren innerlichen Einklang wieder, so dass sie unmerklich ins Reich der Träume hinüberglitt.
Währenddessen befand sich ein paar hundert Meter weit entfernt ein Umschlag in einem dunklen Briefkasten. Thea hatte ihn mit etwas Klebeband am Einwurf befestigt, damit er nicht womöglich zusammen mit der Reklamezeitung unbemerkt entsorgt werden würde. In dem Kuvert befand sich eine unscheinbare Speicherkarte und ein Blatt Papier mit fast überschwänglichen, vor allem aber wohl sehnsuchtsvollen Worten:
„Mein lieber Falko, jetzt kann ich Dich einmal überraschen, und ich hoffe so sehr, dass Du Dich freuen wirst. Dunjas meinte, dass Du sehr gern noch ein paar andere Fotos von mir hättest. Aber ich will mich nicht herausreden. Ich selbst will es auch. Für die Jungen in der Schule wäre ich eine Schlampe, wenn sie die Fotos sehen könnten. Aber wenn sie Dir gefallen, bin ich glücklich. Ich weiß, sie sind bei Dir gut aufgehoben. Du wirst sie bestimmt nicht irgendwelchen Lästermäulern zeigen. Wir waren heute nicht weit von hier, dabei sind fünf von den sechs Bildern entstanden. Das erste ist schon ein paar Stunden älter, und darauf kannst Du auch meine Freundin Dunja sehen. (Sie ist damit auch einverstanden.) – HDL, Deine Thea
P.S.: Grüß den Findel von mir!“
Das Zeitungsmädchen (Teil 3 von 8) Creative Commons:
(CC: BY-NC-ND) Rolf Isar und Paul Pixie
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